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Archiv "Leitlinien: Unverständlich" (11.12.1998)

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A-3178 (6) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 50, 11. Dezember 1998

S P E K T R U M LESERBRIEFE

Leitlinien

Zu dem Beitrag „Schluß mit der Infla- tion“ von Franz F. Stobrawa in Heft 46/1998:

Hinweis

Erlauben Sie mir ergän- zend die Anmerkung, daß sich die Vorstände von Bun- desärztekammer und Kas- senärztlicher Bundesvereini- gung kürzlich in einer ge- meinsamen Stellungnahme gegenüber der Gesundheits- ministerkonferenz ausführ- lich zum Stellenwert der Leit- linien in der Medizin ge- äußert haben.

Darüber hinaus darf ich darauf hinweisen, daß die erwähnte Clearingstelle für Leitlinien, ein Geschäftsbe- reich der Ärztlichen Zentral- stelle Qualitätssicherung, ein Projekt von Bundesärzte- kammer und Kassenärztli- cher Bundesvereinigung ist, welches in Kooperation mit den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen und der Deutschen Kran- kenhausgesellschaft etabliert wird.

Prof. Dr. med. Günter Ollen- schläger, Ärztliche Zentral- stelle Qualitätssicherung, Aachener Straße 233-237, 50931 Köln

Zurückhaltung empfohlen

. . . Die Fachgesellschaf- ten haben sich 1962 zu einer Arbeitsgemeinschaft zusam- mengeschlossen, um gemein- same Fragen zu erörtern.

Diese Arbeitsgemeinschaft (AWMF) hat zur Zeit etwa 120 Gesellschaften als Mit- glieder mit ungefähr insge- samt 150 000 Ärzten.

1993 hat der Sachverstän- digenrat der „Konzertierten Aktion im Gesundheitswe- sen“ die wissenschaftlichen Fachgesellschaften der AWMF aufgefordert, für typische Krankheitsbilder und Stan- dardsituationen Leitlinien ärztlichen Handelns aufzu- stellen, die dem Arzt eine Hil- fe sein sollen und die dem

Gesundheitsökonomen die Möglichkeit besserer Trans- parenz bieten würden. Nicht zuletzt sollen sie dazu beitra- gen, Überflüssiges zu vermei- den, damit Notwendiges auch weiterhin getan werden kann.

Inzwischen liegen 552 Leitlinien aus den verschie- denen Fachgebieten vor, die alle im Internet veröffent- licht wurden und dort auch bereits mehr als 500 000mal abgerufen wurden. Dies zeigt schon das große Interesse in der Ärzteschaft. Diese Leitli- nien der Fachgesellschaften berücksichtigen grundsätz- lich die vorliegenden wissen- schaftlichen Grundlagen und Resultate, beinhalten aber immer einen breiten Kon- sens in der jeweiligen Fach- gesellschaft. Die AWMF hat Vorschläge zur Herstellung einer solchen Übereinstim- mung gemacht (Experten- konferenz, Delphi-Verfah- ren, Konsensus-Konferenz etc.).

Die Leitlinien sind Hand- lungsempfehlungen und da- mit Hilfen für den sorgfältig handelnden Arzt für be- stimmte Situationen. Sie be- schreiben nicht das „Wie“, sondern das „Was“ seines Handelns. Im Gegensatz zu den Richtlinien öffentlich- rechtlicher Körperschaften (zum Beispiel der BÄK und KBV) sind die Leitlinien der Fachgesellschaften unver- bindlich und entbinden den Arzt nicht von seiner Verant- wortlichkeit im Einzelfall.

Leitlinien sind also weder haftungsbefreiend, wenn der Arzt ihnen folgt und trotz- dem einen nicht vertretbaren Schaden setzt, noch sind sie haftungsbegründend bei Nichtbefolgen. Ein Abwei- chen im Einzelfall ist immer möglich und unter Umstän- den sogar dringend geboten, wenn die Umstände es ratsam erscheinen lassen.

