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2 LITERATURÜBERSICHT

2.3 Biologie des Schwarzwilds

Die jagdwirtschaftliche Altersklasseneinteilung der Wildschweine richtet sich nach dem Jagdjahr, das vom 1. April bis zum 31. März des nächsten Kalenderjahres reicht. Die Wildschweinjungen werden vom Tag der Abferkelung bis zum 31. März des nachfolgenden Jahres Frischlinge genannt. Am 1. April des folgenden Jahres rücken sie in die Altersklasse der Überläufer auf. Da die normale Frischzeit in den Monaten März/April liegt, werden die Frischlinge ungefähr mit 12 Monaten zu Überläufern. Je nach Geburtstermin kann somit ein Frischling im Alter von sieben (Augustwurf) bis 15 Monaten (Januarwurf) zum Überläufer werden (BRIEDERMANN, 1990). Zum gleichen Zeitpunkt (1. April) gehen die Überläufer in die Klasse der Altsauen über. Dazu zählen geschlechtsunabhängig alle Tiere, die älter als zwei Jahre sind. Eine genaue Altersklassifizierung kann bis zum Alter von zwei Jahren anhand des Zahnalters vorgenommen werden (STUBBE, 2001; WITTEMANN, 2004).

2.3.2 Sozialstruktur

Das Schwarzwild ist eine ausgesprochen sozial lebende Wildart, dessen typische Lebensgemeinschaft die Rotte ist (BRIEDERMANN, 1990; MEYNHARDT, 1990). Die Grundeinheit der sozialen Gliederung ist die jeweilige Bache mit ihren Frischlingen des letzten Wurfes (HENNIG, 1998). Langjährige Untersuchungen belegen, dass die Rotte einen geschlossenen Familienverband darstellt und alle Sauen einer Rotte grundsätzlich miteinander verwandt sind (BRIEDERMANN, 1990; MEYNHARDT, 1990). Überläuferkeiler werden in einem Alter zwischen 15 und 18 Monaten durch die Bachen aus diesem Familienverband ausgestoßen (MEYNHARDT, 1990). Nach der Verdrängung aus dem Rottenverband bilden männliche Überläufer sog. Überläuferkeilerrotten, die meist zwei bis vier Stück umfassen und noch einige Monate bestehen, bis sie zu Beginn der nächsten Rauschzeit endgültige Einzelgänger werden. Ausgewachsene Keiler leben einzeln und zurückgezogen und haben kein festes Einstandsgebiet, sondern wandern stattdessen umher (MEYNHARDT, 1990).

Nach MEYNHARDT (1989) schwankt die Rottengröße zwischen zwei und maximal 30 Stück Schwarzwild und ist überwiegend durch die Altersstruktur in der Rotte bzw. der gesamten Population bestimmt. Untersuchungen von BRIEDERMANN (1990) ergaben, dass die Rottenstruktur überwiegend eine Stärke von 6 bis 10 Stück aufweist.

2.3.3 Lebensraum, Reproduktion und Lebenserwartung

Nach BRIEDERMANN (1990) ist die Lebensraumwahl des Schwarzwilds vorwiegend von dem Nahrungsangebot beeinflusst. Deckung, Wasser und Ruhezonen bilden weitere Kriterien.

Es ist häufig in Wald-, Sumpf- und gut strukturierten Feldlandschaften sowie Gebieten mit Gewässern und Schilfgürteln anzutreffen; in Kulturlandschaften werden niedrige Nadelholzdickungen und im Sommer Getreideschläge und Raps als Einstand gewählt (MEYNHARDT, 1990).

Die Fortpflanzungszeit des Schwarzwildes wird als „Rauschzeit“ bezeichnet. Sie konzentriert sich vornehmlich auf die Monate November, Dezember und Januar (MEYNHARDT, 1989).

Auch nach STUBBE u. STUBBE (1977) lag die Hauptrauschzeit bei 74% der Bachen zwischen Dezember und Januar. BRIEDERMANN (1971) erwähnt längere Paarungs-zeiträume. Er konnte in seinen Untersuchungen Rauschzeiten von Oktober bis Mai feststellen, wobei in den Wintermonaten die Befruchtungsrate am höchsten war.

