• Keine Ergebnisse gefunden

Das Alter der zitierten Dokumente

Im Dokument Qualität und Quantität wissen- (Seite 178-181)

WISSENSCHAFTEN Meeresbiologie und

5. Zitate und Zitatanalysen: Varianten und Formen

5.11 Das Alter der zitierten Dokumente

Zitiergewohnheiten von wissenschaftlichen Autoren unterscheiden sich von Fachgebiet zu Fachgebiet. Grundlegende Unterschiede in den Zitiergewohnheiten gibt es vor allem bei theo-retischen und experimentellen Arbeiten. Unabhängig davon gilt, dass neuere Arbeiten häufi-ger, ältere Arbeiten aber seltener zitiert werden. Man geht heute davon aus, dass eine Arbeit aus der angewandten oder der Naturwissenschaft, die mehr als 15 Jahre nicht zitiert worden ist, kaum mehr Zitierungen erhalten wird. Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Erstens steigt mit der Entwicklung der Wissenschaft auch die Menge des wissenschaftlichen Outputs; aus der Masse der vorhandenen Arbeiten werden am häufigsten neuere Veröffentlichungen zitiert.

Zweitens sind Wissenschaftler naturgemäß an den jüngsten Entwicklungen und Erkenntnissen zu einer bestimmten Problematik interessiert. Drittens wird es mit der Zeit überflüssig, ältere Arbeiten, die hochzitiert aber mittlerweile allgemein bekannt geworden sind, erneut und wie-derholt zu zitieren. Das wohl bekannteste Beispiel dazu ist Einsteins Artikel aus der Zeit-schrift Annalen der Physik, in der die bekannte Gleichung E=mc 2 veröffentlicht worden ist.

Der Bibliometriker Moravcsik kommentierte diesen Fall mit den Worten. "...jeder, der Ein-steins Originalarbeit mit der Formel E=mc 2 zitieren würde, könnte ausgelacht werden".

Garfield meint gar, es sei eigentlich die größte Anerkennung durch die Wissenschaftsgemein-schaft, wenn Arbeiten allgemein so bekannt sind, dass ihre Autoren nicht erwähnt werden (müssen).

Oppenheim und Renn, (1978) habe Häufigkeit und Gründe für das Zitieren älterer Arbeiten untersucht und Zitiergründe für Arbeiten, die vor 1930 erschienen sind, zusammengestellt:

- geschichtlicher Überblick, Annerkennung der Pioniere in einem Fachgebiet - Beschreibung verwandter Arbeiten

- Anführung von vergleichenden Daten oder Informationen - Benutzung theoretischer Gleichungen

- Benutzung von Methoden

Theorien, die nicht anwendbar oder annehmbar sind.

Im experimentellen Teil der Arbeit stellten sie fest, dass rund 40% der alten Arbeiten aus his-torischen Gründen zitiert wurden. Dies zeigt, dass zumindest solche Arbeiten unabhängig von ihrem Alter weiterhin hochzitiert sind.

Die Verfügbarkeit von elektronischen Zeitschriften wird die Zitiergewohnheiten weiter beein-flussen, macht sie doch die leicht und schnell zugänglichen elektronischen Dokumente leich-ter zitierfähig als die Mehrheit der älleich-teren Dokumente, die (noch) nicht in elektronischer Form verfügbar sind und für deren Zugriff der benötigte Zeitaufwand nun relativ größer ist.

Künftige bibliometrische Forschungen werden dies untersuchen müssen.

Das Zitieren älterer Quellen hat auch heute einen festen Platz, besonders in Disziplinen deren Wissenschaftler immer noch gedruckte Informationsquellen bevorzugen. Liu (2003) unter-suchte die Präsenz zitierter Arbeiten, die vor 1984 erschienen und zum Zeitpunkt der Unter-suchungen älter als 15 Jahre alt waren. In der Chemie waren dabei 21,75% der zitierten Arbei-ten älter als 15 Jahre, in der Mathematik 37,8% und in der Soziologie 33,1%. Dabei wurden in der Chemie auch Arbeiten zitiert, die älter als 50 Jahre waren, in der Soziologie und Mathe-matik sogar älter als 150 Jahre waren. Tenopir und King (1998) äußerten die Befürchtung, dass sich die Unzugänglichkeit von älteren Arbeiten in elektronischer Form künftig negativ auf deren Zitierraten auswirken könnte. Diese Tatsache sollte bedacht werden, wenn Biblio-theken und Verleger retrospektive Digitalisierungsprojekte planen.

Normalerweise nimmt die Anzahl der Zitierungen zu einer Arbeit mit der Zeit ab. Burell (2003) schlägt ein Modell für die Berechnung des erwarteten Rückgangs der Zitierungen zu einer Arbeit als Funktion der Zeit vor; nach einer bestimmten Zeit t tendiert die Zahl der Zi-tierungen gegen Null.

Beaver (2004) untersuchte die Lebensdauer der Zitate (citation lifetime – Zitat Lebensdauer, Zitierzeitspanne) und stellte fest, dass Arbeiten mit nur einem Autor eine kürzere Lebensdauer haben als Arbeiten, die in Koautorenschaft erschienen. Für Arbeiten mit einem Einzelautor beträgt die durchschnittliche Zitierzeitspanne rund 11 Jahre, für Arbeiten mit mehr als einem Autor fast 17 Jahre. Beaver ist der Meinung dass die wissenschaftliche Bedeutung mit der Zi-tierzeitspanne korreliert, womit ein weiteres Kriterium für die Bewertung von wissenschaftli-cher Qualität gegeben ist.