Die in den Leitlinien vor- geschlagenen diagnostischen und therapeutischen Maß- nahmen sind notwendig, nütz- lich, zweckmäßig, in breiter Erfahrung erprobt und all- gemein wissenschaftlich an- erkannt. Die Erstellung der

Leitlinien unterliegt der Ver- antwortung des Präsidiums der jeweils betroffenen Fach- gesellschaft.

Die Leitlinien geben den Stand des zum Zeitpunkt ih- rer Veröffentlichung gültigen ärztlichen Wissens wieder. Sie bedürfen also der ständigen Anpassung an den medizini- schen Fortschritt, das heißt, sie benötigen ständige Pflege.

Weil deshalb die Leitlinien immer nur vorläufigen Cha- rakter haben können, hat sich die AWMF für ihre Publi- kation im Internet unter

„AWMF-online“ entschieden.

Dies gibt die Möglichkeit der komplikationslosen Pfle- ge, das heißt Korrektur, und der weiten Verbreitung auch in die Nachbarfächer und in die nichtmedizinische Öffent- lichkeit hinein.

Die Finanzierung und Er- stellung von Leitlinien, so- weit sie von der AWMF pu- bliziert werden, haben die Fachgesellschaften grund- sätzlich mit eigenen Mitteln durchgeführt und keine Zu- wendungen von interessier- ten Sponsoren entgegenge- nommen.

Die Formulierung solcher Leitlinien ist eine verantwor- tungsvolle und schwierige Aufgabe, die nicht nur wis- senschaftliche Kenntnis, son- dern auch breite ärztliche Er- fahrung voraussetzt. Das glei- che gilt aber auch für die kriti- sche Beurteilung von Leitlini- en. Der Autor sollte sich deshalb in Zukunft besser zurückhalten.

Prof. Dr. med. Karl-Heinz Vosteen, Ehrenpräsident der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizi- nischen Fachgesellschaften, Moorenstraße 5, 40225 Düs- seldorf

Keine Notwendigkeit für Clearingstelle

. . . Leitlinien sind von ih- rer Zielsetzung her auf dem derzeitigen wissenschaftli- chen Stand basierende Hand- lungsempfehlungen für ärztli- che Standardsituationen. Sie repräsentieren den aktuellen Wissensstand der Medizin zu konkreten medizinischen Si- tuationen und Fragestellun- gen aus inhaltlicher Sicht, sind also gerade nicht an Kri- terien wie Kostendämpfung und Ausgabensenkung oder Prioritätensetzung im Ge- sundheitswesen oder ökono- mischen Kriterien orientiert.

Leitlinien wollen den Arzt in- formieren: Sie nehmen ihm keineswegs die ärztliche Ent- scheidung im Einzelfall unter Berücksichtigung aller De- tails des individuellen Krank- heitsverlaufs ab. Leitlinien sind keine Richtlinien und wollen vom Selbstverständnis auch keine Richtlinien sein (Richtlinien sind im Gegen- satz zu Leitlinien bindende Vorschriften), insofern ist der Vorwurf der Gefahr eines im- mer dichter geknüpften büro- kratischen Vorschriftennet- zes unzutreffend. Und auch die Beeinträchtigung des Arzt-Patienten-Verhältnisses ist bei den Information ver- mittelnden Leitlinien nicht zu sehen.

Vielmehr geben die auf dem Sachverstand der jewei- ligen wissenschaftlichen me- dizinischen Fachgesellschaf- ten basierenden Leitlinien dem sich informierenden Arzt die Gewißheit, sich von kompetenter Seite über ärzt- liches Handeln informieren zu können, und heben sich damit positiv von unverbind- lichen und nicht autorisierten

Zu Leserbriefen

Leserbriefe werden von der Redaktion sehr beachtet.

Sie geben in erster Linie die Meinung des Briefschreibers wieder und nicht die der Redaktion. Die Veröffentlichungs- möglichkeiten sind leider beschränkt; der Redaktion bleibt oft keine andere Wahl, als unter der Vielzahl der Zuschrif- ten eine Auswahl zu treffen. Die Chance, ins Heft zu kom- men, ist um so größer, je kürzer der Brief ist. Die Redaktion muß sich zudem eine – selbstverständlich sinnwahrende– Kürzung vorbehalten. DÄ

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Empfehlungen, wie sie jeder Autor eines medizinischen Textes aussprechen kann, ab.

