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Bildungspolitische Bezeichnung

2 Diskussions- und Forschungsstand

2.3 Konstruktion von besonderem Bildungsbedarf

2.3.1 Bildungspolitische Bezeichnung

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Aufmerksamkeit und Unterstützung folgen können. Was die Terminologie zur Bezeichnung dieser Schülerinnen und Schüler betrifft, ist eine Vielfalt an Be-griffsverwendungen erkennbar. Im kantonalen Konzept des Volksschulamts des Kantons Zürich wird die Bezeichnung „Kinder mit besonderem Förderbedarf“

(BID Zürich 2005), in den Abschlussberichten der EDK-Ost zur Grund- und Basisstufe werden die Begriffe „besonderer Bildungsbedarf“ und „sonderpäd-2<*</3?@')%Xl)+')N'+2)4i%6');'0+'.%W6<H"%RZVQp3.%!O#O2%PPY%!O#ONc"%Z2N'/%

werden manchmal Kinder mit verstärkten sonderpädagogischen Massnahmen dazugezählt oder sind mit der Bezeichnung gerade ausschliesslich gemeint.

In der vorliegenden Studie orientiere ich mich an der Bezeichnung „besonde-rer Bildungsbedarf“, den die Schweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) im Zusammenhang mit der Vereinheitlichung der Terminologie im Sonderpädagogischen Bereich vorschlägt. „Der Begriff ‚besonderer Bildungs-bedarf‘ deckt zahlreiche Situationen ab und geht über das klassische

Verständ-nis von Behinderung hinaus“ (2007b, 7). Er umfasst diejenigen Kinder, die im Rahmen des Unterrichts gefördert werden können sowie solche, für die auf-grund ihrer Beeinträchtigung weitere verstärkte Massnahmen als erforderlich betrachtet werden (vgl. 8). Indem für Kinder unterschiedliche „Stärken“ von Massnahmen vorgesehen sind, bleibt zwar die Aufgliederung in zwei Gruppen von Kindern weiterhin bestehen. Der Klammerbegriff eignet sich jedoch, weil er dem Spektrum der in die Studie einbezogenen Schülerinnen und Schüler entspricht (vgl. Kap. 4.1.3).

g/)+%'/0'%3('=/S3?@'%a),(('%6*0%7?@TH')/00'0%,0+%7?@TH')0%=,5%a'<'0-stand der Forschung, bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung darüber, wie solche Zuschreibungen gegenüber Kindern zustande kommen. Die EDK +'S0/').%+'0%A'<)/44%kN'3*0+')'0%A/H+,0<3N'+2)4%;/'%4*H<.K%

Ein besonderer Bildungsbedarf liegt vor

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und Jugendlichen nachweislich 30-!!#*E'(M%#0%39#%+#)*in der Sozialkompetenz sowie im Lern- oder Leistungsvermögen feststellt.

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Die Beurteilung, ob dem Unterricht und dem Lehrplan Folge geleistet wer-den kann oder ob „grosse Schwierigkeiten“ bezüglich der Sozialkompetenz vorliegen, bleibt höchst interpretationsoffen. Eberwein (2009) kritisiert zu Recht, dass hinter den neuen Bezeichnungen wie „besonderer Förderbedarf“

oder „sonderpädagogischer Förderbedarf“ letztlich die herkömmlichen Orien-tierungen an einem Behinderungsverständnis erkennbar bleiben und dadurch implizit die Zuständigkeit durch eine „Sonder“-Pädagogik transportiert wird (vgl. 24f.).

