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2 LITERATURÜBERSICHT

2.4 D IE PASSIVE , MEDIKAMENTELLE S TRESSINDUKTION BEI M ENSCH UND P FERD

2.4.3 Atropin

Atropin ist ein in zahlreichen Nachtschattengewächsen (z.B. Atropa belladonna) vorkommendes Alkaloid (DERENDORF et al. 2003). Es ist das bekannteste und am häufigsten eingesetzte Parasympatholytikum. Parasympatholytika sind Substanzen, die die Erregungsübertragung an parasympathischen Nervenendigungen und damit die muskarinergen Wirkungen von Acetylcholin kompetitiv an den postganglionären Cholinozeptoren hemmen (LÖSCHER et al. 2003). Zusätzlich hat Atropin eine zentral erregende Wirkung. In hohen Dosierungen blockiert es auch nikotinartige Rezeptoren an vegetativen Ganglien und an der neuromuskulären Endplatte (FORTH et al. 1996).

Tabelle 2: Die wichtigsten Wirkungen von Parasympathikus und Sympathikus auf Herz, Gefäße und Lunge (aus: LÖSCHER et al. 2003)

Organ Parasympathikus Beteiligter Cholinozeptor

Sympathikus Beteiligter Adrenozeptor Herz

Herzfrequenz Abnahme m Zunahme β1

Kontraktionskraft Abnahme m Zunahme β1

Leitungsgeschwindigkeit Abnahme m Zunahme β1

Automatie Abnahme m Zunahme β1

Konstriktion α

Bronchialmuskulatur Kontraktion m Relaxation β2

Bronchialdrüsen Sekretion m Relaxation β2

Atropin ist ein Ester aus Tropasäure und Tropin (L-Hyoscyamin), der beim Aufarbeiten der Pflanzen oder in wässriger Lösung zu D,L-Hyoscyamin razemiert (DERENDORF et al.

2003). Atropin penetriert die Blut-Hirn-Schranke (ESTLER et al. 1992).

2.4.3.1 Pharmakodynamik

Atropin und die ihm verwandten Parasympatholytika sind kompetitive Antagonisten des Acetylcholins (und anderer direkter Parasympathomimetika) am Muskarinrezeptor (KÜTTLER 2002). Seine Wirkung kann durch hohe Dosen eines Parasympathomimetikums aufgehoben werden (ESTLER et al. 1992). Aufgrund der Selektivität der Parasympatholytika für Cholinozeptoren ergeben sich die pharmakodynamischen Wirkungen der Parasympatholytika aus der Verminderung oder Einschränkung parasympathischer Wirkungen (FORTH et al. 1996). Dabei steht in therapeutischen Dosierungen die Reduzierung muskarinartiger Wirkungen im Vordergrund, erst bei sehr hohen Dosierungen sind auch nikotinartige Wirkungen betroffen. Die Empfindlichkeit verschiedener Organe gegenüber Atropin ist unterschiedlich. Sehr sensibel reagieren Schweiß- und Speicheldrüsen, deren Sekretion schon durch sehr geringe Dosierungen gehemmt bzw. blockiert wird. Mit steigenden Dosierungen folgen Pupillenerweiterung, Tachykardie, verminderte Peristaltik des Magen-/Darm-Traktes usw.. Durch Überwindung der Blut–Hirn–Schranke kann Atropin durch Blockade von Cholinozeptoren zu zentralen Erregungserscheinungen, wie z.B.

Halluzinationen oder Tremor, führen (FREY u. LÖSCHER 2002).

2.4.3.2 Pharmakokinetik

Atropin wird im Gastrointestinaltrakt rasch und fast vollständig resorbiert (MUTSCHLER 1997). Aus dem Blut verschwindet es schnell und verteilt sich im ganzen Organismus. Etwa die Hälfte des aufgenommenen Wirkstoffes wird innerhalb von 24 Stunden unverändert mit dem Urin ausgeschieden. Es penetriert nicht nur das ZNS, sondern überwindet ebenfalls die Plazentarschranke und gelangt in die Muttermilch (ESTLER et al. 1992).

