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5.2 Methoden

5.2.1 Das Experteninterview

5.2.1.2 Das Experteninterview in dieser Arbeit

Das Experteninterview sollte das Instrument sein, neben der Sicht von Lehrkräften auch die Bewertungsmaß-stäbe anderer für das Thema maßgeblicher Gruppen detailliert zu erfassen, wie etwa Angehörige von Kultus-behörden oder Geldgeber für die Lehrerfortbildungen.

Zur genaueren Definition des Begriffs „Experte“ für diese Studie diente der oben erwähnte Vorschlag von Bogner und Menz [60, S. 45 f.]: Als ausschlaggebendes Kriterium galten nicht in erster Linie Kompetenzdif-ferenzen der Personen, auch wenn diese natürlich auch wichtig waren, sondern die soziale Relevanz ihres Wissens. Somit konzentrierte sich die Studie auf Personen, die Einfluss auf Entscheidungen oder aktuelle Entwicklungen bezüglich Lehrerfortbildung und der Beurteilung ihrer Qualität haben.

Aufgrund der weiter oben genannten Lücken aus den bestehenden Untersuchungen (hoher Abstraktionsgrad oder nur standardisierte Befragungen) wurden auch Lehrkräfte in die Studie mit einbezogen. Die Auswahl er-folgte nach dem Zufallsprinzip unter Teilnehmern an Fortbildungskursen des lfbz-Chemie. Alle angesproche-nen Lehrkräfte stellten sich für das Interview zur Verfügung. Der Grund für diese Auswahl lag in der Annah-me, von eher fortbildungserfahrenen Lehrerkräften erstens realistischere und zweitens differenziertere Aussa-gen in den ausführlichen Experteninterviews erhalten zu können.

In fünfzehn Interviews wurden befragt:

• drei Fortbilder aus den Lehrerfortbildungszentren Chemie für die Gruppe der Anbieter,

• drei Personen aus Institutionen, die Chemielehrerfortbildungen des lfbz-Chemie in Frankfurt/Main finanziell unterstützen,

• vier Angehörige der hessischen Kultus- und Schulbehörden („Aufsicht“),

• drei Lehrkräfte und

• zwei Experten aus der universitären Administration (eine Person aus einem hessischen Zentrum für Lehrerbildung, eine aus der allgemeinen Qualitätsentwicklung).

Letztere zwei Personen dienten als „reine“ Kontextexperten, das heißt, sie waren nicht direkt selbst in Be-reich der Fortbildungen involviert. Die an den hessischen Universitäten eingerichteten Zentren für Lehrerbil-dung sind aber stark in die politische Diskussion der Qualitätssicherung und der Umsetzung der neuen hessi-schen Strukturen der Lehrerbildung eingebunden. Die übrigen Personen nehmen eine Art Zwihessi-schenstellung ein: Sie sind alle auf eine gewisse Weise in das Handlungsfeld integriert, aber immer nur teilweise, und man kann davon ausgehen, dass sie differenzierte Perspektiven gegenüber Fragen der Fortbildung einnehmen.

Der Interviewleitfaden und die Begleitmaterialien

Das in dieser Arbeit durchgeführte Interview war als ein systematisierendes angelegt, weil es darum ging, möglichst erschöpfende und detaillierte Darstellungen von Qualitätsmerkmalen zu kommen. Die ausführli-chen Interviews wurden daher durch einen Leitfaden14 mit folgendem Aufbau gestützt:

Die Eingangsfrage nach den ersten eigenen Erfahrungen mit dem Thema Qualität in Fortbildungen sollte auf das Thema einstimmen und die Erinnerung der Interviewten aktivieren, falls nicht durch den allgemeinen Gesprächsbeginn bereits geschehen.

Danach sollten die Befragten frei zu den Stichpunkten „gute Fortbildung“ und „schlechte Fortbildung“ asso-ziieren, unterstützt durch die Möglichkeit, diese Gedanken erst einmal ungestört aufzuschreiben. Zur Unter-stützung und Vereinheitlichung dieses Teils des Interviews wurde ein Assoziationenbild vorgeschlagen, des-sen Natur den Befragten mit Hilfe einer Vorlage zum Thema (Zentralbegriff) „Wasser“ erklärt wurde15. In dieser Weise sollten die Befragten also Assoziationen zu den Zentralbegriffen „gute Fortbildung“ und

14 Der Leitfaden findet sich auf den folgenen Seiten.

15 Die Vorlage findet sich - mit den anderen Begleotmaterialien - im Anhang.

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Was ist „Qualität“ – die Experteninterviews und die Sekundäranalyse

„schlechte Fortbildung“ bilden. Zweck der Abfrage auch der Assoziationen zu einer schlechten Fortbildung war es, die Befragten längere Zeit zum Nachdenken anregen zu können und auch negative Erinnerungen zu aktivieren, die sonst bei zu großer Konzentration auf die positiven Erfahrungen und Gedanken eventuell ver-gessen würden. Die Assoziationenbilder wurden von der Autorin nach dem Interview mitgenommen und in die Auswertung der Interviews einbezogen. Alle Befragten sollten diese Anforderungen einteilen in wün-schenswerte und notwendige, um später objektiver beurteilen zu können, was den Befragten besonders wich-tig erschien.

