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Ausgewählte Bestimmungen des Zitierverhaltens

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WISSENSCHAFTEN Meeresbiologie und

5. Zitate und Zitatanalysen: Varianten und Formen

5.8 Ausgewählte Bestimmungen des Zitierverhaltens

Besonders interessante aber auch schwierige Fälle stellen einerseits die wenigen hochzitierten Publikationen, andererseits die sehr gering oder nicht zitierten Arbeiten dar. Gründe für die Unterschiedlichkeit in der Zitierung haben wir teilweise schon erörtert.

Um aber die eigentlichen Zitiermotive einer Arbeit zu bestimmen, sind tiefgehende inhaltliche Analysen und das Untersuchen von Zitierclustern notwendig. Kostoff et al. (2001) haben eine Methode entwickelt, um die einflussreichen Fachgebiete bei Zitierungen und das Profil der zitierenden Wissenschaftler zu bestimmen.

Cronin und Shaw (2002) schlagen vor, aufgrund der Zitatanalyse Rückschlüsse über die Iden-tität der zitierenden Autoren zu machen. Diese Methodologie gewährt Einsicht in intellektuel-le, soziale und institutionelle Kontakte. Der Schreib- und Zitierstil eines Autors sei eine ein-zigartige „Schutzmarke" auf dem wissenschaftlichen Markt.

Mit den angeführten Methoden der Zitatanalyse erhält man Daten, die zusätzlicher Inter-pretation bedürfen. Hochzitierte Arbeiten werden gewöhnlich in Spitzenzeitschriften bzw. in impactstarken Zeitschriften veröffentlicht. Nach Garfield (1998) sind die Chancen auf hohe Zitierungsraten in einer Zeitschrift mit einem niedrigen Impact Faktor gering. Diese Fest-stellung bezieht sich aber vornehmlich auf hochproduktive Fachgebiete etwa die Biochemie.

Er zeigt weiterhin, dass Nobelpreisträger fünfmal mehr publizieren als andere Autoren und ihre Arbeiten dreißigmal häufiger zitiert werden als die durchschnittlichen Arbeiten der betreffenden Disziplin. Interessanterweise sind 50% der meistzitierten Autoren der USA Mit-glieder der US National Academy of Science.

Neuere Untersuchungen analysieren die Frage, warum anerkannte und einflussreiche Wissen-schaftler häufiger zitiert werden und welchen Einfluss sie auf andere WissenWissen-schaftler aus-üben. In der Wissenschaft ist das Phänomen des Matthäuseffekts bekannt. Bonitz (2002)

un-tersuchte diesem Effekt als Zusammenhang von erwarteten und tatsächlichen Zitierraten im Bibliothekswesen und der Informationswissenschaft einzelner Länder. Dazu hat er als Indika-tor, den sog. MEL (Matthäuseffekt für Länder) entworfen. Bemerkenswert ist, dass einige we-nige Länder mit hohen Erwartungswerten noch mehr Zitierungen erhalten als erwartet, wäh-rend viele Länder mit niedrigeren Erwartungswerten noch weniger Zitierungen als erwartet erhalten. Dieses Modell kann auch auf Autoren übertragen werden. Diesen Effekt im Zitier-prozess belegen Lawrence (2003) und Garfield (1998) mit der Metapher des "old boys club".

Lawrence ist der Meinung, dass die Objektivität in der Wissenschaftskommunikation dadurch gefährdet ist, dass führende Wissenschaftler sich gegenseitig in einzelne Gremien und Aus-schüsse berufen, einander für Preise und Anerkennungen nominieren und einander in Publi-zierungs- und Zitierprozessen unterstützen und fördern.

