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Stand der betrieblichen Weiterbildung in Deutschland

These 9: Personaler, deren Unternehmen zertifiziert ist, schätzen ihr Bildungsmanagement als sehr professionell ein

3.3 Ansatz eines subjektiven Qualitätsverständnisses

Die vorgehende Untersuchung konnte einen guten Einblick ermöglichen bezüglich der tatsächlichen Kennt-nis und Nutzung von Qualitätsmodellen und -ansätzen in den Personal- und Weiterbildungsabteilungen der Unternehmen. Die vorhandenen Modelle werden von den Teilnehmern der Studie generell als mäßig hilf-reich eingeschätzt. Deshalb soll nun ein Aspekt beleuchtet werden, der in den bisherigen Definitionen zwar anklang, in der vertieften Auseinandersetzung noch ausgespart wurde.

In Überlegungen zur Qualität wird meist über Standards, Messungen und Schwellenwerte gesprochen. Die-se Diskussion folgt einem objektiven Qualitätsverständnis. Eine allgemeingültige Messbarkeit von Qualitäts-kriterien ist dabei möglich. Es gibt generelle und interindividuell vorhandene Qualitätsmaßstäbe, über die Konsens besteht: "Die Diagnose guter Qualität wird von den verschiedensten Akteuren geteilt." (Denker 2006:12) In vielen Fällen werden jedoch genau solche Definitionen und Prüfungen als schwierig einge-schätzt, oft lassen sich "nur schwer allgemeingültige Qualitätsgrundsätze und -maßstäbe formulieren" (Den-ker 2006:149). Das gilt auch in besonderem Maße in der (Erwachsenen-)Bildung. Qualität entzieht sich häu-fig einer festen Definition und erschwert die Ansätze, die Entstehung von Qualität zu managen, denn Quali-tät besitzt bei näherer Betrachtung eine stark subjektive Komponente.

Loibl hat in seinen Untersuchungen an Volkshochschulen herausgefunden, dass es zwei Aspekte von Quali-tät gibt. Zum einen lässt sich ein quasi öffentliches, allgemeines Verständnis von Volkshochschulen als ge-sellschaftliche Institutionen und der Qualität ihrer Organisationen sowie ein deutliches allgemeines Quali-tätsbild von öffentlicher Weiterbildung erkennen. Dieses allgemeine Qualitätsverständnis ist klar und relativ einfach interpretierbar. Zum anderen existiert jedoch auch ein individuelles, subjektives, auf die eigenen Bedürfnisse und auf eine spezifische, lokale Einrichtung bezogenes Qualitätsverständnis. Dieses ist wesent-lich facettenreicher und komplexer (Loibl 2002:42).

Subjektive Wahrnehmung von Qualität

Diese Subjektivität in der Qualitätsbetrachtung kann konstruktivistisch bereits aus der menschlichen Wahr-nehmung abgeleitet werden. Denn bereits die WahrWahr-nehmung einer Sache ist subjektiv. Der Konstruktivismus folgt einem subjekt-gebundenen Realitätskonzept. Demnach spiegeln die sinnlichen Wahrnehmungen, aber auch das Denken, Fühlen und Erinnern keine äußere Wirklichkeit wider (Loibl 2003:18). Vielmehr entstehen

sie in der inneren Auseinandersetzung mit äußeren Reizen, in persönlichen Erklärungsversuchen, Einordnen und Deutungsmustern. "Das traditionelle Paradigma der Objektivität als Entsprechung von Außen und Innen entspricht danach nicht den Erkenntnismöglichkeiten des Menschen." (Loibl 2003:18) Außen und Innen wer-den vielmehr als konstruierte Gegebenheiten begriffen, die Wahrnehmungs- und Erklärungsmuster erleich-tern sollen und zur Abgrenzung der Person beitragen können.

