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III.  Verlorene Söhne

III.5.   Das Verführungswissen in The Game

III.5.2.   Der Evolutionäre Algorithmus der Seduction Community

munity 

Der Text inszeniert die Verwissenschaftlichung anhand eines evolutionären Algorithmus  (EA).521 Dieser folgt den drei Evolutionsfaktoren von Mutation522, Rekombination523 und  Selektion524. Die Phase der Mutation entspricht den mehr oder minder zufälligen zwi‐

schenmenschlichen Begegnungen, die im Nachgang von den Männern der Seduction  Community dokumentiert und analysiert werden. Insbesondere das Sargen entspricht  einer künstlich evozierten Zufallssituation, in der die Männer an öffentlichen Orten auf  Frauen treffen und aus den Begegnungen und Gesprächssituationen lernen sollen. Die  dadurch generierten Erfahrungen und Ergebnisse werden in den Fundus des Verfüh‐

rungswissens mittels der Foren und Workshops eingespeist. In der Folge kommt es zur 

      

521 „Evolutionärer Algorithmus (EA) Sammelbegriff für alle Varianten von (probabilistischen) Optimierungs‐ und Verbesserungsalgo‐

rithmen, die der Darwinschen Evolution nachempfunden sind. Optimalzustände werden durch schrittweise Verbesserung auf  Basis des Variations‐Selektions‐Paradigmas approximiert. Die Variationsoperatoren produzieren dabei genetische Diversität und  die Selektion gibt der Evolution die Richtung.“ Evolutionärer Algorithmus. Verfügbar unter: https://homepages.fhv.at/hgb/ea‐

terminologie/node8.html Letzter Zugriff am 16.12.2013. 

522 „Unter Mutation versteht man Veränderungen der DNA, die einzelne Basen oder auch längere Sequenzbereiche auf den Chro‐

mosoen betreffen können. Mutationen können spontan oder nach Induktion [...] auftreten.“ Ulrich Welsch: Evolutionsbiologie. 

3. Überarbeitete und aktualisierte Auflage. Berlin 2013. S. 248.  Und „Mutation (mutation) Veränderung in der Struktur des  genetischen Materials (z.B. durch Veränderung der Abfolge der Basen oder durch Veränderung der Chromosomenstruktur oder  Chromosomenzahl) David Storch: Evolution. Ein Lese‐Lehrbuch. Heidelberg 2009, S. 454. 

523 „Unter Rekombination verstehen wir den Austausch von homologen DNA‐Sequenzen.“ Welsch, 2013, S. 258.  Und „Rekombina‐

tion (recombination) bezeichnet den Austausch bzw. die Verteilung und Neuanordnung genetischen Materials (DNA, RNA). Bei  den Eukaryoten kommt es während der Meiose zu inter‐ und intrachromosomalen Neuorganisationen (sexuelle Rekombina‐

tion).“ Storch, 2009, S. 460. 

524 „Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist die sexuelle Selektion. Schon Charles Darwin hatte erkannt, dass die Männ‐

chen vieler Arten energieaufwendige morphologische Strukturen (Geweihe, Federn beim Pfau) oder Verhaltensmerkmale (Balz,  Schaukämpfe) aufweisen, die für die Fitness oft eher nachteilig sein können. Diese Merkmale erleichtern jedoch den Weibchen,  ein Männchen zu wählen, das die besten Gene für die Nachkommen liefert und/oder sich um die Ernährung des Weibchens und  der Brut besonders gut kümmern wird. Die sexuelle Selektion ist zum Verständnis des Sexualdimorphismus, zur Erklärung des  Geschlechterverhältnis in Populationen und für die Interpretation des Verhaltens und von Sozialsystemen wichtig.“ Welsch,  2013, S. 292. Und „sexuelle Selektion (sexual selection) eine Art der natürlichen Selektion, bei der innerhalb eines (üblicherweise  des männlichen) Geschlechts um die Geschlechtsparameter konkurriert wird (intrasexuelle Konkurrenz) und das andere (übli‐

cherweise das weibliche) Geschlecht den Geschlechtspartner wählt (intersexuelle Wahl)“ Storch, 2009, S.461. 

Rekombination des Wissens. Dies geschieht, wenn sich die übrigen Mitglieder der Com‐

munity mit den Analysen und Ergebnissen auseinandersetzen, die Foreneinträgen kom‐

mentieren, in ihre Workshops einbauen, mit dem bereits angesammelten Wissen kom‐

binieren und schließlich beim nächsten Verführungsakt anwenden. Hier kommt es wie‐

derum zur Selektion. Die Ergebnisse, welche sich als regelhaft bzw. als effektive Routi‐

nen beweisen, werden von den nicht wirksamen Praktiken getrennt. Die in der Praxis als  unwirksam befundenen Verhaltensweisen werden ausgeschlossen. Übrig bleibt ein Ver‐

führungswissen, welches sich iterativ von einer Verführungspraktik zur nächsten und  von einem field report zum nächsten optimiert. Das „Potenzial der Evolution für maschi‐

nelles Lernen“525 wurde bereits von etlichen Wissenschaftlern zu Beginn des 20. Jahr‐

hunderts herausgestellt. Eben jenes maschinelle Lernen kritisiert Neil Strauss an den von  ihm als social robots titulierten PUAs. Bei ihnen ist die Akkumulation von Verführungs‐

wissen zum Selbstzweck geworden. Die Pickup Gemeinde dient ihnen nicht mehr dazu,  potenzielle Partnerinnen kennenzulernen, sondern das Wissen zur Verführung immer  weiter zu optimieren. 