Van Dalen und Henkens (2001) untersuchten in einer Zeitschriftenstichprobe aus den Geo-wissenschaften verschiedene Faktoren, die auf die Zitierungen Einfluss nehmen, so Autoren-zitierungen, Status der Zeitschrift und Inhalt der Artikel. Dabei ergab sich, dass unter den meistzitierten Beiträgen nicht die bedeutenden Autoren der Disziplin zu finden waren. Dies war anders bei Zeitschriften: Hier erschienen die meistzitierten Arbeiten in einer führenden internationalen Zeitschrift. Ursache ist die Auswahl qualitativ hochwertiger Artikel in engli-scher Sprache durch die Herausgeber führender Zeitschriften. Diese Beiträge sind dann einer großen Anzahl potenzieller Leser zugänglich. Obwohl die Autoren den Matthäuseffekt nicht bestätigen konnten, erwies sich die Reputation als bedeutend für Zitierungen. Wenn nämlich einer Zeitschrift zwei qualitativ gleichwertige Artikel zur Veröffentlichung eingereicht wer-den, wird mit großer Wahrscheinlichkeit der Artikel des renommierteren Autors angenom-men. Die Ergebnisse bestätigten ebenfalls, dass Arbeiten aus den USA und Europa weitaus häufiger zitiert werden als solche aus Entwicklungsländern. Entweder sind Publikationen aus den USA und Europa objektiv besser oder sie sind „nur" beliebter als Arbeiten aus Entwick-lungsländern, obwohl sie qualitativ gleichwertig sind. Dalen und Henkens sprechen in diesem Zusammenhang nicht nur vom Trend der Amerikanisierung, sondern auch von "Verwest-lichung" (westernization). Generell gilt, dass Wissenschaftler häufiger inländische, nationale Quellen zitieren, wenn sie in nationalen Zeitschriften veröffentlichen, während Arbeiten in internationalen Zeitschriften meist internationale Quellen zitieren (Lancester und Lee, 1990).

Untersuchungen über den Einfluss der Artikelinhalte zeigen, dass Publikationen zu empiri-schen Forschungen am häufigsten zitiert werden. Dabei hängt die Zitierung generell ab von

der Position des Artikels in der Zeitschrift und der Veröffentlichungssprache. Das Maß der Zitierung ist also nicht ausschließlich die Folge des intellektuellen Einflusses einer Pub-likation.

Das methodologische Modell von Van Raan (2001b) bietet Einsicht in den zwischen Wissen-schaftlern stattfindenden Wettbewerb um bessere Positionen, der durch das Publizieren in Spitzenzeitschriften mit hohen Zitierraten ausgetragen wird.

White et al. (2004) untersuchten in ihrer Studie den Einfluss von Sozialstrukturen auf das Zi-tierverhalten. Als Stichprobe diente die interdisziplinäre Forschungsgruppe Globenet. Die Globenet Gruppe besteht aus 16 Wissenschaftlern (13 Männern und 3 Frauen) aus 13 Univer-sitäten: 7 aus Kanada, 5 aus den USA und eine aus Europa. Alle wirkten an der interdis-ziplinären Untersuchung human development von 1993 bis 2000 mit. White und seine Mitar-beiter versuchten festzustellen, ob primär der bekannte Autor (soziale Relationen) oder die Sachkenntnis des Autors (intellektuelle Relationen), für die Zitierung ausschlaggebend ist.

Dafür wurden die gegenseitigen Zitierungen innerhalb der Globenet Gruppe untersucht. Sie gingen von der bekannten Tatsache aus, dass Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern gewöhnlich auf freundschaftlichen Beziehungen beruht. Es ist selbstverständlich, dass sich

"Freunde" gegenseitig zitieren. Geographische Entfernungen müssen keine Rolle spielen, be-sonders nicht in einer Zeit der preiswerten Massenkommunikation. Das geographisch ver-streute Wissenschaftlernetz bildet eine "unsichtbare Gesellschaft" mit informeller Kommuni-kationen. Diese "unsichtbare Gesellschaft" wird sichtbar durch formale Kommunikation; eine Form davon sind auch Zitatanalysen.

Andererseits werden Zitierungen durch Ergebnisse oder Kenntnisse eines Autors bestimmt.

