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Archiv "Auf diese Urteile berufen sich die Kassen" (24.12.2001)

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is zu 60 Prozent der onkologischen Patienten in der Regelversorgung werden mit Arzneimitteln behan- delt, die im zulassungsüberschreitenden Bereich liegen, weil dies dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens und international anerkannten Standards entspricht. Diese Verordnungspraxis trifft ebenso für die HIV-Therapie zu.

Auch Kinder erhalten in der Regel Me- dikamente, die zwar für die entspre- chende Indikation – Antibiotika bei In- fektionen, Analgetika bei Schmerzen – zugelassen sind, klinisch aber nur an Er- wachsenen geprüft worden sind.

Wollen Ärzte daher ihre Patienten nach dem neuesten Erkenntnisstand therapieren sowie Kindern und Schwan- geren eine – lebensrettende – Arznei- mitteltherapie nicht vorenthalten, ge- raten sie aus verschiedenen Gründen in ein Dilemma: Sie sind einerseits verpflichtet, „qualitätsgesichert“, „nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin“ zu behandeln und die „Qua- lität der Behandlung weiter zu ent- wickeln“ (§§ 2, 70, 72, 135 SGB V). An- dererseits sind sie nach dem Wirtschaft- lichkeitsgebot (§ 92 SGB V) gehalten,

„ausreichend, zweckmäßig, das not- wendige Maß nicht überschreitend“ zu arbeiten.

Dieser „Spagat“ ist in bestimmten Bereichen der medikamentösen Thera- pie nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Denn jeder Arzt, der seine Patienten zwar nach aktuellen und internationa- len Standards, aber mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikations- bereiche – also „off label“ – behandelt, riskiert neuerdings, von einigen Kran- kenkassen überraschenderweise Post zu erhalten, mit der ihm für diese „unzuläs- sige Verordnung“ Regressanträge an- gekündigt werden, und zwar mit Sum- men bis in den sechsstelligen Bereich.

Während die Regressanforderungen an Onkologen zunächst auf das Bun- desland Berlin beschränkt waren, sind nun auch Ärzte der KVen Nordrhein, Rheinland-Pfalz und Westfalen-Lippe betroffen. Als regresswürdig erachten die Kassen unter anderem die Verord- nung von Folinsäure und 5-Fluorouracil bei metastasiertem Kolonkarzinom, von Pamidronat und Xeloda bei meta- stasiertem Mammakarzinom sowie von Gemzar bei Pleuramesotheliom.

Die Krankenkassen berufen sich auf Urteile des Bundessozialgerichts vom 30. September 1999 und vom 28. März 2000 (Textkasten). Werden die Regress- anträge durch die Prüfungsgremien be- stätigt, so kann dies existenzgefährden- de Folgen für die Ärzte haben. Der Ausgang der gerichtlichen Verfahren ist offen, da bisher – anders als im sta- tionären Bereich – keine Regelung

über die Handhabung von Arzneimit- telkosten im Off-label-Bereich in der ambulanten Versorgung existiert.

„Für Ärzte ist dies eine unzumutbare Situation, die schnellstens geklärt wer- den muss“, sagte Prof. Norbert Brock- meyer, Präsident der Deutschen Aids- Gesellschaft und Organisator des Sym- posiums „Arzneimittelverordnung au- ßerhalb zugelassener Indikationen“, in Bochum. „Es kann nicht sein, erläuterte Brockmeyer, „dass die Ärzte zwischen den Anforderungen des Haftungsrech- tes einerseits und dem Wirtschaftlich- keitsprinzip andererseits zerrieben wer- den und aufgrund rein formaler Argu- mente – Fehlen der arzneimittelrechtli- chen Zulassung für die jeweilige Indi- kation – wertvolle und anerkannte The- rapieoptionen verlieren.“

Für den Vorsitzenden des Berufsver- bandes der niedergelassenen Hämato- logen und internistischen Onkologen in Deutschland e.V., Priv.-Doz. Dr. Stephan Schmitz, ist es völlig unver- ständlich, dass „onkologi- sche Behandlungsregime mit Regressen bedroht werden, die von der Deutschen Krebsgesellschaft sogar in Leitlinien empfohlen wer- den“. Verzichte ein Kassen- arzt auf die Verordnung sol- cher Therapien, mache er sich nicht nur strafrechtlich (wegen unterlassener Hilfe- leistung), sondern auch zivil- rechtlich (Recht des Patien- ten auf Schadensersatz) haft- bar.