Z/'%Z'S0/./*0%=/'H.%3'HN3.6')3.J0+H/?@%+2)2,4%2N\%+/'%N'.)*44'0'%7?@TH')-gruppe zu diagnostizieren und einzugrenzen, um eine zusätzliche Förderung

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existieren und sie im Unterricht erkannt und „festgestellt“ werden müssen oder ob einbedacht wird, dass es sich dabei um W,!'(0#%6,)3!"0-$#!!# vor einem 3('=/S3?@'0%/03./.,./*0'HH'0%I/0.')<),0+%@20+'H."%F0%+')%=;'/.'0%['32).%;')-den die erschwerte Nachfolge gegenüber dem Unterrichtsgeschehen und dem Lehrplan oder die Schwierigkeiten im sozialen Bereich als Produkt eines

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Studie soll eine solch sozialkonstruktivistische Perspektive auf den „besonde-ren Bildungsbedarf“ leitend sein, was in den folgenden Unterkapiteln vor dem I/0.')<),0+%+')%+/3=/(H/0J)'0%&'E'M/*03(*3/./*0'0%'0.;/?-'H.%;/)+"%

2.3.2 Zwang zur Unterscheidung und Bezeichnung

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einer Menge sprechen oder um eine Menge denken zu können, müssen sich die Objekte unterscheiden/ auswählen/ aufstellen/ zusammenstellen/ zählen/

sagen lassen“ (Castoriadis 1990, 376). Dieser Zwang zur Unterscheidung und A'='/?@0,0<%f%*+')%;/'%'3%U)'0<'H%/0%L0H'@0,0<%20%U2,H%g2.=H2;/-3%LM/*5%

seiner Kommunikationstheorie formuliert: „Wir können nicht nicht konstru-/')'0i%W#GGG\%D9c%f%')4*)+').%'/0'0%)'E'M/6'0%>5<20<\%/0+'5%6')3,?@.%;/)+\%

die Offenheit gegenüber dem Unbestimmten und nicht Gesagten aufrecht zu ')@2H.'0%W6<H"%Z'+')/?@%!O##\%#C\%!PY%m2)*.=-/%#GG!\%!O!\%=/."%/0%U)'0<'H%#GGG\%

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Jede vorgenommene Unterscheidung zwischen Kindergruppen zwingt, die damit verbundene Grenzziehung zu bearbeiten, wie dies Luhmann (1992) un-ter beobachtungstheoretischer Perspektive zum Ausdruck bringt:

Die Unterscheidung selbst ist die Markierung einer Grenze, mit der Folge, dass in der einen Form zwei Seiten entstehen mit der weiteren Folge, dass man nicht mehr von der einen Seite zur anderen gelangen kann, ohne die Grenze zu über-schreiten (ebd., 79).

So sind beispielsweise bei Vorstellungen über Kindern mit besonderem Bil-dungsbedarf diejenigen -()# einen solchen stets als Kontrastfolie präsent.

Beim Denken und Sprechen über Kinder mit einem besonderen Bildungsbe-darf können wir die andere „Seite“ nicht zum Verschwinden bringen, sie läuft q,23/% 2H3% -*0./0,/')H/?@')% k7?@2..'0i% 5/.% Wg'/33')% !OOB\% #CY% 6<H"% [,@5200%

2005, 228).20 Auch wenn sich Forschende solchen dominanten Leitdifferenzen nicht entziehen können, kann dem „methodologischen Dilemma“ (Breiden-stein/Kelle 1998, 16) insofern begegnet werden, als die Unterscheidungspro-zesse in%+')%U)2M/3%=,5%a'<'03.20+%+')%>0.')3,?@,0<%<'52?@.%;')+'0%W6<H"%

Widmer-Wolf 2008, 74). Ein wissenschaftlicher Umgang mit dieser sozialen

20 Die von Hinz im Rahmen seiner Inklusionsdiskussion geforderte Verabschiedung des Zwei- gruppenmodells, wonach Behinderte von Nicht-Behinderten stets voneinander getrennt konzi-piert werden, ist als Desiderat für eine inklusive Pädagogik nachvollziehbar und verständlich W6<H"%A*N20hI/0=%!OOG\%$DY%I/0=%!OOB\%PPc"%:,<H'/?@%/3.%d'+*?@%6*)%+'5%I/0.')<),0+%'/0')%

beobachtungstheoretischen Perspektive anzunehmen, dass der gesellschaftliche Diskurs zu In-tegration und Inklusion durch gesellschaftlich etablierte Leitdifferenzen weiterhin bestimmt sein bleibt.

