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C. F ALLGRUPPENBETRACHTUNG IM H INBLICK AUF DIE E RGÄNZUNGSSICHERHEIT IM E RBRECHT

II. Drittwirkungsfall § 2287 BGB - Schutz des Vertragserben vor beeinträchtigenden Verfügungen

5. Benachteiligungsabsicht

Erst wenn eine faktische Vertragserbenbenachteiligung festgestellt werden konnte, ist zu untersuchen, ob der Erblasser die Zuwendung auch in der Absicht der Benachteili-gung der Vertragserben aus § 2287 I BGB vorgenommen hat.656 Dabei ist unter dem Begriff der Benachteiligungsabsicht nach neuer Rechtsprechung nicht Finalität im enge-ren Sinne zu verstehen, es muß also nicht die Absicht, dem Vertragserben die Vorteile der Erbeinsetzung zu entziehen, der eigentliche und leitende Beweggrund für die Schenkung sein. 657 Bei der Ermittlung der Benachteiligungsabsicht beziehungsweise Beeinträchtigungsabsicht geht es nämlich nicht um eine restlose Aufklärung der inneren Motive des Erblassers, sondern nach der Rechtsprechung wird die Grenze zwischen Mißbrauch und einer Fallgestaltung, bei der ein Vertragserbe schutzlos bleibt, mit Hilfe der Frage nach dem lebzeitigen Eigeninteresse des Erblassers an der Zuwendung gezo-gen.658 Nach Ansicht des BGH ist ein lebzeitiges Eigeninteresse in diesem Sinne dann anzunehmen, wenn nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der erbvertraglichen

656 Vgl. z. B. BGHZ 77, 264 ff., 269, wo der BGH noch gar nicht auf die Frage der Entgeltlichkeit einer solchen Zuwendung einging; BGHZ 116, 167 ff., 176, 177.

657 Musielak in Münchener Kommentar, § 2287, Rdnr. 11. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat – offensichtlich in innerem Zusammenhang mit der Änderung seiner Auffassung zur Aushöhlungs-nichtigkeit - zugunsten der deutlichen Ausweitung des Schutzes des Vertragserben seine grundle-gende Kehrtwende hinsichtlich der Voraussetzungen für die Beeinträchtigungsabsicht vollzogen:

Früher wurde angenommen, die Verkürzung der Aussicht des Vertragserben auf die Erbschaft müsse der eigentliche Vertragszweck sein, vgl. Kanzleiter in Staudinger, § 2287 Rdnr. 8. Der den Schen-kungswillen des Erblassers bestimmende Wunsch, daß der Vertragserbe den verschenkten Gegen-stand nicht erhalten möge, müsse in dem Erblasser erkennbar stärker gewirkt haben, als der Wunsch, dem Beschenkten den Gegenstand zu verschaffen, vgl. Kanzleiter in Staudinger § 2287, Rdnr. 13.

Seit der Entscheidung vom 5. 7. 1972 kommt es hinsichtlich der Beeinträchtigungsabsicht lediglich darauf an, ob die Schenkung auf eine Korrektur des Erbvertrages angelegt gewesen sei, was dann der Fall sei, wenn der Erblasser ohne lebzeitiges Eigeninteresse wesentliche Vermögenswerte ohne an-gemessene Gegenleistung anderen zuwende, BGHZ 59, 343 ff.; bestätigt durch BGHZ 66, 8 ff.;

BGHZ 77, 264 ff.; BGHZ 88, 269 ff. Diese Rechtsprechungsänderung dehnt den Anwendungsbe-reich des § 2287 BGB ganz erheblich aus. Kritisch zu dieser neuen Sichtweise der Benachteiligungs-absicht Kanzleiter in Staudinger, § 2287, Rdnr. 12 u. 13 mit weiteren Literaturnachweisen zum Mei-nungsstand.

