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Der erste Reiter – Der Reiter, der nicht in die Reihe passt?

2.6 Interpretation

2.6.3 Der erste Reiter – Der Reiter, der nicht in die Reihe passt?

Gegen all diese integrativen, zumeist „dunklen“ Deutungen gibt es aber auch Stimmen, die die frühzeitliche Deutung bekräftigen, den ersten Reiter kontrastiv zu den ersten drei Reitern zu sehen. Die Argumente sind dabei zumeist dieselben und orientieren sich an Semantik und Syntax des Textes, sowie an der intertextuellen Parallele mit Offb 19.

Einen solchen Ansatz vertritt Akira Satake. Auch wenn er sich gegen eine christologische Deutung oder eine Deutung des ersten Reiters als Evangelium wendet, bleibt er doch bei einer kontrastiven Interpretation. Sein Ansatzpunkt

105 Vgl. Wengst, Wie lange, 178-179; Kraft, Offenbarung, 117

106 Vgl. Karrer, Apoll, 246-248

dabei ist die Stelle „καὶ ἐξῆλθεν νικῶν καὶ ἵνα νικήσῃ“. Er findet in der Offenbarung drei Sieger: Christus, die gegengöttlichen Mächte und die Christen selbst. Sein Argument gegen eine Identifikation mit widergöttlichen Mächten findet sich auch bei vielen anderen Autoren: Die Reiter handeln im Auftrag Gottes. Somit können sie nicht mit widergöttlichen Mächten in Verbindung gebracht werden. Gegen eine Identifikation mit Christus wirft er ein, dass Christus an dieser Stelle schon als Lamm anwesend ist, und die eschatologische Wiederkunft Christi am Ende der endzeitlichen Plagen stehen muss und nicht an ihrem Anfang. Der erste Reiter kann somit auch nicht der messianische Reiter in Offb 19 sein. Als einzige Möglichkeit bleibt somit die Deutung des ersten Reiters als die Glaubenden, die gegen alle Widerstände am Glauben festhalten.107 Gegen diese Interpretation gibt es allerdings ebenfalls Gegenstimmen, auch abseits des gängigen Arguments, die Reiter müssten wegen ihrer Parallelität gleichförmig gedeutet werden. Witulski spricht die Frage nach der Bedeutung des Bogens in dieser Interpretation an.108 Weiters merkt er, ebenso wie Katerina Murillo Soberanis, an, dass der Reiter explizit im Singular genannt wird. Wird in der Offenbarung von den Menschen oder Christen gesprochen, werden sie aber immer im Plural genannt. Zudem stellt sich die Frage, wenn der bereits siegende Reiter, der auszieht, um zu siegen, die Märtyrer symbolisieren würde, warum diese Märtyrer dann in Offb 6,9-11 zur Geduld ermahnt werden, was ein Wiederspruch zum bereits errungenen Sieg wäre.109Viel mehr wendet sie sich der christologischen Linie zu, wie auch Jens Herzer und Michael Bachmann. Entgegen dem alten, auch bei Satake genannten Argument gegen eine christologische Deutung wendet sie ein, dass das Lamm in die himmlische Sphäre gehört, der erste Reiter hingegen in die irdische. Somit schließen sich die beiden Bilder nicht zwingend gegenseitig aus.110Ähnlich argumentiert Herzer. Zudem führt er aus, dass die „gesamte apokalyptische Ereignisfolge“111vom Lamm ausgeht. Nur der bereits errungene Sieg des Lamms ermöglicht das Brechen der Siegel, worauf sich die Visionsreihen entfalten.

107 Vgl. Satake, Offenbarung, 218

108 Vgl. Witulski, Reiter, 48

109 Vgl. Murillo Soberanis, Christusvisionen, 169

110 Vgl. Murillo Soberanis, Christusvisionen, 165

111 Herzer, Reiter, 236

Gegenüber dem Argument, der erste Reiter könne nicht Christus sein, da er am Ende der Plagen auftreten müsse und nicht an deren Anfang, ist entgegenzuhalten, dass Christus das Geschehen erst auslöst, somit schon am Anfang steht, was dieses Gegenargument zumindest weniger gewichtig macht.112 Eine christologische Deutung wäre somit möglich. Ausschlaggebend sind dabei, entgegen dem Fokus auf die Parallelität der Reiter in den integrativen Deutungsansätzen, vor allem die Unterschiede des ersten zu den drei anderen Reitern.