Für Mediziner kommt es daher einer „Gretchenfra- ge“ gleich, wie man sich als behandelnder Arzt in dieser Situation überhaupt rechts- P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 51–52½½½½24. Dezember 2001 AA3413

Off-label-Therapie

Den Schwarzen Peter hat der Arzt

Bei der Verordnung von Arzneimitteln außerhalb der zugelassenen Indikationen befinden sich die Ärzte nicht nur in einer juristischen Grauzone,

ihnen drohen von der GKV zunehmend Regresse.

Auf diese Urteile berufen sich die Kassen

Auslöser für die Regressanträge der Krankenkassen sind zwei Ur- teile des Bundessozialgerichts (BSG). Im so genannten SKAT-Ur- teil vom 30. September 1999 lehnte das BSG die Erstattungs- fähigkeit für die Schwellkörper-Autoinjektionstherapie (SKAT) bei erektiler Dysfunktion ab, da das eingesetzte Medikament nur zur Behandlung der arteriellen Verschlusskrankheit, nicht aber zur SKAT zugelassen war. In der Begründung hieß es, dass sich die „Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht auf den nicht zulassungsentsprechenden Ein- satz eines Arzneimittels erstreckt“. Diese Rechtsprechung wurde im zweiten Urteil dann auch auf die Indikation Nierenzellkarzi- nom angewendet.

Das ASI-Urteil vom 28. März 2000 betraf einen Patienten, der ei- ne Kostenerstattung für die aktiv-spezifische Immuntherapie mit ei- ner autologen Tumorvakzine begehrte. Auch in diesem Urteil lehn- te das Gericht den zulassungsüberschreitenden Einsatz von Medi- kamenten grundsätzlich ab. Es machte auch keine Ausnahme für schwere Erkrankungen, selbst wenn keine anerkannte Heilmethode zur Verfügung steht. Obwohl es sich bei beiden Urteilen um Einzel- fallentscheidungen handelte, boten sie den Krankenkassen doch die juristische Handhabe für Regressanträge gegen einige nieder- gelassene Onkologen, welche Interleukin-2 ambulant angewendet hatten.

Medizinreport

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konform verhalten kann. Nach Anga- ben von Rechtsanwalt Herbert War- tensleben (Stolberg) muss, „wenn zwei Normkategorien bestehen, nach dem verfassungsrechtlichen Vorrang ent- schieden werden“. Danach sei das (ökonomische) Interesse der GKV ge- ringer zu werten als das Recht der Pati- enten auf eine optimale Behandlung.

Die Hamburger Rechtsanwälte Wolfgang Kozianka und Dr. jur. Ivo Millarg haben in einem Übersichtsauf-

satz (PharmR 2001; 8: 236–244) darge- stellt, dass der generelle Ausschluss von Off-label-Verordnungen den gesetzlich Versicherten wissenschaftlich aner- kannte und international etablierte Therapieschemata vorenthält – und da- mit letztlich eine Zwei-Klassen-Medi- zin schaffen würde, die nicht im Gesetz vorgesehen sei. „Dass dies vom Bun- dessozialgericht befürwortet würde, kann den von den Krankenkassen ange- führten Urteilen in Sachen ,SKAT‘ und ,ASI‘ nicht entnommen werden.“

