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Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 50, 11. Dezember 1998 (1)
D
ie rot-grüne Bundesregie- rung bleibt beim sogenann- ten Vorschaltgesetz zur Gesundheitsreform hinter dem selbst gesetzten Anspruch zurück, eine „sozial gerechte und ausgewo- gene Gesundheitspolitik“ anzu- stoßen.Trotz der in den parlamen- tarischen Schlußberatungen be- schlossenen „Nachbesserungen“
bleibt ein gravierender Mangel, der auch die für das Jahr 2000 in Aussicht gestellte weitere Etap- pe zur Gesundheitsstrukturreform zusätzlich erschweren dürfte: die Budgetierung. Ab 1999 sollen all jene Deckelungs- und Ausgaben- dämpfungsmaßnahmen wiederbe- lebt werden, die nach Aussage der jetzt amtierenden Bundesregie- rung nicht erfolgreich waren und die nur als eine notgedrungene Sofortmaßnahme und Zwischen- lösung toleriert werden könnten.
Mit Ausgabendeckelungen und sektoralen Budgetierungen wird das Morbiditäts- und Nach- fragerisiko fast ausschließlich auf die Leistungserbringer verlagert.
Gleichzeitig wird den Kranken- kassen noch mehr Verhandlungs- macht und Planungskompetenz (von außen) im ambulanten und stationären Sektor zugeschanzt.
Budgetierung kann zu ver- deckter, schleichender Leistungs- rationierung führen, wenn der Lei- stungskatalog unverändert bleibt.
Und an diesem will die Koalition vorerst nicht rütteln. Dafür wer- den jetzt bereits – entgegen frü- heren Ankündigungen – Weichen für weitere interventionistische strukturelle Änderungen gestellt, die die eigentliche Strukturreform 2000 bereits vorprägen.
Im Schlußgalopp zum Vor- schaltgesetz versucht die Regie- rungskoalition den Spagat zwi-
schen reduzierten Patienten-Zu- zahlungen, Leistungsneueinfüh- rungen und -ausweitungen und Beitragsstabilität. Und dies, ob- wohl in einzelnen Sektoren Men- genausweitungen (etwa im Kran- kenhaus) und erheblicher Nach- holbedarf (bei Zahnärzten: Wie- dereinführung von Sachleistungen für Jugendliche, die nach 1978 ge- boren sind) zu erwarten sind.
Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer bleibt dabei, daß alles solide gerechnet, finanziert und gegenfinanziert ist und kei- ne erneuten Finanzierungslücken entstehen (ein Papier rot-grüner Politiker geht hingegen von einer Lücke von mindestens einer Milli- arde DM aus; die GKV von zwei Milliarden DM). Ihre Rechnung sieht so aus: Wie angekündigt, wer- den die Zuzahlungen bei Arznei- mitteln von derzeit neun, elf und dreizehn, je nach Packungsgröße, auf acht, neun und zehn DM ge- senkt. Überwiegend soll dies durch die Neuregelungen bei den 620- DM-Jobs gegenfinanziert werden.
Ersparnisse und Mengenreduktio- nen infolge der Budgetierung seien nicht in die Finanzierungsrech- nung eingegangen, so die Ministe- rin. Zudem seien aus „Vorsichts- gründen“ bereits Abschläge bis zu 25 Prozent bei den zu erwartenden Mehreinnahmen bei den Gering- verdienerjobs gemacht worden.
Zumindest Teilerfolge auf Grund detaillierter und begrün- deter Eingaben erzielten die Lei- stungserbringer bei den geplanten Budgets in einzelnen Sektoren. So soll das Arzneimittelbudget 1999 nur noch eine Milliarde DM unter den Ausgaben von 1998 liegen. Ur- sprünglich sollten die Vertragsärz- te 1999 für Arzneiverordnungen 3,5 Milliarden DM weniger als in diesem Jahr zur Verfügung haben.
Außerdem soll die Senkung der Höchstbeträge, die die Kranken- kassen für Medikamente erstatten, zurückgenommen werden. Die Pharma-Industrie und die Apothe- ker hatten größere Spielräume und mehr Flexibilität in den Budgets gefordert.
Auch die Krankenhäuser kom- men jetzt – dank eines Bund- Länder-Kompromisses – finanziell besser weg. So soll die Finanzie- rung der Instandhaltung der Klini- ken in der bisherigen Form erhal- ten bleiben (pauschaler Aufschlag von 1,1 Prozent auf das Budget).
Außerdem sollen Leistungen der Krankenhäuser, die über den mit den Krankenkassen im voraus ver- einbarten Umfang hinausgehen, auch 1999 wie bisher mit durch- schnittlich 20 Prozent der vollen Erlöse finanziert werden.
Zunächst war vorgesehen, daß Mehrleistungen ab 1999 von den Kassen überhaupt nicht mehr be- zahlt werden sollten. Die Klinik- träger befürchteten deshalb erheb- liche Unterfinanzierungen und die Entlassung von einigen zehntau- send Fachkräften, wenn sich die Schere zwischen BAT-Erhöhun- gen und Budgetanpassungen an die Grundlohnrate weiter öffne.
Hinzu kommt, daß das gesetzlich vorgeschriebene „Erlösabzugsver- fahren“ (im Zusammenhang mit dem Klinikgesamtbudget und den neuen Entgeltformen) nun doch Ende 1999 auslaufen soll – ent- gegen ursprünglichen Zusagen der Politik und den Forderungen der DKG, der Kassenverbände und der privaten Krankenversicherung, dieses um ein oder zwei Jahre zu verlängern. All dies ist „beschäfti- gungs- und leistungsfeindlich“ – eben keine patienten- und bedarfs- orientierte Kehrtwende in der Ge- sundheitspolitik. Dr. Harald Clade