Die verschiedenen intertextuellen Querverweise zur Bezeichnung „λευκός“ wurde bereits in 2.3 erläutert. Bachmann betont die eschatologische und himmlische Bedeutung dieser Farbe, besonders im Hinblick auf die Pferde auf denen zum einen der erste apokalyptische Reiter, zum einen der messianische Reiter sitzen, auf den Wolkenthron und den weißen Thron des Richters.113Ähnlich argumentiert Jens Herzer. Er verbindet zudem die himmlische Bedeutung mit einer soteriologischen Wirkung, wenn er auf die Glaubenden hindeutet, die ihre Kleider im Blut des Lammes reinwaschen.114 Eine weitere Bedeutungsebene fügt Murillo Soberanis hinzu. Sie weist im Hinblick auf die historische Bedeutung von weißen Pferden auf das Motiv des Siegers hin, das ja auch in anderen Motiven für den Reiter des ersten Pferdes belegt ist.115 Diesem weißen Pferd setzt Bachmann das andere (ἄλλος) Pferd entgegen. Er bezieht sich dabei auf eine andere Stelle, an der eine, nicht weiße, aber helle Gestalt einer roten entgegengestellt wird. In Offb 12,1 erscheint als Zeichen am Himmel eine Frau, die mit der Sonne bekleidet ist. Ihr wird ein anderes (ἄλλος) Zeichen entgegengesetzt: Ein feuerroter Drache, der Teufel. Aufgrund der strengen Parallelität, die er in diesen beiden Stellen sieht, interpretiert er, dass der zweite Reiter zum einen dem ersten Reiter entgegengesetzt ist, zum anderen, dass das zweite Pferd ebenso negativ zu deuten ist, wie der Drache.Als weitere Beispiele für als „rot“ beschriebene Gestalten, wenn auch nicht πυρρός, sondern κόκκινος (scharlachrot), führt er das erste, „dem

112 Vgl. Herzer,Reiter, 236

113 Vgl. Bachmann, Blick, 260-261

114 Vgl. Herzer, Reiter, 240

115 Vgl. Murillo Soberanis, Christusvisionen, 166

Drachen engstens zugeordnete“116, Tier und die „große Hure“ an.117 Beide können keinesfalls positiv betrachtet werden. In Konsequenz dieser Erkenntnis wirft er Krafts Vorwurf einer „ästhetischen Sünde“118würde man den ersten Reiter als kontrastiv interpretieren, denselben Vorwurf einer ästhetischen Sünde zurück, würde man die Farbsymbolik des Johannes ignorieren. Als ein weiteres, Indiz für die Gegenüberstellung der Reiter wird die chiastische Struktur von V4a gegenüber dem ersten Reiter angeführt. Während das Verb beim ersten Pferd erst im letzten Satzglied auftaucht, steht es beim zweiten Reiter an erster Stelle.119 Dem oben genannten Motiv des weißen Pferdes als Triumphtier des Siegers entspricht auch der στέφανος, der Kranz, der dem Reiter gegeben wird. (Zu den Parallelstellen des Begriffs siehe 2.3) Entgegen der einzigen negativen Deutung in Offb 9,7 des Kranzes wirft Bachmann, ebenso wie Herzer, ein, dass die Heuschrecken keinen Kranz tragen, sondern „etwas wie einen Kranz“.120 Für den Kranz an sich gibt es also nur positive Konnotationen. Dieser Kranz entspricht ganz dem, dass der Reiter siegend auszieht, um zu siegen. Die Vertreter einer hellen Deutung führen hier an, dass das Verb νικᾶν an dieser Stelle intransitiv gebraucht wird. Dieses Verb wird beinahe ausschließlich für „siegreiche Auseinandersetzungen und Überwindungen der glaubensfeindlichen Mächte“121verwendet. Betrachtet man zudem den intransitiven Gebrauch des Verbs, verhärtet sich dieses Argument. Nur an Textstellen, die den Sieg Christi oder der Menschen, die an ihn glauben, beschreiben, wird νικᾶν intransitiv verwendet. Für einen Sieg widergöttlicher Mächte finden sich nur Belege mit der transitiven Form des Verbs.122 Zum Bogen wurde schon an anderer Stelle genug gesagt, hier kommt keine neue Bedeutungsebene hinzu. Zum einen verweist er motivgeschichtlich auf einen Krieger, zum anderen auf den griechischen Gott Apoll. Beides zusammen würde ein majestätisches, aber kriegerisches Bild zeichnen.123

