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Archiv "Kunst auf Rezept: Grenzgebiet zwischen Kunst und Medizin" (28.09.2001)

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berflüssige Rezeptfor- mulare werden wohl in der Regel einfach ent- sorgt. Doch es geht auch an- ders. So beschloss der Kölner Arzt Dr. med. Hartmut Kraft, dass diese schlichten Formu- lare künstlerisch bearbeitet werden könnten. Über die Entstehung seines ungewöhn- lichen Projekts „Kunst auf Rezept“ berichtet er im gleichnamigen Katalog zur Ausstellung, die bis 16. No- vember in Ratingen zu sehen ist: „In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre wurden die schwarz-weißen Kassenarzt- rezepte durch rosafarbene Formulare ersetzt. Die ungül- tig gewordenen Rezeptformu- lare wanderten zu Tausenden durch den Reißwolf und in die Papierkörbe. Als Psychoana- lytiker und Nervenarzt, der nur selten ein Rezept ausstellt, hatte ich einen Block von fast tausend Rezepten – nahezu die komplette Erstaustattung eines Kassenarztes – im Schrank liegen. Ich beschloss, die postkartengroßen, um- fangreich bedruckten Formu- lare nicht zu entsorgen, son- dern sie einer neuen Bestim- mung zuzuführen.“

Kraft vermutete, dass die

„funktionslos gewordenen Pa-

piere“ ein Anreiz zur künstle- rischen Auseinandersetzung sein könnten. Im Unterschied zu einem leeren Blatt Papier sei nämlich der Bezug zur Pharmazie und Medizin be- reits vorgegeben. Es wird un- ter anderem nach dem Namen des Patienten, nach Wohnung und Arbeitgeber sowie nach seiner Krankenkasse gefragt.

Selbst die Rückseite des Re- zepts ist in zahlreiche Felder unterteilt. Nicht zu vergessen ist auch der Absender des Re- zepts, der Initiator des Pro- jekts: ein Nervenarzt, ein Psy- choanalytiker. Wenn Künstler, von eventuellen persönlichen Krankheiten abgesehen, ei- nen Bezug zur Medizin hät- ten, so doch zweifellos zur

„Bildnerei der Geisteskran- ken“ (1922), wie das bahnbre- chende Werk von Prinzhorn heißt, vermutet Kraft. Dieses Werk sei nicht nur die Bibel der Surrealisten, sondern auch

bis heute eine Inspirations- quelle für Künstler gewesen.

Neben der Psychiatrie sei die Psychoanalyse „von ihren An- fängen an in einen Dialog mit der Kunst getreten, bestand und besteht ein großes Inter- esse von beiden Seiten. Bevor also ein Künstler oder eine Künstlerin den ersten Strich auf dieses Blatt setzen würde, wäre sie/er bereits von einem Netz ganz spezieller Assozia- tionen umfangen.“

Das erste Rezept erhielt der Künstler Peter Gilles am 29.

September 1987, der es sofort bearbeitete. Kraft überlegte, ob er es dabei belassen sollte, einige befreundete Künstler mit der Bearbeitung der Re- zepte zu beauftragen. „Ich könnte die Rezepte rahmen lassen und in meine Praxis hängen. Ende des Einfalls.

Aber ich hatte einen Packen von fast tausend Rezepten.“

Er beschloss deshalb, „durch

eine Vielzahl künstlerischer Antworten einen ganz neuen Blick auf das Grenzgebiet zwi- schen Kunst und Medizin zu eröffnen“.

Doch wegen zahlreicher un- gelöster Fragen („Was konnte ich als Gegenleistung anbie- ten? Was sollte mit den bear- beiteten Rezepten geschehen?

Würde das Material für eine Ausstellung reichen?“) ruhte das Projekt zehn Jahre lang.

