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Der „weibliche“ Fürsorgecharakter von

4. Pflege als interaktive, personenbezogene Dienstleistung

4.2 Der „weibliche“ Fürsorgecharakter von

verwenden, meint „Sorge für andere; er impliziert, dass wir Personen, Ereignis-sen, Projekten und Dingen zugewandt sind, sie in ihrer Besonderheit ernst nehmen und sie mit sorgender Zuwendung bedenken“.147 Sorge und die sor-gende Haltung werden so zu einem konstituierenden Moment in der Pflegepra-xis.

Watson148 zufolge bezeichnet caring eine Grundhaltung, einen „inneren Aus-gangspunkt“ dem anderen, der Welt, und sich selbst gegenüber. Diese Grund-haltung ist gekennzeichnet durch Liebe und Fürsorge, die sich in unterschied-lichsten Handlungen konkretisieren kann.

Damit verbunden ist auch ein Verständnis, der pflegebedürftigen Person als Individuum zu begegnen und ihre Wünsche und Sorgen zu beachten. Ein zent-rales Element von caring ist die Beziehung zwischen der Pflegekraft und der unterstützungsbedürftigen Person. „To Care for“ im Sinne von „sorgen für“

jemanden ist eine Aufgabe, die in den privaten Bereich fällt und dort Ausdruck einer liebevollen Beziehung sein kann. Die Nähe, die Liebe und Sorge im priva-ten Rahmen zueinander haben, wird im Verständnis von Care auch in das pro-fessionelle pflegerische Feld übertragen und drückt sich in dem persönlichen Engagement der Pflegenden aus. Die Herausforderung besteht darin, aus einer Haltung von Sorge und Zuwendung dem Gegenüber als Individuum gerecht zu werden.

Problematisch dabei ist, dass das Besondere des Anderen nur begriffen werden kann, wenn die Pflegeperson sich auf eine persönliche Begegnung einlässt. Für die professionelle Pflegekraft verschwimmt damit die Grenze zwischen privaten und beruflichen Sphären. Der erwartete Einsatz ist potenziell grenzenlos. Er erstreckt sich nicht nur auf alle Dimensionen der Pflegekraft während ihrer Arbeitszeit, sondern auch auf ihre Freizeit und umfasst neben dem Einsatz von Fachwissen, emotionaler Betreuung und Unterstützung bei der Sinnfindung auch die Bereitschaft, sich als Person zu öffnen und Persönliches mitzuteilen.

Die von diesem Caringansatz geforderte persönliche Beziehung zwischen un-terstützungsbedürftigen Personen und Pflegekräften hat Anlass zu kontrover-sen Diskussionen in der Professionalisierungsdebatte um Pflege gegeben. Es kann zu Überforderungen der Pflegekräfte kommen, wenn diese sorgende Zuwendung quasi als Regelleistung zur Verfügung gestellt wird. Diesem Argu-ment könnte man entgegenhalten, dass die Beziehung auf einer persönlichen Ebene auch für die Pflegekräfte eine bereichernde Erfahrung darstellt. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass Pflegende sich zwar zugewandt und sorgend verhalten können, aber die damit einhergehende potenzielle Befriedigung, die mit dem pflegerischen Kontakt verbunden sein kann, nicht automatisch eintritt.

147 Vgl. Benner, P. / Wrubel, J. (1997): S. 21

148 Vgl. Watson, J.: (1996): S. 49ff

Es kann eine ungleiche Beziehung entstehen, die dadurch geprägt sein kann, dass eine Seite sich stärker engagiert als die andere. Keine Pflegekraft kann in der Lage sein, sich allen Gepflegten gleichermaßen in liebevoller Weise zuzu-wenden.

