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1. Einleitung

1.2. Antibakterielle Implantat-Oberflächen

Zahlreiche Oberflächenmodifikationen wurden bereits untersucht, um die bakterielle Adhäsion, Proliferation und damit verbundene Biofilmbildung zu verhindern bzw. zu hemmen. Dabei stehen unterschiedliche Mechanismen wie die Produktion von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS), die mechanische Abtötung, die Störung der bakteriellen Membran durch Biomoleküle, die Einlagerung von antimikrobiellen Substanzen und die Inhibierung der Adhäsion durch Beschichtungen oder spezielle Topographien zur Verfügung [14, 40]. Auch im Rahmen des Forschungsverbundes BIOFABRICATION for NIFE, in welchem diese Dissertation entstand, wurden in den Modulen „Materialentwicklung“, „Laser-basierte Oberflächenfunktionalisierungen“ und „Implantatassoziierte Infektionen“ antibakterielle Oberflächen entwickelt und auf ihre Wirkung untersucht. Generell kann zwischen bakteriziden und antiadhäsiven Oberflächen unterschieden werden.

1.2.1. Bakterizide Oberflächen

Bakterizide Oberflächen töten adhärente Bakterien ab und können so die Biofilmbildung inhibieren. Hierfür können unterschiedliche Substanzen oder Materialien mit unterschiedlichen Wirkmechanismen genutzt werden. Die Denaturierung von bakteriellen Proteinen durch Ag+ -Ionen ist der Hauptmechanismus der antibakteriellen Wirkung von Silber [41]. Kupfer und Zink katalysieren die Bildung von ROS wie H2O2 oder O2- und schädigen so die Bakterienmembran durch Lipidoxidation [39]. Auch die UVA-Bestrahlung von photokatalytischen TiO2 -Beschichtungen führt zur Produktion von ROS [42]. Metalle und ihre Oxide können z.B. durch

8 anodische Oxidation oder in Nanopartikelform (NP) auf Titan aufgebracht werden [14].

Organische Funktionalisierungen haben ebenfalls oft eine Störung der bakteriellen Membranintegrität zum Ziel. Dies gelingt beispielsweise mit antibakteriellen Peptiden oder kationische Makromolekülen [43, 44]. Eine mechanische Abtötung von Bakterien gelingt durch die Imitation der Nanotopographie von Libellenflügel in Silicium (black silicon) [45].

Eine weitere Strategie, um Implantatinfektionen und die damit verbundene Biofilmbildung zu verhindern, ist das Beladen der Implantatoberfläche mit antimikrobiellen Substanzen. Um die verfügbare Oberfläche und das Volumen für diesen Zweck zu erhöhen, kann die Oberfläche aufgeraut, Poren eingebracht oder mit porösen Materialien beschichtet werden. Für letzteres können beispielsweise poröse NP verwendet werden, welche sich durch ihre große Oberfläche und ihr großes Porenvolumen besonders für diese Anwendung eignen [46-48]. Eine in der Biomedizin neue Materialart für die Produktion solcher NP sind Metal-organic Frameworks (MOFs). Hierbei handelt es sich um kristalline, poröse Materialien, welche aus anorganischen Metallionen oder Metall-Oxo-Clustern und organischen Linkern bestehen [49, 50]. Durch die Kombination unterschiedlicher anorganischer und organischer Anteile kann eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien mit gewünschter Partikelgröße, Morphologie, Porengröße und Oberflächenbeschaffenheit hergestellt werden. Zusätzlich können die Oberflächen funktionalisiert werden [51, 52]. Nanoporöses Silica kann ebenfalls für die Produktion von NP verwendet werden. Auf Grund seiner hervorragenden physikalischen Eigenschaften und der guten Biokompatibilität fand es in der Biomedizin bereits vielfach Anwendung [46, 53, 54].

Nanoporöse Silica-NP können in ihrer Größe und Form variiert sowie mit chemischen Gruppen funktionalisiert werden [55].

