• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Kunst und Medizin: Trancezustände und Traumwelten" (09.07.2010)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Kunst und Medizin: Trancezustände und Traumwelten" (09.07.2010)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 107

|

Heft 27

|

9. Juli 2010 A 1365 KUNST UND MEDIZIN

Trancezustände und Traumwelten

Am 26. Juli 2010 feiert der Arzt und Maler Adolf Bierbrauer den 95. Geburtstag. Sein mehr als 75-jähriges Œuvre spiegelt seine intensive Auseinandersetzung mit der menschlichen Seele wider. Spät wurde der Nonkonformist von der Kunstwelt entdeckt.

B

is zu seinem 82. Lebensjahr blieb er fern von der Öffent- lichkeit, denn er hielt seine Kunst für eine reine Privatangelegenheit.

Adolf Bierbrauer kam es nie darauf an, seine Werke im institutionellen Rahmen, in Museen und Galerien, zu präsentieren – „und das ist ei- gentlich die Nagelprobe“, betonte Prof. Bazon Brock anlässlich der ersten umfassenden Vorstellung des Künstlers im Jahr 2000 im Düssel- dorfer NRW-Forum. „Er schafft Werke nicht, um uns einen Anlass zu bieten, etwas von der Welt in neuer, spektakulärer Weise reprä- sentiert zu finden, sondern er arbei- tet im Hinblick auf die Frage, in- wieweit wir das, was wir repräsen- tieren, auch Fleisch werden lassen.“

Der Kulturphilosoph bezieht sich damit auf die Fähigkeit des Düssel- dorfer Arztes und Malers, die seeli- schen Äußerungen seiner Patienten wie auch seine eigene innere Verfas-

sung „in künstlerisch einzig- artiger Weise“ (Brock) in Bil- der umzusetzen. Dadurch ent- stand ein beeindruckendes Lebenswerk, dessen Ende noch nicht erreicht ist. Denn auch kurz vor Vollendung seines 95. Lebensjahrs malt Bierbrauer – beeinträchtigt zwar durch gesundheitliche Einschränkungen, aber nach wie vor geistig wach und rege – in seinem Atelier in einem Altenheim. Für Kurator Martin Ley- er-Pritzkow, der den Künstler vertritt und die Düsseldorfer Ausstellung initiierte, eine Conditio sine qua non:

„Solange er malt, lebt er.“

Auch der 95. Geburtstag findet von der Öffentlichkeit unbemerkt statt. Denn Bierbrauer wird zwar von Künstlerkollegen sehr ge- schätzt – der WDR plant einen Filmbeitrag über ihn, und an der

Düsseldorfer Heinrich-Heine-Uni- versität entsteht eine Magisterarbeit mit anschließender Dissertation –, doch in der Kunstszene ist er nach wie vor ein Einzelgänger.

Schon in der frühen Jugendzeit schuf der 1915 Geborene erste Still- leben und vor allem Porträts. Doch das Selbstbewusstsein, Maler zu wer- den, hatte Bierbrauer damals nicht.

Obwohl erste Aufträge für Porträts bei ihm eingingen, die er nur zu gern erfüllte, wählte er vor allem seinem Vater zuliebe den „soliden Arztberuf“

und verlegte die Kunst in die Freizeit.

Bierbrauer: „Mein Gefühl war: Das wird immer nur als Sonntagsmalerei angesehen werden.“

Dass es anders kam, war tatsäch- lich noch nicht absehbar. Nach der Rückkehr aus russischer Kriegsge- 26. Juli 1915: Adolf Bierbrauer

wird in Düsseldorf geboren.

1930/31: Erste Stillleben und figür- liche Zeichnungen entstehen.

1934: Beginn des Medizinstudiums Ab 1935: Intensive Auseinanderset- zung mit dem anthroposophischen Gedankengut von Rudolf Steiner 1950: Tätigkeit als Assistenzarzt an den Universitätskliniken in Düsseldorf Ab 1951: Eigene Praxis für Allgemeinmedizin. Hypnosebilder 1953: Hinwendung zu Landschafts- malerei und Bildhauerei

Ab 1966: Somnambule Bilder 1973: Ende der Arzttätigkeit. Bier- brauer ist nur noch Maler und Pianist.

