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Urteil des EVG vom 29. November 1993 i. Sa. K. F.

Art. 25 Abs. 4 AHVV (in der auf den 1. Januar 1988 in Kraft getrete-nen Fassung): Der Übergang vom ausserordentlichen zum ordentli-chen Beitragsbemessungsverfahren kann sich auch dann hinaus-schieben, wenn das erste Geschäftsjahr nicht mit einem geraden Kalenderjahr zusammenfällt bzw. der erste Geschäftsabschluss in ein solches fällt.

K. F. ist seit dem 1. Januar 1987 nebenberuflich als gewerbsmässiger Lie-genschaftenhändler tätig. Mit Verfügungen vom 7. Oktober 1991 setzte die Ausgleichskasse die persönlichen Sozialversicherungsbeiträge für 1987 und 1988 aufgrund des jeweiligen beitragspflichtigen Jahreseinkommens fest;

den Beiträgen 1989 bis 1991 legte sie das beitragspflichtige Durchschnitts-einkommen der Jahre 1987/88 zugrunde. Die kantonale Rekursbehörde hielt in ihrem Entscheid vom 27. Juli 1992 fest, es bestünden Anhaltspunk-te dafür, dass der Übergang vom ausserordentlichen zum ordentlichen Bei-tragsbemessungsverfahren hinausgeschoben werden müsse. Sie wies die Sache an die Ausgleichskasse zurück, damit diese die Frage einer allfälligen Ausdehnung der Gegenwartsbemessung prüfe. Das EVG weist die von K. F.

und der Ausgleichskasse gegen den kantonalen Entscheid erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerden ab. Aus den Erwägungen:

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3a. Gemäss Art. 22 AHVV wird der Jahresbeitrag vom reinen Einkom-men aus selbständiger Erwerbstätigkeit durch eine Beitragsverfügung für eine Beitragsperiode von zwei Jahren festgesetzt. Die Beitragsperiode beginnt mit dem geraden Kalenderjahr (Abs. 1). Der Jahresbeitrag wird in der Regel aufgrund des durchschnittlichen reinen Erwerbseinkommens einer zweijährigen Berechnungsperiode bemessen. Diese umfasst das zweit-und drittletite Jahr vor der Beitragsperiode zweit-und entspricht jeweils einer Berechnungsperiode der direkten Bundessteuer (Abs. 2).

Nimmt der Beitragspflichtige eine selbständige Erwerbstätigkeit auf oder haben sich die Einkommensgrundlagen seit der Berechnungsperiode, für welche die kantonale Steuerbehörde das Erwerbseinkommen ermittelt hat, infolge Berufs- oder Geschäftswechsels, Wegfalls oder Hinzutritts einer Einkommensquelle, Neuverteilung des Betriebs- oder Geschäftseinkom-mens oder Invalidität dauernd verändert und wurde dadurch die Höhe des Einkommens wesentlich beeinflusst, so ermittelt die Ausgleichskasse das massgebende reine Erwerbseinkommen für die Zeit von der Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. von.der Veränderung bis zum Beginn der nächsten ordentlichen Beitragsperiode und setzt die entsprechenden Beiträge fest (Art. 25 Abs. 1 AHVV). Die Beiträge sind für jedes Kalen-derjahr aufgrund des jeweiligen Jahreseinkommens festzusetzen. Für das Vorjahr der nächsten ordentlichen Beitragsperiode sind die Beiträge auf-grund des reinen Erwerbseinkommens festzusetzen, das der Beitragsbe-messung für diese Periode zugrunde zu legen ist (Art. 25 Abs. 3 AHVV).

Gemäss Art. 25 Abs. 4 AHVV (in der bis Ende 1987 gültig gewesenen Fassung) sind jedoch in jenen Fällen, wo die selbständige Erwerbstätigkeit zu Beginn einer ordentlichen Beitragsperiode aufgenommen wird oder die Änderung der Einkommensgrundlage in diesem Zeitpunkt eintritt und das reine Erwerbseinkommen des ersten Beitragsjahres unverhältnismässig stark von dem der folgenden Jahre abweicht, die Beiträge erst für das Vor-jahr der übernächsten ordentlichen Beitragsperiode aufgrund des reinen Erwerbseinkommens festzusetzen, das der Beitragsbemessung für diese Periode zugrunde zu legen ist.