Implantat-Oberflächen wurden bereits mit Antibiotika wie Amoxicillin, Vancomycin, Gentamicin, Tetracylin, Minocyclin und Cephalotin beladen. Bei beladenen Oberflächen tritt allerdings oft ein „Burst-Release-Effekt“ auf, bei dem ein Großteil des Wirkstoffs kurz nach der Implantation freigesetzt wird. Anschließend folgt eine längere Freisetzung der antimikrobiellen Substanz unterhalb der minimal inhibitorischen Konzentration. Dies kann zur Generierung resistenter Bakterienstämme führen [14]. Um dieses Problem zu umgehen, können antimikrobielle Substanzen mit geringer Resistenzbildung wie Chlorhexidin (CHX) oder

„Stimulus-Response-Systeme“ verwendet werden, welche nur bei Bedarf Wirkstoff abgeben [56, 57].

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1.2.2. Antiadhäsive Oberflächen

Im Gegensatz zu bakteriziden Oberflächen töten antiadhäsive Oberfläche Bakterien nicht ab, sondern sie verhindern bzw. verringern deren Adhäsion. Eine Resistenzentwicklung auf Grund der Abgabe antibakterieller Substanzen ist daher ausgeschlossen. Auf antiadhäsiven Oberflächen lagern sich kaum Proteine oder Polysaccharide ab, welche für die Bakterienadhäsion nötig wären [58]. Planktonische oder wenige adhärierte Bakterien können einfacher von Immunzellen beseitigt werden, bevor sich ein ausgereifter Biofilm bildet [59].

Für die Generierung antiadhäsiver Oberflächen können chemische Modifikationen des Materials, eine Veränderung der Oberflächentopographie oder eine Kombination aus beidem vorgenommen werden. Das Ziel solcher Modifikationen ist meistens die Herstellung einer superhydrophoben Oberfläche, auf der hydrophile Biomoleküle kaum adhärieren können.

Solche Oberflächen zeichnen sich durch eine geringe Benetzbarkeit mit Wasser und damit auch mit biologischen Medien aus [59, 60].

Chemische Modifikationen für superhydrophobe Beschichtungen können polyanionische Polymere, Dextran, Polyethylenglycol (PEG), methylierte und fluorierte Kohlenstoffgruppen oder Fluoralkylsilane beinhalten. Oft haben diese Verbindungen eine geringe Oberflächenenergie, also eine geringe Wahrscheinlichkeit zur Ausbildung chemischer Bindungen [14, 59]. Antiadhäsive Oberflächen können auch durch das Erstellen von Mikro- und Nanotopographien erreicht werden. Durch Anwendung physikalischer Methoden wie reaktivem Ionentiefenätzen, Nanoprägelithografie, Plasmabearbeitung oder Laser-Ablation können dabei chemische Rückstände weitgehend verhindert werden, was vorteilhaft in Bezug auf die Biokompatibilität und die spätere klinische Anwendung ist [58]. Mit Hilfe der Laser-Ablation wurden bereits unterschiedlichste Strukturen in Titan generiert. So hergestellte SharkletTM-, Wellen-, Spike- und Lotus-Strukturen zeigten eine inhibierende Wirkung auf die bakterielle Adhäsion und Biofilmbildung (Abb. 1.2) [58, 61-64]. Häufig wird durch die Strukturierung eine Minimierung der bakteriellen Adhäsionsfläche angestrebt. Bakterien können beispielsweise nicht in die Täler von Nanostrukturen gelangen, so dass sie nur mit den Spitzen interagieren können. Allerdings muss beachtet werden, dass Topographien ihre Superhyrdophobizität oft durch den Einschluss von Luftblasen erhalten und dieser Effekt in vivo nach kurzer Zeit verloren gehen kann [60, 63]. Einige Studien sprechen sogar gegen die antibakterielle Wirkung von Nanotopographien [65]. Ein neuer und vielversprechender Ansatz für Implantat-Oberflächen sind die „slippery, liquid-infused porous surfaces“ (SLIPS). Hierbei

10 wird die Oberfläche der Kanneninnenseiten der Pflanzengattung Nepenthes imitiert, auf welcher sich ein antiadhäsiver Flüssigkeitsfilm befindet [40, 66, 67]. Da eukaryotische Zellen ebenso wie Bakterien Proteine als Liganden für die Adhäsion benötigen, eignen sich antiadhäsive Oberflächen jedoch nicht für die Integration in das umliegende Gewebe [40].