Das bedeutet, dass auch das Phänomen Qualität nicht objektiv und einheitlich erfasst werden kann. Ob und wie die Güte einer Sache wahrgenommen, interpretiert und bewertet wird, ist nicht einheitlich. "Nach psycho-logischen Erkenntnissen können sich (Sinnes-)Eindrücke von denselben Gegenständen beobachterspezi-fisch unterscheiden, selbst wenn sie dem gleichen Auslöser (bspw. einer Kurssituation) entstammen." (Dre-ver/ Fröhlich, 1968:188) Der gleiche Gegenstand oder dieselbe Situation kann also von verschiedenen Per-sonen völlig unterschiedlich wahrgenommen werden. So werden zum Beispiel Farben von verschiedenen Personen aufgrund kleiner Unterschiede des Sehapparates unterschiedlich gesehen. Persönliche Vorlieben oder auch die momentane Stimmung bestimmen dann, ob eine Farbe als angenehm empfunden wird oder nicht. "Es ist möglich, dass bestimmte Charakteristika eines Objektes von der einen Person(engruppe) als positiv, von der anderen Person(engruppe) hingegen als negativ eingestuft werden." (Heid 2000:41ff.) Eine Bewertung der Qualität einer Sache ist immer ein Qualitätsurteil einer Person. Es ist an spezifische Interessen und Wahrnehmungen des Beobachters gebunden und somit individueller Natur (Denker 2006:13). "Qualität ist relativ zu demjenigen, der diesen Begriff verwendet sowie abhängig von den Kontex-ten, in denen er verwendet wird." (Harvey/Green 2000:17) Die Bewertung der Qualität ist dabei auch für die gleiche Person nicht statisch, sondern hängt ab von den gemachten Erfahrungen und der aktuellen Situati-on: "Qualität meint für verschiedene Personen unterschiedliches, und auch ein und dieselbe Person verwen-det den Begriff womöglich zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich." (Harvey/Green 2000:17) Jeweils ist die momentane, konkrete Situation entscheidend für das Qualitätsurteil: "Dieses Qualitätsverständnis vom Sub-jektstandpunkt aus basiert […] nicht auf im Voraus objektiv bestimmbaren und begründeten Merkmalen und Kriterien, sondern ist vielmehr abhängig von den konkreten situationsbedingten Interessen und Bedürfnissen der Individuen." (Denker 2006:188) So können zwei Kurse schon deshalb unterschiedlich bewertet werden, weil ein Teilnehmer einen Kurs aus Eigeninteresse besuchte, ein anderen jedoch aufgrund einer Anweisung durch den Vorgesetzten. Qualität ist immer eine hoch subjektive, persönliche Angelegenheit (Gruber 2010:27) und gefüllt mit verschiedensten Wertvorstellungen (Hartz 2011).

Auch Interessen einer Person, angestrebte Ziele oder Bedürfnisse bestimmen das Qualitätsurteil sowie der mögliche Nutzen für die Person herangezogen, zum Beispiel durch die Verwendung eines Produktes oder durch sozialen Statusgewinn. "Folgerichtig handelt es sich bei Qualitäten um die (zugeschriebene) potenziel-le Erfüllungsmöglichkeiten von subjektiven oder intersubjektiven Bedürfnissen durch ein Objekt oder einen Prozess." (Wittwer 2004:15) Welche Bedürfnisse dabei bedacht wurden, ist im Qualitätsurteil nicht enthalten und kann zwischen verschiedenen Personen stark variieren. Dies gilt besonders für pädagogische Qualitä-ten, bei denen es letztlich um Lern- und Bildungsmöglichkeiten und damit um potenzielle Erfüllungsmöglich-keiten subjektiver Bedürfnisse von Lernen geht." (Weis 2005:52) Die Erwartungen und Bedürfnisse der Ler-nenden entstehen aus ihren bisherigen Lernerlebnissen, aus dem Lernanlass, dem sozialen Umfeld oder den erwarteten positiven Effekten des Lernprozesses. "Subjekte konstruieren, je nach individuellen (Lern-)Interessen, spezielle Bildungs- und Lernbedürfnisse und anhand der gegebenen Prämissenlagen und Handlungsproblematiken […] eigene Qualitätsmaßstäbe und -perspektiven für pädagogisches Handeln."

