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Bei allen Differenzen der Forschung besteht doch eine generelle Einigkeit darüber, dass bei Offb 6,1-8 grundsätzlich ein paralleler Aufbau besteht. Zur leichteren Übersicht ist der Text nachfolgend tabellarisch aufgeschlüsselt.

Erster Reiter

Die parallele Konzeption der vier Einzelsegmente ist so aufgeschlüsselt klar zu erkennen. In einem ersten Schritt öffnet das Lamm ein Siegel. Ist das Siegel gebrochen, hört der Seher eines der vier Wesen, das eine Aufforderung ausspricht.

Diskussionen herrschen hierbei darüber, ob das „Komm!“ an die Reiter oder an den Seher gerichtet ist.

Mit Ausnahme des zweiten Reiters folgt darauf die sich wiederholende Einführungsformel des Sehers „Und ich sah und siehe…“, woraufhin das Pferd,

beschrieben durch dessen Farbe, genannt wird und zuletzt der Reiter durch seine Aufgabe und seine Insignien genauer definiert wird.

Doch bei genauerer Betrachtung finden sich, wie gerade angedeutet, innerhalb der parallelen Konzeption auch etliche Eigenheiten und Abweichungen.

Schon bei der Einleitung durch den Seher ist beim zweiten Reiter eine Leerstelle zu finden. Das „Und ich sah und siehe“ fehlt. Stattdessen erscheint das Pferd mit derselben Wendung (ἐξῆλθεν), mit der auch die Aufgabe des ersten Reiters beschrieben wird, wenn es heißt, „…und er ging hinaus (ἐξῆλθεν) siegend, um zu siegen.“ Eine weitere Eigenheit an dieser Stelle ist die „Insignie“, das Attribut des zweiten Reiters. Erst nach der Bezeichnung seiner Aufgabe wird sein Attribut, das große Schwert, genannt, während bei den anderen Reitern die Insignien, die schon einen Hinweis auf die Aufgabe geben, vor der Erläuterung ihrer Aufgabe genannt werden.

Dem dritten Reiter wird seine Insignie nicht gegeben. Er hat die Waage schon in der Hand. Stattdessen wird er als einziger der Vier von einer „Stimme in der Mitte der Wesen“ beauftragt.

Eine weitere Unregelmäßigkeit ist hier beim vierten Reiter zu sehen. Seine Aufgabe wird explizit gar nicht erst genannt, sondern vielmehr definiert durch sein Attribut, seinen Begleiter: das Totenreich. Hingegen ist der vierte Reiter der einzige Reiter, der mit einem Eigennamen bezeichnet wird.

Direkt darauf folgt die Ermächtigung der Reiter zu töten: mit dem Schwert, dem Hunger und dem Tod. Auffallend hierbei ist, dass die Attribute des zweiten, dritten und vierten Reiters explizit genannt werden, nicht aber jenes des ersten Reiters, der Sieg.Hier stellt sich die Frage nach dem Warum. Näher betrachtet könnte hier natürlich V2d-f „und es wurde ihm eine Krone gegeben und er ging hinaus siegend und um zu siegen” als eigenständige Ermächtigung des ersten Reiters gelesen werden, doch spricht dagegen der parallele Ablauf des folgenden Abschnitts. Auch dem zweiten Reiter wird sein Attribut, das Schwert, gegeben und auch in seinem Fall erhält er eine eigenständige Aufgabe, nämlich “…den Frieden von der Erde zu nehmen und damit sie sich einander schlachten.”

Diese Stelle ist aber nur die letzte Abweichung von vielen, die beim ersten Reiter zu beobachten sind und die Frage aufwerfen, ob der erste Reiter nun voll und ganz in einer Reihe mit den anderen Dreien steht oder ob er eine Sonderstellung einnimmt.

Nur beim ersten Reiter spricht eines der Wesen „wie mit einer Donnerstimme“, während der Seher die drei anderen Wesen nur „sagend“ hört. Eine weitere Auffälligkeit sind die doppelten Attribute. Der erste Reiter hat bereits einen Bogen, so wie der dritte Reiter auch schon eine Waage in der Hand hält, zusätzlich wird ihm aber auch noch eine Krone6 verliehen, gemeinsam mit der damit verbundenen Aufgabe, entgegen gesetzt parallel aufgebaut zu V4, in dem dem zweiten Reiter erst die Aufgabe übertragen und dann das Schwert verliehen wird, wie bereits weiter oben erwähnt.

Die auffälligste Abweichung ist sicherlich die Art und Weise seines Auftretens. Das Handeln des ersten Reiters wird aktiv geschildert. Er „ging hinaus siegend um zu siegen“.

Bei genauerer Betrachtung ist also deutlich zu erkennen, dass die Parallelität der vier Segmente nicht so eindeutig ist, wie auf den ersten Blick.

Während in der Forschung aus dieser Erkenntnis teils eine Gegenüberstellung des ersten Reiters zu den anderen Dreien herausgelesen wird7, demgegenüber aber auch oft auf der Gleichstellung der vier Reiter beharrt wird8, erkennt Katerina Murillo Soberanis in dieser Struktur eine abgestufte Beschreibung, die den ersten Reiter hervorhebt und somit die integrativen, sowie die kontrastiven Forschungsstandpunkte ein Stück weit vereint:

„Auf den zweiten Blick weist die Struktur dieses Zyklus mithin eine innere Dynamik auf, die eine strenge Parallelität sprengt. Die Beschreibungen der Reiter werden immer kürzer;

der erste Reiter wird vergleichsweise ausführlich gekennzeichnet, der letzte Reiter hingegen wird nur noch beim Namen genannt. Anders gesagt, der weiße Reiter wird herbeigerufen, knapp charakterisiert, beauftragt und letztendlich bricht er auf. Der zweite Reiter wird nur bis zu seiner Beauftragung geschildert, die mit einem Übergaberitual beschlossen wird. Eine solche Übergabe fehlt bei dem dritten Reiter; in seinem Fall bleibt

6 In der Elberfelder Bibel als „Kranz“ übersetzt, in der Einheitsübersetzung als „Siegeskranz“.

7 So v.a. Bachmann, Blick

8 So z.B. Kraft, Offenbarung; Wengst, Wie lange

nur noch die mündliche Beauftragung. Der vierte Reiter wird nur noch benannt. Auf struktureller Ebene wird der weiße Reiter mithin hervorgehoben. Er steht an der Spitze der Reitergruppe, er wird am ausführlichsten geschildert und er reitet den anderen voraus.“9

Eine vollkommen andere Sichtweise ergibt sich natürlich, wenn man die Verse 8e-g nicht auf die vier Reiter bezieht, sondern nur auf den vierten Reiter. Der Plural ergäbe sich in diesem Fall daraus, dass die Macht dem vierten Reiter Tod und seinem Begleiter Hades verliehen wird. In diesem Fall würde der vierte Reiter die Machtbereiche des zweiten und dritten Reiters, das Schwert und den Hunger, ebenfalls innehaben. Sein Machtbereich wäre demnach auf ein Viertel der Erde beschränkt, der Machtbereich der anderen Reiter aber nicht.10 Zum einen würde dies dem sichtlich gewollt parallelen Aufbau der Textstelle widersprechen. Zum anderen hätte der Begleiter Hades in diesem Fall aber dieselbe Macht wie der vierte Reiter und würde als gleich zu wertende Größe neben ihm stehen und wäre somit ein „fünfter Reiter“. In dieser Hinsicht erscheint es mir dem Text entsprechender, die Verse als Abschluss des gesamten Abschnitts und nicht als alleinige Ergänzung des vierten Reiters zu lesen.