Für die Messung der Lebensdauer von Zitierungen setzt die bibliometrische Forschung eine Methode eine, die der Messung des Zerfalls radiaktiver Stoffe ähnlich ist. Die Zitierlebens-dauer ist definiert als der Zeitraum von der ersten Zitierung bis zum Zeitpunkt, an dem eine Arbeit nicht mehr zitiert wird. Die daraus ableitbare „Halbwertszeit" ist wohlmöglich einer

der wichtigsten Indikatoren einer Publikation. Sie ist definiert als die Zeit vom Veröffentli-chungsjahr bis dem Jahr, in dem 50% aller Zitierungen erreicht worden sind.

Glänzel (2004) machte dazu eine Untersuchung an den drei für die jeweiligen Disziplinen re-präsentativen Zeitschriften Cell (Biowissenschaften), JACS (Chemie) und Zeitschrift für Wahrscheinlichkeitstheorie und verwandte Gebiete (Mathematik) im Zeitraum von 1980 bis 2000. Die Halbwertszeit für Cell betrug zwischen 2,3 und 5,3 Jahren, für JACS zwischen 4,7 und 6,7 und für die Zeitschrift für Wahrscheinlichkeitstheorie und verwandte Gebiete 5,6 und 7,5 Jahre.

5.12 Späte Hochzitiertheit

Es gibt nicht wenige Arbeiten, die nach ihrer Veröffentlichung zunächst nicht oder nur mini-mal zitiert werden, bis nach einiger Zeit überraschend Interesse entsteht und die Zitierungen deutlich ansteigen. Solche Veröffentlichungen werden in der Literatur mit dem Begriff

«Mendel Syndrom» belegt36 (Van Raan, 2004). Van Raan hat eine Methode zur Bestimmung von «zu früh entstandenen» Arbeiten entwickelt. Der Autor nennt sie «schlafende Schön-heiten» (sleeping beauties) und beschreibt diese Arbeiten als Ergebnisse, die ihrer Zeit voraus waren.

Diese Arbeiten fügen sich nicht in das klassische Bild bibliometrischer Untersuchungen ein, die davon ausgehen, dass Arbeiten unmittelbar nach oder spätestens 5 Jahre nach ihrer Veröf-fentlichung zitiert werden. Zu diesem Thema arbeitete auch E. Garfield in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Für ihn sind dies Arbeiten, die entweder ihrer Zeit voraus sind oder aber (aus den verschiedensten Gründen) erst verspätete Anerkennung finden. Da es nicht vorherzu-sehen ist, ob eine Arbeit Beachtung findet oder nicht, ist es riskant eine bibliometrisch ge-stützte Behauptung darüber aufzustellen, dass Arbeiten ohne Resonanz weniger wichtig seien als vielzitierte. Hier gibt es noch deutliche Forschungsdesiderate.

Glänzel et al. (2003) untersuchten in einer Stichprobe alle Arbeiten, die 1980 erstmals im SCI nachgewiesen waren und im erwarteten Zeitraum von 3 und 5 Jahren keine oder nur wenige Zitierungen erhielten, jedoch 21 Jahre nach der Veröffentlichung eine deutliche Zahl von Zi-tierungen aufwiesen. Insgesamt stellten die Autoren fest, dass 21,5% der im SCI erschienen Arbeiten von 1980 bis zum Jahr 2000 nie zitiert worden sind und 28% der Arbeiten noch in ihrem Erscheinungsjahr zitiert wurden (das waren 36% aller Zitierungen überhaupt). 60% der

36 Gregor Mendel hat im Jahr 1865 die Grundgesetze der Pflanzengenetik entdeckt, definiert und veröffentlicht.

Die Wissenschaftscomrnunity hat allerdings erst nach 34 Jahren die Bedeutung dieser Entdeckung erkannt.

Arbeiten wurden zwei Jahre nach ihrer Veröffentlichung, 76% 3 Jahre nach der lichung zitiert. Immerhin gab es aber auch Arbeiten, die erst 21 Jahre nach ihrer Veröffent-lichung zitiert wurden. Die zeitliche Verteilung der Zitierungen hängt stark vom Fachgebiet ab. Ein Vergleich zwischen Biomedizin, Chemie und Mathematik zeigt, dass biomedizinische Arbeiten den geringsten Anteil an nichtzitierten Veröffentlichungen aufweisen (13%). Zwei Drittel der Arbeiten wurden innerhalb der ersten zwei Jahre nach Erscheinen zitiert, mehr als 80% innerhalb der ersten drei Jahre, 90% innerhalb von fünf Jahren nach der Veröffent-lichung.

Im Vergleich dazu wurde ein Drittel aller Veröffentlichungen in der Mathematik innerhalb der ersten drei Jahre überhaupt nicht zitiert. Im der Mathematik ist es daher sinnvoll, erste Zi-tierungen erst drei Jahre nach der Veröffentlichung zu erwarten. Auch die Anzahl verspäteter Zitierungen wird damit in der Mathematik größer sein als etwa in der Biomedizin. Die Unter-suchung von Glänzel et al. zeigte aber auch, dass verspätete Zitierungen die Ausnahme sind.

Bei 450 untersuchten Zeitschriften fanden sie nur 15 verspätete Arbeiten. Dabei kann es sich aber tatsächlich um Publikationen mit fundamentalen Entdeckungen handeln, wie es etwa die erste Arbeit über BSE (Bovine spongilimne Encphlophaty) war.

Im Dokument Qualität und Quantität wissen- (Seite 178-181)