2.4.3.3 Einsatzgebiete

Atropin findet Verwendung als Differenzialdiagnostikum bei Bradykardien unklarer Genese (Reit- / Sportpferd), um die unterschiedlichen Ursachen (Vaguseinwirkung / Störungen im Reizbildungs- und Leitungssystem des Herzens) zunächst grob zu unterscheiden. Liegen Erkrankungen des Reizleitungssystems vor, so wird unter Atropineinfluss die Schlagfolge des Herzens nicht oder nur unwesentlich verändert, während die durch Vagusbeeinflussung

hervorgerufene Bradykardie etwa 30 min nach der Atropingabe verschwindet (FORTH et al.

1996). In der Kardiologie des Pferdes werden Anticholinergika wie Atropin auch zur Therapie vagal bedingter, bradykarder Rhythmusstörungen eingesetzt (MUIR u. McGUIRC 1987, KÜTTLER 2002). Als Nebenwirkungen können Tachykardien und Kammerflimmern auftreten. Außerdem besitzt Atropin besondere Bedeutung als Antidot bei Vergiftungen mit Alkylphosphaten und in der Augenheilkunde zur Erzielung einer langanhaltenden Mydriasis (BENTZ 1982). Bei Mensch und Pferd zählt die Behandlung vagal bedingter Spasmen der Bronchialmuskulatur ebenfalls zu den Einsatzgebieten des Atropins. Weitere Indikationsgebiete beim Menschen sind spastische Gastritiden und Enteritiden, Ulcus ventrikuli, Hyperazidität, Pylorus-/oder Kardiaspasmus und Dysenterien (DERENDORF et al.

2003). Als Nebenwirkung können Darmatonien, Verdauungsstörungen und Meteorismus auftreten (DUCHARME u. FUBINI 1983). Auch in der Bekämpfung der Reisekrankheit mit Übelkeit und Erbrechen findet Atropin Verwendung (FORTH et al. 1996).

In der Anästhesiologie dient die Narkoseprämedikation mit Atropin einerseits dem Schutz vor vagalen Kreislaufdysregulationen, andererseits der Hemmung der Speichelsekretion zur Prophylaxe einer Aspirationspneumonie. WEIL et al. (1997) verabreichten anästhesierten Pferden Atropinboli (0,006 mg/kg – 0,012 mg/kg). Sie beobachteten, dass diese Pferde im Gegensatz zu einer nicht behandelten Kontrollgruppe während der Narkose höhere Herzfrequenzen, sowie einen höheren systemischen Blutdruck aufwiesen und damit weniger Dobutamin zur kardiovaskulären Unterstützung benötigten. Außerdem geht aus ihrer Studie hervor, dass die intestinale Motilität bei Dosierungen unter 0,044 mg/kg Körpergewicht nicht beeinflusst wird. Auch SHORT et al. (1986) berichten von einem stabileren Blutdruck und stabileren Herzfrequenzen bei mit Atropin (0,02 mg/kg) vorbehandelten Pferden während der Anästhesie. LIGHT und HELLYER (1993) geben jedoch zu bedenken, dass Atropin die arrhythmogene Schwelle für Dobutamin senken kann. Des Weiteren wird durch die Verabreichung von Atropin AV-Blöcken und Bradykardien unter Sedierung (z.B. mit Detomidin) vorgebeugt (SHORT et al. 1986). Zusätzlich findet Atropin beim Menschen in der medikamentellen Stressinduktion allein, oder in Kombination mit anderen Wirkstoffen (z.B.

