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Aktueller Forschungsstand zum Verhältnis Sozialer Arbeit und

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3. SOZIALE ARBEIT UND POLITIK

3.3 Aktueller Forschungsstand zum Verhältnis Sozialer Arbeit und

Nach Böhnisch und Schröer haben Soziale Arbeit und Sozialpolitik ein gemeinsames Ziel, nämlich „[…] die Verbesserung sozial riskanter Lebensverhältnisse und ungleicher Lebenschancen.“73 Dieses gemeinsame Ziel legt bereits nahe, auch gemeinsam am Erreichen des Ziels zu arbeiten, etwa durch regen Austausch bzw. durch direkte Kommunikation. Die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Sozialpolitik und Sozialer Arbeit rücken später noch in den Fokus dieser Arbeit. Zunächst werden die grundlegenden Verhältnisse zwischen den beiden Bereichen dargestellt.

Wie in der Literatur immer wieder betont wird – beispielsweise bei Benz und Rieger et al.

– und die Recherche zu vorliegender Arbeit bestätigen kann, ist die Beziehung von Sozialer Arbeit und (Sozial-)Politik bzw. sind ihre Wechselwirkungen wenig erforscht.74 Auch gibt es im deutschsprachigen Raum kaum Literatur, die den aktuellen Forschungs- und Diskussionsstand entsprechend abbildet.75

In ihrem Grundlagenwerk „Politik Sozialer Arbeit“ aus dem Jahr 2013 beschreiben Benjamin Benz, Günter Rieger, Werner Schönig und Monika Schukalla den Zusammenhang zwischen Sozialer Arbeit und Politik als einen „engen und komplexen“.76

71 Vgl. Stadt Wien, Magistratsabteilung 24, S. 20.

72 Vgl. Ebenda.

73 Böhnisch/Schröer, 2012, S. 98.

74 Vgl. Schönig, 2013, S. 33.

75 Vgl. Benz et al., 2013, S. 8.

76 Ebenda.

Sie postulieren einen grundlegenden Zusammenhang, nämlich dass die Rahmenbedingungen für die Soziale Arbeit politisch konstituiert seien und die Soziale Arbeit von der Politik abhänge.77 Gleichzeitig sprechen sie davon, dass auch Soziale Arbeit Politik beeinflusse, indem sie politische Entscheidungen umsetze, Interessen vertrete, in Gremien vertreten sei, PolitikerInnen berate und zur politischen Bildung beitrage.78

Liest man diese Abfolge, so könnte man annehmen, dass Soziale Arbeit eine starke Stimme in Bezug auf politische Entscheidungen hat. Dass es hier durchaus Verbesserungspotential und „Luft nach oben“ gibt, zeigt sich an anderer Stelle im Werk, wo von „der relativ schwachen gesellschaftlichen Position der Sozialen Arbeit“ die Rede ist und versucht wird, mögliche Ursachen zu definieren.79 Als eine mögliche Ursache wird beispielsweise der ganzheitliche Anspruch der Sozialen Arbeit erwähnt, der dem gegenwärtigen Trend zur „funktionalen Differenzierung“ und Spezialisierung auf einzelne Funktionsbereiche zuwiderläuft.80

Die AutorInnen postulieren, dass in Deutschland und ähnlich organisierten Sozialstaaten (Anm.: demnach auch in Österreich) die Verbindung zwischen beruflicher Sozialer Arbeit und staatlicher Sozialpolitik besonders eng zu sein scheint und die Sozialpolitik hier besonders dominant sei.81 An dieser Stelle sei noch einmal betont, wie auch Werner Schönig zu bedenken gibt, dass – so gesichert auch eine enge Verbindung von Sozialer Arbeit und Sozialpolitik sei – die Literatur zu den Interdependenzen „überraschend sprachlos“ bleibt.82 Schönig bezieht sich in einer seiner Ausführungen auf Benz im Jahre 2010, der damals bereits feststellte, „[…] dass sich die wissenschaftlichen Diskurse von Sozialpolitik und Sozialer Arbeit bislang wenig aufeinander beziehen“83. Sicher scheint nach Kaufmann nur die Ambivalenz im Verhältnis von Sozialer Arbeit und sozialer Politik84, die von Schönig als „[…] Mehrdeutigkeit und Vielfältigkeit“ interpretiert wird, „[…]

die sich einer einfachen Ordnung widersetzt“.85 Weiters kritisiert Schönig die mangelnde

Betrachtung der Wechselwirkung zwischen den beiden Bereichen, die – wie er mit Rieger 2002 begründet – „den Kern ihres Verhältnisses“ ausmacht.86

Nachstehend werden vorhandene Forschungsergebnisse und Erkenntnisse dargestellt, die speziell für diese Arbeit zusammengetragen wurden, um Zusammenhänge, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Sozialer Arbeit und Sozialpolitik zu erläutern. Dies soll in weiterer Folge ermöglichen, die Notwendigkeiten einer direkt(er)en Kommunikation und deren Potentiale eingehender zu betrachten und zu analysieren.