Auch der Vorwurf der

„Behinderung des Fort- schritts“ oder die Bezeich- nung der Leitlinien als

„starr“, „global“ und „inflexi- bel“ entbehrt jeder Grundla- ge. Leitlinien sollen vom Selbstverständnis her den ak- tuellen Stand der Wissen- schaft darstellen, sind also ge- rade nicht starr, sondern dy- namisch und werden in regel- mäßigen Abständen überar- beitet und fortgeschrieben.

Gerade die im letzten Ab- schnitt der Veröffentlichung angesprochenen erstrebens- werten „Informations- und Kommunikationswege und ihre Realisierung im Zuge der Vernetzung auch im Rah- men neuer Medien“ werden seitens der AWMF für die Leitlinien genutzt . . .

Auch der Vorwurf einer

„weitestgehend fehlenden Zielrichtung“ ist unzutref- fend. Ziel ist die Information von Ärzten sowie von allen an medizinischen Inhalten In- teressierten. Auch der Vor- wurf, daß bei den Zielen eine klare Abgrenzung zur ökono- mischen Orientierung von Leitlinien fehle, ist falsch.

Leitlinien sind eindeutig nicht ökonomisch orientiert, sie be- schreiben vielmehr aus wis- senschaftlicher Sicht das me- dizinisch Sinnvolle. Entspre- chend entfällt der Einwand, daß eine ernsthafte Störung des Arzt-Patienten-Verhält- nisses zu befürchten wäre, wenn die klinische und ärzt- liche Entscheidungsfreiheit durch ökonomische Erwä- gungen eingeschränkt wird.

Leitlinien enthalten aus- drücklich keine ökonomi- schen Erwägungen!

Zutreffend ist, daß Leitli- nien nicht die Qualitätssiche- rung ersetzen. Sie formulie- ren aber, was im Sinne des Stands der Wissenschaft als

„Qualität“ anzusehen ist. Da- bei haben sich die in der AWMF zusammengeschlos- senen wissenschaftlichen me- dizinischen Fachgesellschaf- ten keineswegs – wie in Ihrer Veröffentlichung formuliert –

in ein „Leitlinien-Entwick- lungsabenteuer gestürzt“, sondern sich seit 1993 auf An- regung des „Sachverständi- genrats der Konzertierten Aktion im Gesundheitswe- sen“ der Herausforderung ge- stellt, aufgrund der Sachkom- petenz der Fachgesellschaften Leitlinien als Informationshil- fe zu formulieren . . .

Die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesell- schaften haben von Anfang an eine Arbeitsteilung dahin- gehend vorgeschlagen, daß sie die Bürde der Entwick- lung von Leitlinien zum Woh- le der Bürger auf sich neh- men, während die Umsetzung der Leitlinien in ärztliches Handeln des einzelnen und die konkrete Qualitätssiche- rung weiterhin Aufgaben der Landesärztekammern sowie im Bereich der Gültigkeit des Kassenarztrechtes Aufgaben der Kassenärztlichen Vereini- gungen sind. Diese Aufgaben sollten nunmehr von diesen Organisationen aufgegriffen werden!

Die Entwicklung und Weiterentwicklung der Leitli- nien selbst bleibt dagegen weiterhin alleinige genuine Aufgabe der wissenschaftli- chen medizinischen Fach- gesellschaften. Entsprechend muß der im letzten Absatz Ih- rer Veröffentlichung diffa- mierende Satz, daß dem

„Leitlinienwirrwarr“ und der inflatorischen Entwicklung sowie ihrer ungezielten „Dis- semination“ durch eine steu- ernde Funktion durch Bun- desärztekammer und Kas- senärztliche Bundesvereini- gung entgegengewirkt wer- den müsse, seitens der wis- senschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften weit von sich gewiesen werden.

