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Archiv "Medizingeschichte: Wie die Medizin der Aufklärung „den Afrikaner“ schuf" (09.09.2011)

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A 1842 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 36

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9. September 2011

MEDIZINGESCHICHTE

Wie die Medizin der Aufklärung

„den Afrikaner“ schuf

Der Arzt Samuel Thomas Soemmerring, den Kant als den „berühmten und

philosophischen Zergliederer“ pries, hatte an der Konstruktion einer „Negerrasse“

entscheidenden Anteil.

P

raktische Vorurteile, die so all- gemein im gemeinen Leben ausgebreitet sind, pflegen gewöhn- lich doch einiges wahre und gegrün- dete zur Stütze zu haben“, bemerkt Samuel Thomas Soemmerring in seiner Abhandlung „Über die kör- perliche Verschiedenheit des Moh- ren vom Europäer“ aus dem Jahr 1784. Soemmerring (1755–1830), der sich im Titel seines Werks unter anderem als „Medicin und Chirurgie Doktor“ sowie als „öffentlicher or- dentlicher Lehrer der Arzneikunde auf der Universität Mainz“ bezeich- net, weist hier auf Vorurteile hin ge- genüber Afrikanern, von ihm mal

„Mohren“, mal „Neger“ genannt, was den zu seiner Zeit gängigen Be- zeichnungen entsprach. Afrikaner, so das „Vorurteil“ seiner Zeit, seien den weißen Menschen unterlegen.

Auf 32 Seiten versucht der Medizi- ner nun, diesem eine wissenschaft - liche Grundlage zu geben.

Einteilung in Rassen

Soemmerring, der am 28. Januar 1755 als neuntes Kind eines Arztes geboren wurde, studierte in Göttin- gen Medizin, promovierte 1778 und wurde ein Jahr später Professor der Anatomie am Kasseler Collegium Carolinum. Wie viele seiner Zeitge- nossen beschränkte er sich nicht auf medizinische Forschung und Praxis, sondern war ein Universalgelehrter, der ein Teleskop zur Himmelsbeob- achtung konstruierte und sich mit Paläontologie oder mit Weinverede- lung beschäftigte. Das 18. Jahrhun- dert, in das er geboren wurde, erlebte ein Aufblühen der wissenschaftli- chen Forschung. Gerade ein Jahr-

hundert zuvor war die „moderne“

Wissenschaft entstanden, die eine Abkehr vom religiösen Weltver- ständnis mit sich brachte. Nun er- schien die ganze Welt als ein großes Laboratorium, in dem es zu for- schen, zu entdecken, zu benennen und zu kategorisieren galt. Die Vor- stellung einer „Seinskette“ entstand, die die gesamte Natur über zahlrei- che Übergangsformen zusammen- hielt. Die Natur des Menschen war zunächst nicht Teil der wissenschaft- lichen Erforschung gewesen; dies änderte sich vor allem in Zusam- menhang mit der Philosophie der Aufklärung. Man versuchte, wissen- schaftliche Methoden auf das Studi- um des Menschen zu übertragen.

Ende des 17. Jahrhunderts wurde zum ersten Mal der Begriff „Rasse“

auf den Menschen übertragen, und Der Niederländer

Petrus Camper (1722–1789) erfand ein System zur

„Rassenbestim- mung“, das sich an den Maßen antiker griechischer Statuen orientierte.

Foto: Piet Camper, „De Hominis Varietate“

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9. September 2011 A 1843 es war der Arzt François Bernier, der

sich als erster an einer „Rassenglie- derung“ der Menschen versuchte.

Die Afrikaner boten sich dabei für ihn schnell als „missing link“ in der Seinskette an, als Übergangsform zwischen den schwanzlosen Affen und den Menschen.

Nicht von ungefähr nahm von da an die Diskussion über die Stellung der Afrikaner in der Natur einen breiten Raum ein. Der atlantische Sklavenhandel hatte enorme Aus- maße angenommen, Afrikanerinnen und Afrikaner wurden zu Hundert- tausenden versklavt und nach Ame- rika verschifft. Zwangsläufig kam man zu der Frage, wie ein solch grausames und unmenschliches Vorgehen mit christlichen Vorstel- lungen vom Menschen als Ge- schöpf Gottes und Abkömmling des ersten Menschenpaares zu verein- baren war? Medizin und Philoso- phie der Aufklärung kam die Auf- gabe zu, die entsprechende wissen- schaftliche Legitimation zu liefern.