Weitere Fragen dienten dazu, von eher allgemein formulierten Wünschen oder Forderungen zu konkreteren Kriterien und Indikatoren zu kommen. Dabei waren diese Fragen nicht zwingend, auch nicht in ihrem Wort-laut oder ihrer Reihenfolge, sondern sollten die Interviewerin unterstützen, wenn das Gespräch noch weiter voran gebracht werden sollte. Die Interviewten konnten z. B. aufgefordert werden, ihre Punkte soweit mög-lich in Unterpunkte aufzuschlüsseln.

Da in Hessen die besondere Situation vorlag, dass gerade politisch über die Qualität in der Lehrerfortbildung und ein Akkreditierungsprozedere von Fortbildungen entschieden wurde (vgl. Kapitel Literatur), wurden hes-sische Befragte noch gebeten, ihre Meinung dazu zu äußern, wer letztendlich über die Qualität in der Lehrer-fortbildung urteilen sollte und ob es in Hessen an bestimmten Stellen dringenden Handlungsbedarf in Sachen Qualitätssicherung gäbe. (Letztere Frage knüpft damit an die Frage nach Kriterien und Indikatoren an und wurde entsprechend ausgewertet.)

Am Schluss sollten die Befragten einordnen, aus welcher Perspektive sie das Thema betrachteten, da davon auszugehen war, dass auch einige der „Nicht-Lehrkräfte“ ursprünglich aus dem Lehrerberuf stammten.

Ein Feedback zum Interview sollte das Gespräch beenden. Damit sollten noch eventuelle Interaktionseffekte bzw. unbeabsichtigte Wirkungen der Interviewerin oder auch Lücken in der Abfrage der Thematik aus Sicht der Befragten aufgespürt werden, falls aufgetreten.

Der Leitfaden wurde ergänzt durch einen standardisierten Fragebogen zu biografischen Daten, der später eine Zuordnung der anonymisierten Transkripte zur jeweiligen Zielgruppe und zu gesellschaftlichen Gruppen erlauben sollte16 und auch dazu diente, die Antworten eventuell mit dem beruflichen Werdegang in Bezie-hung setzen zu können (z. B., wenn die befragte Person im Laufe ihres Berufslebens schon mehreren der hier befragten Gruppen angehörte). Dabei spielte die jetzige Position in Bezug auf die Bewertung der Qualität in der Lehrerfortbildung eine besondere Rolle. Lehrkräfte wurden zusätzlich nach der Anzahl der in den letzten fünf Jahren besuchten Fortbildungen gefragt, um zu erfahren, ob aktuelle Erfahrungen vorlagen.

Alle Befragten erhielten zusätzlich vor dem Interview einen kurzen Informationstext zum Ziel des Interviews und zur Tonaufnahme sowie zur Archivierung der Daten.

Die hier definierten Experten sind in der Regel viel beschäftigte Menschen. Oft musste lange auf einen Ter-min für das Interview gewartet werden. Deshalb wurde bei der Prüfung des Leitfadens auf eine größere Zahl von Proben mit Personen der Zielgruppen verzichtet. Der Leitfaden wurde vorab bezüglich sprachlicher Ver-ständlichkeit, Eindeutigkeit und Dauer des Interviews an drei Personen erprobt. Der Wortlaut des Leitfadens findet sich auf der folgenden Seite.

Durch die absehbaren Terminschwierigkeiten wurde auch auf einen zweiten Termin nach dem Interview zur eventuellen Rücksprache verzichtet. Stattdessen sollten während des Interviews beständig Rückfragen statt-finden (kommunikative Validierung) und am Ende der Interviews war eine ganz offene Frage nach weiteren Gedanken der Experten zur Thematik sowie das oben bereits erwähnte Feedback eingeplant, um die Sicht-weise der Experten möglichst vollständig in die Befragung einzubeziehen. Dabei bestätigte sich später, dass der Leitfaden auch aus Sicht der Experten die Thematik abdeckte und keine Unklarheiten zurück blieben.

16 Der Fragebogen findet sich im Anhang.

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Leitfaden: Experteninterview zur Qualität in der naturwissenschaftlichen Lehrerfortbildung, 2004-2005

Wann und in welchen Zusammenhang sind Sie schon / zuerst mit dem Thema Qualität in der Lehrerfortbildung – bewusst - in Kontakt gekommen?

