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Die direkte Reaktion von TMP zu TDP ist im tierischen Organismus nicht möglich. Der Grund dafür ist bisher noch nicht geklärt (COOPER u. PINCUS, 1979). Der Gesamtblutspie-gel liegt zwischen 5 – 12 µg/dL. Die physiologische Bedeutung von Thiamin im Kohlenhy-drat- und Energiestoffwechsel bewirkt, dass Thiamin sehr rasch nach der gastrointestinalen Aufnahme in die Organe Herz, Niere, Leber und Gehirn verteilt wird. Der Gehalt an Thiamin im Körper beträgt etwa 25 - 30 mg, davon befinden sich etwa 40 % in der Muskulatur (EGI u.

KAWASAKI, 2003). Freies Thiamin kann durch die Diphosphokinase in allen Organen unter Verbrauch von ATP durch die Übertragung eines Diphosphatrestes zu TDP phosphoryliert werden (RINDI et al., 1981; RINDI u. LAFORENZA, 2000).

Da Vitamin B1 am Abbau der Kohlenhydrate beteiligt ist, hängt der Bedarf stark von der Koh-lenhydratzufuhr ab. Der Mindestbedarf liegt, bezogen auf den Nährwert, für Erwachsene bei ca. 0,35 mg/1000 kcal. Die WHO empfiehlt eine Aufnahme von 0,5 mg/1000 kcal, die Deut-sche Gesellschaft für Ernährung 1,3 mg pro Tag für Erwachsene. Bei Kindern ist der Bedarf geringer, bei Schwangeren und Stillenden höher (Kap. 2.7.6., Tab. 4). Die früher gebräuchli-che internationale Einheit entsprach 3 µg Thiaminhydrochlorid (EISENBRAND u.

SCHREIER, 2006).

2.5.1. Biologische Bedeutung des Vitamin B1 für Mensch und Tier

Die biologisch wirksame Form im Organismus von Thiamin ist Thiamindiphosphat (TDP, Thiaminpyrophosphat, Cocarboxylase). TDP ist, wie die meisten Vitamine des B-Komplexes, als Coenzym aktiv (Kap. 2.5.2.). Thiaminabhängige Enzyme sind vor allem am Kohlenhy-dratstoffwechsel beteiligt und stehen daher in enger Beziehung zum Energiestoffwechsel und damit zur Energiegewinnung. Schlüsselenzyme sind die mitochondriale Pyruvat-Dehydrogenase (Abb. 14, Kap. 2.5.2.1.), die die Verbindung zwischen der Glykolyse und dem Zitronensäurezyklus herstellt, die α-Ketoglutarat-Dehydrogenase (Abb. 15, Kap. 2.5.2.2.) des Zitronensäurezyklus und die zytosolische Transketolase (Abb. 16, Kap. 2.5.2.3.) im Pentosephosphatweg, der neben der Bereitstellung von Pentosen für die Nucleinsäuresynthese die wichtigste Quelle für die Produktion reduzierter Coenzyme (NADPH2) darstellt (KOOLMAN u. RÖHM, 1994). Weitere TDP-abhängige Enzyme sind am Abbau

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verzweigtkettiger Ketosäuren aus dem Aminosäurestoffwechsel durch Übertragung eines ak-tiven Aldehyds von Bedeutung. Neben der coenzymatischen Funktion erfüllen phospho-rylierte Thiaminverbindungen noch bedeutende Aufgaben im Stoffwechsel des zentralen und peripheren Nervensystems (COOPER u. PINCUS, 1979). TDP scheint dabei an der Inhibie-rung nicht-enzymatischer GlykolisieInhibie-rungsprozesse beteiligt zu sein. Die Wirkung kann durch synthetische Strukturanaloga, aber auch durch natürliche Thiamin-Antagonisten behindert werden. Dabei handelt es sich um sogenannte Thiaminasen (Kap. 2.7.1.), die das Thiamin-molekül an der Methylenbrücke spalten und unwirksam machen. Gleiches gilt für die schwef-lige Säure. Auch Chlorogensäure und andere Pflanzenphenole weisen Anti-Thiamin-Effekte auf (HAAS, 1988; KOOLMAN u. RÖHM, 1994; NELSON u. COX, 2001).

