• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "SELBSTMORD: Reizwort" (25.06.1982)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "SELBSTMORD: Reizwort" (25.06.1982)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Die Information:

Bericht und Meinung

BRIEFE AN DIE REDAKTION

SELBSTMORD

Zu dem Artikel von Prof. Dr.

med. Markwart Michler

„Selbstmord, Geschichte ei- nes Begriffs und seiner Syn- onyme", Heft 11/1982:

Lebendiger Organismus

... Woher nimmt der Autor die Berechtigung zu den Feststellungen: 1)

„... , da unter den Selbst- mördern nur die wenigsten ,frei-(willig)' aus dem Le- ben gehen?" Kann er Fak- ten vorlegen? Mit Vermu- tungen kann ich nichts an- fangen. Oder hat er dabei das metaphysische Pro- blem des „freien Willens", das noch lange nicht gelöst ist, im Auge? Dann soll er es sagen. 2) „... — das Wort Freitod, sofern man sich bewußt bleibt, daß es sich hier um einen Euphe- mismus für das tatsächli- che Geschehen handelt".

Der Sinn ist hier derselbe wie im ersten Zitat. Ich fra- ge, wer das je untersucht und statistisch festgelegt hat. Das ist ja gar nicht

Selbst-

verantwortlich

. Als Amateurphilologe mag Markwart Michler durchaus recht haben. Nur seine Prämisse ist falsch, wenn er glaubt, aus einer uranfänglichen Synonymi- tät der beiden Begriffe auf eine immerwährende zu schließen. Der Begriff des Selbstmordes ist im Deut- schen nicht wandelbar, da der Begriff des Mordes ei- ne feststehende Bedeu- tung hat. Dies ist beim Be- griff des Selbstmordes in angelsächsischen Spra- chen jedoch der Fall, da Mord dort „murder" und Selbstmord nicht „self- murder" genannt wird, sondern „suicide". Der Be- griff des Suizides konnte und kann (auch weiterhin) dort eine der wissenschaft-

möglich. Versöhnlich ist, daß Herr Michler für die

„gehobene Allgemeinspra- che" (Was ist eine „Allge- meinsprache"?) doch das Wort „Freitod" für „verfüg- bar" hält. Bedienen Sie sich: „Selbstmord" oder

„Freitod" — je nachdem, welcher Gesellschafts- schicht Sie sich zugehörig fühlen. Die Sprache ist ein lebendiger Organismus und wandelt sich stetig. Sie mag sich auch hier wan- deln.

Die laienhaften semasiolo- gischen und etymologi- schen Bemühungen des Autors sind wesentlich un- bedeutender als die end- gültige Streichung des häßlichen Wortes „Selbst- mord". Wer nicht mehr kann und nicht mehr will, der steigt aus und „bietet dem Fährmann eine ruhige Hand". Er stirbt seinen Freitod, aber er begeht kei- nen Mord.

Dr. med. Hugo Schneider Arzt für Allgemeinmedizin Hanweilerstraße 46 7054 Korb i.R.

lichen Forschung entspre- chende Semantik erhalten.

Dies ist aber beim deut- schen Begriff des Selbst- mordes nicht möglich, da Mord mit semantischen As- soziationen wie Heimtücke, Niedertracht, Gemeinheit und Raub verbunden bleibt.

Da es den Apologeten des Selbstmordbegriffes si- cherlich nicht darum ge- hen dürfte, den Mord auf- zuwerten, soll mit dem Bei- behalten dieses Begriffes als „wissenschaftlicher"

Terminus ein pseudomora- lisches wie pseudowissen- schaftliches Urteil aufrech- terhalten werden.

Die Broschüre der DGHS heißt daher nicht, wie Sie vermuten; „Anleitung zum würdigen Freitod", son- dern „Menschenwürdiges

und selbstverantwortliches Sterben". Der Begriff des Suizides wird sicher in nicht allzu ferner Zukunft auch in Deutschland nicht mehr mit Gemetzel oder Meuchelmord assoziiert, sondern als selbstverant- wortliches Sterben defi- niert werden .. .

Anita Atrott

Bundesgeschäftsführerin der

Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) e. V.

Postfach 11 05 29 8900 Augsburg

Reizwort

Das Wort suicid(ium) fin- den Sie in keinem lateini- schen Wörterbuch. Es ist eine Schöpfung der medi- zinischen Fachsprache, die heute in fast allen euro- päischen Sprachen vor- kommt und so, im Gegen- satz zu „Selbstmord" inter- national verstanden wird.

