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Archiv "Urteile" (20.10.2000)

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enn ein Arzt auf der Fahrt zu einem Not- falleinsatz die Ge- schwindigkeit überschreitet, gegen Rotlicht verstößt oder angetrunken fährt, kann das vor Gericht enden. Besonders für Hausärzte steigt das Ri- siko, bei Fahrten zu den Pa- tienten einen Verkehrsverstoß zu begehen. Durch die vielen Tempolimits innerorts wird es immer wahrscheinlicher, die Geschwindigkeit zu über- schreiten. Strafen in Form von Geldbußen (§ 24 II StVG) oder Fahrverboten (§ 25 StVG) können bei einer me- dizinisch bedingten Fahrt je- doch nicht angebracht sein, wenn dem Verstoß gegen die Verkehrsordnung ein recht- fertigender Notstand (§ 16 OWiG oder § 34 StGB) ent- gegengehalten werden kann.

Konfliktsituation

Ein rechtfertigender Notstand setzt festgelegte Kriterien vor- aus. So muss eine Konflikt- situation gegeben sein, in der Gefahr für ein Rechtsgut be- steht, beispielsweise das Le- ben eines anderen Menschen.

Diese Gefahr kann durch ei- ne Notstandshandlung (Ge- schwindigkeitsübertretung) abgewendet werden, die zu ei- ner Veletzung von Rechtsgü- tern Dritter oder der Allge- meinheit führen kann. Der Notstandshandlung werden nach Maßgabe des Gesetzes aber drei Grenzen gesetzt: die nicht anders abwendbare Ge- fahr, die Interessenabwägung und die Angemessenheit. Vom Verkehrssünder wird zudem verlangt, dass er mit Ret- tungswillen handelt, also in Kenntnis der rechtfertigenden Umstände und mit dem Wil- len zur Gefahrenabwehr.

Bei der Interessenabwä- gung orientieren sich die Ge- richte am Einzelfall: In wel- chem Verhältnis stehen die akute Behandlungsbedürftig- keit des Patienten und die Gefahr für seine Gesundheit zum öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Verkehrs- vorschriften und den Gefah- ren für die anderen Verkehrs- teilnehmer?

Wenn durch schnelleres Fahren kein gewichtiger Zeit- gewinn erreicht wird, steht die Geschwindigkeitsübertre- tung in keinem Verhältnis zur Gefährdung anderer Ver- kehrsteilnehmer. Verkehrsla- ge oder -dichte zur Tatzeit spielen dabei für das Gericht eine Rolle. Den Rotlichtver- stoß eines Taxifahrers, der für eine Operation dringend benötigte Blutkonserven ins Krankenhaus brachte, ließ das Oberlandesgericht Hamm, Westfalen, ungeahndet. Es betonte aber, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht ge-

fährdet waren, da sich keine weiteren Fahrzeuge auf der Kreuzung befanden. Trun- kenheitsfahrten durch Nicht- ärzte sind nur gerechtfer- tigt, um Schwerverletzte oder -erkrankte ins Krankenhaus zu transportieren. Fährt ein Arzt betrunken zu einem Patienten, der sofort versorgt werden muss, wird das unter- schiedlich beurteilt. Das Ober- landesgericht Hamm, Westfa- len, hat die Trunkenheitsfahrt eines Arztes entschuldigt. Er war mit 1,75 Promille Alkohol im Blut zu seinem 18 Tage al- ten, schwer erkrankten Kind

gefahren. Nicht gerechtfertigt war nach Ansicht des Ober- landesgerichts Koblenz die nächtliche Trunkenheitsfahrt eines Arztes mit einem Blut- alkoholspiegel von 1,78 Pro- mille. Er war zu einer Pa- tientin unterwegs, die einen Herzanfall erlitten hatte. Der Arzt hätte den ärztlichen Not- dienst benachrichtigen oder mit einem Taxi fahren müs- sen. Um zu beurteilen, ob ei- ne Trunkenheitsfahrt gerecht- fertigt war, werden gegenein- ander abgewogen: der Grad der Alkoholisierung, die Län- ge des Weges und die Nähe ei- nes Krankenwagens auf der einen Seite und die Erheb- lichkeit der Gesundheitsbe- drohung auf der anderen Seite.

Verstößt der Arzt gegen Verkehrsregeln, muss er dar- auf achten, dass er die Ge- fahr für die Allgemeinheit so niedrig wie möglich hält. Zur eigenen Sicherheit sollte er dokumentieren, warum er ei- nen Verkehrsverstoß oder ei- ne Trunkenheitsfahrt begeht, um in einem späteren Buß- geld- oder Strafverfahren seine Konfliktlage darzustellen. Da der Arzt die Schweigepflicht (§ 203 StGB) beachten muss, darf er keine konkreten An- gaben zum Patienten ma- chen. Bei der Urteilsfindung spielt die Aussage des Arz- tes eine wichtige Rolle: Ist sie stimmig und gibt es keine begründbaren Zweifel, so ist der Arzt freizuspre- chen. Auch wenn er sich über das Bestehen eines recht- fertigenden Notstands irrt, kann das eine Verurteilung verhindern. Markus Parzeller V A R I A

A

A2798 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 42½½½½20. Oktober 2000

Notfall-Fahrten

Verkehrssünder oder Lebensretter?

Gerichte beurteilen die Verkehrsverstöße von Ärzten im Einsatz sehr unterschiedlich.

Technik

Urteile

In folgenden Fällen war eine Geschwin- digkeitsübertretung gerechtfertigt, oder der Handlungsunwert war durch notstands- ähnliche Umstände gemindert:

❃ Ein Gynäkologe fuhr mit 85 km/h durch eine geschlossene Ortschaft (vorge- schriebene Höchstgeschwindigkeit 50 km/h).

Er war zu einer Patientin mit unerwartet schweren Blutungen nach der Entbin- dung gerufen worden. Die Geschwindig- keitsübertretung war angemessen.

❃ Ein Arzt wollte seine Praxis schnell er- reichen, um einem Patienten zu helfen, der nach einer Bandscheibenoperation über Rückenschmerzen und Kreislaufstörungen klagte. Wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 36 km/h wurde er zu einer Geldbuße (200 DM) plus Fahrverbot (einem Monat) verur- teilt. Das Bayerische Oberlandesgericht hob das Fahrverbot mit seiner „Denkzettel- und Besinnungsfunktion“ auf, da die Sorge des Arztes um seinen Patienten keinen Raum für ein gesteigertes Unwerturteil zulässt.

Erwischt! Auf der Fahrt zum Patienten missachten Ärzte gelegent- lich die Geschwindigkeitsvorschriften. Foto: ADAC/gp

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