• Keine Ergebnisse gefunden

Amine haben sowohl in der Pflanze als auch in Mikroorganismen und im Säugetier vorrangig auf zellulärer Ebene weitreichende Funktionen, die in ihrer Komplexität noch nicht vollständig erfasst sind (Näheres s. MILLER-FLEMING et al. 2015).

In pflanzlichen Zellen werden vor allem Polyamine als Wachstums- und Botenstoffe beschrieben, die bei genetisch stressresistenten Pflanzen in höheren Gehalten vorkommen oder bei Verletzung der Kutikula anfluten (s. Kap. 2.2.1).

Dabei reagieren die Pflanzen auf Stressreize mit einem Anstieg der Aminosäure-decarboxylasen (ADC = EC 4.1.1.19 und ODC = EC 4.1.1.17) innerhalb von wenigen Stunden (GALSTON u. SAWHNEY 1990; MOHAPATRA et al. 2010), was wiederum einen entsprechenden Anstieg der Polyamine nach sich zieht. Zudem führt die

23

Bereitstellung von Polyaminen als Folge eines Stressreizes zu einer Akkumulation von Kohlenstoff und Stickstoff in den Zellen. Die Aminosäuren Arginin, Lysin, Methionin und Ornithin sinken infolgedessen, während Alanin und GABA als Stoffwechselprodukte aus dem Polyaminkatabolismus ansteigen (MOHAPATRA et al.

2010). Die Reaktionen des Polyaminstoffwechsels in Nutzpflanzen auf Schwermetalle, Hitze, Salz und osmotische Stressreize sind aktuell bei PATHAK et al. (2015) zusammengefasst. GALSTON und SAWHNEY (1990) konnten einen Anstieg der ADC auf verschiedene Stressreize im Getreide bereits nach wenigen Stunden beobachten.

In der Schotenkresse konnte die Hochregulation der RNA für ADC2 (EC 4.1.1.19) nach lokal gesetzter Verletzung innerhalb von 30 Minuten beobachtet werden. Dieser Effekt blieb für 4 Stunden erhalten und führte sekundär zu einem messbaren Anstieg der Putrescingehalte in der Zeit von 2–10 Stunden nach der Induktion. Die Gehalte von Spermin sanken hier kurzfristig ab, während Spermidin keine Veränderung zeigte (PEREZ-AMADOR et al. 2014). Eine solche Reaktion im Aminmetabolismus ist auch bei der Grasernte für die Silagegewinnung denkbar und könnte unter anderem zu den bekannten Amingehalten in Grassilagen führen (s. Tab. 2.4; KRIZSAN u. RANDBY 2007).

Polyamine werden außerdem als Signalmoleküle verstanden, die eine Freisetzung von weiteren Botenstoffen wie Stickstoffmonoxid unter biotischen oder abiotischen Stressreizen zu Folge haben (WIMALASEKERA et al. 2011). Darüber hinaus ist die Konjugation von Polyaminen durch ihre kleine, polykationische Struktur begünstigt. Auf diese Weise fungieren sie an Hydroxyzimtsäuren gekoppelt als Radikalfänger (BAGNI u. TASSONI 2001). Auch der durch Polyamine vermittelte Schutz vor Proteasen ist bei RuBisCO zur Steigerung der Photosyntheseeffizienz beschrieben (DEL DUCA et al.

1995). Zudem fungieren Polyamine als toxische Endprodukte zur Abwehr von Herbivoren und Pathogenen (Näheres s. BASSARD et al. 2010). Die hohe Reaktivität von Polyaminen führt also zu vielerlei Reaktionen im Pflanzenstoffwechsel, die bei der Silagegewinnung wiederum eine denkbare Akkumulation von Polyaminen, deren Verbindungen oder Stoffwechselprodukten verursachen können und folglich über die Silage in den Pansenstoffwechsel gelangen. Auch KŘÍŽEK (1991) nimmt für die in der Silage vorkommenden Polyamine toxisches Potential an.