3.3.1 Zusammenhang

Schönig87 beschreibt Sozialpolitik als generalisierend und im Wesentlichen materiell orientiert. Im Zusammenhang dazu baue die Soziale Arbeit ihre fallbezogene Intervention auf den materiellen Unterstützungsleistungen der Sozialpolitik auf. Sie eröffne Zugänge zu diesen materiellen Leistungen und berate im Zusammenhang mit der Sozialverwaltung. Die Soziale Arbeit sei darüber hinaus „[…] auch immateriell orientiert, indem sie die psychischen, milieubezogenen, sozialräumlichen, zwischenmenschlichen und ähnliche Aspekte des Einzelfalls benennt und zu beheben versucht“.88 Nach Kaufmann kann die Soziale Arbeit als eine „[…] Teilfunktion der praktischen Sozialpolitik“89 betrachtet werden.

Die Soziale Arbeit handelt nach Schönig primär im Kontext von Einzelfällen von einzelnen Menschen und Gruppen.90 Die Perspektive auf den Einzelfall werde jedoch oftmals methodisch ausgeweitet, denn die Problemlage kann auch eine spezielle Gruppe, ein spezielles Milieu oder einen Stadtteil betreffen, für die jeweils Lösungen benötigt werden.91 Die Einzelfälle, mit denen sich Soziale Arbeit beschäftigt, sind für die Politik wiederum insofern relevant, als diese abstrahiert werden.92 Es werden Personengruppen typisiert und für diese Gruppen überindividuelle gesetzliche Bestimmungen formuliert.93 Die Sozialpolitik nimmt hierdurch eine generalisierende Gestaltung der

Lebensbedingungen dieser Gruppierungen vor und schafft verbindliche Regelungen.

Damit wiederum gibt sie die Rahmenbedingungen für Interventionen und Entscheidungen den Einzelfall betreffend vor.94

Ausnahmen und Sonderfälle jedoch können von generalisierenden Sicherungssystemen bzw. Institutionen nicht bearbeitet werden.95 Hier kommt die Soziale Arbeit ins Spiel.

Schönig betont in diesem Zusammenhang, dass alle BürgerInnen in solche ausnahmeartigen Situationen geraten können.96

Soziale Arbeit und Sozialpolitik beziehen sich wechselseitig aufeinander. Einerseits reagiert die Soziale Arbeit, wie es Schönig bezeichnet, als „Nachhut der Sozialpolitik auf gesellschaftliche Integrationsprobleme.97 Sie erschließt KlientInnen Transfers, die von der Sozialpolitik zur Verfügung gestellt werden, und komplettiert diese durch Unterstützung zur Selbsthilfe.98

Auf der anderen Seite stellt Soziale Arbeit im Zuge ihrer Tätigkeit auch neue soziale Probleme fest. Sollte die Soziale Arbeit auf einen neuen komplexen Falltypus stoßen, kann es sein, dass sie einen Bedarf zur Ergänzung oder Veränderung sozialstaatlicher Transferleistungen feststellt.99 Nun würde sie versuchen, die Grenzen der Sozialpolitik zu erweitern und wäre somit als „Vorhut“100 der Sozialpolitik in Bezug auf neue soziale Probleme tätig.101 Eine direkt(er)e Kommunikation könnte dieser Betrachtung nach – in Bezug auf die Rückmeldung über neue soziale Probleme in Richtung Sozialpolitik – sinnvoll sein.

Inwieweit diese Rückmeldung in der Praxis ausreichend erfolgen kann bzw. inwieweit Bedingungen herrschen, damit vor allem auch die zweite Wechselwirkung, die Rückmeldung der Sozialen Arbeit als Vorhut neuer sozialer Probleme, entsprechend und zeitnahe erfolgen kann, darüber gibt der empirische Teil dieser Arbeit Aufschluss. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit den Gemeinsamkeiten der beiden Tätigkeitsfelder,

die vielleicht eine direkte Kommunikation der beiden wichtigen gesellschaftlichen AkteurInnen begünstigen können.