Allen voran etablierte Immanuel Kant die Einteilung der Menschheit in „Rassen“. Er definierte zwar die Aufklärung als „Ausgang des Men- schen aus seiner selbstverschulde- ten Unmündigkeit“, sonderte die Afrikaner aus diesem Prozess je- doch aus, indem er sie als unmündi- ger und unfähiger als andere „Ras- sen“ beschrieb. „Die Negers von Afrika haben von Natur kein Ge- fühl, welches über das Läppische stiege“, schreibt Kant und schließt sich seinem schottischen Kollegen, David Hume, an, der jedermann auffordere, „ein einziges Beyspiel anzuführen, da ein Neger Talente gewiesen habe, und behauptet: daß unter den Hunderttausenden von Schwarzen, die aus ihren Ländern anderwärts verführt werden, ob- gleich deren sehr viel auch in Frey- heit gesetzt würden, dennoch nicht ein einziger jemals gefunden wor- den, der entweder in Kunst oder Wissenschaft, oder irgend einer an- deren rühmlichen Eigenschaft et- was großes vorgestellt habe“. Nur weiße Menschen waren für Kant der kulturellen Entwicklung fähig.

Den Medizinern kam die Aufgabe zu, den Nachweis einer „Rassenhier - archie“ am „Objekt“ selbst zu füh-

ren. Samuel Thomas Soemmerring, den Kant als den „berühmten und philosophischen Zergliederer“ be- zeichnete, hatte an der Konstruktion einer „Negerrasse“ entscheidenden Anteil. Soemmerring hatte in Kassel die besten Voraussetzungen für seine anatomischen Untersuchungen an Afrikanern. Auf der Wilhelmshöhe befand sich eine „Mohrenkolonie“, die aus sogenannten Hofmohren aus verschiedenen afrikanischen Regio- nen und versklavten Afrikanern be- stand, die hessische Truppen aus Amerika mitgebracht hatten. Die

„Kolonie“ umfasste etwa 50 Perso- nen – in ihrer Größe einmalig im deutschsprachigen Raum.

Idealisierte Maße von Statuen Die Leichen der Verstorbenen wur- den in Soemmerrings anatomisches Theater gebracht und konnten dort von ihm seziert werden. „Bey mei- nem Aufenthalt zu Hessen-Cassel zergliederte ich mit Muße mehrere Mohrenkörper“, schrieb Soemmer- ring enthusiastisch. Was das Zer- gliedern beweisen sollte, stand für ihn von vornherein fest. „Wie wärs, wenn sich anatomisch darthun lie- ße, daß die Mohren weit näher als wir Europäer ans Affen-Geschlecht gränzen?“ Die verbreitete These ei- ner engeren Verwandtschaft zwi- schen Afrikanern und Affen wollte

er durch seine Untersuchungen auf eine solidere Grundlage stellen.

Hatte man bis dahin vor allem die Hautfarbe und das „krause Woll- haar“ als wesentliche Unterschei- dungsmerkmale angesehen, so kon- zentriert sich Soemmerring nun auf die „festeren Teile“, das „Knochen- Gerüst“, und er meint damit insbe- sondere den „Mohrenschädel“.

Er orientierte sich dabei am Werk eines anderen bedeutenden Medizi- ners seiner Zeit, des Holländers Pe- trus (Piet) Camper (1722–1789), dessen Werk „De Hominis Varieta- te“ Soemmerring ins Deutsche über- setzt hatte. Camper kann als Mitbe- gründer der Anthropometrie angese- hen werden. Mit dem sogenannten Camperschen Gesichtswinkel schuf er ein Maß zur Bestimmung der Pro- gnathie beim Menschen, das zur

„Rassenbestimmung“ in der Anthro- pologie noch bis weit ins 20. Jahr- hundert verwendet wurde. Das Werk Campers zeigt, wie stark, neben me- trischen Kriterien, ästhetische und moralische Vorstellungen bei der Er- findung der „Rassen“ in der Aufklä- rung zur Geltung kamen.

