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2 LITERATURÜBERSICHT

2.2 B IOMECHANIK DER H ALSWIRBELSÄULE

2.2.2 Einwirkungen des Reiters auf die Beweglichkeit des Pferdes

Der Reiter hat zwei Möglichkeiten auf das Pferd einzuwirken. Zum einen, indem er durch Veränderung seiner Position den Schwerpunkt verändert und zum anderen, in dem er über die Zügel die Kopf- und Halsbewegungen reguliert (TOKURIKI u. AOKI

1991). So wirkt er in direkter Weise auf Genick, Hals und Rücken, in indirekter Weise auf das gesamte Pferd ein. Bei der Einwirkung des Reiters auf das Pferd, muss dieser stets beachten, dass Hals, Rücken und Extremitäten interdependente Komponenten eines begrenzt modifizierbaren Bewegungsgefüges sind (MEYER 1996). MEYER (1996) beschreibt weiterhin die Einwirkung des Reiters als eine Begrenzung der Bewegungsentfaltung des Pferdes. Für diese gibt es immer einen optimalen Bereich, in dem die Störung oder Eingrenzung der Bewegungsentfaltung relativ dezent bleibt. Alles was über diesen optimalen Bereich hinausgeht, beeinträchtigt in nicht unerheblichem Maße das Pferd und führt zu akuten Krankheitsprozessen oder Dauerschäden.

Nach STEINBRECHT (2004) sowie STODULKA (2006) soll der Pferdehals aus dem Rumpf heraus gut aufgesetzt sein, so dass sich eine dorsale, viertelkreisartige Wölbung ergibt. Die sieben Halswirbel sind S- förmig angeordnet. Idealerweise geht der obere Bogen des „S“ über einen fast senkrecht gestellten vierten Halswirbel in den unteren Bogen über. Erwünscht ist auch eine regelmäßige, leicht gebogene Verbindung der ersten Halswirbel mit dem Hinterhauptsbein, eine annährend senkrechte Stellung des mittleren Abschnitts sowie der regelmäßige, etwas gebogene Übergang der letzten Halswirbel zu den Brustwirbeln (STEINBRECHT 2004). Diese Anordnung ermöglicht einem Pferd mit genügend Ganaschenfreiheit, ausreichend in Aufrichtung mit guter Schulterfreiheit und Aktion der Vorderhand zu gehen.

Die optimale Aufrichtung des Halses ist an dem nach oben konvexen Bogen und dem Abbiegen des Kopfes in der Ganasche zu erkennen. Die Halshaltung ist nicht unabhängig von Rücken, Bewegungen der Vorhand und der Beugung der Hinterhand (BÜRGER u. ZIETSCHMANN 1939, STEINBRECHT 2004). Durch das Aufrichten des Halses werden die Halswirbel nach aufwärts gerichtet und das Gewicht des Halses nähert sich dem natürlichen Schwerpunkt des Pferdes an und der Reiter kann so den Pferdehals als Hebel für den Grad der Belastung der Hinterhand verwenden (STEINBRECHT 2004). Haben die Gelenkflächen der Facettengelenke ausreichend Kontakt, können treibende und parierende Hilfen ohne Unterbrechung weitergeleitet werden. Werden einzelne Abschnitte der

Halswirbelsäule zu stark abgebogen, ist die Kontaktfläche zu klein, und somit die Weiterleitung der verhaltenden und treibenden Hilfen unterbrochen. Die Wölbung des Halses entsteht durch zunehmende Biegung der einzelnen Facettengelenke. Diese Biegsamkeit wird durch das Zusammenwirken von Hand, Schenkelhilfen und Sitz des Reiters erreicht.

STEINBRECHT (2004) beschreibt des weiteren die verschiedene Eignung der Halsformen für die Nutzung des Pferdes. Beim tief angesetzten, aber gut geformten Hals verlaufen die Halswirbel zum Widerrist hin nicht aufwärts, sondern eher gerade.

Dadurch ist die Aufrichtung zwar erschwert, aber durch entsprechendes Setzen des Pferdes und Aktivieren der Hinterhand ist es – so STEINBRECHT (2004) - möglich, der idealen Kopf- Halshaltung nahe zu kommen. Ein tief angesetzter gerader und steifer Hals, erschwert die Aufrichtung und nur ein geübter Reiter wird diesen Mangel ausgleichen können. Der Hirschhals in Verbindung mit einer schwachen Hinterhand ist nach STEINBRECHT (2004) am ungünstigsten für die Ausbildung. Bei dieser Halsform stehen die Wirbel des mittleren Abschnitts nicht senkrecht übereinander, sondern sind rückwärts geneigt. In diesem Fall wird die Hinterhand nicht belastet, da der Reiter den Hals nicht als Hebel verwenden kann.