Erzählen Sie bitte von der Situation, Ihren Beobachtungen, Einschätzungen und Gedanken!

(Hilfsfrage: z. B. zuerst als Kunde (Lehrer in Fortbildung) mit Qualitätsfrage in Kontakt gekommen, dann als Aufsicht; oder nur als Aufsicht …? Oder als Fortbilder, als politischer Entscheider vor bestimmter

Fragestellung?

Was zeichnet für Sie eine gute Lehrerfortbildung aus?

(Interviewpartner soll Assoziationenbild / Map zur Qualität in der Lehrerfortbildung (allgemein und Chemie) erstellen; Erläuterung der Aufforderung mit Wasserbild)

Zentralbegriff: gute Fortbildung

Zu einer guten Qualität einer LFB gehört … Erläuterung des Bildes

Bitte versuchen Sie, eine Anleitung für eine schlechte Fortbildung zu geben (Anlehnung an „Anleitung zum Unglücklichsein“)

... und eine solche FB zu beschreiben

(Über „Anleitung für schlechte Fortbildung“: Erstellung einer weiteren Map, Zentrum: „schlechte Fortbildung“)

Optional zwecks weiterer Präzisierung, falls notwendig:

Von welchem Erlebnis können Sie erzählen, bei dem Sie dachten: Das war jetzt richtig gut? (2. Farbe, Interviewter soll in Map schreiben)

Können Sie die Punkte Ihrer Erläuterung (z.B. Qualitätsfelder, mglw. Wiederholen) in Unterpunkte aufteilen?

Woran würden Sie als Beobachter / Kunde Ihr Urteil über eine qualitativ hochwertige oder minderwertige Fortbildung festmachen, woran „bemerken“ Sie Qualität in der Praxis (je nach Tiefe des bisherigen bei den verschiedenen Teilen der Map ansetzen)?

Können Sie bestimmte Gründe nennen, warum Sie gerade diese Punkte nennen, zum Beispiel eigene schlechte oder gute Erfahrungen, Erfahrungen Dritter oder Wissen aus bestimmter Literatur (z. B. Studien)?

Wieder Obligatorisch:

Bitte teilen Sie Ihre Anforderungen an Qualität in Ihrer Meinung nach notwendige und wünschenswerte ein!

Nur hessische Befragte

Wer soll den Bedarf und die Qualität feststellen/bestimmen?

(d. h., welche gesellschaftliche Gruppe?

z. B., wenn gesagt wird: „Es ist wichtig, dass sich im Unterricht etwas verändert“. Wer bestimmt dann, was sich verändern soll und wie es sich verändern soll? Aufsicht als Bedarfs“bestimmer“ oder Lehrer oder Wissenschaft oder alle oder unklar…)

(Falls noch nicht beantwortet:) Sehen Sie bei bestimmten Bereichen der QS der Lehrerfortbildung dringend Handlungsbedarf (in Hessen)?

Abschlussfragen und Feedback

Bitte ganz spontan antworten: Wie würden Sie die Perspektive einordnen, aus der Sie die Frage nach Qualität betrachten und beurteilen würden? (aus Sicht der Lehrkräfte, als Fortbilder, aus Sicht Ihrer Vorgesetzten ….)

Was möchten Sie zu diesem Thema ergänzen, welche Frage(n) haben Sie vermisst?

Bitte geben Sie mir zu den Fragen/dem Gespräch ein allgemeines Feed-Back.

Was ist „Qualität“ – die Experteninterviews und die Sekundäranalyse

Durchführung

Die Interviews wurden - am Arbeitsplatz der Befragten bzw. im Fall der Lehrkräfte während einer Fortbil-dung - von der Autorin dieser Arbeit durchgeführt, womit sich eine spezielle Interviewerschulung erübrigte.

Die Autorin konnte durch ihre Mitarbeit am Fortbildungszentrum Chemie mit dem speziellen Aufgabenfeld Qualitätsmanagement die günstige Rolle der „Quasi-Expertin“ für sich reklamieren, wenn auch die tatsächli-che Wahrnehmung der Autorin durch die „Experten“ niemals wirklich eruiert werden kann.