Die Tragzeit variiert zwischen 112 und 120 Tagen und entspricht der des Hausschweins (HECK u. RASCHKE, 1985; MEYNHARDT, 1989; STUBBE u. STUBBE, 1977). Eine ähnliche Variationsbreite wie bei der Rauschzeit konnte bei den Frischterminen festgestellt werden. BRIEDERMANN (1971), STUBBE u. STUBBE (1977) und MEYNHARDT (1989) gaben einen Zeitraum für die Frischzeit zwischen November und August an, wobei die klassische Wurfzeit auf März und April datiert ist (BRIEDERMANN, 1990).

Briedermanns Erhebungen zeigten, dass sich ca. 35% aller Frischlingsbachen, 80% der Überläuferbachen und 90% der über zweijährigen Bachen an der Reproduktion beteiligen, andere Autoren erwähnen einen Anteil von 100 % bei Alt- und Überläuferbachen und 54 % der Frischlingsbachen (STUBBE u. STUBBE, 1977). Neueste Untersuchungen weisen auf die bedeutende Rolle der Frischlingsbachen für das Populationswachstum hin (BIEBER u. RUF, 2002; GETHÖFFER, 2005).

Nach MEYNHARDT (1990) schwankt die Anzahl Frischlinge pro Bache zwischen eins und zehn, er konnte eine durchschnittliche Wurfgröße von 5,65 Frischlingen pro Bache feststellen.

Die Würfe von Frischlingsbachen sind immer kleiner als die der Altbachen.

BRIEDERMANN (1990) nennt eine ökologische Lebensdauer von acht bis zehn Jahren. Die mittlere Lebenserwartung der Population gibt er allerdings mit 18 bis 25 Monate an, was auf die sehr hohe Mortalität in den ersten zwei Lebensjahren zurückzuführen ist.

2.3.4 Aktionsraum (Home-range)

Nach Untersuchungen von STUBBE et al. (1989), BRIEDERMANN (1990) und MEYNHARDT (1990) lassen sich deutliche Zusammenhänge zwischen der Größe der Aktionsräume (home-range) und Faktoren wie Lebensraumqualität und -struktur, Futterangebot und Deckung bzw. Ruhezonen erkennen. Sie schlussfolgern daraus, dass die Streifgebiete in verschiedenen Regionen unterschiedlich groß sein können.

Weitere Aspekte sind die vorhandene Populationsstruktur des Wildschweinbestands im Hinblick auf seine Alterszusammensetzung und die Erfahrung der Leitbache, die eine wesentliche Rolle bei der Raumnutzung und der Größe der Streifgebiete spielt (POHLMEYER u. SODEIKAT, 2003).

Rotten leben in guten Habitaten in Streifgebieten von ca. 500 bis 1000 ha. Schwarzwild unternimmt in Waldgebieten mit reichhaltiger Struktur keine weiten Wanderungen und ist in solchen Habitaten äußerst standorttreu. Grund für eine vermehrte Abwanderung von Überläufern kann eine überhöhte Populationsdichte in den ursprünglichen Einstandsgebieten sein (BRIEDERMANN, 1990).

KEULING et al. (2005a, 2005b) untersuchten in Mecklenburg-Vorpommern 122 sender-markierte Wildschweine in ihrem Raumnutzungsverhalten. Die jährlichen home-ranges der Wildschwein-Rotten variierten zwischen 100 und 1400 ha.

Es wurden Befürchtungen geäußert, dass Rotten bei Drückjagden auseinander getrieben und möglicherweise zu weiten Abwanderungen veranlasst werden, was vor allem in Hinblick auf eine Verbreitung von Wildseuchen bedenklich wäre (BOITANI et al., 1994; MAILLARD u.

FOURNIER, 1995; CALENGE et al. 2002; SODEIKAT u. POHLMEYER, 2002). Das Raum-Zeit-Verhalten von Wildschweinrotten während und nach Drückjagden wurde seit 1998 in einem ca. 4000 ha großen Wald-Feld-Mischgebiet in Niedersachsen an sendermarkierten Wildschweinen verfolgt (SODEIKAT u. POHLMEYER, 2003). Bei dieser Region handelt es sich um ein ausgewiesenes Schweinepest-Gebiet, in welchem von einer hohen Populationsdichte ausgegangen wurde (POHLMEYER u. SODEIKAT, 2003). Die Untersuchungen zeigten, dass die Schwarzwildrotten unter dem Einfluss von Drückjagden die Grenzen ihrer Streifgebiete nicht überschritten und kurze Zeit nach der Jagd wieder im Zentrum ihres Haupteinstandsgebietes vorgefunden wurden (SODEIKAT u. POHLMEYER, 2002, 2003; SODEIKAT et al., 2005a). Eine wichtige Voraussetzung für die geringen