Auch die Anmerkung, daß vermieden werden müs- se, „daß vermehrt rechtspoli- tische und rechtspraktische Probleme aufgeworfen wer- den“, ist hinsichtlich der Leit- linien unberechtigt und unbe- gründet. Gerade wegen der Stellung zwischen Richtlinien und unverbindlichen Emp- fehlungen und ihrer vom Selbstverständnis her fehlen-

den Rechtsverbindlichkeit, wie sie Richtlinien hätten, sind Leitlinien weder haf- tungsbegründend noch haf- tungsausschließend. Leitlini- en informieren den Arzt, sie unterstützen ihn somit bei sei- ner täglichen Arbeit und be- lassen ihm alle ärztliche Ent- scheidungsfreiheit!

Für die im Schlußsatz Ihres Beitrags genannte

„Clearingstelle für Leitlinien“

(von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesver- einigung) ergibt sich somit keinerlei Notwendigkeit.

Priv.-Doz. Dr. med. Gerd Hoffmann, Deutscher Sport- ärztebund, Arbeitsgemein- schaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell- schaften, Gesamthochschule Kassel, Bereich Sportmedi- zin, Damaschkestraße 25, 34121 Kassel

Unverständlich

. . . Mir sind die Warnun- gen unverständlich: Rege- lungswut, bürokratische Er- starrung, Diktat der Ökono- mie bei jeder Entscheidung bis hin zur Störung des Pati- entenvertrauens – das haben wir doch längst alles!

Die „Leitlinienflut“ folgt doch nicht vorauseilendem Gehorsam, sondern dem jah- relangen Gezeter der Volks- wirte und SoFAs in Politik und Kassen, die sich befugt sehen, die Autonomie der Behandler als die eigentliche Crux des Gesundheitswesens zu diffamieren; die sich für kompetent halten, die medi- zinische Vollversorgung zu versprechen und gleichzeitig zwanzig Prozent der Gesund- heitskosten für unnötig zu er- klären. Was wollen wir Ärzte dem denn entgegensetzen, wenn nicht die gemeinsam verantwortbare Formulie- rung des Notwendigen: des- sen, was „die Not wendet“?

Und die Abgrenzung des

„nur“ individuell Sinnvollen und Wünschenswerten? Die Medizin wird schließlich im- mer mehr leisten können als das kollektiv Finanzierbare . . . Peter Rapp, Schillerstraße 3, 79576 Weil am Rhein

Handlungsschienen vonnöten

. . . Die versorgungsmedi- zinische Praxis braucht Hand- lungsschienen zur zuverlässi- gen Bewältigung häufiger Gesundheitsstörungen und nicht ausschließlich akade- misch interessante Problem- erörterungen. Damit redu- ziert sich die Anzahl von Leit- linien drastisch auf ein unab- weisbar notwendiges Min- destmaß, das dann auch um- gesetzt zu werden vermag . . . Dr. med. Paul Kokott, Storm- straße 21, 38226 Salzgitter

Zu weit gegriffen

Der Artikel, der sich als Bericht über eine Stellung- nahme von Herrn Prof. Kolk- mann gibt, behauptet, Leitli- nien seien nach der Empfeh- lung des Sachverständigen- beirates 1993 unkoordiniert, inflatorisch und in vorausei- lendem Gehorsam von den wissenschaftlichen Fachge- sellschaften formuliert wor- den. Sie seien fortschritts- hemmend und entbehrten der klaren Zielsetzung. Dem ist entgegenzuhalten: Die AWMF hat durch Veröffentli- chung verschiedener Kon- sentierungsmöglichkeiten und nach Abgleich im Diskussi- onsverfahren die Leitlinien mit großem zeitlichem und fi- nanziellem Aufwand koordi- niert. Das Geld steuerten die einzelnen Fachgesellschaften selbst bei. Die Veröffentli- chungen aus der AWMF zu diesem Thema werden von den Autoren vollständig über- gangen.

Schnelles Reagieren als vorauseilenden Gehorsam zu bezeichnen war wohl als gezielte Verletzung gedacht.