Diese Aspekte fließen in die Professionalisierungsdiskussion der beruflichen Pflegearbeit insofern mit ein, als der pflegerischen Sorge („Caring”), der sor-genden Haltung in der professionellen Pflege eine Vorrangstellung eingeräumt werden kann.149 Wenn in diesem Diskurs jedoch die medizinisch-pflegerische Seite deshalb besonders betont wird, um aus der Reduzierung der Pflege auf Fürsorge und der mit dieser „weiblichen“ Zuordnung verbundenen Abwertung zu entkommen, besteht allerdings die Gefahr, dass die emotionalen und kom-munikativen Seiten des Pflegeprozesses nicht mehr als eigene Bestandteile, sondern als Zutat oder sogar als Schwäche (fehlende Abgrenzung) etikettiert werden.150

Diese Betrachtungen machen deutlich, dass Caring kein rein pflegetechnisches Konzept darstellt. Es ist schließlich nicht von pflegewissenschaftlicher Seite, sondern von feministischer Seite in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht worden.151 Der so genannte „Differenzansatz”152, der sich schon ab den 70er Jahren durch einige feministische Strömungen als Kritik am Gleichheitsprinzip des liberalen Feminismus formierte, hat nicht mehr die Erreichung von Gleich-heit zwischen den Geschlechtern zum Ziel, sondern spezifische positive Merk-male von Weiblichkeit herausgestellt, die zur Umorientierung bislang dominie-render männlicher Normen und Werte führen sollten. Das spezifisch Weibliche stellt demnach eine Wertigkeit dar, die sozusagen als heilendes Gegengewicht zur Arbeitsteilung in der Gesellschaft dienen kann.

Grundlage dieses Ansatzes ist, dass ein bedeutsamer (biologisch determinier-ter) Unterschied zwischen den Geschlechtern existiere. Dabei haben einige Vertreter positive weibliche Eigenschaften durch die Sozialisation bedingt und andere diese Geschlechterdifferenz als naturgegeben angesehen – das biologi-sche Geschlecht beeinflusse das soziale Verhalten. In der Konsequenz werden den Geschlechtern typische Eigenschaften und Fähigkeiten zugewiesen. Zu den besonderen Eigenschaften von Frauen gehöre demzufolge ihre fürsorgliche Haltung den Menschen und der Welt gegenüber.

Gilligan153 meint, einen empirischen Zusammenhang zwischen Fürsorge-Orientierung und weiblicher Geschlechterzugehörigkeit nachweisen zu können.

Ausgangspunkt ihrer Analyse ist jedoch nicht die vermeintlich weibliche Natur,

149 Vgl. Benner, P. / Wrubel, J. (1997)

150 Vgl. Waerness, K. (2000): S. 54-66;

151 Vgl. Crigger, N. (1997): S. 217- 221

152 Vgl. Gilligan, C. (1984)

153 Vgl. Gilligan, C. (1995): S. 83

sondern die weibliche Erfahrung und die sich daraus bildende soziale Realität.

Aus ihr leitet Gillligan eine zu unterscheidende Stimme ab, mit der Frauen ein anderes Konzept ihrer selbst und der Moral artikulieren.

Zugewandtes Verhalten wird von den Vertreterinnen dieses Ansatzes in Ver-bindung gebracht mit der Urerfahrung jedes Menschen, in früher Kindheit um-sorgt worden zu sein. Neben elterlicher Unterstützung und Begleitung, so die hier vertretene Ansicht, prädestinieren Gebärfähigkeit und Kinderaufzucht Frauen zu fürsorglichem Verhalten.

Bezüglich der Art der Arbeit argumentiert Graham,154 dass Frauen normaler-weise Personen sowohl pflegen als sich auch um sie sorgen. Insofern bedeute Pflege- und Betreuungsarbeit nicht nur praktische, sondern auch emotionale Tätigkeit. Graham geht dabei sogar so weit, dass pflegen/betreuen einen Teil der weiblichen Identität ausmache und daher mehr als nur eine weitere Art von Arbeit darstelle. Gilligan hat vermutet, dass die weibliche Persönlichkeit sich eher in Bezug zu und in Verbindung mit anderen definiert als die männliche Persönlichkeit, die sich eher durch Abgrenzung bestimme.

Innerhalb dieser Konstruktion wird die Sorge für und um andere anstatt für sich selbst zentral für das Verständnis von Weiblichkeit. Eine solche Sorge um und für Andere ist aber nicht unbedingt eine glückliche Selbstlosigkeit. Frauen beur-teilen sich auch aufgrund ihrer Fähigkeit zu pflegen und zu betreuen; die Unfä-higkeit pflegend oder betreuend zu handeln, erzeugt Schuldgefühle.