Vor drei Jahren dann schickte Kraft jedem Künstler, den er um einen Beitrag bat, ein Ex- emplar seines Buches „Grenz- gänger zwischen Kunst und Psychiatrie“. Er vermutete, dass ein Buch in der Nachfolge von Hans Prinzhorn auf großes Interesse stoßen wür- de. Außerdem konnte er sich auf diese Weise als Autor, Sammler und Grenzgänger zwischen Kunst und Medizin ausweisen. Der „Startschuss war gefallen und der Rücklauf bearbeiteter Rezepte größer als erhofft“. Schon bald lagen mehr als fünfzig bearbeitete Rezepte vor. Es wurde dem Sammler klar, dass die Qua- lität und die Anzahl der Arbei- ten eine Ausstellung ermögli- chen würde. In dieser Situati- on kam Kraft der zweite Zufall zur Hilfe. Nach fast zehnjähri- V A R I A

A

A2522 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 39½½½½28. September 2001

Thomas Huber: Aquarell und Bleistift auf Originalrezept (recto), signiert und da- tiert 01, betitelt „Malerei gegen Rücken- schmerzen“

Uwe Eßer: Mischtechnik auf Originalrezept (recto) auf Pappe, verso signiert und da- tiert 1999

Kunst auf Rezept

Grenzgebiet zwischen Kunst

und Medizin

Das Ergebnis eines Projektes, an dem sich 162 Künstler beteiligt haben, wird zurzeit in einer Aus- stellungstournee durch mehrere deutsche Museen dokumentiert.

Feuilleton

Abbildungen: Katalog

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ger Pause entstand plötzlich wieder Interesse an einer Prä- sentation seiner Sammlung

„Die Geburt des Menschenbil- des – Die Kopffüßler“. Die Sammlung umfasst gut drei- hundert Bilder und Objekte, angefangen bei präkolum- bianischen Terrakotten über afrikanische und ozeanische Kunst bis zu Kunst und Wer- bung der Gegenwart. Ausge- hend von Kinderzeichnungen und den Zeichnungen psychia- trischer beziehungsweise neu- rologischer Patienten, „bele- gen die Bilder und Objekte das in uns angelegte Bildthema des Kopffüßlers als den re- duziertesten Versuch, einen ganzen Menschen darzustel- len“, so Kraft. Der Titel der Ausstellung lautete folgerich- tig: Die Geburt des Men- schenbildes. Mehrere Museen zeigten die Ausstellung, ein neuer Katalog wurde ge- druckt. Auf diese Weise konn- te auch das Projekt „Kunst auf Rezept“ einigen Museen näher gebracht werden. Den Künstlern, die Kraft zur Mit- wirkung einlud, konnte er nun von den bisherigen Rückläu- fen als auch von den Aussich- ten auf eine beziehungsweise mehrere Ausstellungen be- richten. Was mit dem engsten Freundeskreis begonnen hat- te, weitete sich aus auf Künst- ler, die Kraft persönlich kann- te, und schließlich auch auf Künstler, deren Werke er schätzte, ohne sie persönlich zu kennen. Schließlich bewar- ben sich erste Künstler um Teilnahme, einige wurden auch vorgeschlagen. Was eher zö- gerlich begonnen hatte, ent- wickelte sich nach und nach zu einem umfangreichen Projekt, das eine „unerwartete Eigen- dynamik“ entfaltete.

Kraft weist darauf hin, dass Medizin und Kunst auf eine lange gemeinsame Tradition zurückblicken können. Wo medizinisches Handeln ge- fragt war, sei immer auch zur

künstlerischen Darstellung ge- griffen worden. Die gemein- same Wurzel medizinischer, religiöser und künstlerischer Vorgehens- und Gestaltungs- weisen lasse sich bereits im Schamanismus erblicken. Als Schnitzer seiner Masken und Gestalter seiner Kleidung sei der Schamane künstlerisch tätig, als Tänzer und Trommler ziehe er seine Zuschauer wie ein moderner Schauspieler in seinen Bann. Durch seine Ar- beit habe er heilend auf seine Zuschauer einwirken können, die sich mit ihm und seinen Geisterkämpfen identifizier- ten. Diese uralte Vorgehens- weise des Heilens durch eine

schamanische Performance lasse sich bis auf den heutigen Tag nachweisen. So folge auch die griechische Tragödie die- sem Heilungsmodell. „In einer mehr statischen und religiös

eingebundenen Form findet sich dieses Gedankengut in den mittelalterlichen und früh- neuzeitlichen Krankenzimmer- und Krankenhausaltären. In ihren Bildprogrammen, die oft eine komplette Geschichte er- zählen oder einen Aspekt pars pro toto hervorheben, sollten die Kranken (schuldhafte) Ur- sachen, Konflikte und Kämpfe, schließlich Heilung/Erlösung bildhaft eindringlich vor Au- gen geführt bekommen.“ Heut- zutage sei es nur schwer nach- zuvollziehen, welche überwäl- tigende Wirkung zum Beispiel der Isenheimer Altar von Mat- thias Grünewald ausgeübt ha- ben müsse.