Das muß aber bei jemandem erfolglos bleiben, dem auf fachfremdem Gebiet und auf unsicherem Terrain die Ori- entierung nicht gelingen mag. Wie sollen Leitlinien fortschrittshemmend sein, wenn sie das konzentrierte Wissen einer Fachgesell- schaft im geforderten Kon- sens verschiedener Experten

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zusammenfassen? Nur auf dieser Basis läßt sich auch die Forderung an Leitlinien erfüllen: sie immer wieder auf den neuesten Stand zu bringen.

Es verwundert ferner, daß jemand urteilend über Leitli- nien schreibt, die Zielset- zung aber nicht erkennen kann: Es geht dabei um Transparenz, Beurteilung des Notwendigen, Vermei- dung von Unnötigem und Vermehrung des Breitenwis- sens. Allerdings ist dazu Vor- aussetzung, daß Ärzte die Leitlinien annehmen und mit ihnen besser als Patienten und Juristen vertraut sind.

Hierum sollten sich in der Tat die Körperschaften küm- mern (Implementierung).

Die Befürchtung, daß mög- licherweise Ärzte durch fundiertes Patientenwissen überrascht werden könnten, ist geradezu vertrauenszer- störend.

Daß die verfaßten ärztli- chen Körperschaften auch ein Interesse an den Leitlinien haben, ist verständlich. Hier muß endlich – wie von uns an- gemahnt – ein vernünftiges Miteinander hergestellt wer- den. Aber Leitlinien beurtei- len zu wollen, ohne sie selbst formulieren zu können, ist zu weit gegriffen. Leitlinien müssen im Einklang stehen mit dem gegenwärtigen be- ruflichen Wissen. Dies immer wieder zu aktualisieren ist ei- ne Hauptaufgabe der wissen- schaftlichen Fachgesellschaf- ten.

Völlig unverständlich in diesem Artikel ist das emp- fehlende Beispiel „Brennen beim Wasserlassen“. Wurde diese „Leitlinie“ mit den Urologen abgestimmt? Was soll man außerdem von einer Leitlinie halten, die durch er- hebliche Industriemittel be- günstigt wurde? Gerade das wollen wir nicht!

Prof. Dr. med. W. Hartel, Ge- neralsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Vizepräsident der AWMF, Elektrastraße 5, 81925 Mün- chen; Prof. Dr. med. W. Lo- renz, Institut für Theoreti- sche Chirurgie der Philipps- Universität Marburg

Rationierung

Zur Verwechslung und Vermischung von Begriffen und Sachverhalten wie Rationalisierung und Rationierung Anmerkungen eines als Sachverstän- diger im Prüfwesen tätigen Arztes:

Im Alltag schon Wirklichkeit

Rationieren bedeutet zu- nächst nichts anderes als le- diglich Begrenzung von ver- fügbaren Möglichkeiten oder Mitteln. Wenn der Gesetzge- ber derzeit Solidarität vor Subsidiarität als Gestaltungs- prinzip für das System der Gesetzlichen Krankenversi- cherung wählt, muß er festle- gen, wieviel Prozent des Brut- tosozialproduktes er den ge- setzlichen Krankenkassen zu Lasten von anderen Teilen der Volkswirtschaft zukom- men lassen will. Das heißt: Er legt die finanziellen Grenzen fest, innerhalb derer die Soli- dargemeinschaft in der Lage ist, individuelle Lebensrisi- ken des einzelnen zu Lasten der Solidargemeinschaft zu fi- nanzieren. Sind diese Gren- zen überschritten, zum Bei- spiel durch Einnahmerück- gänge der Krankenkassen zur Entlastung der Wirtschaft, wird der einzelne dazu ge- zwungen, die dadurch auftre- tenden eigenen gesundheitli- chen Risiken zu übernehmen.

In diesem Sinne ist Ratio- nierung (verstanden als Be- grenzung von finanziellen Möglichkeiten) somit bereits elementarer Bestandteil des bundesrepublikanischen Ge- sundheitswesens von Beginn an und nicht erst seit dem In- krafttreten des Gesundheits- strukturgesetzes.