Generell besteht ein Konflikt zwischen antibakterieller Aktivität bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Biokompatibilität.

1.2.3. Antibakterielle Aktivität vs. Gewebeintegration

Antibakterielle Oberflächen besitzen oft auch eine verminderte Biokompatibilität. Bei antiadhäsiven Oberflächen liegt dies an den ähnlichen Adhäsionsmechanismen zwischen Prokaryoten und Eukaryoten [68]. Andere Modifikationen wie kationische Gruppen oder UV-aktivierbare Oberflächen schädigen auch die Membranen eukaryotischer Zellen [44, 69].

Genauso wirken antimikrobielle Substanzen ab einer gewissen Konzentration zytotoxisch [70].

Hier gilt es einen therapeutischen Bereich zu finden, bei dem eine antibakterielle Aktivität und zugleich Biokompatibilität vorliegt. Auf der anderen Seite erleichtern besonders biokompatible Oberflächen, auf denen Gewebezellen gut adhärieren können – z.B. durch den hydrophilen Charakter oder die Erhöhung der verfügbaren Oberfläche durch Aufrauhung – oft auch die Adhäsion von Bakterien [71]. Proteine, welche sich auf der Implantatoberfläche ablagern, können sowohl die Adhäsion von Gewebezellen als auch die Adhäsion von Bakterien fördern.

Zum Beispiel binden nicht nur Adhäsionsproteine eukaryotischer Zellen gezielt an die Aminosäuresequenzen des Fibronectins, sondern auch die Oberflächenproteine von Staphylokokken [68]. Gewebezellen und Mikroorganismen konkurrieren also um die Besiedlung von Implantat-Oberflächen. Diese Konkurrenz wurde bereits 1988 von Anthony Gristina als „race for the surface“ beschrieben [72]. In der zahnärztlichen Prothetik gilt dieses Prinzip in besonderer Weise, da eine ständige Bakterienbelastung durch die oralen Keime vorherrscht. Umso wichtiger ist eine schnelle Einheilung in das umliegende Gewebe, um die bakterielle Adhäsion zu unterbinden.

Um der besonderen Herausforderung biokompatibler und gleichzeitig antibakterieller Oberflächen gerecht zu werden, wurden multifunktionelle Oberflächen entwickelt. Dabei werden z.B. antibakterielle Substanzen wie Silber, Chitosan und antibakterielle Peptide mit biokompatiblen Peptiden oder Beschichtungen wie TiCaN kombiniert [73-76]. Attraktiver sind

11 Oberflächen, welche durch eine einzelne Modifikation multifunktionelle Eigenschaften erlangen. Dies gelingt beispielsweise durch antiadhäsive Mikrostrukturen, welche in einem Abstand von 1,5 µm auf adhäsiven Oberflächen fixiert sind. Die relativ starren Bakterien können hier kaum zwischen die Mikrostrukturen auf die adhäsiven Bereiche gelangen, wobei die flexiblen eukaryotischen Zellen ausreichend Integrin-Bindungen aufbauen können [65]. Ein anderer Ansatz nutzt mikrostrukturiertes Titan, welches durch die Bedampfung mit Tantal eine hierarchische Mikro-Nano-Struktur erhält. MSCs adhärieren gut auf den Oberflächen, wohingegen die Adhäsion oraler Keime deutlich eingeschränkt ist [77]. Die Übertragbarkeit dieser Studien auf die In-vivo-Situation ist jedoch fraglich. Die Verwendung immortalisierter und/oder muriner Zellen, mangelnde Biofilm-Analysen und kurze Inkubationszeiten stellen hier eine Limitation dar. Die Biokompatibilität von Implantat-Oberflächen sollte mit möglichst belastbaren Modellen nachgewiesen werden, bevor die entsprechenden Implantate in die klinische Translation gelangen. Heilt das Implantat nicht in das umliegende Gewebe ein, so kann es seine Aufgabe nicht erfüllen. Die Entwicklung und Verbesserung biokompatibler Oberflächen ist daher von besonderem Interesse.