3.3.2 Gemeinsamkeiten

Es hat sich bereits gezeigt, dass zwischen Sozialer Arbeit und Sozialpolitik viele Verbindungen bestehen. Eine der Gemeinsamkeiten ist das Ziel, Exklusion zu vermeiden bzw. Inklusion in einer Gesellschaft zu ermöglichen. Nach Badelt und Österle ist es daher Ziel und zugleich Nebenbedingung jeder sozialpolitischen Maßnahme, soziale Ausgrenzung zu reduzieren und Integration zu fördern.102

Auch die Soziale Arbeit verfolgt dieses Ziel – ist doch die Inklusion marginalisierter, sozial ausgegrenzter, besitzloser, verletzlicher und großen Risiken ausgesetzter Gruppen eine ihrer zentralsten Absichten.103.In Österreich deklariert das Sozialministerium Sozialpolitik als Voraussetzung für den sozialen Zusammenhalt.104 Die internationale Definition der Sozialen Arbeit (siehe Abschnitt 2.1.) beschreibt die Arbeit am sozialen Zusammenhalt als eine der Kernaufgaben der Sozialen Arbeit. Eine der Gemeinsamkeiten, die sich speziell in Bezug auf die Wiener Stadtpolitik und der Sozialen Arbeit feststellen lässt, ist eine sehr grundsätzliche in Zusammenhang mit dieser Arbeit: Die Soziale Arbeit betrachtet sich selbst als Menschenrechtsprofession und ist als solche in sämtlichen Kodizes den Menschenrechten verpflichtet.105 Die Stadt Wien hat es sich ihrerseits zum Ziel gemacht, zur „Menschenrechtsstadt Wien“ zu werden und dies sogar im rot-grünen Regierungsübereinkommen 2015 festgeschrieben.106 Im Rahmen dessen hat man sich zum Ziel gesetzt, die Sensibilität für Menschenrechte in allen Bereichen der Gesellschaft voranzutreiben.107 Zur Realisierung werden hier Schwerpunkte in den Bereichen Inklusion, Verteilungsgerechtigkeit und Soziale Sicherheit angegeben.108 Unter anderem soll auf formelle und informelle Partizipation und auf den aktiven Einbezug der Bevölkerung Wert gelegt werden.109

102 Vgl. Badelt/Österle, 2001, S. 10f.

103 Vgl. International Federation of Social Workers European Region E.V., 2010, S. 6.

104 Vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, 2014, S. 8.

105 Vgl. Ebenda, S. 5.

106 Vgl. Stadt Wien, 2015a, S. 16.

107 Vgl. Ebenda.

108 Vgl. Ebenda.

109 Vgl. Stadt Wien, 2015b, s.p.

Gerade in Hinblick auf sozial marginalisierte Menschen wurde im Rahmen des Übereinkommens die Vereinbarung getroffen, gezielte Maßnahmen zur Stärkung zu setzen und zielgruppenorientiert zum Thema Menschenrechte zu informieren.110

An diesen Beispielen zeigen sich die zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen Sozialer Arbeit und Sozialpolitik sowohl in den Zielen als auch in den Werthaltungen sowie in Bezug auf den Gegenstand.

3.3.3 Unterschiede

Die beiden Berufsgruppen SozialarbeiterInnen und SozialpolitikerInnen haben im Alltag völlig unterschiedliche Bezugspunkte, die ihnen vertraut sind.111 So kann es sein, dass PraktikerInnen Sozialer Arbeit mit ihren Fällen qualitativ und biographisch argumentieren, während Sozialpolitik vorwiegend quantitativ und personenunabhängig argumentiert.112 Der jeweils andere Bezugspunkt kann als fremd und irritierend erlebt werden.113

Diese Unterschiede in der Perspektive können, wenn sie nicht als wechselseitig ergänzende Perspektive zu einer Ganzheit betrachtet werden, als einer von mehreren Faktoren die Kommunikation und somit die Zusammenarbeit der beiden AkteurInnen erschweren.

Die Unterschiede in der Perspektive der AkteurInnen sind demnach ein Aspekt, der eine direkte Kommunikation erschweren kann. Ein weiterer Aspekt sind die Strukturen und Kommunikationsabläufe innerhalb der sozialen Organisationen, in denen PraktikerInnen vorwiegend tätig sind.

110 Vgl. Stadt Wien, 2015b, s.p.

111 Vgl. Schönig, 2013, S. 50.

112 Vgl. Ebenda.

113 Vgl. Ebenda.

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