T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 3⏐⏐20. Januar 2006 AA109
und 1996 extreme Wetterlagen einan- der abgelöst hätten: Starkregen, gefolgt von Dürre.
Absage an die Kontrollen
Die Welthungerhilfe war nicht entzückt, hinauskomplimentiert zu werden. Ihrer Meinung nach ist ein Drittel der Bevölke- rung (manchmal ist auch von zehn Pro- zent oder von sieben Prozent zu lesen) mangelernährt. Unter Mangelernährung versteht die Welthungerhilfe nicht nur Mangel an Reis, sondern auch an Ölen oder Vitaminen. Die Ernährungsorgani- sation der Vereinten Nationen (FAO) zählt in ihrem am 22. November 2005 ver- öffentlichten Jahresbericht Nordkorea zu den Ländern mit Mangelernährung. Die FAO-Statistiken sind indes nicht tau- frisch, sondern enden 2003.
Was stimmt und wer Recht hat, ist schwer auszumachen. Eine Rolle in dem Hunger- oder Nicht-Hungerdrama spielt auch der nationale Stolz der Koreaner:
Man möchte nicht betteln. Doch gibt es wohl auch einen sicherheitspolitischen Grund, auswärtigen Helfern die kalte Schulter zu zeigen. Die Welthungerhilfe versucht nämlich, verständlicherweise, wie auch andere Organisationen, die Ver- teilung von Gütern zu kontrollieren. Das geht recht weit. Die Welthungerhilfe hat- te 2004 ihre Kontrollbesuche auf rund 500 pro Monat ausgeweitet und erst nach
Protesten heruntergefahren. Bei den Kontrollen wurden Familien (wie üblich im Beisein von Funktionären der Regie- rung oder Partei) befragt, nicht nur nach der Ernährung, sondern auch nach Ein- kommen und sonstigen Lebensumstän- den. Einem Staat, der gewohnt ist, seine Bürger selbst intensiv zu kontrollieren und der auf seine Souveränität eifersüch- tig bedacht ist, müssen solche Kontrollen suspekt gewesen sein.
Wie auch immer, die Ernährung ist zurzeit ausreichend, im nächsten Jahr viel- leicht nicht. Die koreanische Geschichte berichtet immer wieder von Hungersnö- ten. Das liegt an der Landesnatur, die durch moderne Technik zwar überlistet werden kann. Die aber muss bezahlt wer- den können. Norbert Jachertz
Die Zeit steht still
„Ein Hauptbahnhof einer asiati- schen Hauptstadt mit nur zwei Bahngleisen, ein Bahnsteig, auf dem eine Militärkapelle den Rei- senden den Abschied vertont, ein Bahnhof, der ab Beginn der Däm- merung bis auf ein riesiges be- leuchtetes Porträt des ,geliebten Führers‘ im Dunkeln liegt – das ist der Bahnhof von Pjöngjang in Nordkorea.“
Im Herbst 2005 besuchen fünf Mediziner der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atom- kriegs (IPPNW) aus Deutschland und Schweden Nordkorea. Ziel ist es, den Kontakt mit dem isolierten Land auszubauen. Geplant sind ein internationaler Studentenaus- tausch im Rahmen des IPPNW- Projekts „famulieren & engagie- ren“ sowie die Veranstaltung von Medizin-Symposien zu medizini- schen und gesellschaftspolitischen Fragen.
Die IPPNW-Mitglieder Stephan Kolb und Dr. med. Lars Pohlmeier schildern in ihrem Beitrag „Nord- korea: Die Zeit steht still“ in der Online-Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes (www.aerzteblatt.de
„Blick ins Ausland“) ihre Eindrücke aus einem Land, das als eines der abgeschottetsten der Welt gelten kann: die quasi-religiöse Verehrung des 1994 verstorbenen „Großen Führers“ Kim Il-Sung, das nach wie vor schwelende Problem der Mangelernährung, die oft schwie- rige Lage humanitärer Organisa- tionen in einem totalitären Staat sowie die Versorgungsengpässe im Gesundheitswesen.
„Wir fahren vorbei an seichten Hügeln. Feld um Feld säumt den Weg, überall, auf jedem freien Stück Land wird Reis angebaut.
Doch während der stundenlangen Fahrt sehen wir gerade einmal ei- nen Traktor. Die Menschen schei- nen mit bloßen Händen zu arbei- ten, Werkzeug ist nicht zu erken- nen. Die Zeit steht still.“ HK Folklore: 30 000 Mitwirkende schildern in perfekter Choreographie die Geschichte des Landes.
Foto:Danilo Melis