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In diesem Abschnitt der Arbeit sollen mögliche Schwachstellen der Arbeit kritisch betrachtet und Verbesserungsvorschläge für zukünftige Forschungsvorhaben auf diesem Gebiet unterbreitet werden.

Zuerst soll auf die Schwachstellen im Studiendesign und in der Probandenauswahl eingegangen werden.

Unter sonst gleichen Bedingungen wirkt sich ein größerer Stichprobenumfang positiv auf die Genauigkeit der Ergebnisse aus. Geht man von 49 Millionen Internetnutzern in Deutschland für 2010 aus (Eimeren, Frees 2010), erweist sich die Größe der Stichproben mit jeweils 25 Teilnehmern in drei Versuchsgruppen als zu gering, um einen Anspruch auf Repräsentativität erheben zu können. Aber neben der geringen Stichprobengröße muss vor allem die Selektion der Probanden kritisch betrachtet werden. Denn der Großteil der Kollektive bisheriger Studien unterliegt einer starken Selbstselektion durch überproportionale Beteiligung vermeintlich Betroffener (Brenner 1997). Das größte Untersuchungskollektiv zum Thema Internetabhängigkeit untersuchte Greenfield 1999 mit über 18000 Teilnehmern in einer Onlineumfrage auf abcnews.com (Greenfield 1999). Aber selbst so eine große Stichprobe ergibt nur eingeschränkt repräsentative Ergebnisse, da die Teilnehmer nicht zufällig ausgewählt wurden, sondern sich selbst aktiv zur Teilnahme entscheiden mussten. Zwar ist das Ziel dieser Arbeit nicht, die Prävalenz von Internetabhängigkeit in der Bevölkerung zu untersuchen, stattdessen sollte die psychische Verfassung von Betroffenen genauer untersucht werden. Allerdings offenbart sich hierbei ein weiterer Schwachpunkt des Studiendesigns. Denn wenngleich nur tatsächlich Internetabhängige an der Studie teilnehmen sollen, ist bei Weitem nicht gesichert, dass sich im Kollektiv der Betroffenen wirklich alle Aspekte der Internetabhängigkeit wiederfinden. Bei den Teilnehmern musste ein Leidensdruck oder eine gewisse Form der Krankheitseinsicht vorliegen, sonst hätten sie sich nicht dem mehrstündigen Umfang des Fragebogens und des Interviews ausgesetzt. Daher kann es sein, dass überdurchschnittlich viele Probanden mit psychischen Erkrankungen an der Studie teilnahmen und ebenfalls Internetabhängige ohne Leidensdruck sich nicht an der Befragung beteiligten.

Um Probanden zu rekrutieren, wurden über verschiedene mediale Formate Informationen bezüglich des Forschungsanliegens verbreitet. Allerdings basiert gerade die im Fall dieser Arbeit wichtige Probandenakquise im Internet auf einer gewissen Willkür. Es ist nicht überprüfbar, ob alle potentiell betroffenen Nutzergruppen informiert wurden. Zudem ist mit noch geringerer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich die Informationen über die Studie auf alle relevanten Websites und Foren verbreitet haben. Dadurch sind womöglich eine Reihe schwer psychisch erkrankter Nutzer, wie sie eventuell in Suizid- oder Anorexie-Foren zu erwarten wären, nicht im Untersuchungskollektiv dieser Arbeit abgebildet. Für die weitere Forschung bezüglich der psychischen Begleiterkrankungen von Internetabhängigen ist zur Erhöhung der Repräsentativität angedacht, eine möglichst große Zufallsstichprobe aus der Grundgesamtheit der

Internetnutzer auszuwählen und diese auf das Vorliegen von pathologischer Internetnutzung zu screenen. Die tatsächlich Betroffenen könnten dann in einem zweiten Schritt genauer bezüglich einer eventuellen Psychopathologie untersucht werden.

Ein weiterer Kritikpunkt an dieser Arbeit ist, weshalb sich die Probanden lediglich einmal, bei der Frage nach abhängigen Verhaltensweisen (Tab. 3.3.4), zu ihrem Sexualverhalten äußern. Denn Cybersexualität ist schon seit Beginn der Erforschung des Phänomens als ein wichtiger Aspekt der Störung beschrieben (Young 1999) und wird seitdem immer wieder mit Internetabhängigkeit in Verbindung gebracht (Hahn, Jerusalem 2001b, Petersen 2008). Entweder ist dieser Bestandteil der Internetnutzung noch so stark tabuisiert, dass sich die Betroffenen nicht trauen, über ihr virtuelles Sexualverhalten zu sprechen oder die Betroffenen sehen keinerlei Probleme in ihrem Umgang mit Internetpornographie und leugnen einen verstärkten Konsum. Oder aber Internetinhalte mit Bezug zu Erotik und Sexualität stellen in Wirklichkeit auch für exzessive Nutzer gar kein Problem dar. Dieser Aspekt des Phänomens blieb im Rahmen dieser Studie nahezu unbeleuchtet, soll aber in zukünftigen Untersuchungen ebenfalls betrachtet werden.