(Denker 2006:188) In einer Gruppe mit verschiedenen Teilnehmern können so zahlreiche verschiedene An-forderungen und Hintergründe zusammenkommen.

Hinzu kommt, dass Lernprozesse ebenfalls höchst individuell sind. Ob, was und wie schnell gelernt wird, ist in der Regel auch in einer Lerngruppe mit dem gleichen Dozenten sehr unterschiedlich. Die Qualität seines Lernprozesses kann am Ende nur das Individuum selbst bewerten (Dewe u.a. 2001:36f.). Während ein Teil-nehmer die vermittelten Inhalte als neu und für seine Arbeit hochrelevant erlebt, konnte ein anderer vielleicht auf größeres Vorwissen zurückgreifen und hat sich gelangweilt. Während manche Teilnehmer sehr gut ler-nen, wenn sie sich Inhalte in Textform erarbeiten, bevorzugen andere den aktiven Austausch in der Gruppe und die Diskussion eigener Problemfälle. "Was für den einen einen gelungenen Lernprozess darstellt, muss für den anderen keinesfalls der Fall sein." (Gruber 2010:27) Diesem Hintergrund trägt die Teilnehmerorien-tierung, die seit vielen Jahren einer der Leitgedanken der Erwachsenenbildung ist, Rechnung.

Orientierung an Anforderungen von Stakeholdern

In der Praxis stellt sich nun die Herausforderung trotz dieser starken Subjektivität ein Vorgehen zu entwi-ckeln, dass die Beeinflussung von Qualität beziehungsweise von Qualitätsurteilen ermöglicht. Die Orientie-rung an den Interessen und Erwartungen der Nutzer, Kunden oder Konsumenten scheint dabei ein sinnvoller Weg zu sein: "Auch wenn man nicht davon ausgeht, dass individuelle Interessen die Entwicklung eines Qua-litätsgesichtspunktes oder -anspruches vollständig determinieren (im Extrem haben Menschen sogar die Möglichkeit, gegen ihre eigenen Interessen zu votieren und zu handeln), so erscheint es aber doch realis-tisch, den individuellen Interessen bei der Bildung eines stets selektiven Qualitätsurteils große Bedeutung zuzumessen." (Heid 2000:47)

Die ISO 9001 geht auf diesen Umstand bereits ein. Sie definiert Qualität als "Vermögen einer Gesamtheit inhärenter Merkmale eines Produktes […] zur Erfüllung von Forderungen von Kunden und interessierten Parteien". Die Erwartungen der Kunden werden damit zum eigentlichen Maßstab für die Qualität eines Pro-duktes oder einer Dienstleistung. "Im Grunde genommen geht es darum, inwieweit das Produkt mit den Er-wartungen der Kunden übereinstimmt" (Harvey/Green 2000:28). Grundlage dafür sind die Kundenanforde-rungen, die vorher ermittelt werden müssen. Ziel muss es dann sein, dass Produkt oder Dienstleistung diese bestmöglich treffen. "Ein Qualitätsprodukt liegt also dann vor, wenn die vom Konsumenten benannten Anfor-derungen erfüllt sind." (Harvey/Green 2000:24) Dabei stellen sich die Fragen, welche Interessensgruppen an dieses Produkt oder diese Dienstleistung Erwartungen haben und wie diese Anforderungen genau ausse-hen: "Wessen Interessen kommen in der Bestimmung einzelner Qualitätskriterien zur Geltung? Wessen Interessen werden dabei vernachlässigt? Wie wird mit Interessenkonflikten umgegangen?" (Heid 2000:47) Denn die Erwartungen und Anforderungen, die Kunden oder Konsumenten tatsächlich in ihr Qualitätsurteil einbringen, sind in der Regel nicht bekannt. Teilweise sind sie diesen Personen selbst nicht bewusst, teil-weise sind die betreffenden Anspruchsgruppen gar nicht oder nicht vollständig bekannt. Deshalb sind Aus-handlungsprozesse nötig, in denen zum einen die betreffenden Anspruchsgruppen identifiziert und zum an-deren an-deren Anforderungen genau aufgenommen und analysiert werden.