Über die Toxizität und pharmakologische Auswirkung von Aminen im Säugetier sind inzwischen einige Informationen bekannt geworden. PEGG (2013) beschreiben die Wirkung von Aminen auf Versuchstiere und nennen in erster Linie das hohe zytotoxische Potential der aus dem Polyaminstoffwechsel stammendem Abbau-produkte H2O2 und Acrolein. In Studien zur akuten und chronischen Toxizität der Amine Cadaverin, Putrescin, Spermidin, Spermin und Tyramin wiesen TIL et al. (1997) unter anderem in Ratten innerhalb von Stunden eine Inhibition der Blutgerinnung und einen Blutdruckabfall (bzw. bei Tyramin einen Anstieg des Blutdrucks) nach. Hingegen entstanden als Langzeiteffekte neurologische Symptome in Form von Paralysen, Konvulsionen und Aggression sowie renale Insuffizienz. Auch vermindertes Wachstum und reduzierte Futteraufnahme sowie eine histologisch nachgewiesene Myokard-degeneration konnte in den Studien von TIL et al. (1997) beobachtet werden. Die meisten untersuchten Organe zeigten, mit Ausnahme der Lebern, ein erhöhtes relatives Gewicht. Zudem kam es zu einer Verschiebung der Kalium-, Calcium- und

24

Phosphorhomöostase, die sich teilweise in einer Reduktion von Kalium und Calcium sowie anorganischem Phosphor im Plasma zeigte.

Zur Überprüfung der Toxizität beim Wiederkäuer verabreichten FUSI et al. (2004) eine Mischung aus Cadaverin, Putrescin und Spermidin (1,4 g/Tier/Tag) in reiner Form oral und in der Vergleichsgruppe als Futterzusatz an Ziegenlämmer. Sie beobachteten vor allem bei der Gruppe der Tiere mit oraler Reindosis Veränderungen. Zum einen wurde in jener Gruppe eine um ~11 % reduzierte Körpermasse festgestellt, zum anderen konnten nach der Schlachtung erhöhte Tropfverluste im Fleisch beobachtet werden (+15 %), wobei hier eine Muskeldegeneration vermutet wurde. Der gesamte Gastro-intestinaltrakt wies entzündliche Veränderungen in Form von Epitheldesquamation, Zellschwellung und Infiltration von Entzündungszellen auf. In der Histologie wurden gesteigerte Mitoseraten in den Epithelzellen nachgewiesen. FUSI et al. (2004) schließen aus ihren Untersuchungen eine Toxizität von Polyaminen durch intestinale und nach Epithelschädigung auch ruminale Absorption bei einer täglichen Dosis von

≥ 1,4 g pro Tier.

In vorherigen ruminalen Infusions- und Fütterungsstudien bei Rindern, Schafen und Ziegen konnten verschiedene Effekte des Amin- und Polyaminzusatzes herausgestellt werden. COLE (1992) startete die ersten Versuche zu Aminen und infundierte Putrescin (6 g/kg TS) und GABA (24 g/kg TS) in den Pansen. Ein geringer Effekt auf die Futteraufnahme wurde beobachtet. Zudem ließ die geringe Wiederfindungsrate im Pansen annehmen, dass die Stoffe durch die ruminale Mikroflora abgebaut wurden.

Bei LINGAAS und TVEIT (1992) wurde in Grassilagen mit ketotischem Potential ein hoher Putrescin, Butter- und Valeriansäuregehalt nachgewiesen. Sie beschrieben, dass eine Dosis von 100 g Putrescin pro Tier und Tag im Vorversuch toleriert wurde, jedoch höhere Gehalte zu anorektischen Veränderungen führten. DAWSON und MAYNE (1996) stellten bei der direkten Infusion von Aminen in drei Konzentrationen (2,0, 4,0 u. 6,0 g/kg TS GABA, Putrescin u. Tyramin) in den Pansen keinerlei Veränderungen in der Futteraufnahme fest, konnten aber eine durch Tyramin verursachte Steigerung von i-Valeriat und einen ebenso verursachten Anstieg des pH-Wertes im Pansen feststellen.

Bei VAN OS (1997) wurde bei Fütterung einer Grassilage mit drei zugesetzten Aminen (Cadaverin und Putrescin je max. 1,9 g/kg TS sowie Tyramin max. 3,7 g/kg TS) eine Adaptation bei den eingesetzten Schafen und der ruminalen Mikroflora durch vorherige Fütterung einer Silage mit moderaten Gehalten (Cadaverin: 1,4 g/kg TS, Putrescin:

1,0 g/kg TS und Tyramin: 2,1 g/kg TS) erreicht. Die Pansenmikroben der adaptierten Schafe waren in der Lage einen höheren Gehalt von Polyaminen in Ammoniak umzusetzen und die Tiere zeigten im Vergleich mit den nicht adaptierten Tieren keinen Einbruch in der Futteraufnahme während der Versuchsphase mit Aminzusatz.

