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Seite eins
Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 37, 11. September 1998 (1)
Ausgaben im 1. Halbjahr 1998
GKV-Gezeiten:
Schon wieder Ebbe
S
chuldnerberatungen gelten als relativ erfolgreich, weil sie als neutrale Stelle oft Rat wissen, wenn die Beteiligten schon fast verzweifeln. Wäre sie eine Pri- vatperson und kein Zweig der Sozi- alversicherung, müßte man der Ge- setzlichen Krankenversicherung (GKV) empfehlen, sich endlich um einen Termin zu bemühen. Denn sie bekommt ihre Finanzen nicht in den Griff.Im Rahmen der Haushaltsde- batte im Bundestag erklärte Bun- desgesundheitsminister Horst See- hofer (CSU) in der vergangenen Woche, das GKV-Defizit des ersten Halbjahres 1998 habe „entgegen voreiligen Spekulationen der SPD“
bei rund 1,9 Milliarden DM gelegen (West: 1,48 Milliarden DM, Ost:
0,46 Milliarden DM). Die SPD hat- te zuvor behauptet, es sei mit einem Minus von 2,4 Milliarden DM zu rechnen.
Gestiegen sind die Ausgaben vor allem in folgenden Leistungs- bereichen:
> Krankenhausbehandlung:
4,8 Prozent (West)/
2,9 Prozent (Ost),
> ärztliche Behandlung:
2,3/0,9 Prozent,
> zahnärztliche Behandlung (ohne Zahnersatz):
6,8/5,4 Prozent,
> Kuren: 8,9/3,9 Prozent,
> Heilmittel: 9/14,3 Prozent.
Seehofer fand dennoch beruhi- gende Worte – es ist ja schließlich Wahlkampf. Erstens sei das Defizit nur noch halb so hoch wie im ersten Halbjahr 1997, was man den Zuzahlungserhöhungen des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes zu verdanken habe. Zweitens seien die Einnahmen in der zweiten Jahres- hälfte wegen verschiedener Einmal- zahlungen immer besser als in der ersten. Drittens stünden die Kassen auf sicherem finanziellen Boden, weil sie Ende 1997 ja noch Reserven von 7,6 Milliarden DM gehabt hät- ten.
Sein Fazit: Die geringen Aus- gabenveränderungen je Mitglied (+0,6 Prozent) zeigten, „daß die Beteiligten in der Gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt verantwortlich mit den Beitragsgel- dern der Versicherten umgegangen sind“.
Man kann es auch anders se- hen. Wer ein kleineres Defizit als das im Vorjahr schon als Erfolg ver- kauft, empfiehlt sich angesichts der gesamten Staatsverschuldung viel- leicht als Finanzminister. Seinen ei- genen Zielen als Gesundheitsmini- ster wird er aber nicht gerecht. Allen Reformgesetzen und dadurch be- dingten Kurzzeitreserven zum Trotz reicht das Geld offenbar schon wieder nicht. Selbst kleine po- sitive Einnahmeveränderungen wie ein bundesweites Plus der beitrags-
pflichtigen Einnahmen um 1,4 Prozent richten nichts mehr aus.
Reaktionen? Die Deutsche Krankenhausgesellschaft erklärte gegenüber der Presse, die höheren Ausgaben für Krankenhausbe- handlungen seien als notwendi- ge Nachholeffekte zu verstehen.
Außerdem würden immer mehr Pa- tienten in Krankenhäuser eingewie- sen. Dem widersprach die Kas- senärztliche Bundesvereinigung:
Die ambulante Versorgung müsse immer mehr Aufgaben aus dem Krankenhaus übernehmen. Trotz- dem hätten die Kassenärzte im er- sten Halbjahr 1998 ihren Beitrag zur finanziellen Stabilisierung der GKV geleistet.
Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen schließlich verkün- deten, sie sähen für 1998 keinen An- laß zu Beitragssatzerhöhungen – als ob Urlaubs- und Weihnachts- geld in Deutschland mindestens drei Gehälter betragen würden. Die Opposition kritisierte den gesamten gesundheitspolitischen Ansatz See- hofers.
So hat man trotz der neuerli- chen Ebbe bei den Kassen doch ei- ne Sorge weniger: Was das Ziel ei- ner solide finanzierten, funktionie- renden Gesetzlichen Krankenversi- cherung anbelangt, wird es in Zukunft noch genug Arbeit in Deutschland geben – für alle Be- teiligten. Sabine Rieser