116 Bachmann, Der erste, 255

117 Bachmann, Der erste, 254-256

118 Kraft, Offenbarung, 114

119 Vgl. Bachmann, Der erste, 263; Murillo Soberanis, Christusvisionen, 160-161

120 Vgl. Bachmann, Der erste, 257; Herzer, Reiter, 241

121 Herzer, Reiter , 242

122 Vgl. Bachmann, Der erste, 258; Herzer, Reiter, 241-242

123 Vgl. Murillo Soberanis, Christusvisionen, 167

Ein Detail, das viele Exegeten nicht genauer betrachten, ist die Donnerstimme, mit der der erste Reiter im Unterschied zu den anderen gerufen wird. Diese Donnerstimme erscheint in der Offenbarung an neun Stellen und immer im Zusammenhang mit der göttlichen Gegenwart und der damit verbundenen Offenbarung. Erhellend in Bezug auf den ersten Reiter wirkt ein Blick auf Theophanie im Alten Testament. Gott erscheint „schreckenerregend und unheilbringend“124, bedeutet „andererseits für einen ausgegrenzten Kreis Rettung“125. Zudem wird, wenn Gott von Pest und Seuche begleitet wird wie in Hab 3,5, nicht nur ein Bild des Schreckens gezeichnet. Es zeigt sich auch eine auffällige Parallele zu den vier Reitern, die durch eine Gegenüberstellung des ersten Reiters zu den unheilbringenden anderen drei Reitern an dieses Theophanieschilderungen erinnert.126 Somit ist der erste Reiter auffällig in den göttlichen Bereich gerückt. Diese Sicht erhärtet sich mit Blick auf jene Stelle, die für eine Identifikation mit Christus herangezogen wird. Denn ein genauer Vergleich ergibt, dass die Worte, mit denen der erste Reiter und der messianische Reiter eingeführt werden, identisch sind. Genau jene Punkte, die Witulski als Argumente einer polemischen Parallelität aufführt127, werden von den Vertretern der kontrastiven, hellen Interpretation ebenfalls verwendet. Wo Witulski eine polemische Parallelität sieht, wird hier mit auf Christus deutende Parallelität argumentiert. Herzer sieht hier einen Abschluss des Handlungsbogens, der mit Offb 6,2 begonnen wurde. Der Reiter, der dort auf seinem weißen Pferd auszieht, um zu siegen, kehrt in Offb 19,11 im blutgetränkten Gewand aus der Schlacht zurück. Das Motiv des Siegeskranzes wiederholt sich hier und wird zudem überboten durch die Bezeichnung als „viele Diademe“. Auf diesen Diademen steht auch sein Name: „Das Wort Gottes“. Somit ist dieser siegreiche Reiter eindeutig als Christus identifiziert. Nun trägt er den Titel „König der Könige und Herr der Herren“, der vom Lamm bereits zusammen mit seinem zukünftigen Sieg in Offb 17,14 vorausgesagt wird.128 Murillo Soberanis erkennt in diesem Textaufbau ein

124 Bachmann, Blick, 266

125 Bachmann, Blick, 266

126 Vgl. Bachmann, Blick, 265-273

127 Vgl. Witulski, Reiter, 269-292

128 Vgl. Herzer, Reiter, 248

„Dreieck der christologischen Visionen“. In Offb 1,9-20 wird Christus als der, gleich einem Menschensohn gezeigt, als ein Herrscher, in Offb 5,1-14 zeigt sich das Lamm, das für die seinen das letzte Opfer gegeben hat und in Offb 6,1-8 schließlich tritt er als der weiße Krieger auf, der bereits siegend ist und auszieht, um im endzeitlichen Krieg zu siegen.129

Die kontrastiven Deutungen stellen ausnahmslos den ersten Reiter den anderen drei Reitern entgegen. Auch hier zeigt sich zusammenfassend, dass sich die Ansätze der kontrastiven Deutungen in allegorische und personale gliedern lassen, wobei die personalen Deutungen dominieren. Dieser erste Reiter wird dabei meist, ganz in Entsprechung der Deutungen der ersten christlichen Jahrhunderte, christologisch gedeutet. Gegen die integrativen Interpretationen wird dabei argumentiert, dass sich in Offb 6,1-8 eben keine absolute Parallelität findet. Es gibt syntaktische und semiotische Besonderheiten, die den ersten Reiter vom zweiten abrücken. Besonders die Begriffe „λευκός“ und „νικῶν“ werden dabei im Kontext mit der Erwähnung jener Begriffe im gesamten Johannesoffenbarung als Argument dafür angeführt, dass der erste Reiter in einem soteriologischen, eschatologischen und christologischen Zusammenhang zu deuten ist.