Unter dem Reiter ist der Hals in Beugestellung, obwohl die Beugemuskeln, die unterhalb der Halswirbelsäule liegen, sich im Laufe des Trainings zurück bilden. Die Streckmuskeln tragen Kopf und Hals. Hauptsächlich sind dies der Musculus longissimus cervicis und der Musculus spinalis, die im Laufe der Ausbildung immer mehr aktiv die Halswirbelsäule tragen und somit immer etwas angespannt sind. Die Beugemuskeln sind zwar an der Senkung und Beugung des Halses beteiligt, da ihre Antagonisten, die Nackenmuskeln, aber von sich aus gedehnt sind, haben die Beugemuskeln keinen nennenswerten Widerstand zu überwinden und es scheint, als wenn der Zügel ihre Arbeit übernimmt. Durch die Untätigkeit der Beugemuskeln erfahren diese bei gut gerittenen Pferden eine Rückbildung und die gesamte Halspartie unterhalb der Halswirbelsäule erscheint schlanker (BÜRGER u.

ZIETZSCHMANN 1939).

Nach BÜRGER und ZIETSCHMANN (1939) ist zwischen der relativen und aktiven Aufrichtung zu unterscheiden. Die relative Aufrichtung korreliert mit dem Alter des

Pferdes. Beim jungen Pferd ist sie gering und wird mit fortschreitender Hankenbiegung im Verlauf der Ausbildung höher. In der relativen Aufrichtung schwingt der Rücken, die Nackenmuskeln dehnen durch Zug am Widerrist die Dornfortsätze des Widerrists. So werden diese aufgerichtet und die Rücken- und Lendenwirbel folgen ihnen nach vorn und oben. Damit wird der Rücken angehoben und das Pferd lässt den Reiter gut sitzen. Die untere Halslinie bleibt konkav, die Stirnlinie steht in oder wenig vor der Senkrechten. In der aktiven Aufrichtung heben die Halsmuskeln den Kopf an. Die Halswirbelsäule wird kürzer, deutlicher S- förmig und steht fast senkrecht. Die untere Halskontur wölbt sich konvex vor. Die Stirnlinie bleibt deutlich vor der Senkrechten, da kein Abbiegen in den Ganaschen möglich ist.

Der Rücken biegt sich nach unten und der Reiter kommt nicht zum Sitzen.

Der Reiter soll idealerweise dem höchsten Punkt des Widerrists so nah wie möglich sitzen (BÜRGER u. ZIETSCHMANN 1939). Die Nackenmuskulatur erbringt so eine hohe Arbeitsleistung. Das Pferd balanciert mit Hilfe von Kopf und Hals das Reitergewicht aus. BÜRGER und ZIETSCHMANN (1939) beschreiben dies als die Zusammenarbeit eines zweiarmigen Hebels. Kopf und Hals stellen den Kraftarm dar, die Entfernung vom Widerrist bis zum tiefsten Punkt des Sattels den Lastarm. Je länger der Kraftarm und je kürzer der Lastarm, desto leichter kann das Reitergewicht getragen werden.

Kopf und Hals sind relativ flexibel. Das Pferd reagiert auf den vermehrten Zug, durch die Handeinwirkung des Reiters nach caudal oder lateral, mit Veränderungen der Kopf oder Halsposition. Dieses führt unter anderem zu einer geringeren oder stärkeren Winkelung des Genicks. Bei geringer Winkelung im Genick nimmt das Pferd die Nase vermehrt nach vorn und stößt dabei gegen das Gebiss oder die Hand des Reiters. Dies ist üblicherweise mit einem erhöhten Muskeltonus im Halsbereich und in weiteren Bereichen des Körpers verbunden. Geht das Pferd hinter dem Zügel, also weicht es dem Druck der Hand aus, tritt es nicht mehr fleißig mit den Hinterbeinen an das Gebiss heran. Veränderungen in der Winkelung des Genicks führen meist zu Änderungen der Stellung des Halses. Selten handelt es sich hierbei um vermehrte Dehnung, meist wird der Hals enger eingestellt. Der Hals kann auch durch die Reiterhand im zweiten bis vierten Halswirbel nach unten abgebogen

werden, dass heißt, dass er „aufgerollt“ wird. Als Folge des „Aufrollens“ entsteht der

„falsche Knick“ des Halses (MEYER 1996). Das Genick ist dann nicht mehr der höchste Punkt.

