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Beziehungsmuster zwischen Pflegebedürftigen und

5. Merkmale familialer Pflegearrangements

5.6 Beziehungsmuster zwischen Pflegebedürftigen und

wird. Je nach Beziehungsart ist dabei eine unterschiedliche Bereitschaft zur Einbeziehung von Hilfen von außen erkennbar.

5.6 Beziehungsmuster zwischen Pflegebedürftigen und pflegenden

Jansen unterscheidet folgende verschiedene Zielgruppen Angehöriger:320

• Ältere und alte pflegende Ehepartner und Lebensgefährten,

• pflegende Töchter, Schwiegertöchter und Söhne,

• Angehörige, die dementiell oder psychisch erkrankte Menschen zu Hause betreuen,

• Angehörige, die chronisch kranke Menschen (z.B. Krebs, Aids) in meist jün-gerem oder mittleren Lebensalter pflegen,

• vor allem Mütter, die Menschen mit angeborenen oder früh erworbenen Be-hinderungen versorgen.

Eine weitere typologisierende Bestandsaufnahme famililalen Pflegeverhaltens ist von Steiner-Hummel/Zellhuber321 beschrieben worden. Pflegebeziehungen oder auch Netzwerkkonstellationen, die sich in der Fähigkeit und dem Wunsch nach Abgrenzung in der Beziehung einerseits und dem Grad der normativen Verpflichtung als Ehefrau, Tochter oder Sohn andererseits unterscheiden, wer-den dort in die folgenwer-den drei Konstellationen unterschiewer-den, welche jeweils auch einen anderen Spielraum für die Einbeziehung von externen Hilfen zu lassen:

„Lebensgemeinschaften“ (meist hochbetagte Ehepartner) sind durch stabile Netzwerkbedingungen gekennzeichnet; das Verständnis, sich in „guten wie auch in schlechten Tagen“ beizustehen, führt zu einer nicht zu hinterfragenden, selbstverständlichen, sich selbst aufopfernden Pflege. Das bedeutet aber auch, dass Hilfen von außen erst dann in Anspruch genommen werden, wenn es gar nicht mehr anders geht. Hier liegt eine besondere Gefahr für „selbstschädigen-de“ Pflegearrangements, weil die Pflege möglicherweise bis über die eigene Belastungsgrenze auf eine unbestimmte Zeit privat von einer Hauptpflegeper-son getragen wird.

In den „Pflegegemeinschaften“ finden sich zumeist jüngere Angehörige (Töchter) mit eigenen Lebensaufgaben wieder. Diese „Sandwichpersonen“

versuchen, die pflegebedürftige Person in ihr Leben zu integrieren; es kann aber nicht erwartet werden, dass sie in der Pflege aufgehen. Im Vergleich mit allen pflegenden Personen (auch Partnerinnen und Partner) kann sich die Be-ziehung von Töchtern und Schwiegertöchtern zur pflegebedürftigen Person dann als besonders belastend darstellen, wenn die Pflege auf Druck von außen übernommen wurde.322

Gerade für die pflegenden Töchter stellt die Pflege einen gravierenden Eingriff in ihr Leben und eine Bedrohung für die eigenen Lebenspläne dar. Die

320 Vgl. Jansen, B. (1999): S. 602-628

321 Vgl. Steiner-Hummel, I. / Zellhuber, B. (1991): S. 20 f.

322 Vgl. Halsig, N. (1995): S. 255

tung dieser „Sandwichpersonen“ im mittleren Lebensalter hat in dieser Konstel-lation nicht nur die Pflege der eigenen Eltern zu leisten, sondern muss ggf. auch die eigenen Kinder betreuen und die Vereinbarkeit mit der Erwerbstätigkeit

„managen“.323

Der spezifischen Situation von pflegenden Töchtern widmen sich eine Reihe von Studien, in denen die Autorinnen zu dem Schluss kommen, dass vor allem Frauen der mittleren Generation, eine negative Tauschbilanz eingehen und sich überlastet fühlen.324 Auch Brechbühler weist hier auf die „Sandwich-Position”

der pflegenden Frauen hin, die sich zumeist sowohl um die pflegenden Angehö-rigen als auch weiterhin um die übAngehö-rigen Familienangelegenheiten zu kümmern haben.325

Hinzu kommen eine ungewollte Alleinverantwortung für die Pflege, fehlende Anerkennung durch die Pflegebedürftigen, konkurrierende Ansprüche an die Zuwendung anderer Familienmitglieder an die Pflegebedürftigen oder auch Konflikte und Machtkämpfe in der Pflegebeziehung. Beispielsweise führt in der Mutter-Tochter-Beziehung die Veränderung von Kompetenzen und Eigenschaf-ten der pflegebedürftigen Mutter dazu, dass die Tochter in eine mütterlich ver-sorgende Position überwechseln muss.

Diese Pflegegemeinschaften zeichnen sich durch emotional widersprüchlich gebundene Angehörige aus, die aus Pflichtgefühl, bei starkem Einfluss traditio-neller weiblicher Wertemuster und Rollenzuweisungen, einen großen Teil der Pflegearbeit übernehmen.

Mit „aktiven Grenzgängern“ wird eine weitere Personengruppe beschrieben.