Mit Wirkung ab 1. Januar 1988 ist diese Bestimmung insoweit abgeän-dert worden, als das Erfordernis, dass die Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit oder die Änderung der Einkommensgrundlage zu Beginn einer ordentlichen Beitragsperiode erfolgt sein muss, fallen gelassen wurde.

Es genügt, dass das reine Erwerbseinkommen des ersten Geschäftsjahres unverhältnismässig stark von dem der folgenden Jahre abweicht, damit die Beiträge erst für das Vorjahr der übernächsten ordentlichen Beitragsperio-

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de aufgrund des reinen Erwerbseinkommens festzusetzen sind, das der Bei-tragsbemessung für diese Periode zugrunde zu legen ist.

4a. Die Ausgleichskasse hat die Beiträge des Beschwerdeführers aus der am 1. Januar 1987 aufgenommenen selbständigen Erwerbstätigkeit für die Jahre 1987 und 1988 richtigerweise im ausserordentlichen Verfahren auf-grund der Erwerbseinkommen dieser Jahre festgesetzt (Art. 25 Abs. 1 AHVV). Bei dieser Bemessungsweise fallen Berechnungs- und Beitragspe-riode zusammen. Die vom Beschwerdeführer erhobenen Einwendungen bezüglich sich abzeichnender Verluste aus dem Liegenschaftenhandel ver-mögen nichts daran zu ändern, dass bei der Festsetzung der Beiträge 1987 und 1988 nur die in diesen Jahren eingetretenen Verluste und Aufwendun-gen berücksichtigt werden können. Eine Verlust- oder Aufwandverrech-nung über die massgebliche BerechAufwandverrech-nungsperiode hinaus — selbst wenn die-se nur ein Jahr beträgt — ist nach der Rechtsprechung, an der festzuhalten ist, ausgeschlossen (EVGE 1960 S. 29= ZAK 1960 S. 310; ZAK 1988 S. 452, 1951 S. 461).

b. Der vom Beschwerdeführer-beklagte schlechte Geschäftsgang seines Liegenschaftenhandels kann lediglich für .die Festlegung der persönlichen Sozialversicherungsbeiträge ab 1989 von Bedeutung sein.

Sollte es sich aufgrund von nach 1988 eingetretenen Verlusten so verhal-ten, dass die reinen Erwerbseinkommen ab 1989 vom Einkommen des ersten Beitragsjahres bzw. Geschäftsjahres 1987 im Sinne der Rechtspre-chung unverhältnismässig stark abweichen (BGE 107 V 66 Erw. 3b = ZAK 1981 S. 515), — wofür nach zutreffender Feststellung der Vorinstanz abklärungsbedürftige Hinweise bestehen — stellt sich die Frage, ob die Aus-gleichskasse den Wechsel vom ausserordentlichen zum ordentlichen Bei-tragsfestsetzungsverfahren zu Recht schon auf das Vorjahr (1989) der näch-sten und nicht erst auf das Vorjahr der übernächnäch-sten ordentlichen Beitragsperiode (1991) vorgenommen hat, mit der Folge, dass die (hohen) Einkommen aus dem Jahre 1987 weiterhin massgeblich sind.

5. Zunächst ist zu prüfen, ob im vorliegenden Fall altArt. 25 Abs. 4 AHVV oder die seit 1. Januar 1988 gültige Bestimmung zur Anwendung gelangt.

Die Frage, in welchem Verfahren die Beiträge der Jahre 1989 bis 1991 festzusetzen sind, beurteilt sich nach den in dieser Zeitspanne gültigen Vor-schriften (unveröffentlichtes Urteil M. vom 2. März 1992, H 237/90, vgl. auch BGE 111 V 217 Erw. lb mit Hinweis = ZAK 1986 S. 179). Das ist entgegen den Einwendungen der Ausgleichskasse die Bestimmung von Art. 25 Abs. 4 AHVV in der seit 1. Januar 1988 in Kraft stehenden Fassung. Dass damit

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teilweise an einen Sachverhalt angeknüpft wird, welcher sich vor Inkraft-treten der revidierten Bestimmung ereignet hat — nämlich an die Erzielung des Einkommens im ersten Geschäftsjahr (19$7) —, spricht nicht gegen die Anwendung der revidierten Fassung. Denn hierin könnte höchstens eine unechte Rückwirkung liegen (vgl. dazu BGE 114V 151 Erw. 2= ZAK 1989 S. 178, BGE 113 V 299, 110 V 254 Erw. 3a = ZAK 1984 S. 550, je mit Hin-weisen auf die Rechtsprechung und Lehre), nach deren Grundsätzen einer Anwendung von Art. 25 Abs. 4 AHVV in der seit 1. Januar 1988 gültigen Fassung auf die Beiträge 1989 bis 1991 nichts entgegensteht.

