Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 51–52⏐⏐26. Dezember 2005 AA3579
B R I E F E / B Ü C H E R
der grauen Kassengötter ver- schwinden, um dann nie mehr auch nur einen Patienten zu Gesicht bekommen . . . Dr. med. Erhard Vecera, Gleiwitzer Straße 4, 91301 Forchheim
Naturalrabatt
Zu dem Lexikon „Naturalrabatt“ in Heft 21/2005 und dem Leserbrief
„Empörend“ von Sven Larisch in Heft 48/2005:
Bereicherung
Lieber Herr Apotheker, lassen Sie uns das von Ihnen genann- te Beispiel mit dem Handwer- ker mal aufnehmen: Wenn die- ser günstig einkauft, dann kann er theoretisch diesen Ra- batt für sich verbuchen (und damit ohne Auftrag bleiben), er kann ihn aber auch im Sin- ne eines preisgünstigeren Ge- samtangebots an den Kunden weitergeben. Dieses Beispiel ließe sich ja auch auf andere
Bereiche ausdehnen. Kauft der Elektromarkt gut ein und kriegt zu seinen 100 bestellten Videokameras zehn gratis da- zu (von 1:1-Rabatten träumt der nur!), so kann/muss er die- sen Rabatt schon aus Konkur- renzgründen zumindest teil- weise an den Kunden weiter- geben. Sie rechnen allerdings mit Ihrem Kunden (und das ist ja nicht der Patient, sondern seine Kasse!) unbeeindruckt von Ihren Einkaufskünsten voll ab, oder etwa nicht? Ge- ben Sie diesen Rabatt an die Kassen weiter (oder zumin- dest einen Teil, der arme Apo- theker soll ja nicht am Hun- gertuch nagen) und die gängi- ge Rabattgebung der Industrie wäre legitim. Unter den jetzi- gen Umständen ist sie schlichtweg eine Bereicherung einer Berufsgruppe auf Ko- sten der Kassen und damit letztendlich der Allgemein- heit.
Michael Oeser,Bockwitzer Straße 71, 01979 Lauchhammer
Telematik
Zu der Meldung „Industrie engagiert sich“ in Heft 46/2005:
Interessen der Mitglieder berücksichtigen
In ärztlichen Leserbriefen werden regelmäßig die nach- teiligen Folgen des eGK-Pro- jektes dargestellt – u. a. Ko- sten, Zeiteinsatz, Haftungs- fragen, Datenschutz, Büro- kratisierung, Störanfälligkeit, Verschärfung des Ärzteman- gels, kurz: Ineffizienz und Ri- siken jeglicher Art bei hohem Aufwand. Gleichzeitig er- scheint bei nüchternem Be- trachten der von den Befür- wortern herausgestellte Nut- zen immer fragwürdiger, es bleiben noch Schlagworte übrig wie „Leuchtturmpro- jekt“, „radikale Veränderun- gen der Abläufe im Gesund- heitswesen“ etc., etc. Auf die eigentlich erstrebenswerten Ziele, wie Erleichterung von Abläufen oder effizienter Einsatz von Ressourcen, darf die Öffentlichkeit sehr ge-
spannt sein. Das Argument (z. B.) Verhinderung von Doppeluntersuchungen ist lächerlich, da diese in Zeiten von Praxisgebühr, Hausarzt- modell und besserer inner- ärztlicher Kommunikation hinfällig werden und anderer- seits in kritischen Fällen eine Zweituntersuchung bzw.
Zweitmeinung medizinisch und ökonomisch Sinn macht.
Jedenfalls lehnt die Mehrheit der Ärzteschaft die eGK ab, und auch sachlich informierte Patienten stellen den Sinn der eGK infrage. Unter diesen Voraussetzungen ist es arro- gant vonseiten der KV, mun- ter an der Veranstaltung eGK teilzunehmen, ohne die Inter- essen ihrer Mitglieder zu eva- luieren. Ich fordere die KVen auf, die innerärztliche Ein- schätzung endlich abzuklären und ihre Mitglieder ernst zu nehmen. Es könnte nämlich sein, dass uns mit der eGK et- was aufgezwängt wird, das wir weder wollen noch benötigen.