In diesem Kontext wird deutlich, dass es wichtig ist, die Erwartungen der Lernenden nicht erst in der Lehr-Lern-Interaktion zu berücksichtigen, sondern in der Qualitätsentwicklung bereits im Vorfeld. Dies wird jedoch in der Praxis kaum gemacht. Gruber meint, dass die "bisher geringe Bedeutung des Nachfrageansatzes Ergebnis einer langen Bildungstradition hierzulande ist, die weniger das Subjekt mit seinen Bildungsbedürf-nissen in den Mittelpunkt stellt als vielmehr von außen an den Menschen herangetragene Vorgaben als Ziel

von Bildungsbemühungen hat […]. Konkret heißt das: Wann wurden wir in unserer zumeist langen Bildungs-geschichte wirklich gefragt, was wir wo und wie lernen möchten? Es ist also nicht zu erwarten, dass in so kurzer Zeit ein Perspektivenwechsel in Richtung Nachfrageorientierung gelingt […]." (Gruber 2010:27f.) Tat-sächlich gestaltet sich bei den Teilnehmern die Erfassung der konkreten Anforderungen an die Weiterbil-dung teils schwierig, da "oft sehr subjektive, wenig greifbare, manchmal sogar diffuse Maßstäbe von den Einzelnen an gelungene Lernprozesse angesetzt werden" (Gruber 2010:27). Wie eine Person lernt, ist ihr oft selbst nicht bewusst. Als Kunde ist der Mensch oft nicht immer fähig oder in der Lage, zu benennen, was verlangt und gewünscht wird (Elton 1992). Besonders im beruflichen Kontext muss ein Lernender vielleicht auch widerstreitende Gefühle vereinbaren, zum Beispiel eigenes Ruhebedürfnis oder Lustlosigkeit mit Ver-antwortungs- und Pflichtgefühl gegenüber seiner Abteilung. Mitunter werden auch die in den vorigen Kapi-teln beschriebene Irritation oder empfundenes eigenes Unwissen als schmerzhaft empfunden. Für den Lernprozess mögen beide wichtig sein, der Lerner wird jedoch im Vorfeld versuchen, solche Situationen zu vermeiden. Darin zeigt sich auch, dass der Bedarf langfristig oft anders gelagert ist als kurzfristige Wünsche.

Marchese schreibt dazu mit Bezug auf die Lernwünsche von Studenten: "Die Befriedigung studentischer Bedürfnisse ist im Grund nicht identisch mit der Erfüllung ihrer Wünsche." (Marchese 1991 in Harvey/Green 2000:28).

Die Beschreibung von Qualität aus Sicht der Nachfragenden kann also immer nur eine Annäherung sein (Gruber 2010:27). Es gilt diese Angaben fachgerecht zu hinterfragen, zu interpretieren und um die Sicht der anderen Stakeholder sinnvoll zu ergänzen. Entscheidend ist aber, sie in jedem Fall abzufragen und den Teilnehmenden passende Artikulationsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, "um ihre je eigenen Quali-tätsmaßstäbe zu äußern, die anschließend auch in der zu besuchenden Veranstaltung soweit wie möglich umzusetzen wären" (Denker 2006:221). Letzteres weist nochmals darauf hin, dass die Herstellung von Qua-lität keine Einbahnstraße ist, besonders wenn es sich um einen länger währenden Prozess wie einen Lern-prozess handelt. Dann ist nicht davon auszugehen, dass der Lernende einmalig zu Beginn Bedürfnisse und Erwartungen angibt, die dann im Laufe des Lernprozesses erfüllt werden – oder eben nicht. Vielmehr oszil-liert die Bedürfnisbefriedigung im Laufe der Zeit (siehe Abb.6). Die Bedarfe ändern sich. Kann in diesen Momenten nachgesteuert werden, kann letztlich auch eine zufriedenstellende Befriedigung der Anforderun-gen erreicht werden.