Schmitz wies in Bochum darauf hin, dass die Off-label-Therapie kein isolier- tes Problem einiger Onkologen dar- stellt: „Es betrifft alle Ärzte, die das Recht der Patienten auf eine qualitativ hoch stehende medizinische Versorgung realisieren.“ Als weitere Beispiele für die Off-label-Therapie nannte Schmitz die Verordnung von Immunglobulinen bei multipler Sklerose, in der Rheuma- tologie, der Infektiologie sowie beim Einsatz von Interleukin-2 zur Behand- lung des metastasierenden Nierenzell-

karzinoms in geänderter Applikations- art. Wie Prof. Edith Huland (Univer- sitätsklinik Hamburg-Eppendorf) be- richtete, erzielt man mit der inhalativen und subkutanen Applikationsform von Interleukin-2 die gleiche Wirksamkeit wie mit der zugelassenen intravenösen Form. Für den Patienten aber bedeute dieses Therapieregime mehr Lebensqua- lität wegen geringerer Nebenwirkungen.

Huland stellte die Ergebnisse ei- ner Umfrage vor, die offen legt, dass diese Immuntherapie in Deutschland fast aus- schließlich „off label“ ge- handhabt wird. Danach verabreichen 133 Zen- tren Interleukin-2 subku- tan, 64 Zentren inhalativ und 24 Zentren lokal beziehungsweise intratu- moral. „Die kontinuier- liche intravenöse Inter- leukin-Gabe, die allein durch die Zulassungsbe- dingungen gedeckt ist, wird dagegen nur von 13 Zentren bevorzugt“, so Huland.

Nicht nur für die be- handelnden Ärzte sei diese Situation grotesk, es gäbe inzwischen auch Patienten, die sich die innovative Therapieform mit gerichtlichen Eilanträgen erstritten hät- ten: „Die Sozialgerichte in Magdeburg (24. Januar 2001), Halle (5. Juni 2001) und Hamburg (3. August 2001) haben – konfrontiert mit der konkreten Situati- on eines Patienten mit geringer Lebens- erwartung und ohne andere Therapie- option – dem Wunsch nachgegeben und einen individuellen Heilungsversuch mit Interleukin-2 zulasten der Gesetz- lichen Krankenversicherung geneh- migt.“

Mit Wissen der Krankenkassen

Dabei ging es in zwei Fällen um den in- halativen Einsatz des Medikaments, den Huland gerne in weiteren Studien untersuchen würde. Doch die Kranken- kassen hätten ihr bereits signalisiert, dass sie nicht bereit seien, die Ko- sten des Medikaments im Rahmen dieser Therapieoptimierungsstudie zu

bezahlen. Für Ärzte ist diese Form der klinischen Prüfung jedoch unver- zichtbar.

„Wegen der häufig unbefriedigenden Behandlungssituation in der Onkologie werden viele therapeutisch relevante Fragestellungen im Rahmen von The- rapieoptimierungsprüfungen unter- sucht“, betonte der Präsident der Deut- schen Krebsgesellschaft, Prof. Dr. med.

Rolf Kreienberg. Hierbei würden Be- handlungsdaten systematisch doku- mentiert, ausgewertet und zur Fortent- wicklung bereits bestehender Stan- dards eingesetzt. „Dies geschieht be- reits seit langer Zeit mit Wissen der Krankenkassen. Verschiedene Kassen vertreten jedoch neuerdings die An- sicht, dass die Kostenübernahme für Verordnungen von Arzneimitteln in Therapieoptimierungsprüfungen nicht zu ihrem Leistungsumfang gehöre, da es sich hierbei um Forschung handele, welche nicht in ihren Aufgabenbereich falle“, sagte Kreienberg.