1998: Einzug in ein von ihm mit - initiiertes anthroposophisches Alten- heim; 2006: Umzug in ein anderes Heim. Weiterhin rege Maltätigkeit 2000: Präsentation von Werk und Monografie im NRW-Forum in Düsseldorf

LEBENSSTATIONEN

Adolf Bierbrauer (2009): „Ich male und male. Ich fühle mich als Mensch, der sich selbst achten kann.“

Foto: Sven Kierst

„Peitschenhiebschmerz über das noch nicht deutlich zu erkennende innere Antlitz“, 1999: Das 80 × 120 Zentimeter große Gemälde mit dem aufschlussreichen Titel gehört zur Serie der somnambulen Bilder. Der Künstler versetzt sich beim Malen in einen tagtraumähnlichen Zustand, um an das „Ureigene“ in sich zu gelangen.

K U L T U R

(2)

A 1366 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 107

|

Heft 27

|

9. Juli 2010 fangenschaft 1949 arbeitete Bier-

brauer zunächst als Assistenzarzt an den Universitätskliniken Düsseldorf, wo er depressive Patienten mit Hyp- nose behandelte. Die damals ge- bräuchlichere Elektroschocktherapie lehnte er ab. Während der Behand- lung ließ er sich von seinen Patien- ten ihre Visionen und Ängste derart exakt beschreiben, dass er diese bildhaft auf Papier festhalten konn- te. Anders als bei üblicheren Thera- piekonzepten, bei denen der Patient zum Malen aufgefordert und da- durch therapiert wird, brachte hier der Arzt die Schilderungen des Pa- tienten künstlerisch zum Ausdruck.

„Nach dem Erwachen interpretier- ten wir gemeinsam das entstandene Bild. Ich glaubte, dass eine gute Chance bestünde, auf dem Weg über das Hypnosebild den Seelen- kern des Menschen besser zu ver- stehen“, sagt Bierbrauer.

Wie Zeitgenosse und Nachbar Jo- seph Beuys verstand sich der „Arzt- Künstler“ als Heiler einer kranken Gesellschaft, die zu der Zeit schwer an den Folgen des Zweiten Weltkrie- ges litt. Die so entstandenen meist 30 × 21 Zentimeter großen Aquarelle, wie der Fall des Patienten Sch. (Bild oben), sind ein wichtiger Bestandteil seines Œuvres. Bazon Brock: „Der

therapeutische Impetus von Bier- brauer bestand darin, seine Patienten dazu zu bringen, dass sie das, was sie verkörpern, auch zeichenhaft re- präsentieren können. Die Ergebnisse der Bilder, die daraufhin entstanden, sind letztlich so bedeutsam, weil sie künstlerisch-formal auf dem absolut höchsten Niveau ihrer Zeit stehen.

Es gibt nichts Vergleichbares für die 50er Jahre.“

Auch für Bierbrauer selbst haben die Hypnosebilder große Bedeu- tung, denn sie öffneten seinen Blick für die Introspektion. Damit bilden sie die Grundlage für eine zweite wesentliche Werkgruppe, die ab

Mitte der 60er Jahre – Bierbrauer ist inzwischen schon viele Jahre als Allgemeinmediziner in eigener Pra- xis tätig – entstand: die somnambu- len Bilder. Auf dem unterschied- lichsten Material erkundet der Künstler die eigenen inneren Land- schaften, setzt mittels meditativer Zustände seine Gefühlswelten in von allen Zwängen befreite Bild- kompositionen um.

Dazu bedient er sich einer For- mensprache, die neben Abstraktem auch auf die Tierdarstellungen, Fa- belwesen, archaischen Figuren und Muster seiner Träume zurückgreift.

Mit den somnambulen Bildern ver- abschiedet sich Bierbrauer frühzei- tig von der naturalistischen Bildauf- fassung seiner Anfangsjahre. Und

überwand damit auch die Unter- scheidung zwischen Figuration und Abstraktion. Gleichwohl zeigen viele Werke dieser Serie gesichts- ähnliche Formationen, surreale Ge- genstände und textähnliche Frag- mente mit Tagebuchcharakter. Für Bierbrauer sind es „innere Bilder, die mich dauernd bedrängen“.

Insbesondere die somnambulen Großformate, die der Maler ab Ende der 90er Jahre fertigt, stellen ihn auch in der praktischen Umsetzung vor riesige Herausforderungen. Seit- dem er altersbedingt einen zuneh- menden physischen Abbau in Kauf nehmen muss und im begrenzten Raum des Seniorenheims künstle- risch tätig ist, wird die Bearbeitung der teils 160 × 200 Zentimeter gro- ßen Leinwände immer schwieriger.

