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Archiv "Die Medizin im Spiegel der zeitgenössischen Kunst: Ein fulminantes Ausstellungsprojekt" (25.12.2006)

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A3498 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 51–52⏐⏐25. Dezember 2006

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ielleicht ist es die immer wie- der stattfindende, ganz unter- schiedliche Beschäftigung mit den letzten Dingen, mit den Randberei- chen der Existenz, die die bildende Kunst und die Medizin relativ eng zusammenführt.“ Zumindest der An- teil an Kunstsammlern unter den Me- dizinern, von ostasiatisch bis zeit- genössisch – siehe Sammlung Mur- ken oder Sammlung Speck – ist über- durchschnittlich hoch. Wenn Ralf Scherer, Chefanästhesist am Cle- menshospital in Münster, über Kunst spricht, ist er hellwach. Er wuchs mit regem Interesse an Avantgardekunst auf – die Mutter Kunsthistorikerin, der Vater Chirurg.

So erzählt Ralf Scherer von dem Aktions-Künstler Günther Saree aus dem Beuys-Umkreis, der auf der legendären 1972er-documenta 5 in Kassel Freiwillige für ein Narkose- experiment suchte, bestehend aus Tiefschlaf und Tiefsinn. Unter der Mitwirkung eines Anästhesisten

(es war nicht Scherer) sollten Frei- willige kurzzeitig das Selbsterfah- rungsgefühl jenes „big sleep“ verar- beiten, gleichsam die temporäre Si- mulation von Vergänglichkeit, des Übergangs vom Leben zum Tod. Sa- ree starb wenige Monate später an Krebs. Scherer, immer noch faszi- niert: „Da wurde ein realmedizini- scher Akt tatsächlich in eine künst- lerische Aktion integriert. Die Kunst benutzte die Medizin in einer Art metaphorischen Rolle.“

Spätestens seitdem wucherte die Kunst immer heftiger im Anästhe- sisten Scherer, was nunmehr in einem fulminanten Ausstellungsprojekt, unter dem Titel „Diagnose Kunst – die Medizin im Spiegel der zeit- genössischen Kunst“, im Kunstmu- seum Ahlen, unweit von Münster, seinen breiten visuellen Nieder- schlag findet. Unter der Mitwirkung des Ahlener Museumsdirektors Burkhard Leismann und der Kura- torin Anna Lammers wurde das Kunstmuseum komplett für 150 Ex- ponate von fast 60 internationalen Künstlern geräumt– der Fokus liegt auf den vergangenen 15 Jahren. Die Namensliste reicht von Roy Adzak und Heather Barnett, über Chuck Close, Wim Delvoye, Mark Dion und Thomas Grünfeld, bis Damien Hirst, Via Lewandowsky, Thomas Lochner, Orlan, Jaume Plensa, Marc Quinn, Daniel Spoerri, Matt Mulli- can und Lawrence Weiner. Die Ta-

blette als Hostie der Neuzeit: Der britische Starkünstler Damien Hirsts verabreicht seine schräg-böse, irri- tierend authentische Medikamen- tenserie in plakativen Bildformaten.

So bietet er unter dem Projekt-Titel

„Das letzte Abendmahl“ etwa „Sa- lad tablets – Lamviudine“, „Sand- wich – Saquinavir 200 mg“ oder

„Chicken – Concentrated Oral Solu- tion, Morphine Sulphate“ an. Das Medikament zwischen Heilsan- spruch und Nährersatz – ein Aspekt, den die Ausstellung unter das Kapi- tel „Religion – Medizin“ platziert, was nicht immer glückt, da man auch banalste Bezüge ins Rubriken- korsett zwängt: etwa Wim Del- voyes’ Kirchenfenster („Erato“, 2002), das Röntgenaufnahmen ei- nes Liebespaars im Kernspintomo- graphen in die antike Fensterstruk- tur implantiert. Dort finden auch die Rosenkränze Paddy Hartleys aus Tabletten und chirurgischen Ver- brauchsmaterialien ihren Platz oder Mark Wallingers beeindruckende Leuchtkasteninstallation „Wer sieht, glaubt“. Andere Ausstellungssektio- nen sind betitelt mit „Medizinischer Akt – künstlerische Aktion“, „Kunst und Krankheit“ oder „Kunst und Biowissenschaften“.

In dem ungemein anregenden Ausstellungsparcours aus künstleri- scher Hinterfragung, Analyse und Bearbeitung, dies in Hinblick auf die moderne Medizin, versammelt (unter der Rubrik „Porträts“) die Ärztin Edith Micansky in ihrer ge- waltig roten Installation „BSG“

(2004) gleichsam alle ihre Patien- ten. Das Kunst-Gesicht der Franzö- sin Orlan darf nicht fehlen. Sie ver- näht ihre Physiognomie über den Prozess sogenannter chirurgischer

„Performance“-Operationen immer wieder neu, lässt sie mit Silikonein- lagen zur offensichtlichen Gesichts- landschaft werden: ein Kunst-Kör- per außerhalb der Determinierung seiner Gene.

Angesichts all dessen klingt das Schlusswort Ralf Scherers versöhn- lich: „Kunst ist kein Luxus, sie gehört zum Leben. Das Leben ohne Kunst wäre ärmer, das Leben ohne Medizin wäre kürzer, beide erschei- nen uns unverzichtbar.“ I Roland Groß

DIE MEDIZIN IM SPIEGEL DER ZEITGENÖSSISCHEN KUNST

Ein fulminantes

Ausstellungsprojekt

„Das Leben ohne Kunst wäre ärmer, das Leben ohne Medizin wäre kürzer, beide erscheinen uns unverzichtbar.“

Edith Micansky:

BSG, 2004

Foto:Kunstmuseum Ahlen

Die Ausstellung ist bis zum 14.Januar 2007 zu sehen. Öff- nungszeiten: dienstags bis freitags von 11 bis 18 Uhr.

sonntags von 10 bis 18 Uhr; Zur Ausstellung ist ein zwei- sprachiger Katalog (deutsch/englisch) im Wienand-Verlag erschienen. Preis: 30 Euro. Anschrift: Kunstmuseum Ahlen, Museumsplatz 1, Telefon: 0 23 82/9 18 30. Internet:

www.kunstmuseum-ahlen.de. Die Ausstellung ist vom 17.

Mai bis 22. Juli 2007 im Kulturspeicher Würzburg zu sehen.

Weitere Stationen sind geplant.

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