6. Zu prüfen bleibt, welcher Rechtssinn dieser Bestimmung beizumessen ist.

Die kantonale Rekursbehörde ist im angefochtenen Entscheid davon ausgegangen, dass Art. 25 Abs. 4 AHVV in der seit 1. Januar 1988 gültigen Bestimmung dann anwendbar sei, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt seien, somit das Einkommen des ersten Geschäftsjahres wesentlich von dem der folgenden Jahre abweiche, wofür abklärungsbedürftige Anhaltspunkte bestünden. Diesen Standpunkt hat die Rekursbehörde in ihrer Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde des K. F. präzisiert.

Die Bestimmung von Art. 25 Abs. 4 AHVV sei eindeutig und klar. Weder könne aufgrund der Ausführungen des BSV in ZAK 1987 S. 399 von einem redaktionellen Versehen gesprochen werden, noch ergäben sich aus der Ent-stehungsgeschichte oder dem Sinn und Zweck der Norm triftige Gründe für ein Abweichen vom Wortlaut. Denn in allen Fällen, in denen das Einkom-men des ersten Geschäftsjahres unverhältnismässig stark von dem der fol-genden Jahre abweiche, erscheine die Ausdehnung der Gegenwartsbemes-sung grundsätzlich als sachgerecht. Es sei nicht gerechtfertigt, die Weiterführung der Gegenwartsbemessung nur auf die vom BSV als stossend erachteten Fälle anzuwenden, da der frühe Übergang zur Vergangenheitsbe-messung auch in anderen Situationen zu unbefriedigenden Lösungen führen könne. Im vorliegenden Fall sei eine Ausdehnung der Gegenwartsbemes-sung von zwei auf vier Jahre keineswegs unhaltbar. Vielmehr werde damit den «(vermutlich) hohen Einkommensschwankungen» angemessen Rech-nung getragen. Im übrigen sei das EVG in bezug auf altArt. 25 Abs. 4 AHVV selbst bei unbefriedigenden Ergebnissen nicht vom Wortlaut abgewichen (unveröffentlichtes Urteil P. vom 31. März 1987, H 128/86. Dies müsse um so mehr gelten, wenn das Resultat der wörtlichen Auslegung befriedigend sei.

Die beschwerdeführende Ausgleichskasse macht demgegenüber gel-tend, die persönlichen Beiträge des Versicherten ab 1989 seien im Vergan-genheitsverfahren festzusetzen, was sich aus der ratio legis von Art. 25

