• Keine Ergebnisse gefunden

8 Ergebnisse zum sportpädagogischen Anspruch

8.5 Diskussion der sportpädagogischen Ansprüche

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass von den untersuchten Kategorien die Kategorien Ziele, Inhalte und Methoden bzgl. des Themas Gesundheit im Vordergrund der Diskussion stehen.

Besonders Inhalte werden häufig thematisiert. Ein Grund hierfür könnte sein, dass hierunter sowohl verschiedene Bewegungsfelder, z.B. Turnen an und mit Geräten, als auch Themengebiete, wie beispielsweise Selbstregulation oder Körperpflege, subsummiert werden. Aussagen zum Gesundheitsverständnis scheinen nachrangige Bedeutung zu haben.

Qualitativ betrachtet sind bezüglich des Gesundheitsverständnisses zwei Paradigmenwechsel in der Diskussion um das Thema Gesundheit im Sportunterricht zu erkennen: Zum einen eine „Abkehr von einem engen medizinisch und ausschließlich an objektiven Parametern orientierten Gesundheitsverständnis“ (Kottmann & Küpper, 1991, S. 142). Die beschriebene Abkehr führt zu einem integrativen Gesundheitsverständnis, das sowohl objektive als auch subjektive Aspekte berücksichtigt.

Zum anderen wird ein Paradigmenwechsel weg von der Kuration und weg von der Prävention hin zur Gesundheitsförderung beschrieben (Fessler & Knoll, 2013). Diese Ergebnisse spiegeln die aktuelle Diskussion zum Verständnis von Gesundheit wider.

In vereinzelten Beiträgen wird allerdings Gesundheit weiterhin auf den Aspekt der Fitness reduziert, was dem beschriebenen weiten Verständnis von Gesundheit entgegensteht. Zusätzlich stehen in diesen Beiträgen überwiegend die Gewährleistung von Bewegungszeit oder die richtige Dosierung im Fitnesstraining und nicht Erziehungs- oder Bildungspotentiale beim Fitnesstraining im Fokus. Die hohe Bedeutsamkeit des Themas Fitness wird auch in neueren sportpädagogischen Diskussion deutlich, wo auf Grundlage der wachsenden Bedeutung des Fitness-Lifestyles, Überlegungen dazu angestellt werden, ob es einer Revision des Spektrums der pädagogischen Perspektiven bedarf und eine Perspektive „Körperästhetik“ ergänzt werden sollte (Bindel & Ruin, 2018).

Mit dem beschriebenen weiten Verständnis von Gesundheit geht einher, dass wenige Beiträgen rein auf Aspekte wie die Förderung motorischer Grundlagen oder Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung von Bewegungsmangelerscheinungen abzielen. Der überwiegende Teil der Beiträge rückt das Ziel der gesundheitsbezogenen Handlungsfähigkeit von Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt der Diskussion. Alle weiteren formulierten Ziele und Inhalte hängen eng mit diesem zusammen und betreffen sowohl objektive und subjektive als auch übergreifende und erweiternde Aspekte. Subjektive und objektive Aspekte bilden dabei den Kern der Ansprüche und scheinen aufgrund einer ähnlichen Anzahl an Codings gleich wichtig zu sein. Die folgende Abbildung 43 lehnt sich an Ausführungen von Töpfer (2017) an und veranschaulicht die zusammengefassten Ergebnisse zu Zielen und Inhalten von Sportunterricht und bettet diese in das dargestellte Gesundheitsverständnis

Ergebnisse zum sportpädagogischen Anspruch __________________________________________________________________________________

ein. Somit liefert Abbildung 43 eine Übersicht über die inhaltliche Orientierung des sportpädagogischen Anspruchs zur Perspektive Gesundheit.