Abb. 6: Lernbedürfnisse während des Lernprozesses, eigene Darstellung

Unternehmen sollten also auch während des Bildungsprozesses die Erwartungshaltungen abfragen. Dies ist jedoch keine übliche Praxis, wie der Teilnehmer insgesamt nur wenig in die Qualitätserstellung eingebunden ist. "Zieht man ein Resümee zur Berücksichtigung der Qualitätsvorstellungen der Lernenden, dann muss man sagen, dass dieses bisher kaum berücksichtigt wird [...]. Es fehlt an einschlägiger Forschung und an Artikulationsmöglichkeiten der Subjekte, wobei noch offen ist, inwieweit die Lernenden selbst sich ihres Qua-litätsverständnisses bewusst sind und ob sie sich bei ihrer [...] Weiterbildung daran orientieren.“(Wittwer 2004:18) Wenn Lernbedürfnisse sich schon während eines Seminars ändern können, so sind sie in jedem Fall über Monate oder Jahre hinweg flexibel. Wie jede Kundenanforderung können sich auch diese ändern.

Sie müssen also von den Unternehmen regelmäßig überprüft werden. Gerade bei technischen Neuentwick-lungen oder bei unbewussten oder nicht geäußerten Kundenwünschen müssen diese auch antizipiert wer-den (Harvey/Green 2000:25).

In den verschiedenen Erwartungshaltungen liegt also eine Chance, sich dem Qualitätsverständnis zu nä-hern. Wichtig ist dabei die Gleichbehandlung von individuellen Erkenntnissen durch Gleichberechtigung der Beobachtungen. Jede Qualitätsdefinition hat ihre Berechtigung und einen speziellen Entstehungshinter-grund, ein Wirklichkeitskonstrukt, auf dem sie basiert (Loibl 2003:20). Das bedeutet auch, dass alle Perspek-tiven gleichermaßen geschätzt werden. Loibl stellt für die Volkshochschulen heraus: "Alle Beteiligten sind Experten für die Qualität öffentlicher Weiterbildung. Daher müssen die subjektiven Einschätzungen dieser Experten in die Qualitätsdiskussion einfließen und im Sinne einer Perspektivverschränkung für das Quali-tätsmanagement der Organisation fruchtbar gemacht werden" (Loibl 2003:12f.). Ein systematisches Vorge-hen zur Ermittlung individueller Kriterien wird die Subjektivität der letztlich getroffenen Qualitätsurteile nie auflösen: "Die Entscheidung über die Bestimmung und Geltung bestimmter Qualitätskriterien sind [sic!] im-mer subjektiv, und zwar auch dann, wenn sie aus einer intersubjektiven Auseinandersetzung oder Verstän-digung hervorgehen." (Heid 2000:47) Die bewusste Auseinandersetzung mit diesen subjektiven Urteilen

kann jedoch dazu beitragen, gemeinsame Grundanforderungen zu finden, Nutzungsmöglichkeiten zu evalu-ieren und Erwartungshaltungen zu erkennen. "Qualitätsbegriff, Qualitätskriterien und die Anwendung dieser Kriterien auf Beurteilungsgegenstände können und sollten Gegenstand intersubjektiver und interdisziplinärer Diskurse sein." (Heid 2000:47) Man könnte es auch verkürzt formulieren: "Was Qualität ist, (ist) das Resultat einer Übereinkunft zwischen den verschiedenen Beteiligten [...]: denjenigen, die sie produzieren und denje-nigen, die die 'Abnehmer' solcher Leistungen sind." (Küchler 1999:7).