Der Holländer, der in ein Netz- werk der berühmtesten Gelehrten Europas eingebunden war, arbeitete vergleichend anatomisch über den

„Neger“ und verschiedene Affenar- ten und versuchte, die verschiedenen

„Rassenphysiognomien“ zeichne- risch festzuhalten. Dabei erfand er eine ideale Gesichtslinie, die sich an Maßen antiker griechischer Statuen orientierte. An einem Ende der Messskala befand sich so der ideale Menschentypus, der gleichzeitig die höchst entwickelte Kultur repräsen- tierte, am anderen Ende wurde der Affe positioniert, der für das Natur- hafte und damit Kulturlose stand.

Der Vergleich von Schädeln mit Hil- fe des „Camperschen Gesichtswin- kels“ ergab eine Stufung von den niederen Tieren über den Affen zum Afrikaner und schließlich zum Euro- päer. Dabei mutet es heute fast schon skurril an, dass Camper – zur Unter- mauerung seiner These oder einfach aus Versehen – bei der zeichneri- schen Präsentation der unterschiedli- chen Schädel die aufgetürmte Haar- tracht des griechischen Apolls zu dessen Schädelvolumen addierte.

Nachweis der Rassenhierarchie am Objekt selbst:

Samuel Thomas Soemmerring (1755–1830) hatte an der Konstruktion einer „Negerrasse“

entscheidenden Anteil.

Foto: Porträt von Carl Wilhelm Bender

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A 1844 Deutsches Ärzteblatt

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9. September 2011 Ein Grieche mit riesigem Schä-

delvolumen entsprach den Vorstel- lungen vom hochentwickelten Kul- turmenschen. Soemmerring griff die von Camper konstruierte Gesichts - linie in seinen vergleichenden Un - tersuchungen auf, jedoch wollte er

„auch andere bey der Zergliederung von Mohren gemachte Anmerkun- gen nicht übergehen“. Dabei räumte er zunächst einmal mit der weit ver- breiteten Ansicht auf, die „platte Na- se“ der Afrikaner würde durch deren Eindrücken im Kleinkindalter her- vorgebracht. Bei der Untersuchung eines Babys, das für ihn bereits alle Merkmale des „typischen“ Mohren aufwies, musste er konstatieren:

„Nirgends aber war eine Spur von einer der Nase angethanen Gewalt aufzufinden, sondern ihre Form na- türlich von den Nasen der weißen Kinder abweichend.“

Vor allem seine „drey vollkom- mene gut erhaltene Mohrenschädel“

lieferten ihm in vielerlei Hinsicht Anzeichen für die Nähe des Afrika- ners zum Affen, und anhand der an Kopf und Körper untersuchten Merkmale versuchte Soemmerring, ihn als „missing link“ einzuordnen.

So war er der Ansicht, „daß der Theil des Mohren-Schädels, der die gehirnfassende Höhle bildet, im Ver- gleich mit dem, der dem Gesichte und den ausseren Sinnen bestimmt scheinet, kleiner als irgend bey ei- nem Europäer ist“. Großes Gesicht, kleines Hirn, so wollte der Medizi- ner seine „Mohren“ definieren. Die Knochen und Muskeln, die „zur Zer- malmung der Nahrung“ dienen, sah er als „stärker, dicker“ an, „als bey der Klasse von Menschen, die durch Kultur und Verstand das ersetzen weiß, was ihr von thierischer Kraft abgehen möchte“. Die Zähne be- schreibt er als „stark, breit, dick und lang“ und zählt bei einem der un - tersuchten Schädel gar 35 Zähne.

Soemmerrings Fantasieafrikaner scheint sich noch, seinen tierischen Verwandten gleich, von rohem Fleisch ernährt zu haben. Auch das große „Geruchsorgan“ und die „ge- räumige“ Öffnung des Gehörgangs sowie die imposanten Augenhöhlen, die er festzustellen glaubte, prädesti- nierten den Afrikaner offenbar zu ei- nem Leben in der Wildnis. Proble-

matisch wurde es für den Wissen- schaftler, wenn Vorannahmen sich nicht bestätigten. So wogen die Ge- hirne der untersuchten Afrikaner nicht weniger als die der Europäer, ein Gehirn war sogar schwerer. Dies erklärte Soemmerring mit der beson- deren Größe und Stärke dieses Man- nes, schloss sich aber ansonsten der Ansicht eines Kollegen an, die be- sondere „Zähigkeit“ der vorhande- nen Gehirnsubstanz erinnere an die- jenige von „Verrückten“.