Ebenfalls in Fütterungsversuchen setzten PHUNTSOK et al. (1998) 2,95 g/kg TS Putrescin, 3,99 g/kg TS Cadaverin und 12 g/kg TS Spermin in Grassilagen ein. Es gelang zum einen aufgrund der abomasal im Vergleich zum Input um ca. –20 % reduzierten Gehalte von Cadaverin, Putrescin und Spermin der Nachweis einer mikrobiellen Umsetzung, zum anderen führte der Zusatz von Polyaminen zu einer reduzierten Passage und Verdaulichkeit der Trockensubstanz und im Umkehrschluss zu einer vermuteten sekundär reduzierten Futteraufnahme.

25

Eine ruminale Absorption von Histamin durch mittels Azidose geschädigtes Pansenepithel gelang bei ASCHENBACH und GÄBEL (2000). ELIASSEN und SJAASTAD (2000) hingegen konnten keine signifikante ruminale Absorption von radioaktiv markierten Polyaminen (Putrescin, Spermidin und Spermin) bei intaktem Epithel nachweisen. Lediglich die gezielte lokale Schädigung des Pansenepithels führte zu einem schnellen Anstieg der ODC-Aktivität (innerhalb von 5 h) und damit zu einer erhöhten Produktion der Polyamine im Pansenepithel. ELIASSEN und SJAASTAD (2000) erfassten im Verlauf der physiologischen Pansenentwicklung von heranwachsenden Ziegen ruminale Gehalte von etwa 30–700 µmol/l Putrescin, 20–300 µmol/l Spermidin und 0–180 µmol/l Spermin.

Neben einer beschriebenen Histaminresorption in Zusammenhang mit Pansen-azidosen durch eine Schädigung der Pansenwand, könnten auch andere Amine bei geschädigter Pansenwand resorbiert werden. Unter anderem wird Laminitis als Folge einer Histaminresorption angesehen (DIRKSEN 2002). Aufgrund der Hypothese der Histaminresorption induzierten IRWIN et al. (1979) eine Pansenazidose mit Glucose und L-Histidin bei Schafen. Sie beobachteten bei abfallendem ruminalen pH-Wert einen Anstieg von Tyramin (und Histamin) in der Pansenflüssigkeit. Zudem wurde weiterhin ein Anstieg von Tyramin, Tryptamin und Histamin 48 Stunden nach Beendigung der Azidose während der Regeneration des pH-Wertes festgestellt. Dies wurde unter anderem auf eine Verschiebung der Mikroflora zurückgeführt. WANG et al. (2013b) beobachteten bei über konzentratreiche Fütterung induzierter subakuter Pansenazidose einen Anstieg von Putrescin auf Gehalte von 39,4 µmol/l und Tyramin auf 148 µmol/l in der Pansenflüssigkeit bereits 4 Stunden nach Einleiten der ruminalen Azidose. Auch im Plasma konnte der Anstieg der Amine nachvollzogen werden (Putrescin von 1,40 auf 8,25 µmol/l und Tyramin von 2,44 auf 9,02 µmol/l). Diese Ergebnisse sprechen für die schnelle Reaktion des Polyaminmetabolismus im Tier und eine mögliche Resorption unter azidotischen pH-Werten im Pansen.

MAO et al. (2016) gelang es, bei einer in vitro induzierten Azidose die Amingehalte von Putrescin und Tyramin durch Zusatz von Natriumbicarbonat deutlich zu senken, wenngleich die Amingehalte generell während der Versuche anstiegen. Diese Studien verdeutlichen, dass der Metabolismus von Aminen auch wesentlich vom ruminalen pH-Wert abhängt.

Jedoch konnten in allen oben genannten Untersuchungen Amine ebenfalls in den jeweiligen Kontrollen nachgewiesen werden, sodass die Amingehalte im Pansen auch wesentlich durch den nutritiven Eintrag und die mikrobielle Synthese beeinflusst sind.

Zur Funktion der Pansenmikroben im Aminstoffwechsel ist bisher sehr wenig bekannt.

Dass die Mikroorganismen eine wichtige Brücke im Metabolismus von Aminen im Pansen bilden, wurde bereits nachgewiesen (COLE 1992; DAWSON u. MAYNE 1996;

PHUNTSOK et al. 1998; WANG et al. 2013b; GRESNER et al. 2014). Welche Aufgabe sie aber genau erfüllen, ist bisher nicht hinreichend nachvollziehbar. Cadaverin, Putrescin und Spermidin wurden als Bestandteil der bakteriellen Peptidoglycanwand in grampositiven und gramnegativen Spezies identifiziert (KAMIO et al. 1986;

TAKATSUKA u. KAMIO 2004; KOJIMA u. KAMIO 2012). Damit besteht für diese drei Polyamine eine essentielle Funktion in den Spezies Veillonella spp. und Selenomonas ruminantium. LIAO et al. (2014) entdeckten einen Agmatin-Weg zur Synthese von Putrescin in Selenomonas ruminantium. In den Bakterien Megasphaera elsdenii und

26

Anaerovibrio lipolytica wurden ebenfalls Cadaverin und Putrescin nachgewiesen (LEWIS u. EMERY 1962; KAMIO u. NAKAMURA 1987).