658 Edenhofer in Palandt, § 2287, Rdnr. 6 mit Verweis auf BGHZ 82, 274 ff. und BGHZ 116, 167 ff.

Bindung als billigenswert und gerechtfertigt erscheint.659 Es komme also darauf an, ob die Gründe, die den Erblasser zu den Verfügungen bestimmt haben, ihrer Art nach so seien, daß der Vertragspartner sie anerkennen und deswegen die sich aus der Verfügung für ihn ergebenden Benachteiligungen hinnehmen müsse.660

Der BGH stellt zwar ausdrücklich klar, daß zur Annahme eines lebzeitigen Eigeninter-esses nicht zwingend vorausgesetzt wird, daß ein solches erst nach dem Eingehen einer erbvertraglichen Bindung entstanden sein muß.661 Auch ein schon zuvor, bei Abschluß des Erbvertrages, bekanntes oder erkennbares Eigeninteresses des Erblassers könne eine benachteiligende Schenkung rechtfertigen.662 Allerdings ist zu bedenken, daß der Erb-lasser, der in Kenntnis dieser Gründe gleichwohl die erbvertragliche Bindung eingeht, gleichsam zu erkennen gibt, daß diese für ihn nicht ausschlaggebend waren, so daß sich eine spätere abweichende Entscheidung regelmäßig nur bei nachteiliger Veränderung der Verhältnisse seit Abschluß des Erbvertrages rechtfertigen läßt.663

Der BGH hat den unbestimmten Rechtsbegriff des lebzeitigen Eigeninteresses im Wege einer breitgefächerten Kasuistik präzisiert. Bedeutsam ist hierbei, daß der BGH deutlich gemacht hat, daß das Eigeninteresse - anders als die Kriterien zum Entgeltlichkeitsbe-griff - nicht materiell sein müsse, sondern daß auch ein Eigeninteresse ideeller Natur geeignet sei, einen Bereicherungsanspruch des Vertragserben zu verhindern.664 Es müsse aber zumindest eine sittliche Verpflichtung des Erblassers bestehen, die sich nur aus besonderen Leistungen, Opfern oder Versorgungszusagen ergebe, die der Beschenkte

659 BGHZ 77, 264 ff., 269.

660 BGHZ 77, 264 ff., 269 mit Verweis auf BGH, WM 1979, 442 ff., 445; ebenso BGHZ 83, 44 ff.

661 BGHZ 83, 44 ff., 45; Edenhofer in Palandt, § 2287, Rdnr. 6 und Kanzleiter in Staudinger, § 2287 Rdnr. 10.

662 Wolf in Soergel, § 2287, Rdnr. 14 mit Verweis auf BGHZ 83, 44 ff. und OLG München, NJW-RR 1987, 1484 ff.

663 Wolf in Soergel, § 2287, Rdnr. 14 mit Verweis auf BGHZ 83, 44 ff., 46; vgl. auch Kanzleiter in Staudinger, § 2287, Rdnr. 10, sowie BGHZ 77, 264 ff., 268; ebenso Stürner in Jauernig, § 2287, Rdnr. 3 mit Verweis auf OLG Frankfurt, NJW-RR 91, 1157 ff., 1159.

664 Vgl. BGHZ 66, 8, sowie Kanzleiter in Staudinger, § 2287, Rdnr. 10 a; ebenso Musielak in Münche-ner Kommentar, § 2287 Rdnr. 16 und 17, welcher der Auffassung ist, bei der Bewertung dessen, was dem Vertragserben an Nachlaßminderung zumutbar sei, dürfe kein kleinlicher Standpunkt einge-nommen werden, da § 2287 BGB nur den Mißbrauch der gewährten Freiheit zur Vornahme von Rechtsgeschäften unter Lebenden verhindern solle.

für den Erblasser oder diesem nahestehende Personen erbracht habe.665 So wurde bei-spielsweise ein lebzeitiges Eigeninteresse für gegeben erachtet, sofern der Erblasser durch die Verfügung seine Altersversorgung666, Betreuung oder Pflege sicherstelle667 oder erhalte668, er einer ihm behilflichen Person Dank abstatte669 oder einer sonstigen sittlichen Pflicht nachkomme670, soweit sie in einem angemessenen Verhältnis zur wirt-schaftlichen Lage des Schenkers (Zuwendenden) stehen.671