Die Motive des Zitierenden stehen im Zusammenhang mit der Relevanz und der Autorität des zitierten Autors. Dabei sind soziale Relationen zwar nicht unerlässlich aber auch noch nicht hinreichend als Zitiermotivation. Für ein besseres Verständnis der Zitiergründe müssen Daten individuell-intellektuelle Kenntnisse zur Struktur einer Disziplin, zum Fachgebiet und den Forschungsmethoden vorliegen.

White et al. gehen dabei von den Hypothesen des sozialen und intellektuellen Netzwerks (so-cial/intellectual network) aus. Aufgrund der sozialen Netzwerke zitieren sich die Mitglieder einer Gruppe gegenseitig, weil sie sich kennen oder ihre Beziehungen auf Freundschaft und häufigem Kommunizieren beruhen. Auf der Basis von intellektuellen Netzen zitiert man sich aufgrund gemeinsamer Forschungsaktivitäten und -interessen.

Es ist nicht immer möglich, das soziale und intellektuelle Netzwerk von einander zu trennen, etwa in der Beziehung Mentor/Student oder Herausgeber/Autor. In einer solchen Konstellati-on sind sowohl die persönliche Bekanntheit mit dem Autor als auch seine fachliche Autorität maßgebend für das Zitieren. Withe et al. nennen dies soziokognitive Relationen.

Soziokognitive Beziehungen entwickeln sich zwischen Mitarbeitern, die gemeinsam an einem Problem arbeiten, im fachlichen Austausch neue Erkenntnisse erwerben und dies im gegen-seitigen Zitieren zum Ausdruck bringen.

Gegenseitige Zitierungen werden also bestimmt durch soziale Netzwerke, die Bekanntschaften zwischen Autoren voraussetzen, intellektuelle Netzwerke, die gemeinsame Forschungsthemen voraussetzen und Bekanntschaften ausschließen, soziokognitive, die soziale und intellektuelle Beziehungen voraussetzen, etwa die Beziehungen zwischen Koautoren, zwischen Heraus-geber und Autor sowie Kommunikationsbeziehungen, in deren Rahmen Wissenschaftler In-formationen per E-Mail, Telefon und in Gesprächen austauschen.

Oft stimmen Zitiernetze und Sozialnetze zwischen Wissenschaftlern überein. Allerdings lie-gen kaum empirische Forschunlie-gen zu solchen Überlappunlie-gen im wissenschaftlichen Kom-munizieren vor.

Die Untersuchung konnte auch feststellen, dass kozitierte Autoren sich auch gegenseitig häu-figer zitieren. Die Verbindungen von Kozitierungen beruhen also auf einer breiteren Grund-lage: wenn A und B regelmäßig zusammen von einer großen Anzahl anderer Autoren zitiert werden, d.h. kozitierte Autoren sind, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sie sich auch ge-genseitig zitieren.

Es wird von den Wissenschaftlern auch nie bestritten, dass Zitierungen von Freunden, Be-kannten und Kollegen üblich sind. White et al. (2004) kamen im Rahmen ihrer Unter-suchungen zu folgenden Feststellungen:

- Nachdem die Mitglieder der Forschungsgruppe "Globenet" sich kennen gelernt hatten, begannen sie sich gegenseitig zu zitieren; der Prozentsatz gegenseitiger Zitierungen war im Jahr 2000 bedeutend höher als im Anfangsjahr 1999

Die gegenseitigen Zitierungen waren nicht zufällig. Manche Gruppenmitglieder wur-den häufiger zitiert als andere. Mit der Zeit stieg die gegenseitige Zitierrate einzelner Disziplinen, wodurch die Interdisziplinarität der Zitierungen zunahm.

- Freunde zitierten sich häufiger als Bekannte, ebenso Forscher die häufiger miteinander kommunizierten.

- Autoren, die gemeinsame Fragestellungen bearbeiteten zitierten einander häufiger un-abhängig von freundschaftlichen Beziehungen

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