Der an dieser Stelle formulierte Ansatz, die Interessen der verschiedenen Anspruchsgruppen zur Qualitäts-definition zusammenzubringen, soll über die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, nicht hinwegtäu-schen. Denn neben der bereits erwähnten begrenzten Verfügbarkeit von Informationen über persönliche Haltungen und Erwartungen, besteht die Herausforderung, eine Vielzahl unterschiedlicher und zum Teil di-vergierender Anforderungen zu treffen: "Es besteht also ein breites Spektrum von Interessen, die zum Teil kompatibel, zum Teil divergierend sind." (Faulstich 2003:27) Es gibt kaum Optionen, die für alle Beteiligten gleichermaßen ideal sind. Denker stellt heraus, es ist "nicht leicht, überhaupt angemessene Qualitätsstan-dards zu definieren, da verschiedenste Protagonisten durchaus heterogene Lösungsansätze aufweisen"

(Denker 2006:38). Letztlich muss ein Unternehmen, das sich mit der Definition der Qualität ihrer Produkte und Dienstleistungen beschäftigt, immer auch entscheiden, welche Anforderungen nicht berücksichtigt wer-den.

Abhängigkeit des Qualitätsurteils von den Rollen und Funktionen der Beteiligten

In Unternehmen kommt außerdem zum Tragen, dass die Beteiligten in verschiedenen Rollen agieren und darin mit unterschiedlichen Rollenerwartungen konfrontiert sind. Gemeint ist damit nicht die Rolle als Ler-nender selbst. In dieser muss eine Person in der Qualitätsdefinition in jedem Fall gehört werden, gleiches gilt für den Lehrenden: "In der pädagogischen Praxis sind Lehrende und Lernende unvermeidbar wechselseitig an der Definition sowohl der Zwecke als auch der Qualitätsvorstellungen unterrichtlichen Handelns beteiligt."

(Heid 2000:48) Dies trifft die Überlegungen zu den entscheidenden Stakeholdern aber nur teilweise. Denn im Unternehmen sind Beteiligte am Bildungsprozess zum Beispiel auch Mitarbeiter, Vorsetzte, Mitglieder der Unternehmensleitung oder Betriebsräte. Diese Rollenzugehörigkeit determiniert die Aufgaben und Befugnis-se, die ihnen im betrieblichen Bildungsmanagement zukommen, und damit auch ihre Erwartungen und An-forderungen. Weiterbildung erfüllt für diese Gruppen bestimmte Funktionen, die unterschiedlich sein können.

Die unterschiedlichen Qualitätskriterien, die sich daraus ergeben, korrespondieren mit der persönlichen Rol-le im System (Franz 2004:102).

Für die verschiedenen Akteure kommen dabei unterschiedliche dominante Prämissen, Tendenzen, Interes-senbezüge und Machtkonstellationen zum Tragen (Faulstich 2003:26). Die verschiedenen Stakeholdergrup-pen unterscheiden sich auch in ihren Vorstellungen über den Nutzen oder die Verwendung der Weiterbil-dung (Harvey/Green 2000:28). Diese sind nicht immer von außen einsehbar. Viele Organisationsmitglieder verfolgen neben den ihrer Rolle entsprechenden Organisationszielen ihre eigenen manifesten und latenten Ziele. So möchte ein Vorgesetzter vielleicht nach außen hin den von ihm als Teilnehmer einer Bildungsmaß-nahme geschickten Mitarbeiter für die heutigen oder kommenden Aufgaben qualifizieren. Latent schwingen jedoch vielleicht ganz andere Zielsetzungen mit wie zum Beispiel Belohnung oder Bestrafung (Rosenstiel 2008:124). Dies soll jedoch nur als Hintergrundinformation dienen, denn von Rosenstiel weist zurecht darauf hin: "Man wird aber kaum die Qualität der Maßnahme danach bewerten wollen, ob sie den angedeuteten

latenten Zielen gerecht wird, so dass hier eine Beschränkung auf jene Ziele erfolgen soll, die manifest ange-strebt werden." (Rosenstiel 2008:124)