Nutznießer der Ergebnisse

Wie Dr. Peter Lange vom Bundesmini- sterium für Bildung und Forschung ge- genüber dem Deutschen Ärzteblatt er- klärte, war das Ministerium ursprünglich mit den Krankenkassen und dem Bun- desgesundheitsministerium übereinge- kommen, dass der Versorgungsanteil eines Studienpatienten von den Kassen getragen werden sollte. „Das ist ver- nünftig, denn der Patient ist in der Re- gel nicht in der Studie, weil Forschung betrieben werden soll, sondern weil er krank ist und einer bestimmten Thera- pie bedarf. Diese normale Therapie muss von den Kassen bezahlt werden.

Denn sie sind auch Nutznießer der Stu- dienergebnisse, weil gezeigt wird, ob ei- ne Therapie effizient ist und ob damit letztlich Kosten gespart werden. Alle darüber hinaus anfallenden Kosten müs- sen hingegen durch andere Stellen finan- ziert werden.“ Lange betonte, dass das Bundesforschungsministerium eine Ko- stenteilung mit Krankenkassen anstrebe.

Auch der Gesundheitsforschungsrat (GFR) hat auf seiner Sitzung im Okto- ber empfohlen, dass „der Versorgungs- anteil für Studien, die der Erkenntnis- gewinnung für den medizinischen Fort- P O L I T I K

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A3414 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 51–52½½½½24. Dezember 2001

Für onkologische Patienten sind Off-label-Therapien und Thera- pieoptimierungsstudien häufig die letzte Hoffnung, ihre Krebser- krankung zumindest vorübergehend zum Stillstand zu bringen.

Foto: Peter Wirtz

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schritt dienen, von den Krankenkassen zu finanzieren ist, wie nunmehr im Ent- wurf des Krankenhausentgeltgesetzes explizit vorgesehen und für den nicht- stationären Bereich noch zu regeln ist.

Bei den wissenschaftsgetriebenen Stu- dien muss auch dann der Versorgungs- anteil von den gesetzlichen Kranken- kassen getragen werden, wenn die Stu- die Arzneimittelvariationen beinhaltet, die eine Risikominimierung oder eine Behandlungsoptimierung für die Pati- enten intendiert.“

Auch die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin verfolgt mit Sorge die Bestrebungen der Krankenkassen, die Kosten der Off-label-Therapien und Therapieoptimierungsstudien nicht mehr zu erstatten. „Eine solche Vorge- hensweise gefährdet die Behandlung von Patienten in gravierender Weise.

Dies gilt sowohl für die Krankenversor- gung in Polikliniken und Ambulanzen von Universitätskliniken und Schwer- punktkliniken als insbesondere auch für die Durchführung notwendiger Therapiestudien in der klinischen For- schung, welche dadurch unmöglich ge- macht werden könnte“, erklärte der Vorstand der Internisten.

Prof. Volker Diehl wies als Vorsit- zender der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) darauf hin, dass in anderen Ländern – vor allem in den USA – klare und wis- senschaftlich gut abgesicherte Regelun- gen für die Finanzierung von Krebsme- dikamenten außerhalb der ursprüngli- chen Indikation existierten: „Die Rück- ständigkeit Deutschlands in dieser Hin- sicht darf nicht dazu benutzt werden, Krebspatienten wirksame und innovati- ve Therapien vorzuenthalten. Wir for- dern daher ein eindeutiges Bekenntnis von Politik und Kostenträgern zu einer Finanzierung von Therapieformen nach aktuellem Erkenntnisstand.“

Für Dr. Wolfgang Kaesbach, Arznei- mittel-Sachverständiger beim BKK- Bundesverband in Essen, kann die bisherige Rechtsprechung nicht anders interpretiert werden, als dass die Off- label-Therapie nicht zum Leistungsum- fang der Krankenkassen gehört. „Die- se Tür ist zu“, erklärte Kaesbach gegen- über dem Deutschen Ärzteblatt. Er sieht in dieser Frage vielmehr die Pharma- zeutische Industrie gefordert. Das Arz-

neimittelgesetz ermögliche es der Indu- strie auf vielfältige Weise, beschleunigt vorübergehende Zulassungen („fast track“) mit Auflagen für Arzneimittel zu erreichen. Auf dieser Basis bestünde dann Rechtssicherheit für Patienten, Ärzte, Industrie und Krankenkassen.

