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Die Messung wissenschaftlicher Produktivität

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2. Die Produzenten wissenschaftlicher Publikationen im Spiegel bibliometrischer Analysen

2.2 Die Messung wissenschaftlicher Produktivität

Als einer der ersten machte der Nobelpreisträger W. Shockley im Jahre 1975 den Vor-schlag, die Anzahl der Arbeiten als Indikator wissenschaftlicher Produktivität heranzu-ziehen (Kademani et al., 2002). Hubert und Wagner-Döbler (2001) zufolge kann die wis-senschaftliche Produktivität anhand von zwei Variabeln beschrieben werden, dem Ver-hältnis der Anzahl der Arbeiten und der Dauer der wissenschaftlichen Karriere. Diese

Autoren haben die wissenschaftliche Produktivität von Physikern in 14 Unterdisziplinen im 19. Jahrhundert erforscht. Dabei haben sie eine Methodologie der Produktivitäts-messung im Bezug auf die Dauer und einzelne Zeitabschnitte wissenschaftlicher Karrieren ausgearbeitet. Karisiddappa et al. (2002) haben die wissenschaftliche Aktivität von Auto-ren aus dem Bereich theoretischer Populationsgenetik in einem Zeitraum von 100 JahAuto-ren untersucht. Das Ergebnis ist eine Übersicht über die produktivsten Autorengruppen und Zeiträume.

Einen guten Ausgangspunkt für die Bestimmung wissenschaftlicher Produktivität bietet Lotkas Gesetz, demzufolge die Produktivität als Anzahl von Arbeiten pro Zeiteinheit de-finiert wird und das nach der folgenden Formel berechnet werden kann:

Y= c xn mit

Y = Anzahl der Autoren, die x Artikel publizieren

c = Gesamtzahl der in einer Disziplin veröffentlichten Artikel n 2 und als Konstante von der analysierten Disziplin abhängig

Lotka berechnete dass ca. 60% aller Autoren innerhalb eines bestimmten Gebietes nur ei-ne Arbeit publizieren. Derek de Solla Price ging davon aus, dass 5% der Wissenschaftler rund 50% aller Artikel publizieren. Tsay (2004) kam in seiner Untersuchung der Produk-tivität von Autoren innerhalb der Informationswissenschaften zum Befund, dass sogar 76,6% der Autoren nur eine Arbeit veröffentlichte, was weitaus mehr ist als Lotkas ur-sprüngliche 60%. Nur die 15 produktivsten von insgesamt 10.238 untersuchten Autoren veröffentlichten Schlüsselartikel. Obwohl Lotkas Gesetz zu den bibliometrischen Grund-gesetzen zählt, weisen neuere Untersuchungen von Kretschmer und Rousseau (2001), am Beispiel einer Analyse von Arbeiten mit mehr als 100 Koautoren («inflated» number of Authors), darauf hin, dass Lotkas Gesetz in diesen Fällen nicht mehr gültig ist.

Die wissenschaftliche Produktivität der Autoren als Indikator von Forschungsaktivität und Beiträgerschaft für potenziell neue Entwicklungen, wird gewöhnlich anhand der Anzahl publizierter Arbeiten, Artikel, Bücher, Berichte bzw. technischen Produkten, Patenten und Innovationen gemessen. Die wissenschaftliche Produktivität von Autoren hängt natürlich

vom jeweiligen wissenschaftlichen Forschungsgebiet ab und von verschiedenen Varia-beln, z. B. individuellen Eigenschaften (psychologischen, demographischen u. a.), von der näheren und weiteren Umgebung, Prozessen der Rückkoppelung etc. (Karisiddappa et al., 2002). Bei der Interpretation von Ergebnissen bibliometrischer Untersuchungen sollten auch diese Faktoren eine Rolle spielen.

Die optimale oder erwünschte Anzahl wissenschaftlicher Publikationen pro Autor lässt sich schwer bestimmen. Um bibliometrische Untersuchungen zu Entwicklungstendenzen durchführen zu können, sollten bestimmte Vergleichsparameter innerhalb jeder Disziplin zur Verfügung stehen. Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts stellten Price und Beaver (1966) fest, dass vier Arbeiten in 5 Jahren die maximale Anzahl von Arbeiten für die-jenigen Wissenschaftler ist, die entweder als Einzelautor oder mit bis zu zwei Koautoren veröffentlichen. Bei Arbeiten mit mehr als 12 Mitarbeitern sollte das Minimum in einem Zeitraum von 5 Jahren 14 Publikationen sein.