129 Vgl. Murillo Soberanis, Christusvisionen,170-172

3 Die Serie „Supernatural“ von Eric Kripke 3.1 Apokalypse und Film – Ein kurzer Überblick

„Das letzte Buch der Bibel ist ein Bilderbuch.“130 Mit diesen Worten von Wellhausen eröffnet Katerina Murillo Soberanis ihre rezeptionsästhetische Untersuchung der Christusvisionen in der Johannesoffenbarung. Die Definition der Johannesoffenbarung als Bilder findet sich in der Einleitung des Buches selbst.

Gott gibt Christus die Offenbarung, das Wort Gottes, der jene Offenbarung dem Seher „zeigt“. Der Seher „sieht“ jene Offenbarung und schreibt sie dann wiederum auf, damit Andere sie vorlesen und hören können. Die Johannesoffenbarung selbst erklärt sich somit zugleich als Wort und Bild.131 Während Worte eine fortlaufende Handlung im Nacheinander der Ereignisse erzählen, zeigt ein Bild alle darauf abgebildeten Ereignisse gleichzeitig. Von einer vergleichbaren Narrativität wie bei einem Text kann man aber auch bei einem Bild sprechen. Dies wird besonders bei Bildreihen deutlich, in denen die Szenen eines Ereignisses einzeln dargestellt werden. Die oben besprochenen Darstellungen der vier Reiter (2.6.1) stammen aus genau solchen Bildreihen, mit denen Auslegungen über das Buch der Offenbarung illustriert wurden.132 In Filmen fließen Worte in Form einer Erzählung und Bildreihen ineinander. Die Art der Darstellung ist moderner geworden, hat sich dem Stand der neuen Technik angepasst. Aber die Faszination für dieses

„Bilderbuch“ ist dieselbe geblieben.

Wie sehr der Inhalt dieses Buches die je gegenwärtige Lebenswelt der Menschen betrifft, zeigte sich schon in den Fünfzigerjahren. Zwei Ereignisse erschütterten in den vorausgehenden Jahren die ganze Welt. Der zweite Weltkrieg tobte von 1939 bis 1945. Sein Ende folgte mit dem zweiten schrecklichen Ereignis, das die gesamte Welt betraf: der Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki. Beides hat sich in das Gedächtnis der Menschheit eingegraben. „Das Gedächtnis braucht Bilder, an die sich die Geschichte als eine erinnerte und erzählte knüpft.“, schreibt Harald Welzer in seinem Buch Das kommunikative Gedächtnis.133 Und so ist es kein

130 Zitiert nach Murillo Soberanis, Christusvisionen, 51

131 Vgl. Murillo Soberanis, Christusvisionen, 51-55

132 Murillo Soberanis, Christusvisionen, 59-68

133 Welzer, Gedächtnis, 8

Wunder, dass sich in den nachfolgenden Jahren ein neues Subgenre der Science-Fiction entwickelte: der apokalyptische Film oder auch Endzeitfilm, wobei die Bezeichnung Apokalypse eher im Sinn eines endzeitlichen Weltgeschehens als im wörtlichen Sinne einer „biblischen“ Offenbarung verstanden wird.134 Die meisten Filme dieser Zeit zeigen die von den Ereignissen angestoßene Schreckensvision einer weltweiten Zerstörung und zudem, ganz der Offenbarung des Johannes entsprechend, die Entwicklung einer neuen Gesellschaftsform. In den Siebzigerjahren verlagert sich der Blickwinkel von der weltweiten „Apokalypse“

auf die persönliche Katastrophe. In diesen Filmen wird weniger eine neue Gesellschaftsentwicklung thematisiert, sondern mehr eine Umkehrung der gegenwärtigen Zustände.135Speziell die Sparte des Horrorfilms bediente sich am Thema der weltweiten Katastrophe und auch anderen Motiven der Offenbarung.

