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Urteil des EVG vom 2. Dezember 1993 i. Sa. H. B.

Art. 7 Bst. i AHVV. Sitzungsentschädigungen an Mitglieder eines Schulrates gehören zum massgebenden Lohn (Erw. 3a).

Art. 7 und 9 Abs. 1 AHVV. In Form von Pauschalen gewährter Un-kostenersatz muss den tatsächlich entstandenen Spesen gesamthaft gesehen entsprechen (Erw. 3b).

Bei den in Rz 2041 WML vorgesehenen Pauschalbeträgen handelt es sich nicht um generelle Freibeträge, sondern bloss um Unkosten-höchstansätze (Erw. 4b).

Im Dezember 1990 reichte die Schulgemeinde W. der Ausgleichskasse die Lohnbescheinigung für das Jahr 1990 ein, wobei sie gleichzeitig mitteilte, die an H. B. als Mitglied des Schulrates ausgerichteten Sitzungsgelder von ins-gesamt Fr. 2470.— seien in der deklarierten Lohnsumme nicht enthalten, da er mit der Qualifikation dieser Entschädigung als massgebender Lohn nicht einverstanden sei und diesbezüglich eine anfechtbare Verfügung wünsche.

Die Ausgleichskasse berücksichtigte eine Spesenpauschale von 20 Prozent der ausbezahlten Sitzungsgelder und verpflichtete demgemäss die Schulge-meinde W. mit Verfügung vom 18. Januar 1991 zur Nachzahlung paritäti-scher Sozialversicherungsbeiträge für das Jahr 1990 auf einer Lohnsumme von Fr. 1976.— (d. h. auf 80 Prozent der an H.B. ausgerichteten Sitzungsent-schädigung). Die kantonale Rekursbehörde hiess die von H. B. dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 26. November 1992 teilweise gut.

Sie erwog, bis zum Betrag von Fr. 2000.— hätten die Sitzungsgelder als bei-tragsfrei zu gelten. Sie wies die Sache an die Ausgleichskasse zurück, damit diese der Schulgemeinde als Arbeitgeberin und H.B. als Arbeitnehmer die Möglichkeit einräume, eine Verzichtserklärung einzureichen. Am 2. De-zember 1993 hat das EVG die von der Ausgleichskasse gegen den kantona-len Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise gutge-heissen. Aus den Erwägungen:

3a. Nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 AHVG werden vom Einkom-men aus unselbständiger Erwerbstätigkeit, dem massgebenden Lohn, Bei-träge erhoben. Als massgebender Lohn gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt jedes Entgelt für in unselbständiger Stellung auf bestimmte oder unbe-stimmte Zeit geleistete Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begriff-lich sämtbegriff-liche Bezüge des Arbeitnehmers, die wirtschaftbegriff-lich mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis fort-

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besteht oder gelöst worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden oder freiwillig erfolgen. Als beitragspflichtiges Einkommen aus unselbstän-diger Erwerbstätigkeit gilt somit nicht nur unmittelbares Entgelt für gelei-stete Arbeit, sondern grundsätzlich jede Entschädigung oder Zuwendung, die sonstwie aus dem Arbeitsverhältnis bezogen wird, soweit sie nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift von der Beitragspflicht ausgenom-men ist (BGE 116V 179 Erw. 2 = ZAK 1991 S. 173, BGE 115V 419 Erw. 5a, 111 V 78 Erw. 2a = ZAK 1986 S. 218, BGE 110 V 231 Erw. 2a mit Hinwei-sen = ZAK 1985 S. 114). Gemäss Art. 7, Bst. i AHVV gehören Einkommen der Behördenmitglieder von Bund, Kantonen und Gemeinden zu dem für die Berechnung der Beiträge massgebenden Lohn, soweit es sich dabei nicht um Spesenersatz handelt.

Wie eben erwähnt, stellt Spesenersatz nach Art. 7 AHVV nicht massgebenden Lohn dar. Art. 9 Abs. 1 AHVV bestimmt sodann, dass bei Arbeitnehmern, welche die bei der Ausführung ihrer Arbeiten entstehen-den Unkosten ganz oder teilweise selbst tragen, die Unkosten in Abzug gebracht werden können, sofern nachgewiesen wird, dass sie mindestens 10% des ausbezahlten Lohnes betragen. Nicht unter diese Bestimmung fal-len jene Unkosten, die der Arbeitgeber getrennt vom Lohn vergütet; diese sind auch dann zu berücksichtigen, wenn sie weniger als 10% des massge-benden Lohnes ausmachen (BGE 104 V 59 Erw. 2 = ZAK 1978 S. 544;

ZAK 1990 S. 37 Erw. 3 mit Hinweisen).