MEYER (1996) unterscheidet zwischen dem Aufrollen des vorderen Abschnitts des Halses mit einem am Widerrist aufgerichteten Hals und dem Aufrollen mit einem am Widerrist gesenktem Hals. Ersteres bedingt folglich eine reduzierte Losgelassenheit bei nach unten abgesenktem Rücken und das nur noch begrenzte Vorgreifen der Hinterbeine. Durch die begrenzte Schulterfreiheit werden die Bewegungen bei normalem oder reduziertem Tonus schleichend, bei erhöhtem Tonus höher und eiliger. Letzteres führt durch den Zug an den Bändern und Muskeln der Dornfortsätze sowie an den Rückenmuskeln zu einem straffen bis nach oben gewölbten Rücken.

Dadurch sitzt der Reiter mehr „auf“ dem Pferd als „in“ diesem. Kommt es bei so einem festen Rücken durch die treibenden Hilfen des Reiters zu einer Erhöhung des Muskeltonus, entstehen die sogenannten „Schwebetritte“. Zusätzlich zu diesen, als weitere Folge des Aufrollens, ist die Aktivität der Vorhandmuskulatur, besonders des Musculus brachiocephalicus eingeschränkt. Somit ist das Vortreten der Vorderbeine begrenzt. Dies beschrieben auch schon BÜRGER und ZIETSCHMANN (1939). Die mangelhafte Losgelassenheit im Rücken führt letztlich zu einem verminderten Untertreten der Hinterhand.

Der Reiter sollte -besonders zu Beginn der Ausbildung des Pferdes- dem Durchbiegen des Rückens entgegenwirken. Dies erreicht er am besten durch die Dehnung des Halses. Das Pferd soll diesen „fallen lassen“, also vom Widerrist aus dehnen. Als Anhaltspunkt für die Weite der Dehnung soll die Nase vor der Senkrechten auf Höhe des Ellenbogengelenks gehalten werden (BÜRGER u.

ZIETZSCHMANN 1939, MEYER 1996).

Die beiden ersten Halswirbel ermöglichen hauptsächlich die Stellung beim Reiten.

Allerdings ergibt sich die Stellung des Halses nicht nur durch das Abbiegen im ersten und zweiten Halswirbel (Biegung der Ganaschen) sondern aufgrund einer Lateroflexion mit geringgradiger Außenrotation der gesamten Halswirbelsäule. Durch Einwirkung auf die Halswirbelsäule bestimmt der Reiter sowohl die Aktivität der Vorhand als auch die Belastung der Hinterhand (STEINBRECHT 2004).

Beim Vorwärts- Abwärtsreiten wird durch die tiefe Kopf- Halshaltung das Nackenband gedehnt. Durch diese Dehnung entsteht Zug auf den Widerrist und die nachfolgenden Wirbel, wodurch sich die Zwischenräume der Dornfortsätze weiten und die Rückenmuskulatur sich entspannt (SCHRIJER u. VAN WEEREN 2003).

DENOIX und PAILLOUX (2000) beschreiben, dass während der Versammlung unter dem Reiter die verschiedenen Muskelgruppen die Krümmung der Wirbelsäule erhöhen. Im Halsbereich kommt es zu einer konzentrischen Kontraktion der Mm.

longus capitis und longus colli. Das Ligamentum nuchae wird unter Spannung gesetzt. Aufgrund der thorakalen Beugung wird der Widerrist angehoben. Die Bauchmuskulatur kontrahiert. Die Hinterhand tritt vermehrt unter den Schwerpunkt.

Im Lendenbereich werden der M. iliocostalis und der M. longissimus angespannt, wodurch die thorakolumbalen Abschnitte der Wirbelsäule gestreckt werden (DENOIX u. PAILLOUX 2000).

Durch extremes Einbiegen des Pferdehalses, wie es bei der nicht klassischen Ausbildung einiger Sportpferde im Sinne der „Hyperflexion“ (Rollkur) geschieht, erreicht die Krümmung der Wirbelsäule ihre Maximalgrenze. Die Bauchmuskulatur und die sublumbale Muskulatur müssen der erhöhten Spannung des Bogens entgegenwirken. Durch den Zug des Nackenbands nach vorn und die Kontraktion der Bauchmuskulatur wird der supraspinale Bandapparat gedehnt (SCHRIJER u.

VAN WEEREN 2003). Grundsätzlich soll so die Geschmeidigkeit der Wirbelsäule erhöht werden (JANSSEN 2003). Diese Annahme konnten z.B. RHODIN et al.

