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Archiv "Selbstmord im Justizvollzug: Schlußwort" (23.03.1984)

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Academic year: 2022

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Selbstmord im Justizvollzug

konstruktiver Zusammen- arbeit sowohl mit ihren Kollegen „draußen" als auch mit den für den Straf- vollzug verantwortlichen Juristen Konzepte zu erar- beiten, die eine rasche und zuverlässige Früherken- nung der Suizidgefähr- dung, ausreichende und angemessene Möglich- keiten der Prophylaxe und zufriedenstellende Voraus- setzungen zur Kriseninter- vention und Nachsorge zum Ergebnis haben.

R. Engel

Ltd. Reg. Med. Direktor Dr. med. R.-M. Schulte Ob. Reg. Med. Rat Dr. med. J. Warmbrunn Ärzte am Vollzugskranken- haus Hohenasperg Psychiatrische Abteilung Postfach 267, 7144 Asperg

Verdienstvoll

Es steht zu hoffen, daß es Frau Dr. Wiegand in ihrem verdienstvollen Aufsatz ge- lungen ist, recht viel Auf- merksamkeit auf das seit langem bekannte, aber nie genügend beachtete Fak- tum einer wesentlich er- höhten Suizidrate im Ge- fängnis zu lenken. Sie hat diese höchst beunruhigen- de Tatsache mit sehr inter- essantem neuen Zahlen- material belegt.

Dabei kann es gar nicht darauf ankommen, an den Einzelheiten der statisti- schen Beweisführung (et- wa an der vielleicht doch etwas problematischen Gegenüberstellung von Selbstmorden und — unter- schiedlich definierbaren —

Selbstmordversuchen) herumzumäkeln — ent- scheidend ist der einfache Befund einer gegenüber der Freiheit sechsmal grö- ßeren Suizidhäufigkeit in der Haft, der nicht anders zu erklären ist als durch die von Dr. Wiegand so zu- rückhaltend benannten

„besonderen Bedingun- gen" des Justizvollzugs.

Gemeint ist damit der durch oft schikanöse Un- terdrückung, Entmündi- gung, Entwürdigung und Isolierung des Häftlings geprägte Vollzug der Un- tersuchungs- und der Strafhaft. Er bringt für den Gefangenen, und nicht nur für den schon ohnehin psy- chisch instabilen, ein sol- ches Maß an seelischer Belastung mit sich, daß ne- ben den zahllosen sonsti- gen Haftreaktionen eben auch viele Suizide und Sui- zidversuche als Folgen un- ausbleiblich sind. Als frü- herer Ärztlicher Direktor des Vollzugskrankenhau- ses Hohenasperg weiß ich, wovon ich rede.

Wichtig erscheint mir auch die von Frau Dr. Wiegand hergestellte Korrelation der Suizidrate und der Ent- lassungen wegen Voll- zugsuntauglichkeit.

Diese werden von den im Justizvollzug tätigen Ärz- ten wohl auch deswegen recht unterschiedlich ge- handhabt, weil es im Ein- zelfall schwer sein kann,

„echte" Depressionen im Justizvollzug von solchen Verstimmungszuständen abzugrenzen, bei denen mehr oder weniger be- wußte Tendenzen der Haft- vermeidung mitspielen, die nicht durch Entlassung honoriert werden sollen.

Dr. med. Achim Mechler Arzt für Neurologie und Psychiatrie

Markgrafenstraße 11 6830 Schwetzingen

BLUTENLESE

Notstand

In einem Brief aus Polen: „ . . Du fragst, wie es geht.

Wir können nicht schneller gehen als die Musik spielt, zu- mal der Dirigent nicht im Lande ist."

Schlußwort

Immer wieder wird von den Verfechtern eines „har- ten" Vollzugs gefordert, Selbstmordstatistiken von Gefängnissen seien auf die Zugänge und nicht auf die durchschnittliche Jahres- belegung zu beziehen.

In den Zugängen, deren Erfassung außerordentlich wichtig ist, sind alle Perso- nen enthalten, welche in jeder einzelnen Haftanstalt als Zugang erscheinen, gleichgültig, ob sie aus der Freiheit kommen, aus dem Untersuchungs- in den Strafvollzug überstellt oder aus einer anderen Haftanstalt, dem Haftkran- kenhaus oder einem ande- ren Ort in dieses Gefängnis überführt werden.

Die Zahl der Zugänge liegt etwa sechs- bis siebenfach höher als die Jahresdurch- schnittsbelegung. Berech- net man die Selbstmordto- ten auf die Zugänge, so er- hält man eine Quote, wel- che niedriger ist als in der

Durchschnittsbevölkerung und ebenso hoch liegt wie in der Bundeswehr (Spann, Seifert).

Da sich in der Bundeswehr vorwiegend jugendliche Personen in Gemein-

schaftsunterbringungen befinden, liegt die Selbst- mordrate hier niedriger als in der Gesamtbevölke- rung.

Folgende statistische In- terpretation sollte beach- tet werden: Wenn die Zahl der Zugänge auf null sinkt, können sich im Bestand immer noch Todesfälle durch Selbstmord ereig- nen. Die Quote müßte dann auf unendlich anstei- gen. Das ist statistisch nicht haltbar.

Das Ausgangsmaterial bil- deten die Zahlenangaben des Max-Planck-Instituts in Freiburg/Brsg. Sämtliche Quoten wurden dort auf 100 Gefangene der Jahres-

durchschnittsbelegung be- rechnet. In dem Beitrag für das DEUTSCHE ÄRZTE- BLATT wurden die Anga- ben auf 1000 Lebende be- rechnet, um in einem den Gefangenenzahlen ent- sprechenden Rahmen zu bleiben. Üblicherweise werden Selbstmordraten aber auf 10 000 Lebende bezogen.

Auch das Bayerische Ju- stizministerium berechne- te Todesraten der Gefan- genen auf die Jahres-

durchschnittsbelegung und nicht auf die Zugänge (Schriftliche Anfragen vom 3. Oktober 1979 und 29. Ju- li 1982). Zu kleines Zahlen- material durch Summen- bildung statistisch aus- wertbar zu machen, ist ei- ne anerkannte Methode, welche beispielsweise in der englischen Berufs- sterblichkeitsstatistik an- gewandt wird.

Dem Leser dürfte nicht entgangen sein, daß sich die Kritik an den Bedin- gungen des Justizvollzugs

keinesweges gegen die dort tätigen Ärzte, sondern gegen die Bundesregie- rung richtet. Weitgehend unbekannt ist in der Öf- fentlichkeit, daß sich nur ein Bruchteil der Gefange- nen in einer längerfristigen Berufsausbildung befin- det, ein weitaus größerer Teil der Gefangenen ist un- verschuldet arbeitslos.

Wer sich intensiv mit der

„Kostendämpfung" im Ge- sundheitswesen und den Folgen der damit verbun- denen Personaleinsparun- gen auseinandergesetzt hat, kann über die Ver- schwendung nicht nur von Geld, sondern auch von Menschenleben im Justiz- vollzug, insbesondere in der Untersuchungshaft, nur betroffen sein.

Dr. med.

Annemarie Wiegand Flotowstraße 6

1000 Berlin 21 (Tiergarten)

884 (12) Heft 12 vom 23. März 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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