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Archiv "Kostensensible Leitlinien: Von Rechts wegen schwierig" (20.11.2009)

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A 2362 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 47

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20. November 2009

KOSTENSENSIBLE LEITLINIEN

Von Rechts wegen schwierig

Geringer Nutzen bei hohen Kosten – gibt es hier künftig ein Rationierungspotenzial?

D

ie Beurteilung durch den Ver- treter des GKV-Spitzenver- bands ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Welche Berechti- gung gibt es“, so fragte Dr. Bern- hard Egger, „nützliche Leistungen vorzuenthalten, wenn die Hausauf- gaben in vielen anderen Bereichen nicht gemacht sind?“ Solange medi- zinische Leistungen im Kranken- haus ohne hinreichende Kontrolle erbracht werden könnten oder es ei- ne ärztliche Überversorgung in den Ballungszentren gebe, sei er im Grunde nicht dazu bereit, über die Umsetzung von kostensensiblen Leitlinien (KSLL) zu diskutieren.

„Kostensensible Leitlinien – ein Modell ethisch vertretbarer Ratio- nierung?“ lautete Ende Oktober das Thema des Abschluss-Symposiums des interdisziplinären Forschungs- verbunds „Allokation“, der in den vergangenen drei Jahren vom Bun- desministerium für Bildung und Forschung finanziert worden war.

Mit seiner grundsätzlichen Kritik stand Egger allerdings unter den Teilnehmern der abschließenden Podiumsdiskussion allein da; hin- sichtlich der Möglichkeiten der konkreten Umsetzung eines sol- chen Rationierungsinstrumentari- ums gab es aber auch Vorbehalte bei anderen Referenten.

Wie es zur Befassung mit KSLL gekommen war, stellte der Koordi- nator des Forschungsverbunds, Prof. Dr. med. Georg Marckmann, Universität Tübingen, einleitend

kurz dar. Ausgangspunkt sei die Annahme gewesen, dass aufgrund der zunehmenden Diskrepanz zwi- schen dem medizinisch Machba- ren und dem solidarisch Finanzier- baren Leistungseinschränkungen unausweichlich seien. Expliziten Leistungsbegrenzungen nach fest- gelegten, allgemein verbindlichen Kriterien sei dann der Vorzug zu geben vor impliziten Leistungsbe- schränkungen im individuellen Be- handlungsgeschehen. Marckmann:

„Kostensensible Leitlinien sollen dazu führen, dass den Patienten nur solche Maßnahmen vorenthalten werden, die bei relativ hohen Kos-

ten einen geringen Zusatznutzen bieten.“ Auf dieser Basis wurden im Forschungsverbund „Allokati- on“ zwei exemplarische KSLL für implantierbare Defibrillatoren und für Medikamente freisetzende Ko- ronarstents entwickelt. Hiermit sei es möglich, Nutzen und Kosten ei- ner medizinischen Maßnahme ex- plizit gegeneinander abzuwägen.

Die KSLL ermöglichten einen me- dizinisch rationalen, effizienten und ethisch vertretbaren Einsatz der knapper werdenden Mittel.

Gleichwohl muss es jemanden geben, der gegebenenfalls über den Einsatz solcher Leitlinien entschei- det. Dass dies nicht der Gemeinsa- mer Bundesausschuss (G-BA) mit seinen derzeitigen Befugnissen sein könne, darüber waren sich die an- wesenden Juristen, darunter der Vorsitzende des G-BA, Dr. jur. Rai-

ner Hess, einig. Nach geltendem Recht gehe das nicht, es fehle die gesetzliche Grundlage. Auch Prof.

Dr. jur. Stefan Huster von der Uni- versität Bochum hält genauere Vor- gaben des Gesetzgebers für erfor- derlich. Angesichts erheblicher ju- ristischer Diskussionen über die derzeitige Legitimation des G-BA sei er allerdings skeptisch, was et- waige künftige Befugnisse des G-BA beim Inkraftsetzen von KSLL anbelangt. Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichts (BVerfG) meldete Huster Zweifel an, ob es der Politik überhaupt möglich sein werde, auf dem Gesetzesweg Leistungen mit gesichertem Nutzen – auch wenn dieser nur gering ist – zu verwei- gern. Auch der Richter am Bundes- sozialgericht, Dr. jur. Ernst Hauck, verwies angesichts einer Tendenz zur Entsolidarisierung und Zweik- lassenmedizin auf die verfassungs- rechtlichen Grenzen bei den kos- tensensiblen Leitlinien. Mit dem

„Nikolaus-Urteil“ habe das BVerfG in bestimmten Fällen einen Leis- tungsanspruch in der GKV trotz verminderter Evidenz festgeschrie- ben; demzufolge sei es unwahr- scheinlich, dass dort ein Leistungs- ausschluss aus ökonomischen Grün- den gebilligt würde.

Der Vizepräsident der Bundes- ärztekammer, Dr. med. Frank-Ul- rich Montgomery, betonte die gro- ße Verantwortung der Ärzteschaft, wenn es um Rationalisierung oder Rationierung medizinischer Leis- tungen gehe. Der Deutsche Ärzte- tag habe sich in diesem Jahr aus- führlich mit dem Thema Priorisie- rung befasst und damit eine breite Diskussion in der Gesellschaft an- gestoßen. Die Bundesärztekammer wolle jedoch nicht die alleinige Ver- antwortung der Ärzte, sondern plä- diere für einen Gesundheitsrat als Beratungsgremium, dem nicht nur Ärzte angehören sollten. Die KSLL betrachtet Montgomery als ein mögliches Instrument bei der Um- setzung von Priorisierung. Aller- dings müsse man darauf achten, dass daraus keine starren Richtlini- en würden – dies würden die Ärzte nicht akzeptieren. ■

Thomas Gerst

Kostensensible Leitlinien sollen dazu führen, dass den Patienten nur solche Maßnahmen vorenthalten werden, die bei

relativ hohen Kosten einen geringen Zusatznutzen bieten.

Prof. Dr. med. Georg Marckmann, Universität Tübingen

T H E M E N D E R Z E I T

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