„Wir können doch nicht zulassen, dass das Arzneimittelgesetz durch die Off- label-Therapie ausgehebelt wird“, sag- te Kaesbach.

Die Teilnehmer des Bochumer Sym- posiums sehen andere Lösungsmöglich- keiten, um den Off-label-Gebrauch von Arzneimitteln in der GKV für Patien- ten, Ärzte und Kostenträger zu gewähr- leisten. Sie empfehlen in einem Kom- muniqué folgende Schritte:

Kurzfristigerscheine das Aussetzen der Regressforderungen die einzige Möglichkeit, einen Versorgungseng- pass, insbesondere bei Schwerstkranken und durch ihre Erkrankung vom Tode bedrohten Patienten, zu verhindern.

Mittelfristigsei die Einsetzung ei- nes durch Konsens mit genügenden Kompetenzen ausgestatteten Gremiums notwendig, das fortlaufend den aktuel- len Stand des medizinischen Wissens er- mittelt, welches unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes Grundla- ge für die Verordnungsfähigkeit zula- sten der GKV ist.

Langfristigmüsste eine Regelung des Off-label-Gebrauchs durch Geset- zesinitiativen angestrebt werden.

Initiativen zur Arzneimittel- sicherheit für Kinder

Eine Art Off-label-Therapie führen auch Pädiater und Eltern durch, die ihren Kindern Medikamente verabrei- chen. Denn hierbei werden zu etwa 80 Prozent Arzneimittel verordnet, die ausschließlich an Erwachsenen geprüft worden sind und deren Anwendung für Kinder häufig nur extrapoliert worden ist. Somit befinden sich auch Kinderärz- te in der oben beschriebenen „Haf- tungsfalle“.

Prof. Alfred Hildebrandt, Beauftrag- ter des Bundesministeriums für Ge- sundheit für europäische Zulassungssy- steme, Kinderarzneimittel sowie Arz- neimittel gegen seltene Krankheiten, beschrieb in Bochum das Dilemma der medikamentösen Therapie von Kindern.

„Kinder haben einen Anspruch darauf, mit Arzneimitteln versorgt zu werden, für die adäquate Daten für die Anwen- dung in der spezifischen Altersgruppe vorliegen. Andererseits sind für die ,Forschung an Einwilligungsunfähigen‘

aus guten Gründen ethische Hürden P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 51–52½½½½24. Dezember 2001 AA3415

Forschung „zulasten der GKV“ aus juristischer Sicht

Obwohl Therapieoptimierungsstudien mit Wissen der Krankenkassen bereits seit vielen Jahren durchgeführt werden, wird neuerdings die Verordnungsfähigkeit der darin angewendeten Arzneimittel bestritten. Dies wird damit begründet, dass Forschung zulasten der GKV unzulässig sei. Diese These trifft nach Auffassung verschiedener Juristen nicht zu und kann daher den Verordnungsausschluss nicht rechtfertigen. In Bochum berichtete Rechtsanwalt Claus Burghardt (Bonn):

1. § 27 SGB V gibt dem Patienten einen Anspruch auf eine hinreichende Krankenbehandlung. Das Ziel, ei- ne ausreichende Krankenbehandlung zur Verfügung zu stellen, wird aber auch dann verfolgt, wenn die Krankenbehandlung mit einem Erkenntnisgewinn einhergeht.

2. Für den stationären Bereich zeigen die §§ 137 c Abs. 1 Satz 2 SGB V, 17 Abs. 3 Nr. 2 KHG, dass auch for- schungsbedingte Kosten pflegesatzfähig sind, soweit diese nicht über die Kosten für den normalen Kran- kenhausbetrieb hinausgehen. Forschung und gesetzliches Leistungsrecht sind daher vereinbar.