Ab den späten Sechzigerjahren belebte George A. Romero den Zombiefilm neu, indem er in seinem Film Night of the Living Dead von 1968 aus den willenlosen, gelenkten Voodoogeschöpfen eigenständige Monster machte, die die Zivilisation im Ganzen bedrohten. Im Film Omen von 1976 wird der Antichrist von einer menschlichen Frau geboren. In seinem Nacken zeigt sich die Zahl 666 als Muttermal. Sam Raimi zeigt in seiner Tanz-der-Teufel-Trilogie (1981-1992) und der darauf aufbauenden Serie Ash vs. Evil Dead (2015-2018), Dämonen, die aufgrund menschlicher Handlungen, Versäumnisse und Irrtümer die Erde überziehen. Am Rande sei erwähnt, dass diese Hervorrufung der Dämonen durch ein Buch geschieht.

Die populärmediale Renaissance des apokalyptischen Films begann 1996 mit dem Film Independence Day von Roland Emmerich. In seiner Thematik fügt sich dieser Film an die ersten Endzeitfilme an, auch wenn es hier keine eigenverschuldete Katastrophe ist, sondern eine Bedrohung durch Außerirdische. Aber wieder ist die Bedrohung global und am Ende ist der Beginn einer neuen Gesellschaftsordnung angedeutet. Dem folgte eine Flut von apokalyptischen Filmen und Serien, die bis

134 Vgl. Borstnar/Pabst/Wulff, Einführung, 76

135 Vgl. Trempler, Katastrophen, 218-226

heute nicht abreißt.136 Dabei gibt es eine ganze Reihe an semantischen Motiven aus der Johannesoffenbarung, die in jenen Filmen und Serien wiederkehrt.

3.2 Semantische Motive in apokalyptischen Filmen

137

a) Zerstörung

Allen Filmen und Serien gemeinsam ist die Zerstörung des Bereiches, in dem sich die Protagonisten bewegen. Meistens handelt es sich dabei um eine Stadt, ein Gebiet, oder die drohende Zerstörung der ganzen Welt. Im oben genannten Film Independence Day werden als Vorankündigung der Invasion die Machtzentren der Weltbevölkerung zerstört, in The Day After Tomorrow versinkt die nördliche Erdhalbkugel unter einer arktischen Eisschicht, die ein dortiges Leben unmöglich macht. Die Zerstörung erfolgt auch durch Feuer, atomare Katastrophen, Überflutungen oder Virenausbrüche, was aktuell besondere Relevanz bekommen hat. Dabei bleibt diese Zerstörung niemals ein anonymes Geschehen. Dem Zuseher werden Identifikationsfiguren angeboten, an denen sich die ganze Auswirkung der Katastrophe auf ein individuelles Leben zeigt. Es gibt aber auch Filme, die sich ganz auf ein individuelles Leben konzentrieren und dessen individuelle Zerstörung zeigen, wie beispielsweise Lost Highway von David Lynch.

b) Tod

Ein weiteres Zentralthema ist der Tod. Gerade die allgegenwärtige Darstellung des Todes zeigt die Realität der Zerstörung. Die Darstellungsformen sind dabei vielfältig. Opferzahlen werden in filmimmanenten Nachrichtensendungen genannt, das Sterben einzelner Personen oder ganzer Personengruppen wird wirkungsvoll am Bildschirm inszeniert, teils begleitet von einer verzweifelnden Hauptfigur, die dem Zuseher als Identifikationsfigur dient. In anderen Fällen ist es auch genau diese Identifikationsfigur, die einen Tod herbeiführt, ob als Folge von Verkettung unglücklicher Ereignisse, in Notwehr wie in Independence Day, als Heldenopfer beispielsweise in Armageddon oder als Mord wie in Lost Highway.

136 Vgl. Loretan/Martig, Weltuntergang, 47-49

137 Vgl. Pezzoli-Olgiati, Vom Ende der Welt, 264-275

c) Die Stadt

Die Stadt als Zentrum der Gesellschaft ist ein weiteres Kernthema. Hier entfaltet sich die aktuelle Schöpfung, hier ist der Sitz der Macht. Mit ihrer Zerstörung wird auch die herrschende Gesellschaft und damit verbunden die „erste, unvollkommene Schöpfung“138 zerstört. Zum einen zeigt sich in dieser Stadt verbunden mit der Macht und dem Wissen die Möglichkeit, das Geschehen noch zu verhindern oder die Katastrophe zu überleben, wie in The Day After Tomorrow, wenn die Bibliothek zur zeitweiligen Zuflucht vor dem Eis wird, oder in Armageddon, wenn ein Team ins All geschickt wird, um den Meteoriteneinschlag zu verhindern. Zum anderen kann aber auch genau diese Stadt zu einer Todesfalle werden, wenn sich etwa wie in Volcano Lava durch die Straßen ergießt und die Häuser oder der Verkehr ein Entrinnen verhindern, oder wenn die Versorgung mit den Errungenschaften der modernen Zivilisation zum Erliegen kommt.