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Abs. 4 in der ab 1. Januar 1988 geltenden Fassung ergebe. Wie der Stellung-nahme des BSV in ZAK 1987 S. 399 entnommen werden könne, sei die Absicht des Bundesrates durch den geltenden Wortlaut von Art. 25 Abs. 4 AHVV nur unvollständig wiedergegeben. Nicht der Zeitpunkt des Beginns der selbständigen Erwerbstätigkeit (bzw. der Grundlagenänderung) habe den Bundesrat zur fraglichen Verordnungsbestimmung bewogen, sondern der Umstand, dass das gleiche, nicht aussagekräftige Einkommen für min-destens vier Jahre die ausschliessliche Berechnungsgrundlage darstelle. Die Ausgleichskasse zieht daraus den Schluss, dass Art. 25 Abs. 4 AHVV (in der Fassung ab 1. Januar 1988) aufgrund der Entstehungsgeschichte lediglich eine Präzisierung von altArt. 25 Abs. 4 AHVV darstelle, welche dahinge-hend zu verstehen sei, dass die neue Bestimmung nun auch jene Fälle erfas-se, in denen die selbständige Erwerbstätigkeit zwar im Laufe eines ungera-den Kalenderjahres aufgenommen werde bzw. die Änderung der Einkommensgrundlagen in diesem Zeitpunkt eintrete, aber der erste Geschäftsabschluss in das gerade Kalenderjahr falle. Der neue Art. 25 Abs. 4 AHVV wolle somit lediglich vermeiden, dass das gleiche, nicht aus-sagekräftige Einkommen für mindestens vier Jahre die ausschliessliche Berechnungsgrundlage darstelle. Damit sei insbesondere Rz 202e des Nach-trags 5 zur Wegleitung des BSV über die Beiträge der Selbständigerwerben-den und Nichterwerbstätigen (in der Fassung vom 1. Januar 1986), wonach die Weiterführung des ausserordentlichen Verfahrens auch dann möglich war, wenn der Neueinschätzungsgrund im Verlaufe eines ungeraden Kalen-derjahres eingetreten war, aber der erste Geschäftsabschluss in das nachfol-gende gerade Kalenderjahr fiel, auf die vom EVG geforderte gesetzliche Grundlage gestellt worden. Da vorliegend kein gebrochenes Geschäftsjahr im erwähnten Sinne vorliege, seien die Beiträge 1989 bis 1991 definitiv auf-grund des Durchschnittseinkommens der Jahre 1987/88 festzusetzen.

c. Das BSV verweist in seiner Vernehmlassung zur Hauptsache auf die Stellungnahme in ZAK 1987 S. 399 und hält fest, dass vom Wortlaut einer Norm dann abgewichen werden müsse, wenn dieser nicht den wahren Sinn der Rechtsregel wiedergebe, was sich insbesondere aus der Entstehungsge-schichte ergeben könne. Die Ausdehnung der Gegenwartsbemessung führe für die Verwaltung unter Praktikabilitätsgesichtspunkten zu nicht unbedeu-tenden Problemen.

7a. In methodologischer Hinsicht bestehen zwischen den Ausführungen der Rekursbehörde einerseits und der Ausgleichskasse sowie des BSV andererseits keine grundsätzlichen Differenzen. Es besteht Einigkeit dar-über, dass die Auslegung eines Erlasses in erster Linie nach dem Wortlaut zu erfolgen hat, was die gebührende Berücksichtigung der weiteren Ausle-

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gungselemente — soweit vorhanden und verwertbar — nicht ausschliesst. Die Meinungen gehen nur darüber auseinander, ob in bezug auf Art. 25 Abs. 4 AHVV in der ab 1. Januar 1988 gültigen Fassung Auslegungsgesichtspunk-te besAuslegungsgesichtspunk-tehen, welche nahelegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Rechts-sinn der Bestimmung ausdrückt.

Weil Art. 25 Abs. 4 AHVV eine innert kürzerer Zeit mehrfach revidier-te Bestimmung darsrevidier-tellt, kann bei ihrer Auslegung gegebenenfalls nicht aus-ser acht bleiben, dass sich aus der früheren Rechtspraxis Erfahrungen erga-ben, welche für die Änderung der Norm massgeblich gewesen sind (BGE 113V 246 Erw. 4c = ZAK 1988 S. 294).