Die Vitamine des B-Komplexes werden nur in sehr geringen Mengen im Organismus gespei-chert. Ein vorübergehender Mangel kann deshalb durch Mobilisierung von Reserven kaum ausgeglichen werden. Es ist daher eine kontinuierliche Zufuhr notwendig. Dies gilt auch ohne Ausnahme für monogastrische Tiere und Kälber vor dem Einsetzen der Pansenfunktion (KIRCHGESSNER, 2004).

Die Pyruvat-Dehydrogenase (PDH) enthält mehrere enzymatische Aktivitäten (Abb. 14). Es ist ein Multienzymkomplex im Intermediärstoffwechsel, der in einer komplizierten, mehrstu-figen Reaktion die oxidative Decarboxylierung von α-Ketosäuren und die Übertragung des

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gebildeten Acyl-Restes auf Coenzym A katalysiert (KOOLMAN u. RÖHM, 1994). Die PDH benötigt dafür fünf Cofaktoren und befindet sich in der mitochondrialen Matrix. Außer Thiamindiphosphat sind noch NAD+, FAD, CoA und Liponsäureamid an den Reaktionen be-teiligt. Dabei wird Pyruvat zunächst von der thiaminhaltigen Decarboxylase-Untereinheit ge-bunden und decarboxyliert. Das Decarboxylierungsprodukt greift als Nucleophil den Disulfidschwefel der Liponamid-Gruppe an. Der Wasserstoff geht an das zweite Schwefel-atom. Dadurch wird das Thiamin-Coenzym regeneriert und es entsteht gleichzeitig das S-Acetyldihydroliponamid-Derivat. Der Acetylrest, der als Thioester energiereich gebunden ist, wird durch die Transferase auf Coenzym A übertragen. Hierdurch entsteht Acetyl-CoA als Endprodukt, welches dem Zitronensäurezyklus zugeführt werden kann (KOOLMAN u.

RÖHM, 1994; NELSON u. COX, 2001).

2.5.2.2. α-Ketoglutarat-Dehydrogenase

O-OC COO

-O O

O-OC -SCoA

CO2

NAD+ HS-CoA

NADH TDP+Mg2+

α-Ketoglutarat Succinyl-CoA Abb. 15: Reaktion der α-Ketoglutarat-Dehydrogenase

(nach NELSON u. COX, 2001)

Wie der Pyruvat-Dehydrogenase-Komplex ist auch der α -Ketoglutarat-Dehydrogenase-Komplex aus sehr vielen Untereinheiten als Multienzymkomplex aufgebaut. Er katalysiert in dem Zitronensäurezyklus die Reaktion von α-Ketoglutarat zu Succinyl-CoA. In diesem Schritt spaltet α-Ketoglutarat CO2 ab (Abb. 15) und wird gleichzeitig dehydriert, so dass das um ein C-Atom kürzere Succinyl-CoA entsteht. Der Reaktionsablauf entspricht dem der oxidativen Decarboxylierung des Pyruvats und findet ebenfalls in den Mitochondrien statt (KOOLMAN u. RÖHM, 1994; NELSON u. COX, 2001).

28 2.5.2.3.Transketolase

Dieses Enzym hat seine Funktion im Pentosephosphatweg im intermediären Stoffwechsel.

Dort ist das TDP als prosthetische Gruppe an die Transketolase gebunden und greift als Ylid*

die Carbonylgruppe der Ketose an und löst zwei C-Atome ab (Abb. 16). Dabei bleibt eine Aldose, in diesem Beispiel Erythrose-4-phosphat, zurück. Die zwei C-Atome werden dann auf eine zweite Aldose übertragen, wodurch wieder eine Ketose entsteht und die Bindung von TDP wieder für eine neue Reaktion frei wird. In dieser Reaktion ist der erste Schritt, die Abspaltung eines C2-Fragmentes und Bindung an TDP, dargestellt. Diese Reaktion ist reversibel (KOOLMAN u. RÖHM, 1994; NELSON u. COX, 2001).

OH

Abb. 16: Spaltung und Übertragung eines C2-Fragments bei der Transketolasereaktion (nach KOOLMAN u. RÖHM, 1994)

*Ylid: Das C-2-Atom des Thiazolrings ist das reaktive Zentrum, das leicht ein Proton an die benachbarte H2 N-Gruppe am Pyrimidinring abgeben kann und damit eine Ylid-Struktur ausbildet (-Cδ- Xδ+-).

