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Blick in die internationale Diskussion: gesundheitsbezogene Sportunterrichtsprogramme

4 Gesundheitskompetenz von Schülerinnen und Schülern

4.2 Sportwissenschaftliche Kompetenzdiskussion

4.2.3 Blick in die internationale Diskussion: gesundheitsbezogene Sportunterrichtsprogramme

ambivalent beschrieben werden, obwohl das Interesse bereits seit Ende der 1970er Jahre groß ist (Haerens et al., 2011). Ansätze eines gesundheitsorientierten Sportunterrichts oszillieren laut Pühse et al. (2011) auf fünf verschiedenen Ebenen zwischen jeweils zwei Polen. Anhand dieser Pole können Sportunterrichtskonzepte aus verschiedenen Ländern eingeordnet und verglichen werden. In dieser Arbeit werden beispielhaft Sportunterrichtskonzepte aus den USA, Australien und Deutschland herangezogen, um die skizzierten Pole zu veranschaulichen.

(i) Pathogenetische vs. salutogenetische Perspektive

Auf dieser Ebene geht es darum, ob Sportunterrichtsprogramme als Hauptziel die Prävention von Risikofaktoren oder das Stärken von Schutzfaktoren haben: Ist es das Hauptziel von Sportunterricht Risikofaktoren für chronische Krankheiten zu reduzieren oder persönliche und soziale Ressourcen zu fördern, um eigenverantwortlich auf das gesundheitliche Wohlbefinden einwirken zu können?

Dadurch wird auf den Wandel des Gesundheitsverständnisses angespielt, das sich seit dem Salutogenese-Modell von Antonovsky (1996) durchgesetzt hat. Es geht seither nicht mehr ausschließlich um die Prävention von Krankheit durch die Vermeidung von Risikofaktoren (=

pathogenetisches Verständnis), sondern vor allem um das Stärken von Schutzfaktoren bzw.

Risikofaktoren. Damit beschäftigt sich diese Wissenschaft mit der Entstehung von Gesundheit und sieht Gesundheit als ein Resultat von Anpassungs- und Regulationsmechanismen zwischen Individuum und Umwelt an.

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58 (ii) Eng (physische Aspekte) vs. breit (physisch, psychisch, sozial) fokussiert

Auf der zweiten Ebene geht es darum, ob Sportunterrichtsprogramme ausschließlich physische Aspekte in den Blick nehmen und damit ein enges Inhaltsspektrum fokussieren, oder sich auf ein breites Inhaltsspektrum einlassen und damit neben physischen auch psychische und soziale Aspekte thematisieren. Die zugehörige Frage lautet also: Welche Gesundheitsziele sollen im Sportunterricht aufgegriffen werden? Geht es primär darum, Schülerinnen und Schüler körperlich fit zu machen, um der Übergewichtsepidemie entgegenzuwirken oder liegt der Schwerpunkt darauf, physische, psychische und soziale Gesundheit zu fördern?

(iii) Funktionales vs. reflektierendes Verständnis

Kann Sportunterricht dazu beitragen, dass empfohlene Dosen an gesundheitswirksamer körperlicher Aktivität erreicht werden oder sind diese Bemühungen zum Scheitern verurteilt, weil die zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreicht? Diese Frage trägt dazu bei zu klären, ob vorliegende Sportunterrichtskonzepte ein funktionales oder reflektierendes Verständnis haben. Im Sinne des funktionalen Verständnisses würde argumentiert werden, dass der Sportunterricht mehr Unterrichtsstunden umfassen sollte, um die nötigen Dosen für gesundheitsförderliches Bewegen der Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten. Kurz (2000a, S. 43) führt dazu aus: „Wir wissen, dass drei Wochenstunden Sport (…), selbst wenn sie konsequent als präventives Training ausgelegt würden, nicht die Bewegungsreize enthalten können, die junge Menschen im Schulalter für die Erhaltung ihrer Gesundheit brauchen“. Daher sollten Schülerinnen und Schüler Kompetenzen erwerben, die sie befähigen, reflektierte und gesunde Entscheidungen auch außerhalb des Sportunterrichts zu treffen, was dem reflektierenden Verständnis entspricht.