Die Art und Weise, in der das Verführungswissen in der gesamten Seduction Community  akkumuliert und optimiert wird, folgt einem EA. Der Zweck dieser Anhäufung trennt je‐

doch die Community. Evolution findet statt durch die von Charles Darwin aufgestellte  Theorie der natürlichen Selektion, also durch „die Konkurrenz innerhalb von oder zwi‐

schen Spezies“526. Mysterys Konzepte basieren für ihn alle auf einem evolutiven Prinzip: 

His [Mystery’s] religion was Darwin. Love, to him, was simply an evolutionary impulse  that enabled human beings to fulfill their two primary objectives: to survive and repli‐

cate. He called that impulse pairbonding. (TG, P. 3333) 

Für Mystery geht es also um die Weitergabe des individuellen Gencodes und in letzter  Instanz um das Überleben der eigenen Gattung. Das Prinzip der natürlichen Selektion  bestimmt den Zweck der Aneignung des Verführungswissens. Für die social robots hin‐

gegen überträgt sich die Konkurrenz innerhalb von oder zwischen Spezies auf die ver‐

schiedenen Schulen der Seduction Community und es geht ihnen nicht um die Weiter‐

gabe des individuellen Gencodes, sondern um die Weitergabe des eigenen Wissens und  das Überleben der eigenen Schule innerhalb der Pickup Gemeinde. Für sie steht das  Prinzip der sexuellen Selektion im Mittelpunkt. 

      

525 David B. Fogel: Handbook of Evolutionary Computation: Toward a New Philosophy of Machine Intelligence, Oxford 1997, S. 59. 

526 Miller, 2001, S. 52. 

Natürliche Selektion bezog sich auf die Konkurrenz innerhalb von oder zwischen Spezies,  die sich auf die relative Überlebensfähigkeit auswirkt. Mit sexueller Selektion meinte er  [Darwin] die sexuelle Konkurrenz innerhalb einer Spezies mit Wirkung auf die relative  Reproduktionsrate.527 

Zwei unterschiedliche Zielausrichtungen sind zu unterscheiden. Den social robots geht  es ausschließlich darum, die homosoziale Konkurrenz innerhalb der eigenen Spezies aus‐

zuschalten. Für Mystery besteht darin nur das Mittel zum Zweck, Kinder zu zeugen und  damit das Überleben seiner Spezies zu sichern. Erstere Ausrichtung ist bemüht, neue  Studenten/Adepten zu gewinnen, das eigene Wissen zu mehren und männliche Konkur‐

renten jederzeit ausstechen zu können. Das Bedürfnis nach narzisstischer Selbstoptimie‐

rung steht im Mittelpunkt. Es handelt sich vielmehr um den exklusiven Anspruch auf  hegemoniale Männlichkeit im homosozialen Gefüge. Die zweite Wissenskonzeption zielt  darauf ab, dass Männer in letzter Konsequenz Frauen als Partnerinnen gewinnen und  sich fortpflanzen können. Die Selbstoptimierung dient im besten Fall der Familiengrün‐

dung. Die homosozialen Beziehungen zwischen den Männern sind hier auch auf Unter‐

stützung nicht nur auf Konkurrenz ausgelegt. Beide Konzeptionen entzweien schließlich  die Seduction Community. Ungeachtet der unterschiedlichen Motive eint sie der Rück‐

bezug auf Darwins sexuelle Selektion. Darwin versucht damit „die Verbreitung von nicht  überlebensförderndem Schmuck bei vielen Arten, Geschlechtsunterschiede innerhalb  einer Spezies und das rasche evolutionäre Divergieren von Arten“ 528 zu erklären. Das  Ergebnis fasst Geoffrey F. Miller wie folgt zusammen: 

Männchen konkurrieren für gewöhnlich darum, Weibchen zu besamen. Zu diesem Zweck  schüchtern sie andere Männchen mit ihren Waffen ein und locken die Weibchen mit ih‐

rem Schmuck an. Die Weibchen treffen die sexuelle Auswahl; sie ziehen stärkere und at‐

traktivere Männchen den schwächeren und unauffälligeren vor. Im Verlauf der Genera‐

tionen werden so die Waffen der Männchen imposanter und ihr Schmuck beeindrucken‐

der.529 

Inwiefern sich die Männchen also im Laufe der Evolution transformieren, ist abhängig  von der Auswahl der Weibchen. Männlich zu sein wird den Männern in The Game nicht  von ihren Vätern beigebracht. Diese sind entweder abwesend oder dienen nicht als Vor‐

bild. Die Söhne erlernen es vielmehr durch einen evolutiven Wissensprozess von Muta‐

tion, Rekombination und Selektion, der auf der sexuellen Auswahl der Frau beruht. Das 

      

527 Ebd. 

528 Ebd., S. 53. 

529 Ebd. 

Ideal des Mannes der Seduction Community, so behauptet der Text, ist letztlich das, was  Frauen wollen.