d) Familie als Hoffnungsträger

Dabei erweist sich oft die Familie als Grundstein für eine neue Gesellschaft. The Day After und The Children of Men sind nur zwei Beispiele, in denen die Geburt eines neuen Kindes Hoffnung verkünden. Auch zerstrittene Familien werden in gerade jenen Krisensituationen, die apokalyptische Filme zeigen, wieder zusammengeführt und Konflikte zwischen den Generationen gelöst. Wie wichtig dieses Thema der Hoffnung auf neues Leben und eine neue Gesellschaft ist, erweist sich, wenn Kinder gegen alle Widernisse verteidigt und beschützt werden.

e) Die gesamte Menschheit

Diese Hoffnung auf eine neue Gesellschaft zeigt sich auch in jenen Filmen, die diesen Blick von der Familie auf die gesamte Menschheit erweitern, wenn etwa die abschließende Zusammenarbeit der Völker zum Neuaufbau dargestellt wird, weltweit die Überlebenden zu sehen sind oder die unzerstörte Erde sich im dunklen All dreht.

138 Pezzoli-Olgiati, Vom Ende der Welt, 264

f) Transformationsprozesse

Abseits von den semantischen Motiven finden sich in vielen Filmen jene Transformationsprozesse, die die Johannesoffenbarung bestimmen: Von einer unsicheren Gegenwart führen die Ereignisse hindurch durch eine Krise, bis hin zu einer neuen, stabilen Situation. Die drohende weltweite Zerstörung wird dabei oft schon durch eine Teilzerstörung angekündigt. In Independence Day zerstören die Invasoren erst die Hauptstädte der Erde und kündigen die Invasion damit an. In The Day After Tomorrow warnt ein Wissenschaftler sogar vor der klimatischen Katastrophe, bevor sie hereinbricht. Die Phase der Krise fordert dann weitreichende Opfer, bevor die Überlebenden einen Neubeginn starten können.

g) Persönliche Transformationsprozesse und Retterfiguren

Eine andere Transformation bezieht sich auf Individuen, die am Anfang oft unwichtig erscheinen. Doch sie bewähren sich durch die Krise hindurch, entwickeln ungeahnte Fähigkeiten und erweisen sich am Ende als „messianische“

Retter. Gerade dadurch ermöglichen sie die Transformation von der alten zur neuen Welt. In den Blockbustern aus Hollywood steht dieser Held oft in Beziehung mit den Behörden. Dieses Motiv lässt sich oft in Beziehung setzen zum semantischen Motiv der Familie, insofern die Beziehung des Helden zu seinen Vorgesetzten als Vater-Sohn-Beziehung gesehen werden kann. Die Beziehung ist zu Beginn gespalten und erst durch die Ereignisse kommt es zu einem Umdenken und zur Versöhnung, sofern der „böse“ Machthaber nicht im Laufe der Ereignisse stirbt und durch einen „guten“ ersetzt wird. In jedem Fall aber vollzieht sich eine Transformation des einzelnen Menschen und der ihm zugeordneten Machthaber.

Retter. Gerade dadurch ermöglichen sie die Transformation von der alten zur neuen Welt. In den Blockbustern aus Hollywood steht dieser Held oft in Beziehung mit den Behörden. Dieses Motiv lässt sich oft in Beziehung setzen zum semantischen Motiv der Familie, insofern die Beziehung des Helden zu seinen Vorgesetzten als Vater-Sohn-Beziehung gesehen werden kann. Die Beziehung ist zu Beginn gespalten und erst durch die Ereignisse kommt es zu einem Umdenken und zur Versöhnung, sofern der „böse“ Machthaber nicht im Laufe der Ereignisse stirbt und durch einen „guten“ ersetzt wird. In jedem Fall aber vollzieht sich eine Transformation des einzelnen Menschen und der ihm zugeordneten Machthaber.