Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 39⏐⏐29. September 2006 A2569
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in Medizinstudent lernt wis- senschaftliches Denken und Arbeiten, vertieft sich in normale und krankhaft veränderte Abläufe körperlicher Funktionen und erfährt zunehmend mehr über die mögli- chen Reparaturen entgleister Organ- systeme. Was aber bedeutet „heil werden“ oder „Heilung“? Wie steht es mit einer möglichen Entwicklung des Menschen gerade durch die Her- ausforderungen einer Krankheit?Diese Fragen ließen Sol Lyfond
(geb. 1965 in Düsseldorf) in seinem Medizinstudium Mitte der 80er-Jah- re nicht ruhen und führten zu einer stetig wachsenden Unzufriedenheit mit einem rein naturwissenschaftli- chen Ansatz in der Medizin.
Nach einer persönlichen Krise stand der Entschluss fest, der Medizin den Rücken zu kehren und Künstler zu werden. In dieser Hinwendung zur Kunst lag jedoch keineswegs eine vollkommene Abkehr von Naturwis- senschaft und Medizin. Ganz im Ge- genteil bezieht der Künstler bis heute wesentliche Anregungen aus natur- wissenschaftlichen Beobachtungen und Forschungen in seine künstleri- sche Arbeit mit ein. Er schätzt die Ge- nauigkeit wissenschaftlicher Doku- mentation – nicht aber die damit ein- hergehende Ausblendung der subjek- tiven Sicht- und Erlebensweisen. So interessiert ihn zum Beispiel die sachliche Dokumentation der Ver- wandlung einer unscheinbaren Rau- pe in einen prachtvollen Schmetter- ling; gleichzeitig aber sieht er in die- sem Vorgang auch ein allgemein ver- ständlich zu machendes Sinnbild existenzieller Krisen. In vielen Kri- senzeiten unseres Lebens geraten wir in ein „Stirb und werde!“. In einem
oft schmerzhaften Prozess der Loslö- sung (sozusagen aus dem Raupensta- dium) gelangen wir in eine oft drama- tische Übergangszeit. Dabei kann die Verkehrung ins Gegenteil (oben–un- ten; hell–dunkel) eine irritierende, verunsichernde und gerade dadurch entscheidende Rolle spielen. Erst nach einer solchen Umwertung kön- nen wir uns dann in einer neuen per- sönlichen oder sozialen Rolle entfal- ten – wie ein Schmetterling eben. Ge- burt oder Pubertät, schwere Krank- heiten oder soziale Ereignisse wie Scheidungen oder Arbeitsplatzver- lust können nach diesem dreischritti- gen Muster „transformativer Krisen“
verlaufen.
Als Videokünstler verdeutlicht Sol Lyfond mit seinen wie in Zeit- lupe ablaufenden Bildfolgen das Prozesshafte und gelegentlich auch quälend Langsame dieser Entwick- lungen. Der Betrachter steht in dunk- len Projektionsräumen wie in einer Gebärmutter vor großen Videolein- wänden, wird aus dem schnellen Lauf des Alltags herausgehoben und mit dem Blick in eine ebenso reale wie imaginative Welt belohnt. Die von Klängen unterlegten Videos zei- gen wissenschaftliches Filmmaterial sowie auch faszinierende Versuchs- anordnungen aus dem Atelier des Künstlers. Im verdunkelten Museum oder in der Galerie gibt Sol Lyfond den Bildern die Magie zurück, die ih- nen bei einer rein naturwissenschaft- lichen Sichtweise genommen wurde – und was ihn von Anbeginn seines Medizinstudiums so gestört hatte.
Drei Ausstellungen geben von September bis April 2007 Gelegen- heit, sich von dieser subjektiv berührenden Sicht auf objektiv be- schreibbare Abläufe gefangen neh-
men zu lassen. I
Dr. med. Hartmut Kraft
SOL LYFOND
Medizin, Kunst und Neubeginn
Der Videokünstler gibt Bildern die Magie zurück, die ihnen bei einer rein naturwissenschaftlichen Sichtweise genommen wurde.
1. September bis 1. Oktober Städ- tische Galerie Iserlohn;5. No- vember bis Januar 2007 Sieger- landmuseumim oberen Schloss, Siegen; 9. März bis 15. April 2007 Galerie Rachel Haferkamp,Köln.
Zu den Ausstellungen erscheint Anfang 2007 ein gemeinsamer Ka- talog mit einer Vorzugsausgabe.
Sol Lyfond:
Solaris
Sol Lyfond:
Imago
Fotos:privat