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1.1 Bevölkerung und demografischer Wandel

1.1.4 Auswirkungen

Kurzfristig haben die aufgezeigten demografischen Entwicklungen teilweise positive Auswirkungen (z.B. längere Lebenszeit, demografisch entlastete Arbeitsmärkte, verbesserte Lehrstellensituation aus Bewerberinnen- und Bewerbersicht).

Langfristig überwiegen negative Effekte bzw. Risiken (z.B. sinkendes Arbeitsangebot mit Auswirkun-gen auf das Wachstumspotenzial, Alterung der Erwerbsbevölkerung mit Risiken für Innovationspro-zesse, teilweise kostenintensiver Anpassungsbedarf der Infrastrukturen der Daseinsvorsorge, Verrin-gerung der Einnahmen der öffentlichen Haushalte...).

Nach der Prognose von Eurostat (EUROPOP 2008) wird die Erwerbsfähigenquote in allen ostdeut-schen Regionen (außer Leipzig) im Jahr 2030 zwiostdeut-schen 15 und 20 Prozentpunkte niedriger liegen als noch im Jahr 2008. Damit liegen diese Regionen sowohl bezüglich des Niveaus als auch mit Blick auf die Dynamik an der Spitze der vom demografischen Wandel besonders betroffenen Regionen Euro-pas. Der demografische Wandel ist hier als eindeutige Ursache zukünftiger regionaler Divergenz an-zusehen.2

Im Hinblick auf die Auswirkungen der demografischen Schrumpfung auf das Wirtschaftswachstum zeigt eine aktuelle Projektion des IWH für den Zeitraum 2010 bis 2025, dass ein weiteres Aufschlie-ßen bei Produktivität und Kapitalintensität an den nationalen Durchschnitt die ungünstigere demogra-fische Entwicklung in den ostdeutschen Ländern wohl nicht kompensieren kann. Das BIP je Einwoh-ner wird deshalb, so die Vorhersage, in den ostdeutschen Ländern schwächer wachsen als in den westdeutschen. Im Ergebnis wird für Sachsen-Anhalt im Projektionszeitraum nur noch ein marginales Wachstum des BIP in realer (um Inflationseffekte bereinigter) Rechnung von durchschnittlich 0,2%

p.a. erwartet.

2 ZEW: Studie zum Thema Demografie und zukünftige EU-Strukturfondsförderung. Endbericht an das Bun-desministerium des Inneren. Mannheim, 24. Januar 2012.

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Tab. 6 Projektion gesamtwirtschaftlicher Kennzahlen für die deutschen Länder für den Zeitraum 2010 bis 2025 - jahresdurchschnittliche Veränderung in % -

Quelle: IWH: Wirtschaft im Wandel 4/2012, S. 139

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Der "innerdeutsche" Konvergenzprozess würde sich demnach nicht weiter fortsetzen, eher würde sich der Abstand zwischen Ost- und Westdeutschland wieder vergrößern. Dies ist eine Herausforderung sowohl für die Formulierung politischer Ziele als auch für die praktische Wirtschaftspolitik.3

Die Entwicklung von Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit werden ebenfalls stark von demografischen Trends beeinflusst. Szenario-Rechnungen zeigen, dass die Arbeitslosenquote im Land bis zum Jahr 2020 auf unter 5 Prozent zurückgehen kann, wenn erstens die Zahl der Arbeitsplätze weniger schnell abnimmt als die Zahl der Einwohner im erwerbsfähigen Alter und wenn zweitens der Arbeitskräftebe-darf sowohl durch Stellenbesetzungen mit Arbeitslosen als auch durch Aktivierung von Nichterwerbs-personen (=Steigerung der Erwerbsquote) gedeckt werden kann. Allerdings wird sich ein solches Szenario nicht im Selbstlauf realisieren, sondern braucht es dazu wirtschafts- und arbeitsmarktpoli-tisch flankierende Maßnahmen.4

Das Bildungssystem wird in einzelnen Segmenten unterschiedlich von den demografischen Verän-derungen betroffen sein. Starke Einbrüche der Schülerzahlen stehen aktuell im Bereich der Berufs-schulen an. Der Hochschulsektor wird weniger stark von den Trends der kleinräumigen Bevölke-rungsentwicklung beeinflusst. Gleichwohl ist auch hier die Zahl der Schulabgängerinnen und Schulab-gänger im engeren Einzugsbereich eine wichtige Determinante. Die für ein Hochschulstudium relevan-te Alrelevan-tersgruppe wird sich in Sachsen-Anhalt im Zeitraum 2008-2019 prognosegemäß etwa halbieren.

Auch dies wird strukturelle Anpassungen erforderlich machen.5

Im gesamten Bereich der öffentlichen und sozialen Infrastruktur wird zukünftig das Thema Barrieref-reiheit weiter an Bedeutung gewinnen. Mit Blick auf die alternde und schrumpfende Gesellschaft in Sachsen-Anhalt ist bei einschlägigen Investitionen sicherzustellen, dass die Einrichtungen für alle Menschen auf Dauer nutzbar sind. Bei der Ertüchtigung der notwendigen Infrastruktur ist die Herstel-lung ihrer universellen Nutzbarkeit zu gewährleisten. Universelles Design aller Angebote von allge-meinem Interesse ist das "Gebot der Stunde". Nur so können Sondersysteme, die bei schrumpfender Bevölkerung nicht mehr finanzierbar und auch nicht sinnvoll sind, überwunden werden. Investitionen in die Barrierefreiheit im weitesten Sinne, d.h. die Herstellung der universellen Nutzbarkeit, sollte im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes die energetische Sanierung ergänzen und möglichst in entsprechende Maßnahmen integriert werden.