Gemeint sind „engagierte Angehörige“, die auf den Unterstützungsbedarf rea-gieren, aus der Nähe oder Entfernung sich einschalten, an einer Lösung mitwir-ken, aber ihre praktische und emotionale Verfügbarkeit begrenzen. Hier können organisatorische Aufgaben in den Vordergrund treten und weniger die eigene Übernahme von Pflegeaufgaben.

Ähnliche Typologien von einer Pflegebeziehung finden sich auch in der engli-schen Forschung wieder, die von Twigg, Atkin und Perring326 durchgeführt wurde:

Engulfment bezeichnet eine Beziehung der Pflege, in der der Pflegende von der Aufgabe verschlungen wird. Dies hängt vor allem mit einem geringeren Selbstwertgefühl zusammen und kommt eher bei Frauen vor. Die

323 Vgl. Deutscher Bundestag: (2002) (c): BT-Drs.: 14/8800, S. 241

324 Vgl. Borchers, A. / Miera, St. (1993)

325 Vgl. Brechbühler, M. (1999): S. 8-11

326 Vgl. Twigg, J. / Atkin, K. / Perring, C. (1990)

quenzen für das Verhalten gegenüber Diensten sind, dass das Gefühl der to-talen eigenen Zuständigkeit in den meisten Fällen kein Teilen der Verantwor-tung erlaubt, dass die Pflegenden sich eigene Bedürfnisse nach Hilfe kaum eingestehen und sie unsicher sind, wann und ob überhaupt die Einbeziehung einer professionellen Hilfe legitim ist.

Balancing/ boundary setting bezeichnet die Fähigkeit, Grenzen ziehen zu können. In dieser Konstellation wird mehr auf Wahrung von Autonomie und eigene Interessen geachtet. Ein auf Problemlösungsverhalten gerichtetes Verhältnis erfordert aber auch die schrittweise Aneignung erforderlicher Kompetenzen bei den Angehörigen. Die eigene Identität als „pflegender An-gehöriger“ und das aktive zugehende Verhalten in der Erfahrung mit Diens-ten ist hilfreich. Mehr Männer als Frauen sind in der Lage, in dieser Weise distanziert zu agieren; sie haben weniger Schwierigkeiten, Hilfe anzunehmen und diese nicht als Ausdruck persönlichen Versagens zu werten.

Symbiosis bezeichnet ein Verhalten, bei dem die Pflegenden ihre Rolle annehmen und sich positiv zu eigen machen, sofern die Belastung der Pfle-gebeziehung nicht zu groß ist. Die Pflegenden akzeptieren Hilfe, solange ihre eigene dominierende Rolle dadurch nicht in Frage gestellt wird.

Sowohl die Typenbildung nach Steiner-Hummel als auch die aus der englischen Forschung dargestellten Typisierungen nach Twigg, Atkin und Perring sind als ein Annäherungsversuch zu verstehen, Beziehungsmuster in der häuslichen Pflege zu erklären. Dabei können die Grenzen zwischen den einzelnen Typen durchaus verschwimmen: ein „symbiotisches“ Verhalten, das sich durch die austarierte Balance von Nähe und Distanz zum Gepflegten auszeichnen kann, weist auch Gemeinsamkeiten mit der Fähigkeit des Typs auf, der in der Lage ist, Grenzen ziehen zu können (balancing/boundary setting). Denn ohne das Ziehen von Grenzen wäre eine Nähe trotz Distanz in der Situation der Pflege nicht möglich. Die sich aufopfernde (zumeist in der Typenbeschreibung weibli-che) Rolle erscheint sowohl beim Typ „Lebensgemeinschaften” als auch beim Typ „engulfment”.

Hier dürfte ein Lernprozess im Hinblick auf die Akzeptanz von Helfern außer-halb der Familie darin bestehen, dass eine professionelle Hilfe nicht die eigene Rolle in Frage stellt, sondern eine Ergänzung sein kann, um vor drohender Überforderung, die aus der Pflegesituation herrühren kann, geschützt zu wer-den. Offenbar können Hilfen von außen eher in solche Pflegebeziehungen

„eintreten”, die weniger eine abgeschlossene Welt für sich darstellen und Pflege nicht ausschließlich als eine „Privatangelegenheit” begreifen.

Diese Typologien machen deutlich, dass verschiedene Ängste auf Seiten der Pflegenden und der Gepflegten zu erkennen und labile Balancen dann zu

stabi-lisieren sind, wenn Dienste von außen in eine private Pflegebeziehung eintre-ten. Die Einstellungen und Werthaltungen des Familiensystems sind aus-schlaggebend für die Art der Organisation des häuslichen Pflegearrangements.

Dabei wirken sich traditionelle Werthaltungen in den Beziehungsmustern der Familien eher hinderlich auf die Inanspruchnahme von Pflegediensten aus, denn hier wird es für selbstverständlich erachtet, dass die i.d.R. weiblichen pflegenden Angehörigen sich aufopferungsvoll in die Pflege einbringen.

Um in das private Arrangement eine Hilfe von außen eindringen zu lassen, sind seitens des Familiensystems damit Lernprozesse erforderlich, die zu Akzeptanz und Legitimität der Einbeziehung von professioneller Hilfe führen können.