Darüber hinaus konnten GRESNER et al. (2014) Putrescin und Cadaverin als Abbauprodukte von verschiedenen bovinen und ovinen Pansenbakterien, sowie HAP-Spezies identifizieren. ATASOGLU et al. (1998) bestätigten, dass die ruminalen Bakterien Prevotella bryantii, Selenomonas ruminantium und Streptococcus bovis selbst in der Lage sind, Aminosäuren zu synthetisieren. Dass diese wiederum zu Polyaminen decarboxyliert werden können, zeigen die Studien von IRWIN et al.

(1979), BARKER (1981), DAI et al. (2011) sowie ROMANO et al. (2012).

Bei der Erhebung des ruminalen Metaboloms durch SALEEM et al. (2012) wurden erstmalig Polyamine und korrespondierende Aminosäuren gleichermaßen unter physiologischen Bedingungen im Pansen untersucht, was das gemeinsame Vorkommen bestätigt. Ein Hinweis auf die Empfindlichkeit von Mikroorganismen gegenüber Polyaminen ist bei TABOR und TABOR (1985) zu finden. Danach ist ein Gehalt von > 500 µg/ml Spermin bakterizid für Escherichia coli, dabei erhöhte sich in den Studien die Toxizität von Spermin mit steigendem pH-Wert und ein synergistischer Effekt bei Zusatz von Spermidin wurde auch beobachtet.

Beim Abbau von Polyaminen entsteht unter anderem GABA. DHAKAL et al. (2012) untersuchten die Produktion von GABA durch verschiedene Mikroorganismen.

RACKWITZ und GÄBEL (2016) zeigten kürzlich die Resorption von GABA durch überwiegend passive Diffusion im Pansenepithel auf. THEERMANN konnte (2011) einen nahezu vollständigen Abbau von 10 bzw. 20 g/l GABA im RUSITEC in 48 Stunden belegen. Hier bleibt zu klären, inwiefern GABA im Pansen akkumuliert und durch Resorption im Tier aufgenommen werden kann.

Erste Studien zum Einsatz von GABA als Futtermittelzusatz bei Rindern bestätigen, dass vorrangig kein toxisches Potential vorliegt, sondern vielmehr eine gesundheits- und leistungsfördernde Wirkung auch bei höheren Dosen von bis zu 7,6 g GABA pro Tier und Tag (MATSUMOTO et al. 2009; KU et al. 2013; WANG et al. 2013c; WANG et al. 2013d) postuliert werden kann.

Neben der Bildung von toxischen Abbauprodukten kann auch die Verbindung von Aminen mit phenolischen Substanzen oder Proteinen möglicherweise einen Risikofaktor für die Tiergesundheit darstellen. So wies ÖZMEN (2014) neben der Bildung von Tyramin aus L-Tyrosin auch eine Verbindung dieser Aminosäure zum Polyphenolstoffwechsel nach. Das Amin Tyramin wird außerdem mit der Bildung von toxischen Alkaloiden in Verbindung gebracht (ALDEN et al. 2014). Beide letztgenannten Aspekte machen die Reaktivität und damit auch das unter Umständen hohe toxische Potential von Aminen deutlich. BODE et al. (2010) sowie VAN ELST et al. (2013) konnten Pavettamin als toxische Polyaminverbindung aus Rubiaceae nachweisen. Der Stoff wird für ein Vergiftungsgeschehen in Wiederkäuern in Südafrika verantwortlich gemacht. OBER und KALTENEGGER (2009) beschreiben das Enzym Homospermidin-Synthase in verschiedenen Pflanzen.

Homospermidin wird weiter zu toxischen Pyrrolizidinalkaloiden umgesetzt. Außerdem kann aus dem Polyaminabbau Wasserstoffperoxid entstehen (CONA et al. 2006;

JIMÉNEZ-BREMONT et al. 2014; MATTOO et al. 2015). Im Wiederkäuer wurde eine toxische Wirkung von Wasserstoffperoxid bei WILLARD und KODRAS (1967) in Studien zur Vermeidung von Pansentympanie nachgewiesen. Es bleibt also weiterhin

27

fraglich, welchen Einfluss mögliche Aminverbindungen und Stoffwechselprodukte von Aminen auf die Toxizität im Organismus haben.