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1. Einleitung

1.3. Biokompatibilität von Implantat-Oberflächen

1.3.2. Analyse der Biokompatibilität

Damit neue Implantatmaterialien zur klinischen Anwendung kommen können, muss in Deutschland eine Zulassung im Sinne des Medizinproduktgesetzes (MPG) und bei Einlagerung von biologisch aktiven Substanzen evtl. des Arzneimittelgesetzes (AMG) erfolgen. Mit Hilfe des MPG sollen Sicherheit, Eignung und Leistung bzw. Funktionalität des Implantats sowie die Gesundheit und Schutz des Patienten, Anwender und Dritter sichergestellt werden [2*, 3*]. Die biologische Sicherheitsprüfung bzw. Analyse der Biokompatibilität neuer Materialien verläuft dabei in der Regel in drei Stufen. Als erstes wird eine Testung ,,in vitro“, also außerhalb eines Organismus durchgeführt. Hier wird die Biokompatibilität vor allem mit Zellkulturen untersucht. In diesem Fall spricht man auch von Zytokompatibilität. Da die Komplexität eines kompletten Organismus bisher in vitro nicht nachgebildet werden kann, muss im zweiten Schritt die Testung „in vivo“ erfolgen. Auch wenn die Unbedenklichkeit und Funktionalität im Säugetiermodell nachgewiesen wurde, können dennoch unerwartete Reaktionen im Menschen auftreten. Im Rahmen der entsprechenden klinischen Studien ist nun die Unbedenklichkeit und Leistungsfähigkeit des Materials im menschlichen Körper nachzuweisen [2*, 3*]. Teile oder sogar die gesamte Biokompatibilitätsprüfung können umgangen werden, wenn bereits identische Materialien mit gleichen Eigenschaften auf dem Markt sind bzw. ausreichend Daten für das Produkt vorhanden sind [1]. Obwohl In-vitro-Untersuchungen weniger relevante Daten für die klinische Anwendung liefern, besitzen sie auch einige Vorteile gegenüber In-vivo-Untersuchungen. Sie sind ethisch weniger problematisch, schneller durchzuführen, kostengünstiger, leichter zu standardisieren, besser reproduzierbar und können für eine ausgedehntes Screening angewendet werden [111]. Für die Bewertung der Zytokompatibilität können viele unterschiedliche Parameter mit Hilfe unterschiedlicher Methoden analysiert werden. Dabei kann zwischen der grundsätzlichen Zytotoxizität von Materialien und der spezifischeren Zytokompatibilität von Implantat-Oberflächen unterschieden werden.

18 Zytotoxizität von Implantat-Materialien

Für die Analyse der grundsätzlichen biologischen Verträglichkeit bzw. zytotoxischen Wirkung eines Materials zu Beginn der Testungen können mehrere zelluläre Parameter untersucht werden. Die ISO-Norm 10993-5 (Biologische Beurteilung von Medizinprodukten – Teil 5:

Prüfung auf In-vitro-Zytotoxizität) und die ISO-Norm 7405 (Beurteilung der Biokompatibilität von Medizinprodukten in der Zahnmedizin) geben entsprechend Empfehlungen für die Prüfung auf In-vitro-Toxizität [5*, 6*]. Dabei beziehen sie sich jedoch vor allem auf flüssige Proben bzw. Extrakte der Biomaterialien und der Diffusion von Substanzen. Dies ist vor allem bei neuen Stoffen oder Materialien relevant, welche toxische Substanzen an die Umgebung abgeben können. Hier ist unter Umständen eine Testung einzelner Materialien sinnvoll, um frühzeitig kritische Bestandteile zu identifizieren.

Die metabolische Aktivität der Zellen wird häufig für die Analyse der Zytotoxizität verwendet.

Dieser Parameter kann Auskunft über den physiologischen Zustand der Zellen geben. Eine hohe Aktivität ist in der Regel mit vitalen und proliferierenden Zellen, seltener mit Stressreaktionen assoziiert [112]. Neben der Viabilität (= Lebensfähigkeit) wird die metabolische Aktivität auch häufig für die Quantifizierung von Zellen verwendet. Metabolisch aktive Zellen können mit membrangängigen Lebend-Farbstoffen, welche enzymatisch zu fluoreszierenden Produkten umgewandelt werden, mikroskopisch oder mit Hilfe der Durchflusszytometrie detektiert werden. Eine Quantifizierung kann auch über die Messung des zellulären ATP-Gehalts oder der Aktivität zytosolischer Enzyme geschehen [113-117]. Am häufigsten wird hierbei die zelluläre Reduktionskapazität genutzt. Durch die Reduktion von MTT oder Resazurin werden beispielsweise farbige bzw. fluoreszierende Produkte gebildet, die einfach quantifiziert werden können [118]. Da die alleinige Bestimmung der metabolischen Aktivität die Gefahr falsch positiver oder falsch negativer Ergebnisse mit sich bringt, sollte zumindest bei initialen Versuchen auch ein weiterer zellulärer Parameter bestimmt werden.