Anfang des 20. Jahrhun- derts hätten sich Kunst und Medizin auf eine ganz neue Weise gegenseitig beeinflusst.

Durch Hans Prinzhorns „Bild- nerei der Geisteskranken“ sei

die wundersame Bildwelt vie- ler psychiatrischer Patienten einer breiten Öffentlichkeit be- kannt geworden. Durch Max Ernst sei das Buch in den Kreis der französischen Surrealisten gelangt. Auch Künstler wie Paul Klee und Alfred Kubin waren begeistert von diesen Werken. Im 20. Jahrhundert gewann neben der Darstellung des Leids auch der Einfluss positiver, lebensbejahender Aspekte an Bedeutung. Dies schlägt sich auch in der Gestal- tung der Rezepte nieder.

Kraft sieht in der Gesamt- heit der künstlerischen Ant- worten eine Allegorie. Das Re- zept mit seiner umfangreichen Vorstrukturierung und mit sei- ner nur geringen Papierqua- lität könne wie eine Krankheit aufgefasst werden.

Weit mehr als zweihundert Rezepte wurden, so das „vor- läufige Endergebnis“, von 162 Künstlerinnen und Künstlern gestaltet. Sie bearbeiteten teil- weise nur das für Verschrei- bungen vorgesehene Feld, teil- weise auch das ganze Rezept.

Andere haben sogar das Medi- um gewechselt. So entstanden neben den erwarteten Zeich- nungen und Gemälden auch Objekte, Skulpturen, Großfo- tos und ein Video. Krafts Fazit:

„Über zumindest einen Thera- pieerfolg ist tatsächlich zu be- richten: War ich anfänglich äußerst skeptisch, ob und war- um Künstler auf meine Anfra- ge reagieren sollten, so wurde ich durch die Anzahl, Qualität und vor allem auch durch die formale und inhaltliche Breite der künstlerischen Antworten eines Besseren belehrt. So fand eine Therapie der schön- sten Art statt: die des Zweif- lers und Zögernden zu einem begeisterten Vorantreiber des Projekts.“

Das Ergebnis wird zurzeit in einer Ausstellungstournee durch mehrere deutsche Museen dokumentiert.

Gisela Klinkhammer V A R I A

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 39½½½½28. September 2001 AA2523

Ausstellungstournee:Museum der Stadt Ratingen (7. Oktober bis 16. November). Voraussichtlich: Her- forder Kunstverein im Daniel-Pöppelmann-Haus, Herford (9. Februar bis 30. März 2002), Städtische Galerie Sohle 1, Bergkamen (Ende April bis Mitte Ju-

ni 2002), Städtisches Museum Zwickau (30. Juni bis voraussichtlich Mitte August 2002), Ausstellungsfo- rum Oranienstraße des Siegerlandmuseums, Siegen (1. September bis 27. Oktober 2002), Städtisches Museum Gütersloh (Frühjahr 2003), Kunsthalle Er-

furt (23. März bis 4. Mai 2003). Der Katalog (circa 200 Abbildungen, vierfarbig, 384 Seiten, Vertrieb:

Vice Versa Berlin) ist im Buchhandel erhältlich.

Informationen:Dr. med. Hartmut Kraft, An der Ronne 196, 50859 Köln, Telefon: 0 22 34/7 05 82.

Heinz Mack: Tusche, Acryl und mehrfarbige Pastell- kreiden auf vergrößerter Kopie eines Rezepts (H 42,5 cm x B 30 cm). Zweifach gefaltet, signiert und datiert 20. 12. 98. Unten rechts ist eine Visitenkarte mit Grüßen und Unterschrift angeheftet.

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