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Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 50, 17. Dezember 1999
V E R S I C H E R U N G E N
A
ugust Zillmer hat Mil- lionen deutscher Le- bensversicherungskun- den um ein Vermögen ge- bracht. Der Mathematiker er- fand 1863 eine für Kunden ungünstige Methode, wie die Abschlußkosten einer Le- bensversicherung, also im we- sentlichen die Vertreterpro- vision, getilgt werden. Das betrifft sowohl die Verträge mit Einmalzahlung (Kapital- leben) als auch die mit Ren- tenzahlung und Fondspoli- cen. Zu zahlen hat die Ab- schlußkosten der Kunde. Da es aber abschreckend wirken würde, wenn er neben seiner ersten Prämie gleich noch mehrere tausend DM über- weisen müßte, bekommt er die Kosten nach der Methode des Herrn Zillmer unsichtbar aufgebrummt. Die Versiche- rungsgesellschaft rechnet so, als habe sie dem Kunden ei- nen zinslosen Kredit gewährt, den er abstottern muß.„Zillmerung“ heißt das System und ist verantwortlich für das wohl größte Ärger- nis bei Lebensversicherungen:
den Verlust bei vorzeitiger Kündigung. Etwa jeder zweite Kunde steigt nach einer Un- tersuchung vorzeitig aus. In den ersten Jahren bekommt er dann nichts oder nur wenig von seinen bis dahin gelei- steten Prämien zurück. Denn mit seinem Sparanteil (Prä- mie abzüglich Kosten für Ver- waltung und Versicherungs- schutz) sind bis dahin meist nur die Abschlußkosten ab- bezahlt worden. Einzelheiten dazu erfährt der Kunde bei Vertragsschluß praktisch nie, was Ende Mai das Oberlan- desgericht Stuttgart mit sei- nem „Allianz-Urteil“ mit har- schen Worten kritisierte.
Einige Versicherer scheren aus
Doch es geht auch an- ders, wie inzwischen selbst einige Gesellschaften mit Au- ßendienst vormachen: Ähn- lich einem Investmentfonds, der einen „Ausgabeaufschlag“
auf die Sparrate berechnet, ist es möglich, die Abschlußko- sten mit der monatlichen Prä-
mie auf die Vertragslaufzeit zu verteilen. Die Vorteile für den Kunden: Die Rückkauf- werte bei Kündigungen in den ersten Jahren fallen deut- lich höher aus; außerdem er- gibt sich je nach Laufzeit eine höhere Ablaufleistung oder ei- ne höhere Rente. Der Grund:
Da früher Sparkapital vor- handen ist, setzt auch früher der Zinseszinseffekt ein.
Die Nachteile für den Ver- mittler: Während er bei den üblichen „gezillmerten Tari- fen“ seine Provision praktisch auf einen Schlag erhält (zu- meist gekürzt um eine so- genannte Stornoreserve) und nach wenigen Jahren Vertrags- laufzeit „voll verdient“ hat, bekommt er bei „ungezillmer- ten Tarifen“ sein Honorar in Raten gezahlt. Kündigt der Kunde, verliert der Vermittler seinen restlichen Provisions- anspruch.
Was dem Kunden ein verändertes Provisionssystem bringen kann, hat die Go- thaer Lebensversicherung mit einer Beispielrechnung dar- gestellt. Die Modellvorgabe:
Ein 30jähriger Mann will ei- ne Kapitallebensversicherung abschließen und dafür 35 Jahre lang monatlich 300 DM
aufbringen. Die garantierte Leistung (Versicherungssum- me) sollte bei beiden Varian- ten gleich sein.
Das Ergebnis: Rund 4 000 DM mehr würde ein Kunde bekommen, wenn er nach fünf Jahren aus dem Vertrag aussteigt. Hält er die Ver- tragslaufzeit durch, bekäme er auf Grundlage der nicht garantierten Überschußpro-
gnose bei diesem Beispiel ei- ne um rund 19 000 DM hö- here Ablaufleistung, seine Ab- laufrendite stiege um rund 0,2 Prozentpunkte. Gothaer- Vorstand Martin Balleer be- stätigt jedoch, daß dieser Ta- rif nur selten angewendet wird. Denn der Beratungsauf- wand beim Vermittler würde ganz wesentlich zu Beginn der Lebensversicherung an- fallen. Die Abschlußprovision sei deshalb als Finanzierungs- grundlage für den Vertrieb wichtig. Dies sei auch der Grund, warum sich laufende Provisionen national wie inter- national bislang nicht durch- gesetzt hätten. Dennoch ha- ben vereinzelt Versicherer mit Außendienst vollständig auf laufende Provisionierung um- gestellt, etwa die Futura. An- dere haben zum herkömmli-
chen Tarif Alternativen ge- schaffen, die hausintern zum Beispiel „Bedarfstarife“ ge- nannt werden. Was so viel be- deutet wie: Der Kunde muß nur danach fragen. „Da kann mitunter schon ein Anruf genügen“, sagt Michael Kro- nenberg, gerichtlich zugelas- sener Versicherungsberater.
Für Kai Haasis von der Neu- en Leben ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die laufende Provisionierung bei Lebensversicherungen durch- setzt. „Das hat schon allein mit dem Trend zu mehr Transparenz zu tun“, sagt der Unternehmenssprecher. Vor kurzem hat auch die Neue Le- ben ein neues Lebensversiche- rungsangebot vorgestellt, das ein modifiziertes Provisionssy- stem beinhaltet.
Warum überhaupt Provision zahlen?
Doch warum soll es über- haupt notwendig sein, bei einem Lebensversicherer ein Honorar für den Vertreter zu zahlen? Schließlich gibt es Di- rektanbieter wie die Cosmos oder Hannoversche Lebens- versicherung, die ohne Au- ßendienst arbeiten. Sie be- rechnen zwar ebenfalls „Ab- schlußkosten“ etwa für die Ri- sikoprüfung, doch fallen die- se vergleichsweise gering aus.
Versicherungsberater Kronen- berg meint dazu: „Es kann durchaus gute Gründe ge- ben, zu einem Versicherer mit Außendienst zu gehen – einerseits, weil der Kunde Beratung wünscht; anderer- seits, weil es auch wesentlich auf die Unternehmenskenn- zahlen ankommt.“
Nach Einschätzung des Versicherungsberaters haben aber bereits mehrere An- bieter Vorteilstarife in der Schublade. Kronenberg rät jedem Interessenten etwa für die derzeit höchst populä- ren Rentenpolicen, Versiche- rer am Vertreter vorbei auf sol- che Tarife anzusprechen: „Wer nicht danach fragt, ist selbst schuld.“ Andreas Kunze
(Nachdruck mit Genehmigung des Handelsblattes)
Neue Tarife der Lebensversicherer
„Wer nicht fragt, ist selbst schuld“
Quelle: Klaus Stuttmann, Cartoon-Caricature-Contor München c5. net