Das im 17. Jahrhundert er- fundene, christlich inspi- rierte Wort „Selbstmord"

hört sich nach einer Straf- tat an, die es nicht ist und amtlich nie gewesen ist;

„Mord" ist im übrigen so ziemlich das einzige Wort des StGB, das auch jeder Laie kennt und etwa richtig definieren kann, da eine ju- ristische Fachsprache oh- nehin nicht existiert.

„Selbstmord" ist überdies eine Contradictio in adjec- to, da man sich selbst nicht morden, d. h. hinterlistig heimtückisch mit gemei- nen Mitteln umbringen kann. Es ist aber ein mo- dernes Reizwort für labile, ignorante (aber oft sehr in- telligente!) jugendliche Straftäter geworden, die sich außerhalb der Gesell- schaft gestellt haben. So wenig ihnen das Leben an- derer einen Wert darstellt, so wenig messen sie oft auch dem eigenen Dasein Wert bei. Man sollte ihnen

den Ausstieg aus dem Le- ben, der in jedem Falle be- klagenswert wäre, nicht noch durch den Reiz er- leichtern, der im Wort

„Selbstmord" liegt. Ganz bewußt hat sich das Straf- gesetzbuch von 1875, das—

modernisiert — heute noch gilt, aus diesem Thema zu- rückgezogen: Weder die Selbsttötung noch der Ver- such, Anstiftung und Bei- hilfe dazu sind strafbare Handlungen! Damit hat

„Selbstmord" aufgehört, ein juristisches Fachwort zu sein.

Daß nun ein Mediziner ein Wort aus der medizini- schen Fachsprache aus- gliedern und durch eine sachlich falsche und im ju- ristischen Vokabular nicht vorkommende deutsche Übertragung ersetzen möchte, stimmt bedenk- lich! Welches Interesse mag er daran haben — da es doch gewiß nicht das ist, die medizinische Fachspra- che aufzugeben und ins Deutsche zu übersetzen — es gibt ja für jedes medizi- nische Fachwort eine mehr oder weniger gute Überset- zung!?

Ich kann mir nicht vorstel- len, daß ein namhafter Me- diziner eine erneute Ver- teufelung des Suizids im Auge haben könnte. Ich ha- be für meinen Versuch der

„Entgiftung" der Sprache mannigfaltige Zustimmung aus Ärztekreisen erhalten.

Der abgewogene, klarer Überlegung entsprungene

„Freitod" ist übrigens die wörtliche Übersetzung des altlateinischen Ausdrucks

„mors voluntaria", der den Römern bekannt und ver- ständlich war. Sie sehen al- so: Die Schwierigkeiten der Begriffsfindung sind gar nicht so groß. Die Begriffe stehen längst fest: „Selbst- tötung" oder medizinisch

„Suizid". Aber: „Selbst- mord" — gibt es nicht!

Doz. Dr. Wolfram Kahle Winklerstraße 21 1000 Berlin 33

18 Heft 25 vom 25. Juni 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A/B

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

die Geschichte wieder im größeren Rahmen zu betrachten ist, die Kenntnis historischer Fakten vertieft werden muß, da ohne diese sich eine Deutschlandpolitik nicht orientieren

Welche Regierungskoalition nach der Bundestagswahl auch im- mer herauskommen mag – keine wird die reine Lehre der jeweili- gen Parteiprogramme verwirkli- chen.. Auch SPD oder

Die Länder sehen die Einrichtung einer solchen Gesellschaft kri- tisch und haben eine Kommission unter Leitung von Kurt Bodewig beauftragt, bis Februar 2016 Vorschläge

- nach fünf Jahren, wenn eine Geldstrafe verhängt oder aber eine Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten ausgespro- chen worden war;.. - nach zehn Jahren in al- len übrigen

Und schließlich wurde aus der Vielzahl der Einzelbe- schreibungen das Buch, welches sich als erste Monografie im deutschen Schrifttum diesem interessanten sozi- alen

Da bestehe die Gefahr, dass ein KMU sagt: «So viele Daten haben wir gar nicht.» Es gebe beispielsweise das Klassifikationsverfahren Random Forest, das sich ebenfalls für Pro-

[r]

Wir haben die Budgetierung, die dafür sorgt, dass nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen, wir haben die Ausgrenzung von Bagatell-Arzneimitteln aus der Erstattung der