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Diskussion und Interpretation der Ergebnisse

5. Diskussion

5.2 Diskussion und Interpretation der Ergebnisse

Die Begriffe der Bewertungslehre werden je nach Autor unterschiedlich ausgelegt.

Eine allgemein gültige Begriffsdefinition fällt insbesondere im Hinblick auf die Bewer-tung von Arzt- und Zahnarztpraxen schwer, da zum Teil Begriffe aus der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre (zum Beispiel „Goodwill“ oder „Substanzwert“) mit einer an-deren Bedeutung in diesem Bereich verwendet werden. Eine allgemein gültige Defi-nition sollte angestrebt werden. Der bei dem modifizierten Ertragswertverfahren ge-forderte Ertragswert birgt aufgrund seiner Zukunftsbezogenheit laut Kuhner und Mal-try einige Probleme:

- Prognoseproblem: Die finanziellen Überschüsse eines Unternehmens sind in der Zukunft abhängig von externen Einflüssen wie der gesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der makroökonomischen Konjunkturlage sowie von branchenspezifischen Einflussfaktoren. Auch individuelle Einflüsse wie Standortfaktoren oder interne Organisationsbeziehungen können eine Rolle spielen. Diese Einflüsse sind zum Bewertungszeitpunkt nicht objektiv feststellbar und müssen angenommen bzw. prognostiziert werden.

- Strategieproblem: Je nach Erwerber können unterschiedliche Strategien und Führungskonzepte angewendet werden. Dies hängt vom Managementpoten-zial und von finanziellen Ressourcen ab. Eine Unternehmensbewertung ist damit auch ein strategisches Entscheidungsproblem.

- Kapitalisierungsproblem: Die Zahlungsbereitschaft mit Aussicht auf eine zu-künftige Ausschüttung wird aufgrund von persönlichen Präferenzen unter-schiedlich ausfallen.

Die Schwierigkeit bei der Wertermittlung besteht darin, die Komplexität je nach Be-wertungssituation intersubjektiv nachvollziehbar und theoretisch fundiert aufzulö-sen.173

Franz Reuter setzt sich in seiner Arbeit „Zur Umsetzung des Verkehrswertbegriffes in Wertermittlungsverfahren“ intensiv mit dem Verkehrswertbegriff auseinander. Ein-gangs gibt er zu bedenken, dass Werturteile nur „mit Unsicherheit gefällt werden“174 können. Für Bewertungsobjekte gleicher Qualität kommen erfahrungsgemäß trotz

173 Vgl. Kuhner, Christoph / Maltry Helmut (2017) Unternehmensbewertung, S. 52ff

174 S. Reuter, Franz (1988) Zur Umsetzung des Verkehrswertbegriffes in Wertermittlungsverfahren, S. 10

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gleicher allgemeiner Preisverhältnisse verschiedene Kaufpreise zustande. So sind auch bei der Bewertung von Objekten für den Verkehrswert verschiedene Preismög-lichkeiten vorhanden.175 Reuter stellt das Ertragswertverfahren infrage, da mit der Feststellung, dass Ertragsüberlegungen das Preisverhalten zu großen Teilen be-stimmen, nicht belegt ist, wie Käufer und Verkäufer tatsächlich ihre Preisvorstellung formen.176 „Das Ertragswertverfahren ist (bloß) eine idealisierende Modellvorstellung für ertragsorientierte Preisüberlegungen. (…) Das Schema ist kein (normativer) Beur-teilungsmaßstab für das gewöhnliche Preisverhalten. Vielmehr ist die Frage zu stellen, inwieweit das Modell angemessen ist, gewöhnliches Preisverhalten zu reprä-sentieren.“177 Damit kritisiert er das heute gängige (modifizierte) Ertragswertverfah-ren. Der Bundesfinanzhof hält das modifizierte Ertragswertverfahren grundsätzlich für geeignet, um eine Zahnarztpraxis zu bewerten, schreibt dieses Verfahren aber aus-drücklich nicht vor oder begründet diese Ansicht.178 Faktisch wenden die meisten Sachverständigen dieses Verfahren zur Bewertung von Zahnarztpraxen an. Es stellt sich aber die Frage, ob das modifizierte Ertragswertverfahren zur Wertermittlung tat-sächlich geeignet ist.