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2.5.2.4. Neurophysiologische Bedeutung von Thiamin

Thiamin hat über seine Funktion als Coenzym hinaus, möglicherweise in Form von TTP spe-zifische Funktionen im Nervensystem, obwohl seine genaue Funktion noch nicht bekannt ist (BARCHI u. BRAUN, 1971; TANAKA et al., 1973; COOPER u. PINCUS, 1979; HAAS, 1988). Von Muralt hat 1947 beobachtet, dass die Stimulation von Nerven zu einer Freisetzung von Thiamin führt (BARCHI u. VIALE, 1976). Ebenso haben TANAKA und COOPER durch fluoreszenzmikroskopische Untersuchungen dargestellt, dass Thiamin in peripheren Nerven überwiegend in den Membranen und weniger im Axoplasma lokalisiert ist (BARCHI u. BRAUN, 1971).

Desweiteren zeigten TANAKA et al. (1973) durch Ligation des Nervus ischiadicus bei Ratten, dass der Thiamingehalt oberhalb der Ligatur nach nur 48 Stunden auf 200 % ansteigt.

Diese Ansammlung fand nur oberhalb der Ligatur statt. Thiamin im unlegierten Nerv zeigte ein proximodistales Konzentrationsgefälle (TANAKA et al., 1973). Verschiedene Autoren beschrieben, neben der Freisetzung von Thiamin im Nervengewebe nach elektrischer und chemischer Reizung, eine Abnahme des Grades der Phosphorylierung. So wurde nach elektri-scher Stimulation weniger TDP und TTP, aber mehr TMP und freies Thiamin im Nervenge-webe nachgewiesen (ITOKAWA u. COOPER, 1970; COOPER u. PINCUS, 1979). Diese Freisetzung scheint die Folge einer Hydrolyse von TTP und TDP zu sein. TTP ist mit dem Protein des Natrium-Kanals verbunden (ITOKAWA u. COOPER, 1970). ITOKAWA und COOPER (1970) vermuten auch, dass durch die Stimulation von Nervenimpulsen aktivierte Dephosphorylierung von Thiaminphosphaten eine Veränderung der Membrandurchlässigkeit für Natrium-Ionen zur Folge hat. Weiterhin beschreiben BARCHI und VIALE (1976) eine membranassoziierte Thiamintriphosphatase und konnten zeigen, dass deren Konzentration direkt proportional zur Magnesiumionen-Konzentration und damit von ihr unbedingt abhän-gig ist. Das Leigh-Syndrom (Kap. 2.4.) liefert Hinweise auf einen TTP-Mangel und scheint die Folge eines Defektes der TTP-Synthese zu sein (ITOKAWA u. COOPER, 1970;

MURPHY u. CRAIG, 1975; MCBURNEY et al., 1980; RIEDE et al., 2004).

30 2.6. Pharmakokinetik

Der Organismus besitzt nur ein begrenztes Speichervermögen von Thiamin, was sich in der relativ kurzen Halbwertszeit wiederspiegelt. Die Halbwertszeit von Thiamin beträgt 9 bis 18 Tage (HESEKER, 1992). Die Thiaminausscheidung ist abhängig von der Höhe der Aufnahme (HOFFMAN, 2006). Im physiologischen Bereich wird der größte Teil über den Urin ausge-schieden. Neben freiem Thiamin können im Urin geringe Mengen einer Vielzahl von Metabo-liten (z. B. Pyrimidin, Thiazol, Thiaminsäure, Methylthiazolessigsäure und Pyramin) nachge-wiesen werden (HESEKER, 1992; TERNES, 2008). Bei einer hohen Thiaminaufnahme wird vermehrt nicht resorbiertes Thiamin über die Galle abgegeben und mit den Fäzes, aber auch über die Haut (typischer Körpergeruch) ausgeschieden. Je höher die Thiaminzufuhr, desto geringer die Metabolisierung und umso stärker die Ausscheidung an unverändertem, nicht verwertbarem Thiamin (HAAS, 1988; FALBE u. REGITZ, 1992; HESEKER, 1992).

2.6.1. Hypervitaminose

Eine Hypervitaminose mit schädigender Wirkung tritt meist nur bei erhöhter Aufnahme fett-löslicher Vitamine auf, da diese im Organismus gespeichert werden und sich bis zu toxischen Konzentrationen anreichern können. Diese Störungen sind hauptsächlich bei den fettlöslichen Vitamin A und D bekannt (WIESNER u. RIBBECK, 2000).