Leitdifferenz bedeutet, diese nicht als 3#3#6#)# Tatsache, sondern als soziale Konstruktion zu verstehen.

F0% +')% 7*0+')(J+2<*</-% S0+'.% 3/?@% '/0'% +/44')'0=/').'% L,3'/020+')3'.-zung zum Behinderungsbegriff. Die folgende Darstellung zu Diskurspositi-onen dient dazu, das der Studie zugrunde liegende sozialkonstruktivistische Verständnis von „besonderem Bildungsbedarf“ zu klären.

2.3.3 Von einem relativen zu einem relationalen Verständnis von Behinderung

Seit den 60er-Jahren wird in der Sonderpädagogik „Behinderung“ als relativer Begriff verstanden, der in Abhängigkeit zu normativen sozialen Ansprüchen steht. Lindmeier (1993) sieht in seiner Analyse den Beginn dieser theoreti-schen disziplinären Auseinandersetzung bei Klauers „Lernbehindertenpäda-gogik“. Darin grenzte dieser zwei Behinderungskategorien voneinander ab:

Die „absolute Behinderung“ und die „Lernbehinderung“. Wird für die erste Gruppe der „absolut Behinderten“ noch vorausgesetzt, dass sie in jeder Gesell-schaft als Auffälligkeit wahrgenommen würde, ist die Gruppe der „Lernbehin-+').'0i%6*0%d'%3('=/S3?@'0%<'3'HH3?@24.H/?@'0%['/3.,0<3');2).,0<'0%2N@J0</<%

(vgl. Klauer 1966, zit. in Lindmeier 1993, 213f.). Folgt man der Darstellung Lindmeiers werden im weiteren Verlauf der Disziplinentwicklung auch Fak-toren wie das soziale Milieu oder die subjektiven Einstellungen von Bezugs-gruppen als relativierende Grössen im Hinblick auf „Behinderung“ verstanden (vgl. 215ff.). Lindmeier sieht in dieser Entwicklung eine Verschiebung der bislang medizinisch orientierten Begründung für Behinderung zu einer Deter-minierung durch soziale Norm- und Wertsysteme, die jedoch in ihrer jeweili-gen Ausprägung doch noch sehr statisch konzipiert sind (vgl. 223). „Wird von Behinderung als ‚relativem‘ Begriff gesprochen, so kann also von ihm nur in bezug [sic] auf einen bestimmten Horizont von Normativität (Normalität), in dem allein er Gültigkeit besitzt, sinnvoll gesprochen werden“ (224).

In einem relationalen Verständnis von Behinderung sieht Lindmeier eine Erweiterung der Theoriebildung, indem das Verhältnis der verschiedenen Ein-E,33<)l33'0% 0/?@.% H'+/<H/?@% 2H3% '/03'/./<'3\% 3*0+')0% 2H3% ;'?@3'H3'/./<'3% 6')-standen wird. Damit wird hervorgehoben, dass sich unterschiedliche Elemente nicht einfach einseitig determinieren, also das Eine (die gesellschaftlichen e*)5'0% ,0+% R);2).,0<'0c% N''/0E,33.% +23% L0+')'% W+/'% N'@/0+').'% U')3*0c\%

sondern in einer wechselseitigen funktionalen Beziehung zueinander stehen W6<H"% !!Bc"% Z/'3'% `')E*?@.'0@'/.% 4T@).% =,% '/0'5% +]025/3?@'0% *+')% A3#)#-+%!'(#)C* D#0!+H)5)%!* :-)* 4#(%)5#0,)3, die sich je nach Art und Weise der sozialen Interaktion unterschiedlich manifestiert (vgl. 230). Damit rückt die soziale Situation als interaktives Geschehen als zentrale Perspektive in den Vordergrund: „Die Situation zeichnet Behinderung vor. In der Situation hat

Behinderung ihr ‚Kommen‘ und ‚Gehen‘, ihren Aufgang (Anfang) und ihren Niedergang (Ende), ihre Genese“ (244).