Der Verkehrswert von Zahnarztpraxen ist derzeit nicht zufriedenstellend definiert. Es sollte kritisch diskutiert werden, ob bei Zahnarztpraxen überhaupt von einem Ver-kehrswert gesprochen werden kann, da die Bedingungen für einen vollkommenen Markt nicht vorliegen.

Eine Durchmischung der Begriffe „(Verkehrs-)Wert“ und „Preis“ auch durch die Sachverständigen in den Interviews zeigt die Unsicherheit in diesem Bereich.

Der Ergebniszeitraum, der als Modulator beim modifizierten Ertragswertverfahren dient, wird von den Sachverständigen unterschiedlich eingesetzt. Teilweise wird er mit der Verflüchtigungstheorie und teilweise mit dem Reproduktionszeitraum erklärt.

Fraglich ist, ob diese beiden Ansätze überhaupt herangezogen werden sollten. Auch kann es nach Ansicht der Verfasserin durch Einsetzen des EZR schnell zu Doppel-berücksichtigungen kommen. Hat eine Praxis zum Beispiel aufgrund der guten Lage, der guten Parkplatzsituation oder des freundlichen Personals einen höheren Ertrag bzw. prognostizierten Zukunftsertrag, wird dies bereits hier abgebildet und könnte bei

175 Vgl. ebd., S. 22

176 Vgl. ebd., S. 57

177 S. ebd.

178 Vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 9.2.2011, XII ZR 40/09

127 einer zusätzlichen Berücksichtigung beim EZR im Sinne einer Erhöhung des Faktors zu einer weiteren Steigerung des Wertes führen. Diese Problematik ist bei allen Ein-flussfaktoren äußerst relevant und sollte unbedingt beachtet werden, bzw. eine Dop-pelberücksichtigung sollte ausgeschlossen werden. Eine mögliche Folge kann sein, dass viele Punkte aus der Bewertung ausgeschlossen werden müssen. Dies ist noch zu prüfen. Eine wissenschaftlich fundierte Basis für den EZR konnte in der Literatur nicht gefunden werden, vielmehr handelt es sich um einen willkürlich festgesetzten Wert, der kritisch hinterfragt werden sollte.

Während bei der IDZ-Studie überwiegend die Verkäufer gefragt wurden, liegt der Fokus dieser Arbeit in der Befragung von Sachverständigen und Käufern von Zahn-arztpraxen. Wird ausschließlich der Kaufpreis betrachtet, sind die Ergebnisse der IDZ-Studie sehr uneinheitlich, während die eigenen Befragungen ein homogeneres Bild ergeben. Dies zeigt die Vielfalt und die Preisvarianz auf dem Käufermarkt. Wäh-rend die Verkäufer in der IDZ-Studie viele Einflussfaktoren (betriebswirtschaftliche Daten, aber auch „weiche“ Faktoren wie Kenntnisstand der Mitarbeiter, langjährige Bindung der Patienten, Anteil an Privatpatienten) als wichtig erachteten („Hatte gro-ßen Einfluss“), magro-ßen die Käufer deutlich weniger Faktoren eine Bedeutung bei. Le-diglich die Faktoren „Modernität/Erscheinungsbild“, „Praxislage“, „Fallzahlen“, „Zu-künftig erwartete Gewinnveränderungen“ und „Persönliche Verhältnisse“ spielten für Käufer eine Rolle bei der Kaufpreisfindung. Typisch war hier der Satz: „Das war mir wichtig.“ Bei den meisten Interviews schwang mit, dass einzelne Faktoren für die Käufer kaum eine Rolle gespielt haben und die persönlichen Umstände tatsächlich ausschlaggebend für die Kaufentscheidung waren. Betrachtet man die Käufergruppe, die im Schnitt ca. 35 Jahre alt ist, ist zu bedenken, dass dies ein Alter ist, in dem häufig andere lebensverändernde Entscheidungen – insbesondere die Familienpla-nung – getroffen werden. Es spielen also nicht nur die eigenen wirtschaftlichen und rationalen Interessen eine Rolle, sondern es ist eher davon auszugehen, dass Ent-scheidungen unter Berücksichtigung vieler individueller Faktoren (zum Beispiel Woh-nort der Eltern, Arbeitsplatz des Ehepartners) getroffen werden. Es ist nicht anzu-nehmen, dass eine Mehrzahl der Käufer bereit ist, den gewünschten Standort grund wirtschaftlicher Attraktivität einer anderen Praxis (in einer anderen Stadt) auf-zugeben. Viele Faktoren wurden von den potenziellen Käufern im Vorfeld nicht ein-mal beachtet oder untersucht (zum Beispiel teilweise keine Kenntnis über