3. § 65 SGB V, der die Zulässigkeit von Modellvorhaben von einer wissenschaftlichen Evaluierung abhän- gig macht, zeigt, dass Forschung und Leistung nicht unvereinbar gegenüberstehen.

4. Das noch nicht verabschiedete Datentransfergesetz soll der GKV Versorgungsforschung ermöglichen.

Um nichts anderes geht es auch häufig bei Therapieoptimierungsprüfungen.

5. Arzneimittelforschung vollzieht sich nicht nur in klinischen Studien i. S. d. §§ 40, 41 AMG, sondern auch im Rahmen von so genannten Anwendungsbeobachtungen (§ 67 Abs. 6 AMG), die sich im Hinblick auf die methodischen Anforderungen und die Anwendung findenden Erkenntnismittel nicht notwendig un- terscheiden. Die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln, die in Anwendungsbeobachtungen evaluiert werden, ist unstrittig.

6. § 135 a Abs. 1 Satz 1 SGB V verpflichtet alle Leistungserbringer zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von Ihnen erbrachten Leistungen; ferner soll der Vertragsarzt seine Patienten auf Grundlage evidenzbasierter Erkenntnisse behandeln. Die Umsetzung dieser Ziele bedingt zwangsläufig die Durchführung von Studien und Dokumentationsprojekten, mithin also von Therapieoptimierungs- prüfungen.

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aufgebaut worden. Da aber gleichzeitig Medikamente für Kinder eine Patien- tengruppe betreffen, die aufgrund ihres geringeren Erkrankungsrisikos kein at- traktives Marktsegment darstellt, sind pharmakologische Fortschritte für die- se Altersklasse nicht mehr uneinge- schränkt zugänglich.“

Beispielsweise waren 49 von 110 in der Europäischen Union im Januar 2000 zugelassene neue Arzneimittel sowohl für Erwachsene als auch für Kinder geeignet, aber nur 15 enthiel- ten Angaben zur Anwendung bei Kin- dern und Heranwachsenden. „Die Kluft zur Behandlung Erwachsener wird im- mer größer werden“, erklärte Hilde- brandt.

In den letzten Wochen sei jedoch Be- wegung in das Feld gekommen. So sei- en an einigen Koordinationszentren für Klinische Studien (KKS) so genannte pädiatrische Module angesiedelt wor- den. „Dies ist ein erster, aber kein aus- reichender Schritt, um dauerhaft und unabhängig an Universitäten auch sol- che Studien durchführen zu können, die nicht in unmittelbarem Interesse der In- dustrie liegen“, sagte Hildebrandt.

Temporäre Zulassung als Übergangslösung

Außerdem wurde am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine unabhängige Expertenkommissi- on „Arzneimittel für Kinder und Ju- gendliche“ eingerichtet. Die Aufgabe dieses Ausschusses ist es unter ande- rem, Standards für therapeutisch wich- tige Arzneimittel zu definieren, die als Empfehlungen für eine Zulassung von bekannten Arzneimitteln für Kinder übernommen werden können.

Im Sinne Übergangshilfe drängt die Bundesregierung nun auf eine tempo- räre Zulassung. „Die Frage nach mögli- chen Anreizen für die Industrie, falls – wie in den USA schon geregelt – eine In- dikationsstellung für die Kinderheilkun- de beantragt wird und erforderliche Nachweise und Unterlagen beigebracht werden, setzt eine Lösung in der Europäi- schen Gemeinschaft voraus“, so Hilde- brandt. Seit einem Jahr stehe auch die EU-Kommission in Brüssel unter Voll- zugszwang. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

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ei der aktuellen Diskussion um eine gesetzliche Verankerung von Patientenrechten in einer umfas- senden Charta sollte berücksichtigt werden, dass das komplexe Regelungs- system, als das sich das Berufsrecht der Freien Berufe darstellt, nicht durch unbedachte, einseitig wirkende Maß- nahmen infrage gestellt wird. An- gesichts der inzwischen erreichten Re- gelungsdichte müsse der Gesetzgeber seine Effektivitätskontrolle intensivie- ren, um eine Kumulation nicht ausrei- chend wirksamer Verhaltenspflichten oder gar widersprüchliche Systeman- sätze zu vermeiden. Auch hier gelte die alte Lebensweisheit, dass „weniger“

manchmal „mehr“ ist. So fasste Prof.