Bei der Frage nach der Validität der Ergebnisse muss der große Altersunterschied zwischen der Gruppe der Internetabhängigen im Vergleich zu den Alkoholabhängigen und der Kontrollgruppe (Tab. 3.1.2) immer mit in die Interpretation einbezogen werden. Denn der Altersunterschied von im Mittel über 10 Jahren führt dazu, dass sich die Teilnehmer der verschiedenen Versuchsgruppen in stark unterschiedlichen Lebensphasen befinden, besonders in Bezug auf Ausbildung, Beruf und Familie. Außerdem ist das Verhältnis zu neuen Medien bei einem 20-jährigen, der seit der Grundschule einen Computer oder Gameboy besessen hat, sicher ein anderes als bei einem 40-jährigen, der primär durch die Arbeit mit dem PC im Büro Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt hat. In zukünftigen Studien sollte daher ein noch größeres Augenmerk auf ein korrektes Matching der Untersuchungspersonen und der Kontrollgruppe gelegt werden.

Nicht zuletzt muss bei der Interpretation der Ergebnisse bedacht werden, dass die Daten bezüglich der Internetabhängigen vielleicht schon nicht mehr ganz aktuell sind. Denn in den vergangenen fünf Jahren haben sich die Möglichkeiten und damit auch die Nutzungsprofile der Internetnutzer stark verändert. Durch die rasante Entwicklung des Internets, mit Angeboten wie beispielsweise StudiVZ, Facebook, Myspace, Twitter und der immer weiteren Verbreitung von Videoportalen und TV-Streaming, kann heute vielleicht ein noch viel größerer Anteil der Internetnutzer ein pathologisches Nutzungsmuster aufweisen. Vielleicht stellen diese erweiterten Möglichkeiten aber auch eine Chance für Stigmatisierte dar, ihrer sozialen Isolation zu entkommen (Seeman 2008).

Bei der Frage nach der Validität der Untersuchungsergebnisse muss außerdem bedacht werden, dass der verwendete Fragebogen sehr ausführlich ausgefallen ist. Bei Auswertung der Ergebnisse in SPSS lagen pro Teilnehmer 974 Variablen vor. Die Probanden brauchten im Schnitt über zwei Stunden, um den Fragebogen zu beantworten. Daher sind besonders die Ergebnisse aus den letzten Abschnitten des Fragebogens kritisch

zu betrachten. Denn bei schriftlichen Befragungen führen zu ausführliche Fragebögen zur Reduktion der Antwortbereitschaft (Stangl 2009). Daher sollte bei zukünftigen Untersuchungen der Umfang des Fragenkatalogs zugunsten der Validität reduziert werden, auch wenn dadurch nur ein schmaleres Spektrum an Symptomen überprüft werden kann. Der Zeitaufwand für das diagnostische Interview wurde an die Problematik des jeweiligen Patienten angepasst. Daher kam es dort kaum zu Konzentrationsschwächen oder Ungeduld der Probanden. Die Methode ließe sich in diesem Rahmen auch problemlos bei weiteren Forschungsvorhaben durchführen.

Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine Querschnittstudie. Dieses Studiendesign ermöglicht lediglich eine Beleuchtung des Phänomens im Sinne einer Zusammenhangsbeurteilung. Insgesamt befindet sich der Forschungsstand zum Thema Internetabhängigkeit auf explorativem Niveau, das häufig lediglich Hypothesen zulässt, deren Prüfung noch aussteht (Petersen et al. 2009). Daher erscheint es für die kommende Forschung sinnvoll, auch vermehrt Longitudinalstudien wie zum Beispiel der Berliner Längsschnitt Medien (Rehbein, Kleimann & Mößle 2009) durchzuführen, um die weitere Entwicklung der Nutzungsgewohnheiten und daraus resultierende Probleme zu verfolgen.

Als letzter Punkt in diesem Abschnitt soll darauf hingewiesen werden, dass einheitliche diagnostische Kriterien für zukünftige Studien zum Thema Internetabhängigkeit essentiell sind, um Reliabilität, Validität und Objektivität zu gewährleisten (Niesing 2000). Denn selbst die in dieser Arbeit zur Diagnostik von Internetabhängigkeit genutzten Instrumente zeigen eine beachtliche Differenz in ihren Ergebnissen. So war die Erfüllung der Kriterien von Young und Beard (Beard, Wolf 2001) Zugangsvoraussetzung zur Aufnahme in die Gruppe der Internetabhängigen. Sieben Probanden, die mittels dieser Kriterien von Young und Beard als internetabhängig eingestuft wurden, gelten nach den Ergebnissen der ISS

(Tab. 3.5.11)

als nicht

„internetsüchtig“. Wodurch diese Diskrepanz bedingt ist, lässt sich anhand der im Rahmen dieser Arbeit gewonnenen Daten nicht erklären. Eventuell sind die Cut-off-Werte bei der Einteilung der ISS in Gruppen zu hoch oder die Skala beinhaltet Fragen, die für diese Thematik nicht relevant sind. Genauso kann es aber auch sein, dass die Kriterien von Young und Beard trotz ihrer Orientierung an den offiziellen Kriterien für Abhängigkeit nicht alle den Kern der Problematik treffen und daher zu viele Internetnutzer als abhängig eingestuft werden. Diese Ergebnisse verdeutlichen nochmals die Relevanz von einheitlichen diagnostischen Kriterien, die derzeit international in Entwicklung sind.