Mit der Tatsache, daß die ökonomischen Möglichkei- ten im System Solidarität vor Subsidiarität begrenzt sind, ist noch lange nicht geklärt, nach welchen inhaltlichen Kriterien diese begrenzten Möglichkeiten von welcher verantwortlichen Instanz, mit welcher ethischen Begrün- dung, welcher rechtlichen Le- gitimation, welchem Perso- nenkreis zugestanden werden

und welchem Personenkreis unter ähnlicher Fragestellung zugemutet wird, eigenverant- wortlich für die Abdeckung der daraus resultierenden Versorgungsrisiken zu sor- gen.

Ein armer (menschlich be- dauernswerter) Kranker ist nicht automatisch ein finanzi- ell armer Patient, dem etwa eine überproportionale indi- viduelle Kostenbeteiligung an den Lasten der Solidarge- meinschaft nicht zugemutet werden kann (zum Vergleich:

freiwillig Versicherte der GKV mit hohem Einkommen/

Diskussion in der Schweiz zur Ausgrenzung von Hochver- mögenden aus der Sozialver- sicherung). Andererseits ist nicht einleuchtend, daß Fi- nanzierungsgrenzen der Soli- dargemeinschaft einfach auf eine Berufsgruppe wie die Vertragsärzteschaft überge- wälzt werden. Die vielfach zu hörende Gleichsetzung von Patient gleich Kunde, Ver- tragsarzt gleich Leistungsan- bieter, Vertragsärzte unter- einander gleich konkurrie- rende Wettbewerber am Markt der Heilkunde über- sieht die Tatsache, daß der- artige Gleichsetzungen nur dann haltbar wären, wenn die vertraglichen Beziehun- gen zwischen diesen angeb- lichen „Markt“-Teilnehmern auf alleiniger zivilrechtlicher Grundlage beruhen würden.

Dies ist jedoch nicht der Fall.

Aus der Tatsache, daß der Vertragsarzt im Schadensfall dem Kassenpatienten haftet, folgt keineswegs, daß zwi- schen beiden eine zivilrechtli- che Vertragsbeziehung be- steht. Was für Privatärzte oh- ne Budget und Versorgungs- auftrag im Umgang mit Pri- vatpatienten gilt, ist nicht au-

tomatisch auf das Versor- gungssystem der Kassenärzte mit Sicherstellungsauftrag unter Budgetdruck zu über- tragen . . .

Klaus Schnetzer, Herren- straße 14, 76437 Rastatt

Globalbudget

Zur Diskussion über die Reform des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen:

Ungeheuerlich

Ich finde es ungeheuer- lich, daß der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesver- einigung, Dr. med. Winfried Schorre, Abschied von einem betriebwirtschaftlich kalku- lierten Bewertungsmaßstab nehmen möchte, da er es wie der Vorsitzende der Er- satzkassenverbände, Herbert Rebscher, für „völlig unmög- lich und auch lebensfremd hält, so zu kalkulieren“!

Völlig unmöglich und auch lebensfremd (in keinem anderen Bereich wird so ver- fahren) ist es, nichtbetriebs- wirtschaftlich zu kalkulieren.

Dr. med. Klaus Engels, Gröt- zinger Straße 3, 76227 Karls- ruhe

Nie wieder . . .

Wie auch immer die zu- künftige Gesundheitspolitik aussehen mag: Ich wünsche meinen Kollegen und mir nur eines. Nie wieder von Politi- kern und auch unseren Stan- desvertretern in der Art und Weise behandelt zu werden wie in den letzten Jahren.

Dr. med. Herbert Hesse, Simmlerstraße 4, 75172 Pforz- heim

e-mail

Briefe, die die Redaktion per e-mail erreichen, werden aufmerksam gelesen. Sie können indessen nicht veröf- fentlicht werden, es sei denn, sie würden ausdrücklich als

„Leserbrief“ bezeichnet. Voraussetzung ist ferner die vollständige Anschrift des Verfassers (nicht die bloße e-mail-Adresse). Die Redaktion behält sich ohne weitere Mitteilung vor, e-mail-Nachrichten, die als Leserbrief erscheinen sollen, zu kürzen. DÄ

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