(iv) Priorisierung von gesellschaftlichen Gesundheitszielen vs. pädagogischen Aspekten Balz (2013, S. 121) proklamiert, dass sich die Rolle von Gesundheitsförderung an einem Scheideweg befindet:

„Angesichts zunehmender gesellschaftlicher Gesundheitsprobleme, steigender schulischer Belastung und besonderer Bedingungen des Ganztags wird die Gesundheitsförderung im Schulsport an Bedeutung gewinnen können oder aber auf kompensatorische Bewegungsangebote reduziert werden“.

D.h. der Druck auf den Sportunterricht, gesellschaftliche Gesundheitsziele wie die Prävention von chronischen Krankheiten o.ä. zu verfolgen, wächst zunehmend. Auf dieser Grundlage muss geklärt werden, welchen Auftrag Sportunterricht hat: gesellschaftliche Gesundheitsziele oder pädagogische Aspekte zu erfolgen: Sind aktuelle Gesundheitsprobleme der Gesellschaft so dringend, dass sie eine Priorisierung im Sportunterricht benötigen oder verschleiert eine Überbetonung von Gesundheitszielen

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die anderen Bildungsziele? Ist es möglich, alle Schülerinnen und Schüler über die Betonung des Gesundheitsmotivs anzusprechen oder haben andere Motive einen gleich hohen Stellenwert?

(v) Empirische Evidenz vs. normative Reflexionen

Spätestens mit der Einführung von Bildungsstandards für den Sportunterricht wird kontrovers diskutiert, inwiefern die schwäbische Weisheit „vom Wiegen wird die Sau nicht schwerer“ (Grupe, Kofink & Krüger, 2004, S. 484) zutrifft. Es wird in diesem Zusammenhang teilweise kontrovers diskutiert, ob der Bildungsgehalt von Sport sich auf messbare Bildungsstandards verkürzen lässt und inwiefern das sinnvoll ist (Grupe et al., 2004): Gibt es ein evidenzbasiertes Sportunterrichtsmodell oder liegt didaktischen Modellen eine Vielzahl an grundlegenden Annahmen zugrunde, die im Sportunterricht nicht getestet werden können? Sollten sich Sportlehrkräfte auf messbare Aspekte konzentrieren oder sollte inhaltliche Bedeutsamkeit höher eingestuft werden als Quantifizierbarkeit?

Oben beschriebene Aspekte kennzeichnen die international-geführten Diskussionen um die Rolle von Gesundheit im Sportunterricht und ermöglichen eine Verortung unterschiedlicher Länder: In den USA findet sich eine breite Zustimmung zum Auftrag von Sportunterricht, zur Prävention und Verringerung von Risikofaktoren beizutragen. D.h. hier wird vermehrt ein pathogenetisches Gesundheitsverständnis vertreten, das vor allem physische Aspekte von Gesundheit in den Blick nimmt und Sportunterricht eine funktionale Bedeutung zukommen lässt. Damit priorisieren sie gesellschaftliche Gesundheitsziele.

In Australien dagegen ist die Diskussion um Gesundheit im Sportunterricht gerade erst richtig in Schwung gekommen und noch nicht zu Ende geführt. Hier gibt es Vertreter der jeweiligen Pole der unterschiedlichen Ebenen. Die Diskussion in Deutschland scheint dahingegen einheitlicher zu sein: Es besteht Einigkeit bzgl. eines salutogenetischen und breiten Gesundheitsverständnisses. Konsens besteht weiter in dem Auftrag von Sportunterricht, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, sich in ihrer Freizeit gesundheitsförderlich zu bewegen und damit hinsichtlich eines reflektierenden Verständnisses mit der Priorisierung von pädagogischen Zielen. Dennoch erachten Sportlehrkräfte und die Gesellschaft allgemein eine Fokussierung auf sportspezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten im Sinne eines Sportartenkonzepts als sinnvoll (Pühse et al., 2011).

Im folgenden Kapitel 5 werden erfolgreiche Umsetzungsmaßnahmen für Innovationen zur Gesundheitsförderung im Schulsetting skizziert.

Umsetzung von Innovationen zur Gesundheitsförderung im Schulsetting

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5 Umsetzung von Innovationen zur Gesundheitsförderung im