Abbildung 43: Inhaltliche Orientierung des sportpädagogischen Anspruchs zum Thema Gesundheit (in Anlehnung an Töpfer [2017])

Bzgl. der methodischen Umsetzung von Sportunterricht zum Thema Gesundheit wird die Berücksichtigung der perspektivunabhängigen methodischen Kriterien Offenheit, Schülerorientierung, Individualisierung, Lebensweltbezug, Reflexion und kognitiver Aktivierung gefordert, die bereits in den Ausführungen zum Erziehenden Sportunterricht (siehe Kapitel 2) herausgestellt wurden. Die methodischen Hinweise sind dabei eher auf einer übergeordneten Ebene angesiedelt und beschreiben die methodische Ausgestaltung von Sportunterricht zumeist allgemein und nicht spezifisch für die Perspektive Gesundheit. Dieser Befund steht dem von Balz (2004) entgegen, der Methoden v.a.

perspektivspezifisch formuliert sieht. Konkrete Hinweise zu Sozialformen, Aktionsformen o.Ä. sind kaum zu finden. Dieses Ergebnis stützt die Aussage von Prohl, der von einer erziehungswissenschaftlichen Lücke bzgl. Vermittlungsmethoden spricht (Prohl, 2004).

Gesundheitsverständnis, Ziele und Inhalte hängen eng miteinander zusammen und beschreiben gemeinsam den inhaltlichen Anspruch. Ansprüche zum methodischen Vorgehen sind davon zunächst

Ergebnisse zum sportpädagogischen Anspruch

__________________________________________________________________________________

160 unabhängig zu betrachten. Bzgl. der inhaltlichen Orientierung konnten in Anlehnung an Pühse et al.

(2011) drei Kontinuen identifiziert werden:

 pathogenetisch, objektive Aspekte vs. salutogenetisch, objektive vs. subjektive Aspekte

 physische Komponente vs. ganzheitliche Betrachtung (physisch, psychisch, sozial)

 Handlungsfähigkeit vs. direkte Gesundheitswirkungen

Bzgl. der methodischen Orientierung, d.h. u.a. auch hinsichtlich des Grades der Kompetenzorientierung, können die Pole

 geschlossen, nicht kompetenzorientiert vs. geöffnet, kompetenzorientiert unterschieden werden.

Die analysierten Beiträge können bzgl. der Qualität, des Einbezugs verschiedener Autorengruppen, der Anzahl an Beiträgen insgesamt und des Anteils an Beiträgen mit Praxisbeispielen folgendermaßen bewertet werden: Es zeigt sich, dass Beiträge von insgesamt 25 verschiedenen Autoren(-gruppen) in die Analyse einbezogen wurden. Die Bearbeitung des Themas Gesundheit einer solch breiten Autorenschaft deutet auf eine hohe Relevanz dieser Thematik hin. Die Betrachtung der Erscheinungsjahre der Analysegesamtheit zeigt, dass insbesondere ab 2010 eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Thematik Gesundheit erkennbar ist.

Töpfer & Sygusch (2014, S. 156) konstatieren, dass die „Einordnung von gesundheitsorientierten Konzepten für den Sportunterricht (…) bis in die 1990er Jahre recht leicht [fällt]. [In der Folgezeit]

verschwimmen die Ausrichtungen der Konzepte (…) zunehmend und erschweren eine klare Einordnung“. Versuchen wir eine grobe Einordnung der analysierten Beiträge, so kann der Hauptteil der Beiträge dem in der Einleitung geschilderten Pol „Entwicklung der gesundheitsbezogenen Handlungsfähigkeit“ (Balz et al., 2016; Balz, 2016; Erlemeyer & Hinnenthal, 2016; Fessler, 2011; Kurz, 2004; Lohre & Kastrup, 2016; Neumann, 2016; Sygusch et al., 2016) im Sinne der Mehrperspektivität (Kurz, 2004) oder auch „intermediären Position“ (Balz, 2009) zugeordnet werden. Es gibt Beiträge, die rein auf „physische Gesundheitswirkungen aufgrund hoher Trainings-/Bewegungszeit im Sportunterricht“ abzielen (vergleichbar mit dem Trainingskonzept [Frey, 1991], u.a. Adolph, (2012);

Bös, (2012) bzw. Woll & Bös, 2009; Wick & Zahn, (2004) Zeuner, (2012), wenngleich diese quantitativ deutlich in der Unterzahl sind.