Nach ständiger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis hat der Ar-beitgeber bzw. Arbeitnehmer nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen, dass die behaupteten Unkosten tatsächlich entstanden sind. Wenn gewisse Unkosten mit Sicherheit entstanden sind, ein genauer ziffern-mässiger Nachweis aber wegen der besonderen Verhältnisse des einzelnen Falles nicht möglich ist, so. sind sie — unter Berücksichtigung der glaubhaf-ten Angaben von Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer — zu schätzen (ZAK 1990 S. 38 Erw. 4, 1979 S. 78 Erw. 2b, je mit Hinweisen; vgl. auch ZAK 1983 S. 321 Erw. 2, 1982 S. 370 Erw. 2d). Die Anerkennung von Unkosten durch die Steuerbehörden ist für die Ausgleichskassen grundsätzlich nicht verbindlich (ZAK 1990 S. 40, 1958 S. 366).

Gerichtliche Feststellungen über den Nachweis oder die Glaubhaftma-chung von Unkosten und gerichtliche Schätzungen hinsichtlich des Umfan-ges von Unkosten sind Tatsachenfeststellungen, die gegebenenfalls nach Massgabe von Art. 105 Abs. 2 OG zufolge offensichtlicher Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit vom EVG korrigiert werden können (vgl. ZAK 1983 S. 321 f., 1982 S. 369 Erw. 2). Eine Korrektur ist auch dann möglich, wenn

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die gerichtliche Vorinstanz bei dieser Tatsachenfeststellung oder Schätzung ihr Ermessen in missbräuchlicher Weise, somit rechtsfehlerhaft im Sinne von Art. 104 Bst. a OG ausgeübt hat (unveröffentlichte Urteile S. vom 8.

März 1988, H 30/87, und H. vom 7. September 1988, H 161/87).

4. Vorliegend ist die Höhe der Unkosten streitig, welche zur Bestimmung des massgebenden Lohnes von der vom Beschwerdegegner im Jahre 1990 bezogenen Schulratsentschädigung in Abzug zu bringen sind.

Das kantonale Gericht hat im angefochtenen Entscheid festgehalten, dass die seitens der Schulgemeinde W. separat vergüteten Unkosten im Umfange von Fr. 280.— lediglich im Zusammenhang mit der Überwachung der Umbauarbeiten im Schulhaus R. bzw. den periodischen Visitationen der insgesamt 10 zugeteilten Lehrkräfte anfielen. Somit wurden im Rahmen der Haupttätigkeit des Beschwerdegegners als Schulratsmitglied, welche in der Teilnahme an Sitzungen der Bau- und der Verwaltungskommission sowie der Gesamtbehörde bestand, keine Aufwendungen ersetzt. Dem Entscheid lässt sich ferner entnehmen, dass die Sitzungstätigkeit mit Unkosten ver-bunden war, die sich indessen ziffernmässig nicht genau nachweisen lassen.

Diese vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen binden das EVG, da sie sich aufgrund der Aktenlage nicht als offensichtlich unrichtig erweisen.

Es bleibt die Frage nach dem Umfang des Spesenabzugs hinsichtlich der Sitzungsgelder. Soweit der Beschwerdegegner unter Hinweis auf die Verwaltungspraxis betreffend die Sitzungsgelder von Mitgliedern der Ver-waltung juristischer Personen die Anrechnung eines Unkostenersatzes von Fr. 120.— für halbtägige bzw. von Fr. 200.— für ganztägige Sitzungen verlangt, ist ihm — in Übereinstimmung mit den Ausführungen der übrigen Verfah-rensbeteiligten — entgegenzuhalten, dass es sich bei den genannten Beträgen um von den Ausgleichskassen zu beachtende Höchstansätze handelt (vgl.