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zahlen). Es kann davon ausgegangen werden, dass vielen Faktoren von Verkäufern mehr Beachtung geschenkt wird als von Käufern, da die Verkäufer ihre Praxis als

„Lebenswerk“ betrachten und die positiven Eigenschaften hervorheben.

Fraglich ist, inwieweit die abgefragten Faktoren bzw. die Sicht der Käufer/Verkäufer zu einem Verkehrswert, wie er von Gerichten gefordert wird, führen. Aufgrund der hohen Subjektivität und geringen Fallzahl kann hier keine abschließende Aussage getroffen werden. Was einer Änderung bedarf, ist die unterschiedliche Handhabung der Sachverständigen mit ein und demselben Faktor (zum Beispiel Zahnarztdichte vor Ort, Anteil an Privatpatienten). Auch diese Punkte sind nicht theoriebasiert auf-geschlüsselt und werden teilweise werterhöhend, teilweise wertmindernd in die Wert-ermittlung einbezogen. Diese Beliebigkeit belegt, dass das modifizierte Ertragswert-verfahren in der hier angewandten Form nicht hinreichend theoriebasiert ist.

Die Ergebnisse der Arbeit zeigen keinen eindeutigen Preisunterschied zwischen verschiedenen Regionen (zum Beispiel der viel zitierte Unterschied zwischen einer Praxis in München und einer in Mecklenburg-Vorpommern). So ist auch hier die Bewertungspraxis zu hinterfragen. Möglicherweise werden (um bei diesem Beispiel zu bleiben) in Mecklenburg-Vorpommern mehr Praxen geschlossen, während dies in München seltener passiert. Die nicht geschlossenen Praxen werden aber (der vorlie-genden Befragung nach zu urteilen) nicht zu einem niedrigeren Preis verkauft. Even-tuell liegt dem auch nur ein unökonomisches Handeln der Käufer zu Grunde. Auf-grund der geringen Fallzahl kann hier nur spekuliert werden.

Vergleicht man die Antworten der Zahnärzte mit denen der Sachverständigen (Abbildung 8) fällt auf, dass nur bei wenigen Punkten Einigkeit besteht. Während die Sachverständigen sehr viele Punkte als einflussreich erachteten, waren es bei den Zahnärzten deutlich weniger. Ähnlich sehen die beiden Interviewpartner nur die Punkte „Praxislage“, „Anbindung an die Praxis“ und „Ruf der Praxis“. Im Gegenteil sind viele Punkte mit höchst unterschiedlichen Ansichten zu sehen (zum Beispiel

„Altersstruktur der Patienten“ oder Fragen zum Personal). Es muss die Frage gestellt werden, nach welchen Kriterien die Sachverständigen die einzelnen Punkte in die Wertermittlung einbeziehen. Eine mögliche Erklärung der unterschiedlichen Ansichten könnte sein, dass die Sachverständigen aus unterschiedlichen Funktionen (z.B. aus Verkäufer-/Käufersicht oder im Scheidungsfall vor Gericht) heraus