Fluchtdistanzen und gleich bleibenden home-ranges der bejagten Rotten ist allerdings, dass während der Drückjagd die Sozialstruktur mit einer führenden Bache als Leittier erhalten bleibt (SODEIKAT u. POHLMEYER, 2003). Von Leitbachen geführte Rottenverbände verlassen auch nach Bejagung im Allgemeinen ihren Aktionsraum nicht, sofern ausreichend Fluchträume vorhanden sind und andere regionale Rotten-Systeme ein „Auswandern“

erschweren (MÜLLER, 2001).

2.3.5 Bejagung der Wildschweine im Rahmen der Schweinepest

Wild lebende Tiere neigen dazu, ihren Lebensraum bis zur Belastungsgrenze aufzufüllen (BRIEDERMANN, 1990). Die wichtigste Maßnahme im Rahmen einer Bejagungsstrategie während eines Seuchengeschehens oder zur Reduktion überhöhter Schwarzwildbestände ist der verstärkte Abschuss von Frischlingen unter Schonung starker Bachen (KADEN, 1998a, 1998b; SODEIKAT et al., 2005b). Als Zielgröße sollte ein Anteil der Frischlingsklasse an der Jagdstrecke von mindestens 70%, besser noch 80% angestrebt werden (STAHL, 1996;

PETRAK, 1996, 1999; SODEIKAT u. POHLMEYER 2003). SODEIKAT et al. (2003, 2005a) geben konkrete Vorgaben für die Jagdausübung in Schweinepest-Endemiegebieten.

Sie empfehlen neben der Ansitzjagd an Kirrungen die effiziente Durchführung von revierübergreifenden Drückjagden mit Hunden (speziell Terriern). Weiterhin wird empfohlen, aus Rottenverbänden nicht-führende nachgeordnete Bachen scharf zu bejagen. Denn durch Abschuss von jungen Bachen, möglichst zwischen Mitte Oktober und Ende Dezember, kann eine Reduzierung des Schwarzwildbestandes auf Dauer herbeigeführt werden, da sie im Mittel 50% der Reproduktionsträger in einer Sauenpopulation ausmachen.

Auch andere Autoren weisen auf die Notwendigkeit von gut organisierten Bewegungsjagden hin, nicht zuletzt, da sie nur wenige Male pro Jahr während der Hauptjagdzeit durchgeführt werden und für andere Wildtier-Spezies einen geringen Störfaktor darstellen (HAPP, 2002;

KEULING et al., 2005a).

2.3.5.1 Entwicklung der Jagdstrecken in Deutschland, Europa und Rheinland-Pfalz Sowohl in Deutschland als auch in den mitteleuropäischen Nachbarländern war in den letzten Jahrzehnten ein stetiger massiver Anstieg der Streckenzahlen beim Schwarzwild zu beobachten (GENOV, 1981; SÀEZ-ROYUELA u. TELLERIA, 1986; SCHLEY et al., 1998a,

1998b; DJV, 2005; ARNOLD, 2005a, 2005b). Für Deutschland kann seit den 1980er Jahren eine Versechsfachung der Jagdstrecke festgestellt werden (Abbildung 2). Die ansteigende Entwicklung der Jagdstrecke in Rheinland-Pfalz folgt diesem Trend (MÜLLER, 2001; DJV, 2005; vergleiche Abbildung 3).

Abbildung 2: Jagdstrecke in Deutschland vom Jagdjahr 1936/37 bis 2003/2004. Dargestellt ist die Strecke des gesamten Bundesgebietes und teilweise die Streckenübersicht der Alten und Neuen Bundesländer (modifiziert nach DJV 1998, 2005)

Abbildung 3: Entwicklung der Schwarzwildstrecken in Rheinland-Pfalz und in den angrenzenden Bundesländern Hessen, Nordrhein-Westfalen und Saarland, zusätzlich auch Niedersachsen. Zeitraum 1959 bis 2004. Die Daten wurden den DJV-Handbüchern entnommen

0 A lte B undesländer Neue B undesländer Gesamtdeutschland

0

Rheinland-Pfalz Nordrhein-Westfalen Hessen Saarland Niedersachsen Die Entwicklung der Schwarzwildjahresstrecken

von Rheinland-Pfalz und angrenzenden Nachbarländern