Seite eins
Gesundheitspolitik
Altes und Neues
D
ie politischen Konstella- tionen auf dem Gebiet der Sozial- und Gesund- heitspolitik haben sich zu Beginn der 13. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages insoweit geändert, als die Opposition so- wohl im Bund als auch im Bun- desrat an (Stimmen-)Gewicht und damit an Einflußmöglichkei- ten gewonnen hat. In der Sozial- und Gesundheitspolitik ist kaum eine Trendwende oder gar -um- kehr zu erwarten. Zwar ist aus den Koalitionsvereinbarungen und den Kanzlerdirektiven kaum Detailliertes und Konkretes für das weitere Agieren in der Sozi- al- und Gesundheitspolitik zu entnehmen, doch wird der alte und voraussichtlich neue Bun- desgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) seine Politik weitgehend im Einklang mit den gesundheitspolitisch Verantwort- lichen in der SPD „durchziehen"können. Die Korrektivfunktion und die Einflußmöglichkeiten der Liberalen sind im Bund er- heblich geschwunden, auf der Länderbank ohnedies auf Null gesetzt. So ist es wahrscheinlich, daß abermals parteienübergrei- fende Multikompromisse auch gegen die Interessen und die Al- ternativkonzepte der Leistungs- erbringer durchgedrückt werden (können).
Über das Bündel liegenge- bliebener und neuer Aufgaben können sich die Abgeordneten nicht beklagen: Bereits vor Jah- resfrist hatte Bundesgesund-
heitsminister Horst Seehofer an- gekündigt, er werde 1995 die dritte Stufe zur Gesundheits- strukturreform und zur Vollen- dung der Organisationsreform der Krankenversicherung ziel- strebig angehen. Zwar hatte der Minister zu einem unbefangenen
„Ideenwettbewerb" aufgerufen und an die Beteiligten appelliert, ihre Reformvorstellungen einzu- bringen, doch hat der Minister bereits vor der Wahl durch eini- ge markante Essentials den Weg vorgezeichnet, den er bei der Weiterentwicklung der Struktur- reform gehen will. Seehofer hat auch signalisiert, welche Alter- nativen aus seiner Sicht politisch tot sind, so etwa eine erweiterte Selbstbeteiligung oder die Ab- schaffung des Sachleistungsver- fahrens in der GKV. Unter die- sen Auspizien bleibt abzuwar- ten, ob das bis Jahresanfang 1995 vorzulegende Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion tatsächlich noch fruchtbare Denkanstöße in die schon fortgeschrittene Dis- kussion einspeisen kann — oder ob dieses Gremium erneut in ei- ner Art Alibi-Funktion politisch eingespannt wird. Auf die Brem- se treten wird voraussichtlich die SPD, die nur marginalen Kor- rektur- und Änderungsbedarf beim GSG sieht und allenfalls zu Beginn des nächsten Jahrtau- sends eine größere Reform ange- hen will.
Auf der Agenda der Bun- desregierung werden alte Pro-
jekte erneut aufkreuzen: Über- fällig sind eine gesetzliche För- derung der ambulanten hausärztlichen Versorgung, wei- tere Incentives für das ambulan- te Operieren und eine Entla- stung des überaus teuren sta- tionären Versorgungssektors (Stichwort: Neu- oder Teilaufla- ge des im Bundesrat gescheiter- ten GKV-Anpassungsgesetzes).
Die Qualitätssicherung wird per- manentes Thema in der neuen Legislaturperiode sein. Ein Gut- achten im Auftrag des Seehofer- Ministeriums listet zwar eine Menge Aktivitäten auf, weist aber auch Mängel und Lücken in der Qualitätssicherung nach. Die überfällige Novellierung der Gebührenordnungen für Ärzte und für Zahnärzte steht ebenso auf dem Tapet (wiewohl die SPD weiter blockiert) wie eine mögli- che weitere Novelle zum Arznei- mittelgesetz. „Fällig" sind auch das bereits seit 18 Jahren vorbe- reitete Psychotherapeutengesetz und das zwischen Bund und Län- dern lange kontrovers diskutier- te Transplantationsgesetz (ein Schubladenentwurf des Bundes ist fertiggestellt).
Ein großes Thema könnte in der neuen Wahlperiode auch die Änderung der Medizinerausbil- dung werden; ein in den Verbän- den und vom Medizinischen Fa- kultätentag diskutierter Eckposi- tionen-Entwurf ist bereits so weit durchgehechelt worden, daß alsbald ein Vorreferenten- Entwurf zu erwarten ist. HC Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 45, 11. November 1994 (1) A-3049