Einbeziehung aller Sichtweisen auf Bildungsqualität

Die Qualität des Bildungsmanagements oder der Weiterbildung insgesamt wird dabei bestimmt aus den Bewertungen aller Stakeholder: "Qualität ist ein Konstrukt, das erst durch die Einbeziehung der relevanten Beteiligten (Teilnehmende, Mitarbeitende, Politiker, Öffentlichkeit etc.) definiert werden kann." (Loibl 2003:49) Die verschiedenen Interessensgruppen "konstruieren in gewisser Weise Qualität, indem sie Merk-male benennen, die Qualität kennzeichnen sollen" (Gieske 1997:31, genannt in Kohl/Weber 2011:5). Kon-krete Merkmale haben gegenüber Konstrukten den Vorteil, dass sie klar benannt und teilweise auch mess-bar sind. Um zu gemeinsamen Qualitätsstandards zu kommen, muss klar herausgearbeitet werden, "welche Kriterien eine bestimmte Interessengruppe anwendet, wenn sie Qualität beurteilt und welche unterschiedli-chen Sichtweisen zum Zuge kommen, wenn Qualität eingeschätzt wird" (Harvey/Green 2000:36). Je konkre-ter und detaillierkonkre-ter die Informationen darüber sind, desto besser: "Präzisierungen und Operationalisierungen individueller Qualitätskriterien und -überzeugungen sind eine Bedingung der Möglichkeit, sich darüber zu verständigen.“ (Heid 2000:45)

Ideal wäre es natürlich, wenn alle Handlungsträger in diesen Prozess integriert werden könnten und so letzt-lich von allen geteilte Qualitätsstandards entwickelt werden könnten mittels dialogischer und demokratischer Aushandlungsprozesse zwischen den Handlungsträgern aller drei Systemebenen (Schlutz 1986:185). Alle am Lernprozess Beteiligten sollten in Interaktions- und Kommunikationsprozessen aushandeln, "was am einzelnen Lernort unter Qualität zu verstehen [ist] und wie Qualitätsentwicklung befördert werden kann"

(Tödt 2008:85). Loibl ist optimistisch der Ansicht, es sei "durchaus möglich, alle 'systemrelevanten Akteure' und ihre subjektiven Einschätzungen und Interessen angemessen in diesem Prozess zu berücksichtigen"

(2003:54). Denker ist kritischer. Für ihn ist die Aushandlung mit allen Stakeholdern zwar wünschenswert, für die "praktische Umsetzung in Reinform aber wohl illusorisch" (Denker 2006:222). Er verweist auf Zeit- und Kostenintensität eines solchen Prozesses und auf das benötigte hohe Maß an Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten (Denker 2006:38). Eine Fokussierung auf Kerngruppen unter den Stakeholdern könnte hier ein guter Kompromiss sein.

Unklar bleibt dabei, welches Ergebnis tatsächlich erreicht werden soll. Die Berücksichtigung aller Stakehol-dererwartungen ist aufgrund der auseinandergehenden Interessenslagen nicht möglich. Ein Versuch, dies zu erreichen, würde lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner erfassen und dabei mit hoher Wahrschein-lichkeit in Allgemeinplätze verfallen, die den praktischen Qualitätsbemühungen keine Impulse geben können.

"Im Hinblick auf Ausbildungsqualität ist auch im Rahmen einer Modellversuchsreihe nicht mit einem verein-heitlichten Verständnis zu rechnen." (Fischer/Reglin 2011:6) In den Überlegungen zur Qualität der dualen Ausbildung arbeiteten Fischer und Reglin heraus: "Wohl aber ist es notwendig und möglich, ein System von Qualitätsindikatoren bzw. -faktoren für die betriebliche Berufsausbildung zu entwickeln, in dem die jeweiligen Qualitätsansätze und -ansprüche verortet werden können." (2011:6) Dies wäre schon einmal ein wichtiger und hilfreicher Schritt. So könnte untersucht werden, aus welcher Richtung die gesetzten Anforderungen kommen und welche Abschnitte des Lernprozesses davon betroffen sind. Durch eine Perspektivverschrän-kung der unterschiedlichen Sichtweisen der Stakeholder könnte versucht werden, die subjektive Beurteilung dort wo möglich zu objektivieren (Franz 2004:102) und durch konkrete Indikatoren zu hinterlegen.