Dobutamin) immer häufigeren Einsatz. So setzten MUNGALA et al. (2003) Atropin (0,5 mg/min bis zur Zielherzfrequenz bzw. positivem Testergebnis) bei Patienten ein, die einem aktiven Belastungstest unterzogen wurden, aber aufgrund chronotroper Inkompetenz oder

mangelnder körperlicher Belastbarkeit ihre Zielherzfrequenz nicht erreichen konnten. Dabei stellten sie fest, dass der Einsatz von Atropin die Anzahl der effektiven, auswertbaren Untersuchungen deutlich steigern konnte. Im Durchschnitt erreichten sie Herzfrequenzsteigerungen von 25 Schlägen/min. Auch bei humanmedizinischen Patienten, die β-Blocker einnahmen, konnte ein positiver Effekt beobachtet werden. Im Hinblick darauf verabreichten FLESSAS und RYAN (1983) mit β-Blockern therapierten Patienten Atropin in Dosierungen zwischen 1,2-1,7 mg/kg und verglichen die Reaktion dieser Probanden mit einem isometrischen Belastungstest. Sie beobachteten ebenso wie HINCHCLIFF et al. (1991) beim Pferd eine gesteigerte Herzfrequenz, einen Abfall des mittleren Pulmonalarteriendruckes und des linksventrikulären enddiastolischen Druckes, zudem einen erniedrigten systemischen Widerstand. Dazu stellten SANDERSEN et al. (2005) fest, dass beim Pferd der Einsatz von Atropin in der pharmakologischen Stressinduktion die durch Dobutamin induzierten Nebeneffekte reduziert und ein frühzeitiges Erreichen der Zielherzfrequenz ermöglicht. Aus der Studie von HINCHCLIFF et al. (1991) geht hervor, dass der Wirkung von Dobutamin eine reflektorische, durch den Parasympathikus ausgelöste Bradykardie entgegenwirkt, welche durch eine Steigerung des arteriellen Blutdrucks hervorgerufen wird. Die zusätzliche Applikation von Atropin blockt diesen parasympathischen Reflex, so dass die Ausprägung der chronotropen Effekte des Dobutamins erst möglich wird. In obiger Studie wurden Dosierungen von 0,5 µg/kg/min Dobutamin in Kombination mit einem Atropinbolus von 0,4 mg/kg eingesetzt, dabei wurde eine durchschnittliche Herzfrequenz von 78 ± 6 Schläge/min erreicht. MARNETTE (2004) infundierte 7,5µg/kg/min Dobutamin in Kombination mit einem Atropinbolus von 5µg/kg (resp. 7,5µg/kg) Atropin. Sie erreichte eine mittlere Herzfrequenz von 144 ± 15 Schlägen pro Minute. Für den Fall einer zu starken Tachykardie wurde als Antidot der β-Rezeptorenblocker Propranolol bereitgehalten. Der Einsatz des Antidots war in dieser Studie jedoch nicht erforderlich. Propranolol beeinflusst β-Adrenozeptoren-vermittelte Wirkungen im kleinen Kreislauf (SHEBUSKI et al. 1987). Es hemmt außerdem den Kalzium-Einstrom und verlängert damit das Präpotenzial der Schrittmacherzellen. Zusätzlich wird die Kontraktilität des Myokards gesenkt und die Durchblutung des Herzens durch eine Verlängerung der Diastole verbessert (SCHÜTZ 1996).

Während eines Stresstests mit Dobutamin und Atropin bei Schweinen setzten CHEN et al.

(1996) β-Blocker ein und stellten fest, dass die Applikation des β-Blockers zu einer

signifikant erniedrigten Herzfrequenz führte und einer Dobutamin–induzierten Myokardischämie entgegenwirkte. SEXTON und ERICKSSON (1986) untersuchten die kardialen und pulmonalen Effekte von Propranolol bei Ponies in Ruhe und während submaximaler Belastung. Sie stellten fest, dass Propranolol in Ruhe keinen Effekt auf die Herzfrequenz und den mittleren arteriellen Blutdruck hat. Unter Belastung jedoch bewirkte der β- Rezeptorenblocker eine signifikant erniedrigte Herzfrequenz. Der mittlere arterielle Blutdruck wurde nicht beeinflusst, jedoch kam es zu signifikant erhöhten mittleren rechtsventrikulären und mittleren Pulmonalarteriendrücken.