Toxische Effekte können aber auch zur Perforation der Plasmamembran bzw. Zellnekrose führen. Durch den Einsatz von Tot-Farbstoffen, welche nur Zellen mit perforierter Zellmembran anfärben, können tote Zellen mikroskopisch oder mit Hilfe der Durchflusszytometrie detektiert werden [102, 115]. Ist die Plasmamembran perforiert, so gelangen Enzyme aus der Zelle in das Zellkulturmedium. Für die Quantifizierung der Membranintegrität existieren verschiedene Testsysteme, mit denen sich die Aktivität

19 zytosolischer Enzyme im Zellkulturmedium bestimmen lassen. Ein beliebtes Enzym für die Bestimmung hierfür ist die Laktatdehydrogenase (LDH), da sie in vielen Zellen konstitutiv exprimiert wird [119]. Die Aktivität zytosolischer Enzyme kann kolorimetrisch, fluorometrisch oder luminometrisch bestimmt werden [115]. Weitere Methoden für die Analyse der Zytotoxizität sind die Zellzahlbestimmung lebender und toter Zellen sowie die Quantifizierung von Zellkolonien [5*].

Für erste Toxizitätstests können immortalisierte und nicht-humane Zellen verwendet werden.

In Standards wie der ISO 10993-5 werden entsprechende Zelllinien empfohlen. Diese Zellen sind leicht verfügbar, einfach zu kultivieren und innerhalb einer Zelllinien recht homogen, so dass Ergebnisse in der Regel besser zu reproduzieren sind [120, 121]. Im Gegensatz zu löslichen Substanzen ist die Prüfung durch direkten Kontakt eines soliden Probekörpers mit den Zellen kaum standardisiert. In den ISO-Normen wird solch eine Testung nur rudimentär beschrieben.

Für die In-vitro-Prüfung von Implantaten, welche in das umliegende Gewebe integriert werden sollen, ist die Interaktion der Oberflächen mit den Zellen jedoch essentiell.

Zytokompatibilität von Implantat-Oberflächen

Für die tiefergehende und aussagekräftigere Untersuchung der Zytokompatibilität von Implantat-Oberflächen sollten primäre humane Zellen verwendet werden. Als Isolate aus humanem Gewebe entsprechen diese Zellen in ihrem Phänotyp am besten der Situation in vivo.

Darüber hinaus spiegelt ihre Heterogenität innerhalb und zwischen Isolaten die klinische Situation wieder [122, 123]. Für die Analyse von Oberflächentopographien werden aber auch regelmäßig immortalisierte Zelllinien verwendet oder mit primären Zellen kombiniert [79, 80, 93, 94, 124-127]. Auf Grund der Unterschiede zu primären Zellen ist die Aussagekraft dieser Studien in Bezug auf die Biokompatibilität jedoch zu hinterfragen.

Neben der Bewertung der Zytotoxizität, Viabilität, Differenzierung, Genotoxizität, Apoptose, Inflammation oder des oxidativen Stress sind vor allem die Adhäsion, Proliferation, Migration und Morphologie der Zellen auf Implantat-Oberflächen von Interesse [1, 79, 80, 116]. Damit ein Implantat in das umliegende Gewebe integriert werden kann, müssen die entsprechenden Zellen zunächst auf der Implantatoberfläche adhärieren. Nur adhärierte Gewebezellen können ihre Funktion ausüben, proliferieren, migrieren und differenzieren und so zur

20 Geweberegeneration und -Integration beitragen. Die Adhäsion von Zellen kann auf unterschiedliche Weise bestimmt werden. Nach einer gewissen Inkubationszeit von Zellen und Material (i.d.R. mehrere Stunden) und Entfernen der nicht adhärierten Zellen kann beispielweise die Morphologie mikroskopisch bewertet oder die Zellen mit einer Kernfärbung quantifiziert werden. Genauere Informationen erhält man über die Visualisierung von Adhäsionsstrukturen. Hierfür können z.B. Proteine der FAs mit Antikörpern angefärbt oder Zellen transfiziert werden, so dass sie fluoreszierende FA-Proteine exprimieren [107, 128, 129].

Obwohl FAs zentrale zelluläre Strukturen für die Interaktion mit Oberflächen sind, finden sie bisher keinen Eingang in ein standardisiertes Test-Schema.