Insgesamt gesehen fanden sich in der Recherche mehr theoretische/normative Auseinandersetzungen zur Umsetzung des Themas Gesundheit im Sportunterricht als Praxis- und Lehrhilfen. Eine mögliche Begründung könnte sein, dass implizit von einer Art Automatismus von Sport auf Gesundheit ausgegangen wird: ‚Sporttreiben sei an sich gesund, wenn er nur betrieben würde‘. Die Art und Weise

Ergebnisse zum sportpädagogischen Anspruch __________________________________________________________________________________

wird damit als nicht so sehr entscheidend angesehen und es ist zu vermuten, dass die explizite methodische Gestaltung nicht näher beschrieben werden muss (siehe auch Ergebnisse bzgl.

methodischer Gestaltung). Aussagen, wie „ausgehend von den verbesserten Kraftleistungen [können] auch weitere gesundheitlich bedeutsame Wirkungen angenommen werden “ (Zeuner, 2012, S. 72) legen ein solches Automatismus-Denken nahe. Aufgrund der geringeren Anzahl an Beiträgen mit Praxisbeispielen sowie der Hinweise zur methodischen Umsetzung auf einer übergeordneten Ebene kann resümiert werden, dass die Beiträge nur wenig Hilfestellung für die konkrete Planung und Umsetzung für Sportlehrkräfte und ihren Unterricht bereithalten.

Der sportpädagogische Anspruch zum Thema Gesundheit wurde überblicksartig dargestellt und liefert eine systematische und differenzierte Kategorisierung der formulierten Ansprüche zu Zielen, Inhalten und Methoden. Es wurde aufgezeigt, auf welche Art und Weise Gesundheit aus sportpädagogischer Sicht im Sportunterricht thematisiert werden soll. Damit kann ein Nutzen sowohl für die Schulpraxis (Lehrkräfte) als auch die Wissenschaft (empirische Sportpädagogik) geleistet werden. Die vorgelegte Ordnung der Ansprüche kann einerseits dazu beitragen, die Sportunterrichtspraxis zu verbessern. Die zunehmende Auseinandersetzung mit empirischen Fragen der Sportpädagogik benötigt normative Grundlagen (Prohl, 2006), denn empirische Sportunterrichtsforschung darf sich nicht verselbstständigen (Balz & Neumann, 2007). Nur dann, wenn „empirische Ergebnisse vor dem Hintergrund des normativen Anspruchs diskutiert und interpretiert werden“ (Kurz, 2014, S. 7), können passende Empfehlungen für ein zielorientiertes Handeln der Lehrkräfte zum Thema Gesundheit ausgesprochen werden und damit der Verbesserung der Sportunterrichtspraxis dienen. Gerade die von Prohl (2004) formulierte und in der vorliegenden Anspruchsanalyse bestätigte Vermittlungslücke trägt evtl. zur Verunsicherung von Sportlehrkräften bei der Frage nach Art und Weise der Thematisierung von Gesundheit im Sportunterricht bei. Während manche Autoren die Lösung darin sehen, Sportlehrkräften wieder Mut zu machen, „ihre Kinder zu fordern und damit die motorische Entwicklung, die Leistungsfähigkeit und letztlich die Gesundheit der Kinder zu fördern“ (Bös, 2012, S.

67), sollte die Lösung auf Grundlage der Ergebnisse der Literaturanalyse eher sein, gemeinsam mit Sportlehrkräften Hinweise auf die methodische Umsetzung des Themas Gesundheit im Sportunterricht möglichst konkret (anhand von Unterrichtsbeispielen) zu erarbeiten und zu verbreiten. Dies kann langfristig zur angesprochenen Verbesserung der Sportunterrichtspraxis beitragen. Andererseits können die formulierten normativen Ansprüche in der empirischen Sportpädagogik eine grundlegende Orientierung bei der Erfassung der Sportunterrichtspraxis bieten. Diese erfasste Sportunterrichtswirklichkeit wird im sich anschließenden Kapitel 9 dargestellt und in einem weiteren Schritt im Sinne der Differenzenanalyse den hier dargelegten Ansprüchen gegenübergestellt (Kapitel 9.3.1).

Ergebnisse zur Wirklichkeit: Bestandsaufnahme auf Ebene der Lehrkräfte

__________________________________________________________________________________

162

9 Ergebnisse zur Wirklichkeit: Bestandsaufnahme auf Ebene der