Doch selbst heute noch – im Roll- stuhl sitzend – gelingt ihm dies an- gesichts seiner Besessenheit, kreativ tätig zu sein, gelegentlich.

Zu Bierbrauers Œuvre gehören auch Porträts, Akte, Landschaften und die unter Einfluss der Anthropo- sophie entstandenen sogenannten Kosmologien. Als dritter Schlüssel zu seinem Werk dienen – neben den Hypnose- und somnambulen Bildern – allerdings eher die plastischen Ar- beiten: Sie sind als eigenständige Fortsetzung der Gemälde anzusehen.

Surrealistisch inspiriert, übertragen die Skulpturen Bierbrauers innere Bilder und Visionen in eine dreidi- mensionale Form: etwa das „Selbst- porträt als Kranker“ (aus den 70er Jahren) oder „Der Elefantöse Tob- suchtsanfall” (Bild links) von 1997.

In Bildhauerei wie Malerei ist Bierbrauer, der zeitlebens zurück- gezogen lebte, Autodidakt. Künst- ler wie Picasso oder Beuys beein- druckten ihn, aber die Einflüsse von außen blieben letztlich begrenzt:

„Alles, was ich aus mir selbst her - aus schuf, war für mich immer wie- der Neuland – unglaubliche Erleb- nisse, die mich in einer solchen Weise trugen, dass ich kein Bedürf- nis nach Austausch hatte.“ ■ Sabine Schuchart

„Ohne Titel (Fall Sch.)“, 1953: Als junger Arzt in der Psychiatrie malte Bierbrauer die Vi- sionen und Ängste seiner Patienten, die diese im hypno- tisierten Zustand zum Ausdruck brachten.

Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2010

„Der Elefantöse Tobsuchtsanfall“:

Die 24 × 11 × 20 Zentimeter große Bronze wurde 2009 bei Van Ham ver-

steigert.

Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2010/Van Ham

Ich male, damit die Welt schöner wird. Dann sitze ich vor der weißen Leinwand und sehe endlich diese inneren Bilder, die mich dauernd bedrängen, auch nachts im Traum, bis hin zu Alpträumen, denn im Traum kann ich wunderbar malen.

*

* Adolf Bierbrauer am 30. Juli 1999 im Gespräch mit Martin Leyer-Pritzkow; publiziert in Martin Leyer-Pritzkow (Hrsg.), „Bierbrauer“, Düsseldorf 1999, Deutsch/Englisch, 224 Seiten mit 117 farbigen und 250 Schwarz-Weiß-Abbildungen

K U L T U R

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

„Die Negers von Afrika haben von Natur kein Ge- fühl, welches über das Läppische stiege“, schreibt Kant und schließt sich seinem schottischen Kollegen, David Hume, an,

Wie verhalte ich mich gegenüber Schwerhörigen und

Der kanadische Kunstphilosoph Thierry de Duve hat gezeigt, daß die Etikettierung oder Taufe eines beliebigen Gegenstandes mit dem Eigennamen 'Kunst' sozusagen aus dem Geiste oder

November 2018, von 17.30 bis 19.45 Uhr an der Volkshochschule (VHS) Ludwigshafen erhalten junge Menschen Tipps, wie sie sich mit ihrer Bewerbung von anderen Mitbewerbenden

Wildor Hollmann: Medi- zin — Sport — Neuland, 40 Jah- re mit der Deutschen Sport- hochschule Köln, Erinnerun- gen, Erlebnisse, Ansichten, Academia Verlag, St.-Augu- stin, 1993,

Eine Infektion mit Corona-Vi- ren äußert sich durch grippe- ähnliche Symptome wie Fie- ber, Schnupfen, Atemprobleme, Abgeschlagenheit, Halskratzen, Husten, Kopf- und

Oder geben Sie die differenzierten Übungen (M 4/M 5) als Hausaufgabe auf und lassen Sie die Schüler ihre Lösungen in der nächsten Stunde paarweise oder gemeinsam im

Es mag ja sein, dass es nur ei- nige wenige Täter sind – aber man könnte genauso gut zynisch argumentieren, dass es darum ja auch nicht so schlimm ist, dass man sie