Dr. jur. Winfried Kluth, Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Martin-Lu- ther-Universität Halle-Wittenberg, sei- ne Ausführungen zum Thema „Mög- lichkeiten und Grenzen des Verbrau- cherschutzes durch Berufsrecht“ zu- sammen.

Allerdings habe sich das so genannte paternalistische Leitbild, nach dem die Angehörigen der Freien Berufe die In- teressen ihrer Vertragspartner in der Regel nach Maßgabe ihres Berufsethos und ihrer fachlichen Qualifikation schützen, inzwischen überlebt. Diese treuhänderische Konzeption sei durch eine privatautonome Konzeption er- setzt worden. Dabei trete der Verbrau- cher oder Patient als autonomes Sub- jekt stärker in den Vordergrund; dessen Interessen würden nicht allein durch objektive Standards, „sondern gerade auch durch die Einbeziehung seiner Sicht der Dinge, seine Zustimmung nach Aufklärung und weitere damit verbundene informatorische und ver- fahrensmäßige Vorkehrungen berück- sichtigt“.

Unklar ist jedoch, ob und inwieweit das spezifische Arzt-Patienten-Verhält- nis es überhaupt zulässt, das Patienten-

recht im Rahmen des umfassenden Be- griffs „Verbraucherschutz“ zu diskutie- ren. Gibt es so etwas wie Konsumenten- souveränität bei einem Kranken, der Not leidet und Hilfe sucht? Der Arzt sei zu 90 Prozent kein Experte, der eine ge- nau zu definierende Leistung erbringt, sondern über lange Jahre hinweg der Begleiter eines Patienten, der etwa an Diabetes oder Hypertonie leidet und den Großteil der Leistung selbst erbrin- gen muss, gab Prof. Dr. med. Klaus- Dieter Kossow in der Diskussion zu be- denken.

Berufsrecht sichert Patientenrecht

Dass ärztliches Berufsrecht auch Pa- tientenrecht sichert, steht für Rechts- anwältin Ulrike Wollersheim, Justizia- rin von Bundesärztekammer und Kas- senärztlicher Bundesvereinigung, au- ßer Frage. Bereits in der Präambel zur ärztlichen Berufsordnung stehe das Handeln des Arztes in Bezug zum Patienten im Vordergrund. Die Be- rufsordnung diene dem Ziel, das Ver- trauen zwischen Arzt und Patient zu erhalten. Betrachte man die allgemei- nen Ziele des Verbraucherschutzes – Schutz der Gesundheit, Sicherheit des Produkts oder der Dienstlei- stung, Wahrung der wirtschaftlichen Interessen und angemessene Informa- tion des Verbrauchers –, so könne man fast die gesamte ärztliche Berufsord- nung diesen einzelnen Punkten zuord- nen.

Durchaus möglich erscheine es, im Rahmen der Berufsordnung auch die Rechte der Patienten zu definieren.

Anstelle eines „Patientengesetzes“ plä- dierte Wollersheim für die beratende Mitwirkung von Patientenvertretern bei der Fortentwicklung des Berufs-

rechts. Thomas Gerst

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A3416 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 51–52½½½½24. Dezember 2001

Berufsrecht der Freien Berufe

Patientenrechte inbegriffen?

Mit den Möglichkeiten und Grenzen des Verbraucherschutzes

befasste sich eine Tagung der Ludwig Sievers Stiftung.

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