2.6.2. Hypovitaminose

Die Hypovitaminose (Vitaminmangelkrankheit) ist eine unzureichende Versorgung des Organismus mit den betreffenden Vitaminen über einen längeren Zeitraum und mit den daraus resultierenden Stoffwechselstörungen. Die Symptome einer Hypovitaminose sind anfänglich meist unspezifisch, z. B. Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Schwindelgefühl (WIESNER u. RIBBECK, 2000).

31 2.6.3. Avitaminose (Vitaminmangel)

Eine Avitaminose ist die schwerste Form einer unzureichenden Vitaminversorgung. Sie zeigt spezifische Symptome und kann tödlich sein. Ursache ist häufig absolut einseitige Ernährung und Resorptionsstörungen. Sie ist eine Erkrankung, die auf das völlige Fehlen eines oder mehrerer Vitamine oder deren Vorstufen im Lebens- bzw. Futtermittel, auch durch Fehlernäh-rung bedingt, auf Resorptions- und StoffwechselstöFehlernäh-rungen, Antivitamine oder auf die gestörte Eigensynthese normalerweise im Organismus selbst gebildeter Vitamine zurückzuführen ist.

Meist liegt ein Mangel an mehreren Vitaminen gleichzeitig vor. Reine Avitaminosen, nur eines einzigen Vitamins, können nur experimentell erzeugt werden (WIESNER u. RIBBECK, 2000).

2.7. Thiaminmangel

Thiamin übernimmt als Coenzym eine zentrale Funktion im Kohlenhydratstoffwechsel. Dazu muss es zunächst in der Leber in TDP umgewandelt werden, um dann als Coenzym Verwen-dung zu finden (s. Kap. 2.5.2.). Bei unzureichender Bereitstellung nimmt die Aktivität der betreffenden Enzyme in den Mitochondrien ab. Als Folge reichern sich die Zwischenprodukte des Kohlenhydratabbaus Brenztraubensäure, α-Ketoglutarsäure und Laktat, die nicht weiter metabolisiert werden, im Organismus an, so dass diese Substanzen im Blut ansteigen (CROSS u. CALLAWAY, 1984; HAAS, 1988; STÖBER u. SCHOLZ, 2003). Da die Nerven- und Gliazellen einen erheblichen Verbrauch an Glukose haben, sind diese maßgeblich von der Störung des Pyruvatabbaus betroffen (KOBALL et al., 2008).

Die klinischen Auswirkungen eines Thiaminmangels können sich bei den verschiedenen Tierarten wie folgt zeigen: Krämpfe, Opisthotonus, Unsicherheiten im Gang sowie Paralysen, Leistungsschwäche, ungenügende Futteraufnahme, schlechte Futterausnutzung, Wachstums-depression, gesteigerte Errgegbarkeit, Schreckhaftigkeit, unkoordinierte Bewegungen, Ata-xien, Zucken von Flotzmaul, Lidern und Ohren, Nystagmus, Leerkauen, Blindheit und Lahmheiten. Bei Herzmuskelschäden tritt Bradykardie ein und die Herzkammern können di-latieren und im Koma zum Tod führen (FREY u. LÖSCHER, 1996; STÖBER u. SCHOLZ, 2003).

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Der Thiaminbedarf (Tab. 4 u. 5) steht in direktem Zusammenhang mit der Art der Fütterung bzw. Nahrungsaufnahme, da für den Abbau eines jeden Kohlenhydratmoleküls Thiamin benö-tigt wird. Die Ursache von Mangelzuständen liegt häufig in der Anwesenheit von Thiaminasen begründet (s. Kap. 2.7.1.), wie z. B. Bacillus thiaminolyticus, Bacillus aneurinolyticus und Clostridium sporogenes oder manche Schimmelpilzarten (Rostpilze, Ulocladium chartarum) in Gras oder Heu als Ursache (COOPER u. PINCUS, 1979; PLITT, 1995; KAMPHUES, et al. 1999; STÖBER u. SCHOLZ, 2003). Diese zerstören das aufge-nommene oder im Verdauungsapparat synthetisierte Thiamin. Thiaminasen können bei Wie-derkäuern im Pansen bei einer Pansenazidose, durch übermäßiges Angebot an leicht verdauli-chen Kohlenhydraten entstehen. Bei jungen Wiederkäuern manifestiert sich ein Mangel in Form einer Corticocerebralnekrose (CCN), die als Folge einer hochgradigen Besiedlung der Vormägen mit thiaminasereichen Mikroorganismen oder durch Thiaminasen im Futter (Adlerfarn, Schachtelhalm), zu einer Dysbakterie im Pansen und in Folge zu einer Polioenzephalomalazie (PEM) der Großhirnrinde führt (DAHME u. WEISS, 1999;

BEHRENS et al., 2001; STÖBER u. SCHOLZ, 2002).