b. Das EVG hat in den von den Verfahrensbeteiligten erwähnten unver-öffentlichten Urteilen P. vom 31. März 1987, H 128/86, und Ch. vom 12. März 1985, H 30/84, dem Wortlaut von altArt. 25 Abs. 4 AHVV massgebliche Bedeutung zugemessen. Das Gericht hat jeweils darauf abgestellt, ob der Beitragspflichtige seine selbständige Erwerbstätigkeit zu Beginn einer ordentlichen Beitragsperiode aufnahm oder nicht. Das war beide Male nicht der Fall. Im unveröffentlichten Urteil P. vom 31. März 1987, H 128/86, han-delte es sich um einen Versicherten, welcher seit Beginn seiner selbständigen Erwerbstätigkeit sukzessive erheblich höhere Einkommen erzielte und folg-lich daran interessiert war, mögfolg-lichst rasch in den Genuss der Vergangen-heitsbemessung zu kommen. Obwohl das BSV im betreffenden Fall auf die unbefriedigende Konsequenz der wörtlichen Auslegung von altArt. 25 Abs. 4 AHVV hingewiesen hatte, erachtete das EVG die Voraussetzungen für eine Auslegung entgegen dem Wortlaut als nicht erfüllt. Der Umstand, dass ein im Ergebnis stark abweichendes erstes Geschäftsjahr für die Beiträ-ge der nachfolBeiträ-genden vollen vier Jahre die BerechnungsgrundlaBeiträ-ge bilden könne, erscheine nicht derart stossend, dass der Richter dazu aufgerufen wäre, entsprechend dem Geist der Rechtsordnung nach einer besseren Lösung zu suchen. Auch sei zu berücksichtigen, dass durch die Verfeinerung der Regeln des Übergangs vom ausserordentlichen zum ordentlichen Bemessungsverfahren zwar einige Härten gernildert werden konnten, dass' sich aber — wie die Rechtsprechung gezeigt habe (vgl. ZAK 1986 S. 285) — gewisse Ungereimtheiten trotzdem nicht vermeiden liessen. Das EVG hat ferner darauf hingewiesen, dass die Ausgleichskasse gemäss der früheren Praxis die fragliche Verordnungsbestimmung stets entsprechend ihrem Wortlaut gehandhabt habe, was kaum möglich gewesen wäre, wenn dies zu wirklich stossenden Ergebnissen geführt hätte. Da Rz 202e des Nachtrages 5 zur Wegleitung des BSV über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen (in der Fassung vom 1. Januar 1986) dem klaren Wort-laut von altArt. 25 Abs. 4 AHVV widersprach, hat das Gericht die erwähn-

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te Verwaltungsweisung als verordnungs- und bundesrechtswidrig bezeich-net.

c. In BGE 115V 176 Erw. 1 = ZAK 1989 S. 554 hat sich das EVG zu Sinn und Zweck der auf den 1. Januar 1988 in Kraft getretenen Neufassung des Art. 25 Abs. 4 AHVV geäussert. Danach liegt diese Änderung darin begrün-det, dass mit der früheren Fassung die aus der Anwendung der Gegen-wartsbemessung und dem Übergang zur ordentlichen Vergangenheitsbe-messung resultierbaren stossendsten Fälle nicht berücksichtigt waren, in denen die selbständige Erwerbstätigkeit im Verlaufe eines ungeraden Kalenderjahres aufgenommen wurde und der erste Geschäftsabschluss mit einem nicht repräsentativen Geschäftsergebnis in das gerade Kalenderjahr fiel mit der Folge, dass dieses Ergebnis während mindestens vier Jahren die ausschliessliche Bemessungsgrundlage darstellte.

8. Das System der Beitragsfestsetzung bei Selbständigerwerbenden ist seit Anbeginn der AHV ordentlicherweise jenes der Vergangenheitsbemes-sung gemäss Art. 22 AHVV. Durch die Übernahme von Faktoren aus den Veranlagungsunterlagen der Steuerbehörden war es notwendig, zwischen I3erechnungs- und Beitragsperiode ein Zwischenjahr einzulegen, gestützt auf die modellhafte Vorstellung, dass die Bundessteuerveranlagung (späte-stens) im Verlaufe dieses Zwischenjahres erfolgt. Diesem durch das Zwi-schenjahr noch verstärkten System der Vergangenheitsbemessung ist die Möglichkeit eines Auseinanderfallens zwischen dem Erwerbseinkommen, das der Beitragserhebung in einem bestimmten Zeitraum zugrunde liegt und demjenigen, aus welchem der Versicherte die Beiträge bezahlt, imma-nent. Die Bestimmung von Art. 25 AHVV bringt einen Einbruch in dieses System, indem bei Vorliegen der dort umschriebenen Tatbestände die Gegenwartsbemessung Platz greifen soll. Diese Rechtsfolge tritt so lange ein, als die Tatbestandsvoraussetzungen der Gegenwartsbemessung erfüllt sind. Daran vermag der Charakter des Art. 25 AHVV als einer Ausnahme-bestimmung nichts zu ändern (BGE 117 Ib 121 Erw. 7c, 114 V 302 Erw. 3e, je mit Hinweisen). Die Praxis der Beitragsfestsetzung hat hinlänglich gezeigt, dass — je nach Interessenlage — bei praktisch allen denkbaren Kon-stellationen das Bedürfnis nach Beibehaltung oder aber nach Preisgabe des ausserordentlichen Bemessungsverfahrens besteht (vgl. Käser, Unterstel-lung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, S. 232 ff., insbesonde-re Beispiele Nr. 2, 4, 5 und 6). Das Gericht hat stets deutlich erkennen lassen, , dass es bei der dem Verordnungsgeber in solchen Mangen zustehenden weiten Gestaltungsfreiheit nicht darum gehen kann, sämtliche Unzuläng-lichkeiten zu eliminieren, welche sich aus der Existenz beider Bemessungs-verfahrensarten ergeben können. Wenn sich nun der Verordnungsgeber aus

