iemanden wird es überra- schen, wenn sich die bisheri- gen Koalitionsparteien – CDU, CSU und FPD – in ihren ge- sundheitspolitischen Wahlaussagen zu der von ihnen in der ablaufenden Legislaturperiode verfolgten Politik bekennen, und das heißt: Übertra- gung von Aufgaben an die Selbstver- waltung, Selbstbeteiligung in be- grenztem Ausmaß, Überprüfung des Leistungskataloges, Wettbewerb un- ter den Krankenkassen.
Der Weg soll, so die Koali- tion wieder aufgelegt wird, in der nächsten Wahlperiode fort- gesetzt werden. Die Regie- rungsparteien setzen also auf das, was ihnen die SPD und die übrigen Oppositionsparteien als Privatisierung ankreiden.
Das gilt auch für die avisierte Verbreiterung der Einnahmen- basis der GKV, etwa durch Auswei- tung der Beitragsbemessungsgren- ze. Die Struktur der medizinisch- ärztlichen Versorgung bleibt nach den Vorstellungen der Koalition im wesentlichen unverändert. Aller- dings wird die engere Verbindung von ambulanter und stationärer Ver- sorgung auch für die Koalitionspar- teien in der nächsten Legislaturperi- ode zum Thema. Offen bleibt frei- lich, ob der Bundesgesetzgeber mit seiner begrenzten Kompetenz hier Nennenswertes ausrichten kann.
Die gesundheitspolitischen Aus- sagen von SPD und Bündnisgrünen passen auffallend zusammmen – bis hin zur Wortwahl. Beide plädieren für eine Neuauflage der Budgetie- rung, und zwar in Form eines „Glo-
balbudgets“. Nicht ganz klar wird, ob solche Budgets nur übergangs- weise, also bis zu einer grundlegen- den Strukturreform, oder dauerhaft etabliert werden sollen. Da gibt es Nuancen zwischen Rot und Grün.
Gemeinsam ist ihnen der feste Wille, Privatisierungen, sprich vor allem Selbstbeteiligungen, aber auch Ein- schränkungen bei der Lohnfortzah- lung wieder rückgängig zu machen.
Die Kassen sollen finanziellen Spiel-
raum vor allem durch Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven, die es in beträchtlichem Ausmaße in al- len Bereichen, vor allem im Kran- kenhaus gebe, erhalten.
SPD wie Bündnisgrüne planen erhebliche Änderungen bei der Struktur der medizinisch-ärztlichen Versorgung. Der Hausarzt soll eine Schlüsselfunktion (SPD), eine pri- märärztliche Steuerungsfunktion (Bündnisgrüne) erhalten. Die Kran- kenhäuser sollen „geöffnet“ wer- den, insbesondere für die fachärztli- che Versorgung. Die Bündnisgrünen wollen sie zu umfassenden Gesund- heitszentren ausbauen.
Mit der Öffnung der Kranken- häuser ist nicht gemeint, Kranken- hausärzte persönlich an der ambu-
lanten Versorgung zu beteiligen. Ge- dacht ist vielmehr an die Beteiligung des Krankenhauses als Institution.
Die Zukunft der niedergelassenen Fachärzte bleibt in den Programmen ausgespart. Aus der SPD kommt le- diglich erneut die allgemeine Forde- rung, die Kassen sollten benötigte Leistungen künftig nach ihrer Wahl einkaufen können.
Welche Regierungskoalition nach der Bundestagswahl auch im- mer herauskommen mag – keine wird die reine Lehre der jeweili- gen Parteiprogramme verwirkli- chen. Auch SPD oder Bündnis- grüne werden den Leistungska- talog angehen und Leistungen auslagern müssen (das aller- dings nicht als Privatisierung de- klarieren). Sie werden bei der Öffnung der Krankenhäuser die Realitäten beachten müssen.
Denn die Krankenhäuser sind gar nicht in der Lage, in nennenswertem Umfang in die ambulante Versorgung einzusteigen. Andererseits, eine Ko- alition aus Christunion und Liberalen wird mit Sicherheit die sozialen Flü- gel ihrer Parteien bedienen und „Pri- vatisierung“ in Grenzen halten müs- sen. Seehofer hat zwar neuerdings ei- ne etwas andere Politik betrieben, die den Kassen und auch einem Teil der Versicherten nicht geschmeckt hat, die zudem den Ärzten mehrheitlich entgegenkam. In der vorangegange- nen Legislaturperiode aber – Stich- wort „Lahnstein“ – waren die Kassen die Freunde, und die Ärzte wurden, vereint mit der SPD, über den Löffel balbiert. Immer wieder ändern sich die Zeiten. Norbert Jachertz A-2233
P O L I T I K LEITARTIKEL
Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 37, 11. September 1998 (17)
Bundestagswahl
Reizwort Privatisierung
Koalition und Opposition unterscheiden sich erheblich in ihren Positionen zur Finanzierung der Krankenversicherung und zur Struktur der ärztlichen Versorgung.
Nach der Wahl sind allerdings Abweichungen von der reinen Lehre zu erwarten.
N
Vilmar zur Wahl
In einem Interview mit dem DÄ bekräftigt Bundesärztekam- mer-Präsident Karsten Vilmar seine Auffassung, daß die
„Vorstellungen der jetzigen Regierungskoalition am ehesten mit den Forderungen der deutschen Ärzteschaft in Einklang zu bringen sind“. Das Interview wird in diesem Heft veröf- fentlicht. Die Parteien haben durch maßgebliche Sprecher(in- nen) in den Heften 33, 34–35 und 36/1998 Stellung bezogen.