Gilligan vermutet weiterhin, dass das Bedürfnis zu pflegen und zu betreuen nicht nur fest in der weiblichen Persönlichkeit verankert sei, sondern auch durch enge persönliche Beziehungen hervorgerufen werde. Unterstellt, diese Vermu-tung wäre richtig, würde verständlich, warum das Bedürfnis zu pflegen und zu betreuen so mächtig ist und warum der Ansatz, diese Tätigkeit einfach nur als eine nicht- marktgebundene Tätigkeit zu verstehen, unangemessen ist.

Die Bereitschaft zur Pflege und Betreuung von Frauen ist aber sehr viel kom-plexer und kann nicht nur als eine Entscheidung zwischen Arbeit aus/für Liebe und Arbeit für Geld getroffen werden. Möglicherweise entscheiden sich einige Frauen für die private Welt von Heim und Familie, da sie ihnen mehr Integrität ermöglicht als eine öffentliche Sphäre, wie einige Forscher vermuten.155 Diese Sichtweise stellt die Bereitschaft von Frauen zu pflegen bzw. zu betreuen je-doch sehr positiv dar, denn es darf nicht verkannt werden, dass vielen Frauen schlicht keine andere Wahl bleibt, wenn es um die Rollenaufteilung der Partner zwischen Erwerbsarbeit und Kindererziehung geht.

154 Vgl. Graham, H. (1983)

155 Vgl. Elsthain, J.B. (1981)

An dieser positiven Sichtweise, die die weibliche Kultur als Teil des weiblichen Wertesystems zu stärken versucht, um die Gesellschaft humaner zu gestalten, haben sich sehr viele Kontroversen entzündet. Kritiker des Differenzansatzes bemängeln besonders, dass demnach Frauen prinzipiell gleich seien und diffe-rent zu allen Männern. Gemäß dieser Kritik müsse daher auch die Differenz zwischen den Frauen – oder die Differenz zwischen den Männern – berücksich-tigt werden.156 Daraus folgt schließlich, dass nicht nur die Differenz zwischen den Geschlechtern anerkannt werden müsse, sondern dass verschiedenste Formen der Differenz akzeptiert werden. Daraus kann aber auch gefolgert wer-den, dass es zwar geschlechtstypische Unterschiede gibt, die jeweils für sich betrachtet als unterschiedlich anerkannt werden können aber deshalb nicht von geringerer Bedeutung sind.

Im Rahmen dieser kritischen Auseinandersetzung sind die Spannungen und Widersprüche dieser Orientierungen und Anforderungen vor allem in der Analy-se der geschlechtlichen Arbeitsteilung thematisiert worden. Bezogen auf die Auseinandersetzung um den „weiblichen Fürsorgecharakter” von Pflege könnte dies bedeuten, dass diese Tätigkeit als gleichwertig im Vergleich zu anderen herkömmlichen Formen der Erwerbsarbeit anerkannt werden und damit dieser Tätigkeit mehr Anerkennung und Aufwertung verliehen werden könnte.

Die feministische Debatte hat schließlich auch verleugnete Voraussetzungen des „Normalarbeitsverhältnisses” zur Sprache gebracht, nämlich die privatisier-te Hausarbeit und die alltägliche Fürsorge. Sie hat öffentlich gemacht, dass uneingestandene Abhängigkeit hinter dem männlichen Modell von Autonomie und Unabhängigkeit steht und damit die Perspektive auf wechselseitige Abhän-gigkeiten im Geschlechterverhältnis geöffnet, die es demokratisch zu gestalten gilt. Die feministische Diskussion um Fürsorge sucht damit nach neuen Koope-rationen und einer wechselseitigen Wertschätzung.

In dieser Debatte geht es auch um die Frage der Anerkennung von unbezahlter Pflege- und Sorgetätigkeit, die, wenn sie die Sphäre des Privaten verlässt, in der Regel auch sehr schlecht entlohnt wird. Kritisiert wird aber auch der auf Lohnarbeit und beruflich organisierte Arbeit verengte Begriff von Pflege und Betreuung, da mit dieser Sichtweise die private Tätigkeit von Frauen ausge-klammert bleibt.

Im Folgenden wird daher auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der priva-ten Pflege- und Sorgetätigkeit und der Erwerbsarbeit im Haushalt eingegangen.

156 Vgl. Klinger, C. (1995): S. 803