Die Zellproliferation und -Migration sind ebenfalls für eine gute Regeneration und Gewebeintegration notwendig und daher wichtige Parameter für die Bestimmung der Zytokompatibilität. Direkt nach der Implantation besteht kein direkter Kontakt zwischen dem Biomaterial und dem Gewebe. Für die Besiedlung der zellfreien Areale, müssen Zellen aus der umliegenden Matrix zur Implantatoberfläche migrieren und anschließend auf derselben migrieren und proliferieren können [12, 80, 86]. Die Proliferation kann ebenfalls mittels Kernfärbung quantifiziert werden. Hierfür können die initiale Zellzahl sowie die Zellzahl nach mehreren Tagen bestimmt werden. Der klassische Test um das Migrationsverhalten von Zellen zu untersuchen ist der „scratch assay“ oder „wound healing assay“. Hierfür wird durch Kratzen ein Spalt in einem konfluenten Zellrasen geschaffen und die Zellmigration bis zum Schließen des Spalts beobachtet. Die Methode hat jedoch den Nachteil, dass die erzeugte Spaltbreite nicht genau reproduziert werden kann, keine gerade Zellfront erzeugt wird sowie Zellen und Materialoberfläche beschädigt werden. Eine Alternative bieten Barriere- oder Zellexklusions-Tests, bei dem ein definierter Bereich abgedeckt und nach der Zellaussaat die Abdeckung entfernt wird [130]. Die Messung der Migration erfolgt meist lichtmikroskopisch. Ein Zellexklusionstest auf nicht transparenten Oberflächen existiert bisher nicht. Obwohl die Zellmigration von großer Bedeutung für die Gewebeintegration ist, wird sie in diesem Zusammenhang bisher kaum untersucht. Migrationsanalysen werden darüber hinaus nur über wenige Tage durchgeführt, was nur schlecht den langen Einheilungsprozess in vivo wiederspiegelt [9, 131].

Die Analyse der Zellmorphologie kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschehen und so die Bewertung der Adhäsion, Proliferation und Migration unterstützen. Eine vitale Morphologie ist Zelltyp-abhängig und kann auf Oberflächen von Stern- und Spindel-förmig bis zu quadratisch

21 oder polygonal reichen. Oft werden die Zellen nach der für den Zelltyp üblichen Morphologie als fibroblastoid (länglich mit Zellausläufern) oder epithelial (polygonal ohne Zellausläufer) beschrieben. In der Regel ist eine Abrundung der Zellen ein Zeichen für eine schlechte Zytokompatibilität einer Oberfläche, da die Zellen nicht richtig adhärieren können, sich ablösen oder anderen zytotoxischen Einflüssen ausgesetzt sind [80]. Eine Anfärbung von Zellbestandteilen wie dem Zytoskelett kann bei der Bewertung unterstützend oder auf nicht transparenten Oberflächen sogar notwendig sein. Die Ausbildung von kräftigen Actinbündeln (Stressfasern) ist meistens ein Merkmal vitaler Zellen [132, 133]. Auch die Bewertung der Zellkern-Morphologie ist möglich. Bei vitalen Zellen ist der Zellkern kreis- oder oval-förmig.

Ein deformierter Zellkern kann sich negativ auf die Genexpression auswirken [107, 109]. Mit Hilfe von Bildbearbeitungsprogrammen kann die Zellmorphologie auch quantifiziert werden und so aussagekräftigere Ergebnisse liefern. Angaben wie die Zellfläche oder des Quotienten aus der Länge und der Breite sind üblich [27, 80]. Für die Erfassung der Zellmorphologie stehen eine Reihe mikroskopischer Techniken zur Verfügung, darunter die Lichtmikroskopie, die Fluoreszenzmikroskopie, die konfokale Laser-Scanningmikroskopie (CLSM) und die Raster-Elektronenmikroskopie (REM) [86, 94, 107, 134]. Die Bewertung der Morphologie wird zwar in Standards empfohlen, spezifische Methoden oder Parameter werden hierbei jedoch nicht genannt [5*, 6*].

Auf Grund des Zeit- und Kosten-intensiven Herstellungsprozesses in der Forschung stehen oft nur geringe Mengen an Material zur Verfügung. Daher müssen Methoden etabliert werden, mit deren Hilfe auch geringe Mengen bzw. kleine Flächen zuverlässig bewertet und möglichst aussagekräftige Ergebnisse generiert werden können. Auch wenn die genannten Parameter bereits zum Teil für die Bewertung der Zytokompatibilität von Implantat-Oberflächen herangezogen werden, so geschieht deren Auswahl häufig ohne eine fundierte Begründung und die Analyse folgt keiner bestimmten Systematik oder Abfolge. Eine systematische Untersuchung der Zytotoxizität und der Zytokompatibilität von Implantat-Oberflächen würde die Effizienz dieser Analysen maßgeblich erhöhen.

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