„Näher ans Affengeschlecht“

So kam Soemmerring zu der nicht überraschenden Feststellung: „Daß im allgemeinen, im Durchschnitt, die afrikanischen Mohren doch in et- was näher ans Affengeschlecht, als die Europäer gränzen. Sie bleiben aber drum dennoch Menschen [. . .].“

Fest verhaftet in der Theorie der aus vielen Übergängen bestehenden Seinskette, fügte er noch an: „Doch durch welche Mittelgattungen von Menschen die Negern in den Euro- päer allmählich übergehen und ob es nicht andre Nationen giebt, die noch thierischer als sie sind, würde mich jetzt zu weit führen da ich bloß vom Mohren sprechen wollte.“

Zwar waren anatomische Unter- suchungen an Leichen jedweder Herkunft damals nichts Ungewöhn- liches, doch zeugt Soemmerrings

Umgang mit den toten Afrikanern von seinem hierarchischen „Ras- sen“-Verständnis. So ist überliefert, dass er den Leichnam eines gerade verstorbenen Afrikaners kurzerhand enthauptete, um diesen in eine Vor- lesung mitzunehmen. Er sah sich nicht in der Lage, den ganzen Kör- per zu transportieren, wollte aber seinen Studenten am „frischen Moh- renkopfe“ beweisen, „daß der Schä- del eines Schwarzen die auffallends- te Aehnlichkeit mit einem Affen- schädel hätte“. Am Schluss seiner Abhandlung verliert Soemmerring einige Worte über die Todesursache bei den untersuchten Afrikanern. Bei Dreien, so erfahren wir, war es Aus- zehrung und Lungensucht, einer hat- te sich selbst das Leben genommen;

alle waren abgemagert. Das Leben in Kassel hatte es offenbar nicht ge- rade gut mit den Afrikanern gemeint.

Es gab durchaus auch aus Medi- zinerkreisen Kritik an den rassisti- schen Klassifikationen durch Soem - merring und andere. Allen voran war es der Göttinger Professor Jo- hannes Friedrich Blumenbach, ge- meinhin als maßgeblicher Begrün- der der Anthropologie gefeiert, der sich gegen hierarchisierende Sicht- weisen auf die menschlichen „Ras- sen“ verwahrte. Er wies vielmehr auf die graduellen Übergänge und die Schwierigkeit der Grenzzie- hung zwischen den „Rassen“ hin.

Die Existenz von „Rassen“ wurde aber auch von ihm nicht infrage ge- stellt, und seine alternative Sicht- weise setzte sich nicht durch. Viel- mehr fand der von den Aufklärern in die Welt gesetzte wissenschaftli- che Rassismus eine Fortschreibung bei Medizinern, Anthropologen und Philosophen des 19. und frü- hen 20. Jahrhunderts. Die Interes- senlage hatte sich nicht grundsätz- lich geändert. Der Sklavenhandel wurde zwar abgeschafft, mit der Kolonialisierung Afrikas aber war ein neuer Legitimationsdruck ent- standen, und man brauchte den „un- zivilisierten“, „barbarischen“ Afri- kaner mehr als zuvor, um die gewaltsame Aneignung des Konti- nents zu rechtfertigen.

Prof. Dr. phil. Marianne Bechhaus-Gerst Institut für Afrikanistik der Universität zu Köln ama23@uni-koeln.de Der wohl be-

rühmteste „Hof- mohr“ im 18. Jahr- hundert: Angelo So- liman (um 1721–

1796 ) war Kam- merdiener an einem Wiener Fürstenhof.

Nach seinem Tod wurde sein präpa- rierter Körper im Kaiserlichen Natu- ralienkabinett aus- gestellt.

Foto: Gottfried Haidl, Stich aus dem 18. Jhd.

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