(2005) nicht bestätigen. Sie beobachteten, dass sich bei einem tief eingestellten Hals die Rückentätigkeit des Pferdes vermindert. Es sind sogar Verletzungen durch diese Art der Arbeit mit Pferden möglich. Zunächst ist die Muskulatur, später aber auch Bänder und Knochen betroffen. Bei einem dauerhaft extrem eng, d.h. in

„Hyperflexion“ gearbeiteten Pferd wirkt der konstante Zug am Nackenband über das Rückenband blockierend auf die Brust- und Lendenwirbelsäule. Vor allem der Schritt leidet unter dieser Blockade. Es entstehen Taktfehler. Die Trabmechanik wird schwebend, da der M. longissimus dorsi im Lendenbereich dauerhaft kontrahiert (BALKENHOL et al. 2003).

Auch MEYER (1996) sieht sowohl in der extremen Form der Aufrichtung des Halses, als auch in der unzweckmäßigen Spannung bei der extrem engen Einstellung nicht nur den Grund für Erkrankungen im Halsbereich, sondern auch im Rücken. Dieses führt zu Schäden an den Sehnen und Bändern, an deren Ansatzstellen, an den zusammengepressten Wirbeln und Zwischenwirbelscheiben sowie an der Ansatzstelle des Nackenbands, dem Hinterhauptsbein.

Die oben beschriebene Arbeitsweise der Pferde steht im Gegensatz zur traditionellen Vorgehensweise, welche im FEI Reglement festgehalten ist.

In einer multizentrischen Studie wurde der Einfluss von sechs verschiedenen Kopf- Halspositionen auf die Lastverteilung der Beine im Schritt und im Trab auf dem Laufband verglichen (WEISHAUPT et al. 2006). Mit zunehmender Versammlung des Pferdes sollen, nach bisherigem Verständnis, die Hinterbeine mehr Last aufnehmen und daher stärker eingebogen, die gesamte Halswirbelsäule höher getragen und das Genick so höchster Punkt des Halses werden.

WEISHAUPT et al. (2006) fanden heraus, dass die unterschiedliche Position von Kopf und Hals im Schritt zu deutlicheren Veränderungen in der Lastverteilung führt als im Trab. Im Schritt erfolgt durch Dehnungshaltung des Halses nach vorwärts - abwärts am hingegebenem Zügel eine Verlagerung des Gewichts von den Hinterbeinen auf die Vorderbeine. Im Gegensatz dazu steht eine extrem hohe Einstellung des Halses, wodurch auch der Rücken weggedrückt wird. Das extreme Einbiegen von Kopf und Hals führte nicht zu einer signifikanten Veränderung der Kraftverteilung (WEISHAUPT et al. 2006). Es ist zu beobachten, dass die Höhe des Halses die Bewegung mehr beeinträchtigt als die Genickbiegung. Im Trab ist das Einrollen des Halses mit einer gesteigerten Flexion der cranialen thorakalen Region und einer gesteigerten Extension der caudalen Wirbelsäule verbunden (DENOIX 1987, WEISHAUPT et al. 2006). Die gut stabilisierte horizontale Ausrichtung des Beckens ermöglicht das kraftvolle Untertreten der Hinterbeine unter den Schwerpunkt des Pferdes (WEISHAUPT et al. 2006). BYSTRÖM et al. (2006) zeigten, dass Pferde mit einem geneigten Becken eine größere Mobilität im Lumbo- Sakralgelenk (JOHNSTON et al. 2002) haben.

Im Gegensatz dazu führen gestreckte Kopf- und Halseinstellungen, bei denen die Nase vor der Senkrechten ist, zu einer Dehnung des cranialen thorakalen Abschnitts und zu erhöhter Flexion der caudalen Brust- und der Lendenwirbelsäule (GOMEZ ALVAREZ et al. 2006). Im Vergleich der unterschiedlichen Positionen soll die tiefe Kopf- / Halseinstellung im ganzen die Flexibilität der Wirbelsäulenabschnitte erhöhen (JANSSEN 2003). Eine extrem hohe Einstellung von Kopf – und Hals (das Pferd entzieht sich dabei jeglicher Einwirkung und der Anlehnung) führt zu Asymmetrie der Intervertebralgelenke, reduziert das Untertreten der Hinterhand und beeinflusst die Beweglichkeit der Wirbelsäule mehr als übertriebene Flexion. In den verschiedenen Studien zum Vergleich der unterschiedlichen Kopf- Halspositionen war zu beobachten, dass sowohl die extreme Flexion als auch die extreme Extension des Halses das Bewegungsmuster des Pferdes im allgemeinen deutlicher verändern als weniger extreme Positionen (RHODIN et al. 2005, GOMEZ ÁLVAREZ et al. 2006, WEISHAUPT et al. 2006).