129 argumentieren. Die unterschiedlichen Ergebnisse fußen eventuell auf ihren unterschiedlichen Erfahrungen und Denkweisen. Es konnten durch die Sachverständigen keine genauen Angaben hinsichtlich des Einflusses der einzelnen Punkte gemacht werden, das heißt, es konnte nicht konkret ein Wert genannt werden, um den sich der EZR erhöht, wenn zum Beispiel eine Bushaltestelle vor der Tür der Praxis steht oder ein QM-System in der Praxis implementiert ist. Vielmehr scheint es auf dem „Gefühl“ der Sachverständigen zu beruhen, in welchem Maße diese Punkte Einzug in die Wertermittlung erhalten. Die folgende Abbildung zeigt die Anzahl der Antworten der jeweiligen Gruppe, die auf einen Einfluss des jeweiligen Faktors schließen lassen (in %). Die „Altersstruktur der Patienten“ hielten zum Beispiel 90% der Sachverständigen für einflussreich, während nur knapp 5% der Zahnärzte dies auch so sahen. Dieser Absatz ist ein Beleg dafür, dass es sich um ein multivariates Geschehen handelt.

Abbildung 8: Antworten der Zahnärzte und Sachverständigen im Vergleich

Bei den Ergebnissen der Befragung konnte eine Annäherung der tatsächlichen an die ermittelten immateriellen Werte nur über eine Modifizierung des Unternehmer-lohns erreicht werden. Für die Wertermittlung sollte aber aus werttheoretischen Gründen stets derselbe Unternehmerlohn herangezogen werden im Sinne eines

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Einfluss in %

Antworten der Zahnärzte und Sachverständigen im Vergleich

Zahnärzte Sachverständige

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Alternativgehaltes (was kann alternativ als angestellter Zahnarzt verdient werden?).

Der Unternehmerlohn sollte danach nicht abhängig vom Einkommen gewählt wer-den. Da die errechneten Werte bei einem „starren“ Unternehmerlohn stark abwei-chen, muss davon ausgegangen werden, dass Zahnärzte bei dem Kauf einer Praxis möglicherweise zunächst einen geringeren Unternehmerlohn akzeptieren, um die Praxis aufzubauen. Dieser soll in Zukunft steigen. Immerhin erwarten laut Umfrage 15 von 23 Zahnärzten einen Anstieg des Gewinns nach Übernahme der Praxis. An-derenfalls ergeben rein rechnerisch Praxen mit niedrigem Gewinn (unterhalb des an-gesetzten Unternehmerlohns) einen negativen immateriellen Wert und dürften somit unverkäuflich oder jedenfalls nur zu einem unter dem materiellen Wert liegenden Preis veräußerbar sein. Die Studie zeigt jedoch, dass auch für diese Praxen ein im-materieller Kaufpreis bezahlt wurde.

Wird der Unternehmerlohn in hohen Gewinnbereichen weiter modifiziert, zum Bei-spiel ab einem Gewinn von 200.000 Euro sukzessive erhöht, kommen die tatsächlich gezahlten und die errechneten Werte gut überein. Es ist möglich, dass ab einer ge-wissen Höhe des Gewinns der errechnete Wert vom gezahlten Preis abweicht und unabhängig vom Gewinn eine Art obere Preisgrenze entsteht, die ein Käufer maxi-mal bereit ist, für eine Zahnarztpraxis zu bezahlen. Durch den modifizierten Arztlohn kann ein Preis plausibilisiert werden, zur Wertermittlung ist aber ein definierter Arzt-lohn anzusetzen.

Der „Errechnete immaterielle Wert“ kann durch Anpassung von Zinssatz oder Ergeb-niszeitraum in verschiedene Richtungen verändert werden und bildet damit nur eine mögliche Variante der Berechnung ab.

Schlussendlich ist anzumerken, dass die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden können. Sie zeigen die unterschiedlichen Ausprägungen bestimmter Transaktionen und bilden keine einheitliche Basis. Ein auf die jeweilige Situation angepasstes Ver-fahren sollte entwickelt werden. Dabei sollte

1. ein einheitlicher Arztlohn angesetzt werden,

2. Klarheit über den Einfluss der maßgeblichen Faktoren herrschen und 3. ggf. ein neues Bewertungsmodell eingeführt werden.

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