Hervorzuheben ist, daß der BGH in Zusammenhang mit einem lebzeitigen Eigeninteres-se auch das Bedürfnis, eine jüngere Ehefrau durch Schenkungen an sich zu binden, für anerkennenswert erachtet hat und die Erwägung des Berufungsgerichts, der Erblasser habe mit der Zuwendung eine gedeihliche Grundlage für die eheliche Lebensgemein-schaft schaffen wollen, nicht beanstandet wurde.672 Damit läßt sich für die Fallgruppe (XII) sagen, daß sie im Rahmen des § 2287 BGB zwar nicht als entgeltlich anzusehen ist, aber dennoch nicht den Vertragserben benachteiligt und damit bestandssicher ist, weil der Erblasser ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse an der Zuwendung hatte.

Aus den Angaben zu Fallgruppe (XII) zeigt sich, daß sich nicht selten für den Bereich des § 2287 BGB über das Erfordernis der Benachteiligungsabsicht ein Korrektiv für die grundsätzliche Einschätzung von Ehegattenzuwendungen als unentgeltlich finden läßt.

So wird sich die anerkannte sittliche Verpflichtung häufig noch begründen lassen, wenngleich eine Entgeltlichkeit im objektiven Sinne bereits abgelehnt wurde. Wie sich dies für die jeweiligen Fallgruppen konkret auswirkt, ist im einzelnen schwer zu sagen, da sich die Rechtsprechung hier sehr stark am Einzelfall orientiert und allgemeingültige

665 Edenhofer in Palandt, § 2287, Rdnr. 6 mit Verweis auf OLG Köln, FamRZ 1992, 607 f.

666 BGH, FamRZ 1977, 539 ff., 540.

667 BGHZ 83, 44 ff., 46.

668 BGH, NJW 1992, 2630 f., 2631.

669 BGHZ 66, 8 ff., 8.

670 BGHZ 66, 8 ff., 16; BGHZ 83, 44 ff., 46.

671 Vgl. BGH, WM 1980, 1366; Musielak in Münchener Kommentar, § 2287, Rdnr. 15.

672 BGH, NJW 1992, 2630 f., 2631, vgl. zu diesen und den obigen Fallbeispielen m. w. N. Kanzleiter in Staudinger, § 2287, Rdnr. 10 a, sowie Edenhofer in Palandt, § 2287, Rdnr. 6.

Kriterien schwer auszumachen sind.673 Für die Alterssicherungsfälle (II) kann sich aber sicher eine sittliche Pflicht zur Absicherung des Ehegatten ergeben, die über die ohne-hin als entgeltlich qualifizierte angemessene Alterssicherung ohne-hinausgeht.674 Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ehe erst nach Erbvertragsabschluß eingegangen wurde.

Auch für die Fälle der Ehegattenzuwendungen aufgrund der Übernahme weitreichender Pflege des chronisch kranken oder geriatrisch betreuungsbedürftigen Ehegatten (III) läßt sich wohl, soweit sie nicht schon als entgeltlich angesehen werden675, ein lebzeitiges Eigeninteresse annehmen. Sofern es unter Zugrundelegung der Vermögensverhältnisse des Erblassers angemessen erscheint, läßt sich meines Erachtens auch eine sittliche Pflicht zur Entschuldung des Ehegatten annehmen (Fallgruppe VII).676

Für die übrigen Fallgruppen läßt sich kein Ansatzpunkt für ein lebzeitiges Eigeninteres-se im Sinne des § 2287 BGB finden, nachdem die Rechtsprechung eine enge Auslegung des Begriffes gebietet.

6. Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung der Zuwendungsfallgruppen im Hinblick auf den Schutz des Vertragserben vor unentgeltlichen Verfügungen

Als Ergebnis der Fallgruppenuntersuchung im Hinblick auf ihre Bestandssicherheit ge-genüber den Interessen eines Vertragserben ist festzuhalten, daß die Zuwendungen mehrheitlich als unentgeltlich im Sinne des § 2287 BGB zu beurteilen sind. So wurden in Ermangelung eines adäquaten Ausgleichs die Fallgruppen (IV), (V) 677, (VI), (VII) und (XIII) als unentgeltliche Zuwendungen qualifiziert.

673 So auch Musielak in Münchener Kommentar, § 2287, Rdnr. 14, der sich mit der Bildung von Fall-gruppen behilft.

674 In angemessenem Umfang ist eine Alterssicherung schon unterhaltsrechtlich geschuldet, vgl. schon oben, S. 160.

675 vgl. hierzu schon oben, S. 125.

676 So spricht Musielak in Münchener Kommentar § 2287 , Rdnr. 15 von einer sittlichen Pflicht zur Unterstützung bedürftiger naher Verwandter. Es darf wohl auch als eine moralisch-sittliche Pflicht angesehen werden, im Rahmen der ehelichen Gemeinschaft den Ehegatten nicht mit seiner Ver-schuldungsproblematik allein zu lassen, sondern ihm nach Kräften beizustehen.

677 Für Fallgruppe (IV) sind die Zuwendungen unentgeltlich, bei denen keine endgültige Zwischenbi-lanzen gezogen wurden, bei Fallgruppe (V) besteht grundsätzlich Unentgeltlichkeit, es sei denn, die Ausgleichsleistung wurde konditional mit dem Abschluß des Erbvertrages verbunden. Vgl. oben, S.

143.

Dagegen ist aufgrund der hier dargelegten Argumentationsführung für die Familien-wohnheimsfallgruppe (I), weil es sich bei den verwendeten Mitteln faktisch um ange-sparten Unterhalt handelt, von einer Entgeltlichkeit der Zuwendung auszugehen. Auch die Fallgruppe (II), (III) und (X) wurden als entgeltlich im Verhältnis zum Vertragser-ben angesehen.

Die mehrheitliche Einordnung unbenannter Zuwendungen als unentgeltliche Verfügun-gen im Sinne des § 2287 BGB wird aber dadurch entschärft, daß die Ansprüche des Vertragserben neben der Unentgeltlichkeit der Zuwendung die Beeinträchtigung einer berechtigten Erberwartung voraussetzen. Durch diese zusätzliche Anspruchsvorausset-zung werden Zuwendungen zur abschnittsweisen Verwirklichung des Zugewinns (IV), soweit sie mangels Endgültigkeit des Ausgleichs als unentgeltlich angesehen werden, dem Zugriff des Vertragserben entzogen. Aus demselben Grunde entfällt ein Aus-gleichsanspruch des Vertragserben bei Zuwendungen der Pflichtteilsverzichtsfallgruppe (VI).

Schließlich muß die Zuwendung des erbvertraglich gebundenen Ehegatten in Benachtei-ligungsabsicht erfolgt sein. Aus diesem zusätzlichen Erfordernis ergibt sich aufgrund eines lebzeitigen Eigeninteresses an der Vornahme der Zuwendung die Bestandssicher-heit der Fallgruppe (VI) und (XII). Ferner können in der Fallgruppe (III) auch über die angemessene Entlohnung für Pflegedienste hinausgehende Zuwendungen als bestands-sicher betrachtet werden.

Im Ergebnis bedeutet dies, daß im Kontext des § 2287 BGB eigentlich nur für Zuwen-dungen der Fallgruppe (V) und (VIII) Ansprüche des Vertragserben gegen den begün-stigten Ehegatten zu befürchten sind. Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit der gesetzgeberischen Konzeption der Vertragserbschaft, die eine relativ große Freiheit des Vertragserben zu dessen Lebzeiten vorsieht.

III. Drittwirkungsfall § 2325 BGB - Schutz des Pflichtteilsberechtigten vor