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den von Ausgleichskasse und BSV dargelegten, an sich unbestrittenen Grün-den dazu entschloss, ein Hinausschieben des Überganges vom ausserorGrün-dent- ausserordent-lichen zum ordentausserordent-lichen Bemessungsverfahren nicht nur unter den in altArt. 25 Abs. 4 AHVV umschriebenen Voraussetzungen zu gestatten, so lag dies zweifellos im Bereich der ihm übertragenen Regelungsbefugnisse. Wie ein Vergleich der beiden Verordnungstexte zeigt, hat der Bundesrat jedoch einen eigentlichen Systemwechsel eingeschlagen, indem die Bestimmung von Art. 25 Abs. 4 AHVV in der ab 1. Januar 1988 gültigen Fassung nicht mehr am ersten Beitragsjahr, sondern am ersten Geschäftsjahr anknüpft. Das sind grundlegend verschiedene Begriffe; denn das (erste) Geschäftsjahr kann, braucht aber nicht mit dem (ersten) Beitragsjahr zusammenzufallen. Dieser Austausch der Begriffe erfolgte offensichtlich mit dem Ziel, den Ausgleichs-kassen in Fällen angebrochener Beitragsjahre die Umrechnung des Ergeb-nisses aus dem ersten Geschäftsjahr zu ermöglichen, was die Lehre seit je befürwortete, die Rechtsprechung jedoch verwarf (Käser, a.a.O., S.231 unten f.; ZAK 1980 S. 493, 1979 S. 73). Ein Mehreres ergibt sich daraus nicht. Nach-dem nun aber der Verordnungsgeber bei der Prüfung, ob eine verhältnis-mässig starke Einkommensabweichung vorliegt, nicht mehr vom ersten Bei-tragsjahr, sondern vom ersten Geschäftsjahr ausgeht, hätte es — wenn er die in der Neufassung von Art. 25 Abs. 4 AHVV sonst unverändert beibehalte-nen Rechtsfolgen nur in gewissen Fällen eintreten lassen wollte — näherer Anordnungen über die zeitliche Situierung des ersten Geschäftsjahres zum (geraden oder ungeraden) Beitragsjahr bedurft. Insofern ist Rz 1285 der Wegleitung des BSV über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen (gültig ab 1. Januar 1988), welche sinngemäss Rz 202e des Nachtrages 5 der bundesamtlichen Wegleitung (in der Fassung vom 1. Januar 1986) entspricht, zu eng formuliert. Solche Einschränkungen des Tatbestandes sind der Bestimmung von Art. 25 Abs. 4 AHVV in der seit 1. Januar 1988 gültigen Fassung auf dem Auslegungsweg nicht zu entnehmen.

Auch liegt keine vom Richter auszufüllende Lücke vor, insbesondere nicht unter dem Blickwinkel der von der Ausgleichskasse geltend gemachten län-geren Pendenz der Beitragsfestsetzung in solchen Fällen. Dies ist ein Gesichtspunkt, welcher allenfalls de lege ferenda zu berücksichtigen ist.

9. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Art. 25 Abs. 4 AHVV in der seit 1. Januar 1988 in Kraft stehenden Fassung dann anwendbar ist, wenn die reinen Erwerbseinkommen ab 1989 vom Einkommen des ersten Geschäfts-jahres 1987 im Sinne der Rechtsprechung unverhältnismässig stark abwei-chen. Der vorinstanzliche Rückweisungsentscheid zwecks Prüfung der Fra-ge einer allfälliFra-gen Ausdehnung der GeFra-genwartsbemessung besteht damit zu Recht. (H 202+243/92).

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