Dr. med. Steffen Fimpel, Schlechtbacher Straße 2, 74417 Gschwend
Begutachtung
Der Mensch im Mittelpunkt
Ulrike Hoffmann-Richter: Die psychiatrische Begutachtung. Ei- ne allgemeine Einführung. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York, 2005, 168 Seiten, 10 Abbil- dungen, gebunden, 59,95 A
In den Lehrbüchern der fo- rensischen Psychiatrie liegt der Schwerpunkt auf dem Strafrecht. Sozialrechtliche Fragen, die von großer Praxis- relevanz sind, kommen zu kurz. Diese Lücke schließt das Buch von Ulrike Hoffmann- Richter, Leiterin des Versiche- rungspsychiatrischen Dienstes der Schweizerischen Unfall- versicherungsanstalt (SUVA) und Mitherausgeberin der Psychiatrischen Praxis.
Wichtige sozialrechtliche Grundlagen, wie Arbeitsfähig- keit, Erwerbsfähigkeit, Berufs- fähigkeit, Minderung der Er- werbsfähigkeit, Grad der Be- hinderung, Gesundheitsscha- den, Kausalität, Zumutbarkeit, aber auch freie Willensbestim- mung, Urteilsfähigkeit und Schuldunfähigkeit, werden be- handelt. Dabei ist es als Stärke zu sehen, dass die länderspezi- fischen juristischen Rahmen- bedingungen für Deutschland, Österreich und die Schweiz in den einzelnen Kapiteln darge- stellt werden.
Hilfreich für die konkrete gutachterliche Tätigkeit ist das Kapitel „Praktisches“.
Die nützlichen Hinweise zum Aktenstudium, zur Explorati- on, zum Denkprozess, zur Li- teraturrecherche und zum Aufbau des Gutachtens zei- gen die langjährige Praxiser- fahrung der Autorin und ge-
ben wertvolle Anregungen und Hilfestellungen.
Das Verfassen des Gutach- tentextes wird im Kapitel
„Textproduktion“ detailliert erläutert und durch Beispiele illustriert. Dabei werden me- thodische Aspekte der Text- erstellung systematisch be- leuchtet. Erstaunlicherweise hat sich die Psychiatrie dieser wichtigen Frage bisher kaum angenommen. Sprach- und kulturwissenschaftliche Aspek- te werden in der biologisch do- minierten Ära kaum beachtet.
Dem Zeitgeist folgend fokus- siert sich das Interesse auf neu- robiologische Methoden, Ge- netik und quantifizierbare
„objektive“ Parameter. Dabei wird leicht übersehen, dass nach wie vor die Sprache die Grundlage der psychiatrischen Exploration ist. Es ist sehr zu begrüßen und bereichernd, dass sich Ulrike Hoffmann- Richter gerade auf diese Wur- zeln besinnt. In einem interdis- ziplinären Zugriff berücksich- tigt sie literatur- und kulturwis- senschaftliche Methoden und Erkenntnisse. Dadurch wird deutlich, wie sehr die Psychia- trie als sprechende Medizin von Methoden der Geisteswis- senschaften profitieren kann.
Themen wie die Gutachter- Klienten-Beziehung, die Un- tersuchungssituation, Selbst- verständnis des Gutachters, Subjektivität/Objektivität und Rollen und Funktionen der beteiligten Personen (Auf- traggeber, Explorand, Gut- achter, Rechtsvertreter, An- gehörige, Behandelnde) wer- den ausführlich behandelt.
Dem weiten Feld der psychia- trischen Diagnose ist ein eige- nes Kapitel gewidmet.
Die Autorin betont, dass Gutachter primär Ärzte und nicht medizinische Bürokra- ten sind. Wie in jeder Arzt- Patienten-Beziehung spielen Empathie und Vertrauen eine wichtige Rolle. Die persön- liche Begegnung zwischen Gutachter und Explorand steht im Zentrum der Be- trachtung. In dem Buch kann man viel über Gutachten erfahren; „nebenbei“ lernt man eine Menge über Psych- iatrie. Jürgen Brunner