Qualitätsurteil bei der Dienstleistung Bildung

An dieser Stelle sei noch einmal auf die Besonderheit der Bildung als Dienstleistung verwiesen. Denn wenn der Lernende im Bildungsprozess eine aktive Rolle spielt und für den Lernerfolg mitverantwortlich ist, heißt das, dass er auch Verantwortung für die Qualität des Lernprozesses trägt. "Weder ist […] der Lehrprozess eine von der Einrichtung allein verantwortete unveränderliche Dienstleistung, noch sind die zustande kom-menden Lernprozesse in der alleinigen Verantwortung der Einrichtung oder gar bei allen Lernenden gleich."

(Heinold-Krug u.a. 2001:7) Der Lernende besitzt also eine doppelte Aufgabe. Er bewertet den Lernprozess in seinem Qualitätsurteil, ist aber selbst aktiv an der Herstellung dieser Qualität beteiligt, zum Beispiel mit seiner Mitwirkung, Motivation und aktiver Beteiligung (Loebe/Severing 2003:33). Insofern ist das Qualitätsur-teil eines Lernenden immer ein Stück weit auch eine Bewertung der eigenen Lernleistung, des eigenen En-gagements im Lernprozess, auch wenn dieser Umstand den Beteiligten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bewusst ist.

Gleiches gilt natürlich auch für alle anderen am Lernprozess beteiligten Personen, insbesondere dem Bil-dungsmanagement oder der Personalentwicklung, die die Maßnahmen steuert, sowie den Trainern, die die Wissensvermittlung übernehmen. Auch diese gestalten das Lernen aktiv mit und müssen in die Qualitäts-entwicklung eingebunden sein: "Die Qualität von Lernprozessen ist nur kommunikativ zwischen den beteilig-ten Pädagoginnen und Pädagogen und den Teilnehmenden zu ermitteln." (Heinold-Krug u.a. 2001:7) Sie entsteht in der Interaktion zwischen "Hersteller" und "Verbraucher" (Schiersmann 2002). Die Qualitätsent-wicklung basiert damit insbesondere auf Kommunikation und Verständigung.

Gibt es ein Grundverständnis von Bildungsqualität?

In den vorangegangenen Abschnitten wurde ausgeführt, dass Qualität eine stark subjektive Komponente hat und im Unternehmen die Herausforderung darin besteht, die verschiedenen subjektiven Sichtweisen der Beteiligten zusammenbringt. Loibl geht davon aus, dass eine Qualitätsvorstellung aus diesem Grund nur individuell für ein bestimmtes Unternehmen, beziehungsweise im Fall von Loibl für einen bestimmten Bil-dungsanbieter gilt: "Qualität ist ein Konstrukt, das erst durch Einbeziehung möglichst vieler Beteiligter aus unterschiedlichen Referenzgruppen in jeder Bildungsorganisation im Einzelfall definiert werden kann." (Loibl 2003:12) Ähnlich entscheidet Heinold-Krug mit der Aussage, dass jede Bildungseinrichtung eine eigene Definition pädagogischer Qualität erarbeiten muss (Heinold-Krug u.a. 2001:8). Sie geht davon aus, dass bei den Beteiligten unterschiedliche Vorstellungen zur pädagogischen Qualität bestehen je nach Wissen, Wer-teprägung, Erfahrung und persönlicher Haltung (Heinold-Krug u.a. 2001:8).

Diese Einschätzung läuft dem Alltagswissen entgegen. Natürlich ist jede Bewertung von Bildungsaktivitäten subjektiv. Nichtsdestotrotz müsste doch zumindest ein Basisverständnis darüber zu erreichen sein, was im Zusammenhang mit Weiterbildung als "gut" einzuschätzen ist. Das sollte besonders für Bildungsanbieter gelten, die zumindest in ihrem Bildungsanspruch und der Vorstellung des Bildungsnutzens große Schnitt-mengen haben müssten.

Diese Fragestellung soll in den folgenden Kapiteln eingehend bearbeitet werden, indem Anforderungen und Vorstellungen von Qualität verschiedener Stakeholder analysiert werden.

4 Stakeholder als Akteure der betrieblichen