Die Katze kann ein ähnliches Bild des Thiaminmangels nach Aufnahme von Fisch, Fischab-fällen bzw. Fischeingeweiden von Süßwasserfischen (Karpfen, Makrele) oder reichlich Fisch enthaltenes Dosenfutter, durch Thiaminasen, entwickeln. Die Katze hat einen wesentlich höheren Bedarf an Thiamin als der Hund (KRAFT et al., 2003). Thiamin ist thermolabil und wird beim Erhitzen von Dosenfutter zu 80 % zerstört und daher im Übermaß zugesetzt. Durch Kochen der Futtermittel wird das Enzym denaturiert. Daher kann es bei selbst zubereiteten Futterrationen zur Unterversorgung kommen (KAMPHUES et al., 1999).

Bei den Füchsen und Nerzen entsteht ebenfalls durch Aufnahme von Fischeingeweiden die Chastek-Paralyse. Solche Tiere weisen einen 10-fach niedrigeren Thiamingehalt in der Leber auf als gesunde Tiere ohne Thiaminmangel (SEIDLER u. TRAUTWEIN, 1971). Krampitz und Wooley konnten bereits 1940 durch den Nachweis der Spaltprodukte des Thiaminmoleküls zeigen, dass Thiamin durch einen in Karpfengewebe enthaltenen Faktor, wahrscheinlich auf Grund einer enzymatischen Reaktion zerstört wird (SEIDLER u.

TRAUTWEIN, 1971).

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Bei jungen Großkatzen in Gefangenschaft führt ein Mangel an Thiamin zur Sternguckerkrankheit, da durch ausschließliche Ernährung der Muttertiere mit Fleisch in der Milch unzureichende Mengen an Thiamin vorhanden sind (WIESNER u. RIBBECK, 2000).

Adlerfarn (Pteridium aquilinum) und Sumpfschachtelhalm (Equisetum palustre) sind thiaminasehaltig und können bei Pferden eine Avitaminose hervorrufen, da sich die Gifte durch den Silierprozess nicht abbauen (FROHNE u. PFÄNDER, 1997; MEYER u. COENEN, 2002). Ebenso wird Thiamin durch das Kokzidiostatikum Amprolium (s. Kap. 2.7.1.) inakti-viert, das eventuell durch Fehlmischungen und Verunreinigung versehentlich ins Pferdefutter gelangen kann. Bei einem Vitamin-B1-Mangel bei Pferden steigen die Gehalte an Brenztrau-bensäure und Milchsäure im Plasma ebenfalls deutlich an. Aber auch Störungen der Darmflo-ra, wie Diarrhöen durch verschimmeltes Heu, rohfaserarme Rationen, plötzliche Futterumstel-lung oder oraler Applikation von Medikamenten mit bakteriostatischer Wirkung können einen Mangelzustand zufolge haben (MEYER u. COENEN, 2002).

Beim Geflügel, insbesondere bei Puten, kann das Kokzidiostatikum Amprolium ebenfalls als Thiaminantagonist auftreten. Der auch als Panneuritis bezeichnete Vitamin-B1-Mangel bei Geflügel betrifft das gesamte Nervensystem (FREY u. LÖSCHER, 1996).