Die Messung wissenschaftlicher Produktivität bei Publikationen mit bis zu zwei Autoren stellt grundsätzlich kein Problem dar, besonders wenn gängige Indikatoren benutzt wer-den. Ein viel größeres Problem stellt die Auswertung von Beiträgen für jeden einzelnen Autor in Arbeiten mit Mehrautorenschaft dar. Bei der Analyse wissenschaftlicher Publika-tionen kommen am häufigsten zwei methodologische Ansätze zum Einsatz. Im ersten Fall wird eine Publikation als eine Arbeit für jeden der Autoren gewertet, ungeachtet der An-zahl der Beiträger. Allerdings ist es bei Berufungsverfahren nicht unwesentlich, ob eine Arbeit von zwei oder drei Koautoren verfasst wurde oder ob es sich es - wie es bei Arbei-ten aus dem Bereich der Hochenergiephysik vorkommt - um eine Gruppe von mehr als 100 Autoren handelt. Einer der jüngsten Beiträge zu dieser Problematik kommt von Debackere und Glänzel (2004). Sie erarbeiteten ein Auswertungssystem (eine Methode, die auf bibliometrischen Untersuchungen basiert) zur Entscheidungsunterstützung bei der Finanzierung flämischer wissenschaftlicher Institutionen. Ein Gesichtspunkt dabei war das Evaluierungssystem von Arbeiten mit mehreren Koautoren. Solche Arbeiten bzw. Ar-beiten mit Autoren aus mehreren Institutionen betrachten sie als eine Arbeit pro finanzier-te Institution. Debackere und Glänzel versuchen so möglichen Missbrauch aus-zuschließen, wenn einzelne Autoren aus finanziellen Motiven Kollegen anführen, die kei-ne echten Koautoren sind.

Ein zweiter Ansatzpunkt beruht auf der Messung des Leistungsbeitrags eines jeden ein-zelnen Autors. In einigen Disziplinen gibt es feste Konventionen, die die Bedeutung eines

jeden Autors durch die Reihenfolge der Nennung festlegen. Eine solche Konvention be-steht z. B. in biomedizinischen Zeitschriften. Der Erstautor in experimentellen Arbeiten ist derjenige, der die Forschung durchgeführt hat, die letzte Stelle nehmen der Projekt-verantwortliche und/oder der Vorgesetzte ein. Dazwischen sind Autoren angeführt, die an einzelnen Segmenten mitgewirkt haben (Stokes and Hartley, 1989). Laut Herbertz und Müller-Hill (1995) ist folgende Reihenfolge in Zeitschriften der Molekularbiologie üblich:

die Stelle des Erstautors nimmt derjenige Wissenschaftler ein, der am meisten an der Ar-beit beteiligt war, während an letzter Stelle der Projektleiter angeführt wird. Ein ent-sprechendes Schema wird bei Zitierungen gemeinsamer Arbeiten von Forschungsgruppen angewendet. Wenn zwei Gruppen zusammenarbeiten, erhält die Gruppe, deren Autor an erster Stelle angeführt ist zwei Drittel der Zitate, die zweite Gruppe das restliche Drittel.

Im Falle einer Zusammenarbeit von drei Gruppen, werden der Gruppe mit Erstautor 0,5 Punkte zugesprochen, während die anderen zwei Gruppen je 0,25 Punkte erhalten.

Moed (2000) berechnet Produktivitätsindikatoren durch Berücksichtigung von Input- und Outputgrößen. Indikatoren zur Bestimmung wissenschaftlicher Produktivität werden durch die Zahl der Veröffentlichungen von Autoren gewonnen, die ihre Forschungsarbeit als Vollzeitbeschäftigte (FTE: fall time equivalent) verrichten. Die Zitatproduktion gibt Aufschluss über die Resonanz, die aus wissenschaftlichen Aktivitäten von Vollzeit-beschäftigten (FTEs) hervorgeht oder proportional zur verbrauchten Zeit berechnet wird.

Entscheidend dabei ist, ob eine Publikation als eine integrale Einheit, unabhängig von der Autorenanzahl behandelt wird, oder der Leistungsbeitrag auf die einzelnen Koautoren ver-teilt wird.

In bibliometrischen Analysen wird auch ein sog. Leistungsindikator herangezogen, der die Durchschnittssumme an verbrauchten Geldern pro Arbeit bzw. die Durchschnittskosten pro Zitat angibt (Herbertz and Müller-Hill, 1995). Aus diesem Grund etwa veröffentlichen führende amerikanische Institute aus dem Bereich der Molekularbiologie nur in einer kleinen Anzahl von Zeitschriften mit einer hohen Zitationsrate, bzw. in Spitzen-Zeitschriften.