Impulse könnten hierfür gesetzt werden, indem Investoren und Planern einschlägiges Wissen gebün-delt zur Verfügung gestellt wird. Neben dem Thema "Barrierefreiheit" sollte der Informationstransfer auch im Hinblick auf die Nutzungsmöglichkeiten assistiver Technik verstärkt werden - also der Imple-mentierung technischer Vorkehrungen, die es Menschen mit Hilfebedarf ermöglichen, selbstbestimmt in ihrer vertrauten Umgebung verbleiben zu können. In diesem Bereich könnten erhebliche Innovati-onspotenziale erschlossen werden. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen könnte Sachsen-Anhalt hier eine besondere Kompetenz entwickeln und wirtschaftlich verwerten.

3 IWH: Wachstumsprojektion 2025 für die deutschen Länder: Produktion je Einwohner divergiert. In: Wirt-schaft im Wandel, Jg. 18 (4), 2012, S. 132-140.

4 Kropp, P.: Szenarien zum Einfluss der demografischen Entwicklung auf die Arbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt. Regionaler Demografie-Rechner. Reihe IAB-Regional 2/2012. Nürnberg 2012.

5 Bartl, W.: Die Relevanz des demografischen Wandels für regionale Bildungssysteme: Das Beispiel Sach-sen-Anhalt. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Soziologie, 2011.

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Die Daten zur bisherigen Bevölkerungsentwicklung in Sachsen-Anhalt und die vorliegenden Progno-sen führen zu dem Schluss, dass SachProgno-sen-Anhalt als Region mit schweren und dauerhaften demo-grafischen Nachteilen im Sinne von Art. 174 AEUV anzusehen ist. Vor allem der anhaltende und kräftige Rückgang der Erwerbsbevölkerung beeinträchtigt das wirtschaftliche Entwicklungspotenzial des Landes nachhaltig negativ. Dies stellt das Land vor vielfältige Herausforderungen. Erforderlich sind soziale Innovationen in einem breiten Spektrum von Handlungsfeldern.

Hier kann das Land im EU-Maßstab eine Vorreiterrolle einnehmen. Praktisch heißt das, aus dem

"Problemvorsprung" einen Vorsprung an Lösungskompetenz zu machen, also praktische Lösungsan-sätze zu entwickeln und umzusetzen, die auch für andere Regionen in Europa relevant sind.

Um die Herausforderungen des demografischen Wandels zu erkennen und Anpassungsprozesse aktiv zu gestalten, sind in den letzten Jahren in Sachsen-Anhalt viele Initiativen gestartet und Hand-lungsansätze entwickelt worden. Die Landesregierung hat ein Handlungskonzept "Nachhaltige Be-völkerungspolitik"6 aufgestellt, das regelmäßig fortgeschrieben wird. Die im September 2011 gegrün-dete "Demografie-Allianz"7 und eine Expertenplattform Demografischer Wandel8 sollen die Vernetzung von Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Forschung und zivilgesellschaftlichen Strukturen sicherstellen.

Auch die länderübergreifende Kooperation im mitteldeutschen Raum zielt auf die Bewältigung des demografischen Wandels.9

In der Förderpolitik des Landes wurden mit dem "Demografie-TÜV"10 ebenfalls Handlungsansätze entwickelt, um bei Entscheidungen über strukturpolitisch bedeutsame Vorhaben die demografische Perspektive angemessen zu berücksichtigen. Darüber hinaus werden modellhafte Lösungsansätze insbesondere auch auf kommunaler Ebene gezielt unterstützt.11

Die Neugliederung der Gemeindestruktur bietet Chance und Notwendigkeit gleichermaßen, den Hand-lungsbedarf zur Bewältigung demografischer Herausforderungen auf kommunaler Ebene zu konkreti-sieren und Konzepte der kommunalen Entwicklung auf diese Herausforderungen auszurichten.

Sachsen-Anhalt ist im Vergleich der Bundesländer am stärksten vom Bevölkerungsrückgang betrof-fen. Die Auswirkungen werden fast alle gesellschaftlichen Bereiche - nicht nur das Wohnen/Bauen - treffen. Deshalb ist es wichtig, dass schnellstmöglich konzeptionell die Chancen und Risiken erkannt werden und mit gezielten Vorhaben Sachsen-Anhalt weiter zukunftsfähig gemacht wird. Hierzu zählen z.B. die Erstellung von Zukunftskonzepten für die einzelnen Städte und Gemeinden, die Entwicklung und Erprobung alternativer Versorgungssysteme im ländlichen Bereich, Mobilitätsfragen u.a.

6 http://www.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Elementbibliothek/Bibliothek_Demografieportal/

Dokumente/4.2.2011_HK_Endfassung.pdf

7 http://www.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Elementbibliothek/Bibliothek_Politik_und_Verwaltung/

Bibliothek_MBV/News/PDFs/Broschuere_Demografie_72ppi_Internet.pdf

8 http://www.wzw-lsa.de/demografie.html

9 vgl. Eckpunktepapier zur Zusammenarbeit der mitteldeutschen Länder: Gemeinsam den demografischen Wandel gestalten. Erfurt, 21. Februar 2011.

10 http://www.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Elementbibliothek/Bibliothek_Politik_und_Verwaltung/

Bibliothek_MBV/News/PDFs/Projekt_Demografie-T%C3%9CV.pdf

11 Programm des Ministeriums für Landesentwicklung und Verkehr zur „Förderung von Maßnahmen für die Gestaltung des demografischen Wandels und zur Förderung der Regionalentwicklung“.

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