die ab 1. Januar 1990 gültige Fassung von Rz 2041 der Wegleitung des BSV über den massgebenden Lohn). Diese ändern nichts an der klaren Rechts-lage, wonach die effektiven Unkosten vom Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer nachzuweisen oder, wenn dies wegen der besonderen Verhältnisse des Ein-zelfalles nicht möglich ist, von der Ausgleichskasse unter Berücksichtigung glaubhafter Angaben zu schätzen sind (vgl. Erw. 3b hievor). Bei der vorlie-gend vorzunehmenden Schätzung konnte sich die beschwerdeführende Ausgleichskasse auf eine von ihr selbst für die Schulgemeinden erlassene Richtlinie stützen, welche für Sitzungsgelder ohne separate Spesen-vergütung einen Unkostenabzug von 20% vorsieht (vgl: den bei den Akten liegenden Auszug aus dem «Handbuch AHV/IV/EO für die st. gallischen Schulgemeinden»). Dieser Richtwert beruht zweifelsohne auf der lang-

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jährigen einschlägigen Erfahrung der kantonalen Ausgleichskasse. Es sind denn auch keinerlei triftige Gründe ersichtlich, welche im vorliegenden Fall ein Abweichen davon nahelegen würden. Dennoch stellt die Vorinstanz auf den von der kantonalen Steuerverwaltung bei Sitzungsgeldern eingeräum-ten Spesenpauschalansatz von Fr. 2000.— pro Jahr ab. Die diesbezügliche Begründung im angefochtenen Entscheid erschöpft sich in der Feststellung, die vorliegende Berücksichtigung der genannten Pauschale erscheine «dem Gericht als gerechtfertigt und sachgerecht». Die Vorinstanz liess sich indes-sen insofern von unsachlichen, dem Zweck der Art. 7 und 9 Abs. 1 AHVV ' widersprechenden Motiven leiten, als die ihrem Entscheid

zugrundelie-gende Lösung keine Schätzung der durch die Sitzungstätigkeit tatsächlich anfallenden Unkosten mehr darstellt, sondern letztlich auf die Einräumung eines Freibetrages auf Sitzungsgeldern im Umfange des Pauschalansatzes hinausläuft, wie die Ausgleichskasse in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zutreffend einwendet. Übte nach dem Gesagten das kantonale Gericht sein Ermessen bei der Festsetzung des Spesenabzugs in missbräuchlicher Weise, somit rechtsfehlerhaft im Sinne von Art. 104 Bst. a OG aus (vgl. Erw. 2b hie-vor), ist sein Entscheid vom 26. November 1992 aufzuheben. Demgegen-über lässt sich die von der Ausgleichskasse ursprünglich vorgenommene und der angefochtenen Nachzahlungsverfügung zugrundegelegte Schät-zung, wonach von der Sitzungsentschädigung von Fr. 2470.— 20%, mithin Fr. 494.—, als Unkosten in Abzug zu bringen sind, nicht beanstanden.

5a. Gemäss Art. 5 Abs. 5 AHVG kann der Bundesrat Vorschriften erlas-sen, wonach geringfügige Entgelte aus Nebenerwerb mit Zustimmung des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers nicht in den massgebenden Lohn ein-bezogen werden. Von dieser Kompetenz machte der Bundesrat in Art. 8'is AHVV Gebrauch. Nach dieser Bestimmung können die von einem Arbeit-geber ausgerichteten Entgelte, die für den Arbeitnehmer einen Nebener-werb bilden und Fr. 2000.—im Kalenderjahr nicht übersteigen, von der Bei-tragserhebung ausgenommen werden.

b. Unter Berücksichtigung des als zutreffend erkannten Spesenabzugs von einem Fünftel verbleibt vorliegend ein vom Beschwerdegegner im Jah-re 1990 als nebenberufliches Mitglied des Schulrates erzielter massgebender Lohn von Fr. 1976.—. Aus dem Beiblatt zur angefochtenen Nachzahlungs-verfügung ist zu schliessen, dass die Schulgemeinde W. als Arbeitgeberin vor Verfügungserlass über die Möglichkeit in Kenntnis gesetzt worden war, wonach das unter Fr. 2000.— liegende Entgelt von der Beitragserhebung aus-genommen werden kann. Offenbar wollte aber der Beschwerdegegner die Frage nach der Höhe des Unkostenabzugs gerichtlich beurteilt haben. Wie es sich damit im einzelnen verhielt, kann indessen offenbleiben. Entschei-

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dend ist allein, dass im für die richterliche Beurteilung massgebenden Zeit-punkt der angefochtenen Verfügung (BGE 116 V 248 Erw. la mit Hinwei-sen) die für eine Ausnahme von der Beitragserhebung erforderlichen Zu-stimmungen der Arbeitgeberin und des Beschwerdegegners nicht vorlagen.

Die Nachzahlungsverfügung vom 18. Januar 1991 ist demnach zu bestätigen.

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