Die Interviews dauerten zwischen 24 Minuten und knapp zwei Stunden (durch fließende Übergänge zwi-schen Begrüßungsgespräch und Interview sind z. T. keine exakten Angaben möglich). Interviewt wurden zehn männliche und fünf weibliche Personen im Alter von 34 bis 61 Jahren (in einem Fall wurde die Angabe abgelehnt, Median bei 51 Jahren). Die Interviews wurden teilweise analog, teilweise digital aufgenommen;

dabei stellten die Interviews 8 und 12 jedoch Ausnahmen dar: In ersten Fall war die Aufnahme nicht auswert-bar, im zweiten Fall wünschte der Interviewte keine Aufnahme. In diesen Fällen dienten als Grundlage der Auswertung neben den von den Interviewten schriftlich niedergelegten Gedanken auch von der Interviewerin während und kurz nach den Gesprächen erstellte Protokolle. Im Falle der nicht auswertbaren Aufnahme wur-de außerwur-dem eine zusätzliche Person wur-der betroffenen Gruppe interviewt, da das Protokoll in diesem Fall als alleinige Grundlage nicht ausführlich genug ausgefallen war. Bei einer Befragung in der Gruppe der Lehr-kräfte war ein kleiner Teil der Interviewaufnahme nicht auswertbar; da dies jedoch nur den Teil des Inter-views betraf, der die (niedergeschriebenen) Assoziationenbilder wiedergab, konnte in diesem Fall auf Wie-derholung oder Ersatz verzichtet werden.

Auswertung

Zur Auswertung der Interviews wurde auf den Modellvorschlag von Meuser und Nagel zurückgegriffen [59, S. 83f.]:

Die Transkripte müssen nicht vollständig sein (aber können es natürlich) und brauchen in der Regel keine aufwändigen Notationssysteme, da es um Wissen und nicht um Kommunikationstrukturen geht. Die Aufnah-men wurden daher wörtlich transkribiert, aber unter Übertragung in normales Schriftdeutsch, da die inhalt-lich-thematische Ebene interessierte und die Befragten als Informanten hierfür fungierten (vgl. [58, S.

70]).Nach der Transkription werden nach Meuser und Nagel im allgemeinen folgende Schritte abgearbeitet:

1. Paraphrase (zusammenfassend, ohne zu übergehen; folgt noch der Chronologie des Gesprächsab-laufs)

2. Überschriften für die paraphierten Sequenzen eines Interviews (in der Terminologie des Befragten werden Redundanzen getilgt. In der ausführlichen Version werden die entsprechenden Passagen auch zusammengestellt.)

3. Thematischer Vergleich: Überschriften aus verschiedenen Interviews werden zusammengestellt und mit gemeinsamer Überschrift versehen.

4. Soziologische Konzeptualisierung: Ablösung von den Texten und der Terminologie der Befragten, Übersetzung ins „soziologische“ (= soziologische Kategorien), um Anschluss an die Diskussionen der Disziplin zu erhalten (Nach 4. hört die Auswertung bei Kontextwissen auf.)

5. Theoretische Generalisierung (bei deutungsgenerierendem Vorgehen)

Durch das Finden von Überschriften über alle Interviews hinweg und eventuell die fachliche Konzeptualisie-rung entsteht ein Kategoriensystem.

Aus dem Interviewmaterial wurden nach diesem Schema von Meuser und Nagel induktiv Kategorien entwi-ckelt (in diesem Fall die Durchführung der Schritte 1 bis 3 bzw. teilweise 4). Inhalt der Kategorien sollten

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Was ist „Qualität“ – die Experteninterviews und die Sekundäranalyse

Qualitätsmerkmale einer Fortbildung17 sein und das Abstraktionsniveau sollte möglichst niedrig gehalten werden.

Die Zwischenergebnisse wurden mehrmals während dieses Prozesses mit einer zweiten Beurteilerin abgegli-chen, um die Geltung wichtiger Gütekriterien wie die intersubjektive Nachvollziehbarkeit und die Transpa-renz des Forschungsprozesses sicherzustellen. Teilweise ist die Einteilung mancher Inhalte (Kategorien) un-ter mehreren Bereichen möglich, oder es ergeben sich kausale Zusammenhänge. (So resultiert z. B. nach Ein-schätzung der Interviewten eine gute Atmosphäre auch aus bestimmten Aspekten der Fortbildungsgestaltung und der Kompetenz der Betreuer.) Um auch in diesen Fällen Subjektivität weitgehend zu vermeiden und die-se Zusammenhänge im Kategoriensystem zu erhalten, wurde deshalb auch die gesamte Einteilung im Einver-nehmen mit einer zweiten Person abgeklärt und es wurden entsprechende Verweise eingefügt.

Die Qualität des resultierenden Kategoriensystems wurde durch abschließende Parallelkodierung mit zwei Personen gesichert. Dabei wurde eine Übereinstimmung von 93 % erreicht. Da die Wahrscheinlichkeit für zufällige Übereinstimmungen aufgrund der sehr hohen Kategorienzahl unter 0,004 % lag, konnte auf eine genauere statistische Analyse der Bewerterübereinstimmung verzichtet werden.

Das Kategoriensystem selbst sollte in dieser Studie bereits das Ergebnis darstellen (also keine inhaltlich-theoretische oder gar deutungsgenerierende Analyse), da es die von den Befragten genannten Qualitätsberei-che, -kriterien und -indikatoren in Form der Kategorien direkt enthält.