Moed (2000) bietet eine umfassende Methodologie zur Auswertung wissenschaftlicher Publikationen. Eine Schwachstelle dieser Methodologie jedoch ist die unzureichende Be-rücksichtigung multilateraler Zusammenarbeit. Der Autor benutzt folgende Indikatoren:

- die Forschungskapazität (manifest in Forschungsmitarbeitern (Vollzeitkräfte, FTEs)) teilt er in 4 Kategorien ein: Projektleiter, Postdoktoranden, Nachwuchs-wissenschaftler (Doktoranden) und technische Hilfskräfte. Die Projektleiter inves-tieren 80% ihrer Gesamtarbeitszeit in die Forschung, die Postdoktoranden 100%, die Doktoranden 80% und das technische Personals 50%. Gemessen wird die An-zahl von Publikationen im gegebenen Zeitraum, die GesamtAn-zahl der Zitate, die Durchschnittszahl der Zitate pro Arbeit. Selbstzitate werden gesondert dargestellt und bestimmt. Darunter versteht er Arbeiten mit mindestens einem gemeinsamen Autor, der die Arbeit zitiert.

- die Resonanz wissenschaftlicher Aktivitäten berechnet er als Durchschnittsanzahl von Zitierungen pro Artikel. Um einen objektiveren Ansatz zu schaffen, vergleicht er die erhaltenen Daten mit der internationalen durchschnittlichen Zitierrate der betreffenden Unterdisziplin.

- den Beitrag der einzelnen Autoren berechnet er im Verhältnis 3:2:1 für den ersten, zweiten und dritten Autor. Für mehrere Autoren gilt das Prinzip der Proportionali-tät. Für den ersten und zweiten Autor in bilateraler Zusammenarbeit wurde ausge-macht, dass beide gleichwertig sind. Keine Lösung hat er für die Frage des Vor-gesetzten, der an letzter Stelle angeführt wird.

- in manchen Publikationen wird der Beitrag der einzelnen Mitautoren nur in Fuß-noten spezifiziert. Gelegentlich wird auch die als corresponding author genannte Person für die wichtigste gehalten. Der corresponding author muss aber nicht un-bedingt an erster oder letzter Stelle angeführt sein.

- grundsätzlich existieren zwei Veröffentlichungsstrategien: 1) eine möglichst große Anzahl von Arbeiten zu publizieren und 2) eine kleinere Zahl von Arbeiten zu publizieren, diese allerdings in führenden Zeitschriften zu veröffentlichen, die sich durch eine limitierte Anzahl von Spitzenartikeln auszeichnen. Forschergruppen, die sich neu gebildet haben beschreiten meist den ersten Weg, während bereits etablierte Forschungsgruppen selektiv vorgehen und dabei weniger, aber in ange-seheneren Journalen publizieren. Moed stellte fest, dass führende Abteilungen

weniger Arbeiten aufweisen als Vergleichsgruppen, diese jedoch in Zeitschriften mit höchsten IF veröffentlicht haben.

- Doktoranden müssen häufig eine bestimmte Anzahl von Arbeiten vor ihrer Promo-tion vorweisen können (gewöhnlich 5). Dabei ist es nicht entscheidend, ob diese in Zeitschriften mit hohem IF oder mit mehreren Mitautoren zusammen veröffent-licht werden.

- für die wissenschaftliche Zusammenarbeit existieren grundsätzlich zwei Strate-gien. Die erste meint eine multilaterale Zusammenarbeit (etwa EU-Projekte) wäh-rend die zweite hauptsächlich auf bilaterale Zusammenarbeit gerichtet ist.

- die Messung des Beitrags einer Gruppe oder mehrerer Autoren wird nach einem bestimmten Aufteilungsschema vollzogen. Je größer die Anzahl der Gruppen oder Autoren, desto geringer ist die Zahl der Punkte. Auf diese Weise werden multi-laterale Arbeiten in der Bewertung «bestraft», weil eine kleinere Punktezahl er-reicht wird.

Trenchard (1992) schlägt für die Beitragsmessung eines jeden einzelnen Autors Dokument-länge und Autorenanzahl vor. Dieses Maß nennt der Autor proportiometric index. Die ein-fachste Form dieses Index ist das Verhältnis der Seitenzahl eines Dokumentes zur Anzahl der Autoren multipliziert mit einem bestimmten Wichtungsfaktor. Diese Methode kann heran-gezogen werden, wenn im Artikel der Beitrag der einzelnen Koautoren nicht erkennbar ist. Da nur in einigen Disziplinen feste Konventionen über die Bedeutung der Autorenreihenfolge existieren können vergleichende bibliometrische Untersuchungen leicht zu falschen Schluss-folgerungen führen. Denn bei Publikationen mit Mehrautorenschaft muss der Seniorautor nicht unbedingt an erster Stelle stehen. Gewöhnlich wird dieser Autor durch ein Symbol, z. B.

ein Sternchen, gekennzeichnet, mit dem Hinweis, dass an diesen alle Fragen bezüglich der Arbeit gerichtet werden sollen. Der Erstautor muss aber nicht unbedingt der wichtigste sein und den bedeutendsten Beitrag geleistet haben. Die Reihenfolge kann aber auch alphabetisch sein, geordnet nach Rang und Status, der Sichtbarkeit und weiteren sozialen und vereinbarten Parametern (Diodato, 1995).

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