Die klassische Avitaminose durch Thiaminmangel ist in der Humanmedizin als Beriberi -Krankheit bekannt, die in drei unterschiedlichen Formen auftreten kann (feucht, trocken, infantil). Die trockene Form ist auch als Wernicke-Korsakow-Syndrom beschrieben (RIEDE et al., 2004; INDRACCOLO, et al., 2005). Ein Thiaminmangel in unseren westlichen Industriestaaten wird nur selten beobachtet, da das Angebot über die Nahrung normalerweise ausreicht. Als Hauptursache für Thiaminmangel beim Menschen ist meist primär chronischer Alkoholkonsum (chronische Alkoholkrankheit) verbunden mit einseitiger Ernährung, selten eine verminderte gastrointestinale Resorption (Hypoalimentation, Magenresektion, Magen-karzinom) für den Vitaminmangel verantwortlich (BUTTERWORTH, 2003; RIEDE et al., 2004). Dies hat zur Folge, dass in der Leber kaum Vitamin B1 aktiviert und gespeichert wird und führt unter anderem zu einer eingeschränkten Resorptionsfähigkeit von Vitamin B1 im Darm (RIEDE et al., 2004). Darunter leiden die thiaminabhängigen Enzyme wie Pyruvatdehydrogenase (Kap. 2.5.2.1.), Ketoglutaratdehydrogenase (Kap. 2.5.2.2.) sowie die

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Transketolase (Kap. 2.5.2.3.) und letztlich die Glukoseverwertung im Gehirn (COOPER u.

PINCUS, 1979).

Beim Haustier ist ein primärer Thiaminmangel dagegen selten, da pflanzliche und tierische Futtermittel ausreichend Thiamin enthalten. Thiaminmangel ist mit der Verlangsamung des Zitronensäurezyklus verbunden und kann somit als Hauptgrund für die Läsionen im Nerven-gewebe verantwortlich gemacht werden (IIZUKA et al., 1956; GOTO et al., 1986; BET-TENDORFF et al., 1996b). Bei Mangel an Thiamin erhöht sich die Konzentration an Pyruvat (s. Abb. 14) und Laktat im Blutplasma. Eine niedrige Aktivität der α -Ketoglutarat-Dehydrogenase (s. Abb. 15) infolge geringer TDP-Konzentration ist mit Laktazidose, cerebralen Energiestörungen und Zellverlust verbunden (CROSS u. CALLAWAY, 1985;

KOBALL et al., 2008).

Der Thiaminmangel bei Mensch und Tier lässt sich in zwei Symptomenbereiche einteilen, zum einen in kardiovaskuläre Schäden und zum anderen in neurologische Störungen. Je nach Schweregrad äußert sich die Symptomatik in leichten allgemeinen, unspezifischen Mangel-symptomen, wie Appetitverlust, Müdigkeit, Apathie, Konzentrationsschwäche, Reizbarkeit, Angstzustände, Verwirrtheit, Depressionen, Gewichtsverlust, Schwäche, Frühgeburt, hohe Sterblichkeit der Jungtiere und Wachstumsstörungen (BEHRENS et al., 2001; STÖBER u.

SCHOLZ, 2002).

Kardiovaskuläre Störungen zeigen sich in Form von Veränderungen im EKG, sinkender Blutdruck, Arrhythmie, Ödeme, Hypotonie, Tachykardie, Bradykardie, Zyanose, akutes Herz-Kreislaufversagen, pathologische Veränderungen am Herzen (Myokard), Blutungen in Ma-gendarmwand und Herzmuskel, Blutstauungen in der Niere, verlangsamter Puls und reduzier-te Areduzier-temfrequenz (RIEDE et al., 2004).

Neurologische Störungen zeigen sich in Form von Muskelschwäche, Muskelkrämpfe (Wa-denkrämpfe), abgeschwächte Reflexe, Anästhesie, Parästhesie, Somnolenz, Koma, Opisthotonus, Beinschwäche, Muskellähmungen, Streckkrämpfe, Muskelatonie, Hämorrha-gien im Mittelhirn, zentralbedingte Koordinationsstörungen, psychische Veränderungen wie Müdigkeit, Konzentrationsmangel, verminderte Merkfähigkeit, Reizbarkeit, Depression,

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Angstzustände und pathologischen Veränderungen im Gehirn (BRÄUNLICH u. ZINTZEN, 1976; HAAS, 1988; DAHME u. WEISS, 1999; RIEDE et al., 2004).

Anhaltspunkte für einen Thiaminmangel sind erniedrigte Thiamin-Konzentrationen weniger im Serum als in den Erythrozyten und im Vollblut, verminderte Thiamin-Ausscheidung im Urin sowie erniedrigte Transketolase-Aktivität (s. Kap. 2.7.2.) (DAVIS et al., 1982; HAAS, 1988; WIESNER u. RIBBECK, 2000; RIEDE et al., 2004; HARPER, 2006; LONDSDALE, 2006).