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Archiv "Karzinomserie: Akute Leukämien bei Kindern" (30.03.1978)

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KARZINOMSERIE:

Akute Leukämien bei Kindern

Günther Schellong

Zwei Brüder, eineiige Zwillinge, deren körperlicher und mentaler Entwicklungszustand gleich ist.

Sie sind sechs Jahre und zehn Monate alt. Der linke von ihnen erkrankte im Alter von einem Jahr und vier Monaten an akuter lymphatischer Leukämie. Er be- findet sich heute, ungefähr fünfeinhalb Jahre nach Stellung der Diagnose und zwei Jahre nach Absetzen der Therapie, in anhaltender erster Remission.

Die Leukämien stellen bei Kindern unter 15 Jahren die häufigste mali- gne Neubildung dar. In der Bundes- republik muß mit rund 500 Neu- erkrankungen pro Jahr gerechnet werden. Die Kenntnisse über die Ätiologie sind nach wie vor sehr be- grenzt und gestatten keine Ansätze für eine Prophylaxe oder eine kausa- le Behandlung. Deutliche Fortschrit- te wurden in den letzten Jahren bei der klinischen, zytologischen und immunologischen Charakterisie- rung der verschiedenen Leukämie- formen erzielt, so daß eine individu- elle Einschätzung der Prognose und damit auch bis zu einem gewissen Grade eine Differenzierung der The- rapie möglich geworden sind. Die entscheidenden, bis vor kurzem kaum als möglich erachteten Erfol- ge sind jedoch auf dem Gebiete der Therapie zu verzeichnen: Bei der häufigsten Leukämieform des Kin- desalters, der akuten lymphoblasti-

schen Leukämie, konnten durch ei- ne systematische Fortentwicklung des therapeutischen Vorgehens langfristig anhaltende Remissionen bei 20 bis 40 Prozent der Patienten erreicht werden. Danach ist es ge- rechtfertigt, diese früher stets letal verlaufende Erkrankung als grund- sätzlich heilbar anzusehen.

Einteilung

Bei den kindlichen Leukämien las- sen sich nach zytomorphologi- schen, zytochemischen, immunolo- gischen und klinischen Kriterien verschiedene Formen unterschei- den. Die Unterteilungs- und Benen- nungssysteme in der Literatur wei- chen je nach den zugrunde gelegten Methoden und je nach der individu- ellen Ansicht der Autoren in man- chen Einzelheiten voneinander ab.

Tabelle 1 gibt eine heute ziemlich verbreitete Einteilung wieder. Die Aus der Abteilung für Hämatologie und Immunologie

(Leiter: Professor Dr. med. Günther Schellong) der Universitätskinderklinik Münster

Unter den Leukämien des Kindesalters überwiegt mit 80 bis 85% die akute lymphoblastische Leukämie. Systematische Therapiestudienrei- hen haben gerade bei dieser Form zu einer entscheidenden Verbesse- rung der Prognose geführt. Die schwierige Steuerung der intensiven Chemotherapie und die nicht unerheblichen Komplikationen machen eine Zentralisierung der Anfangsbehandlung in Spezialabteilungen erforderlich. Für den niedergelassenen Arzt ergeben sich vor allem zwei Aufgaben: die frühzeitige Diagnosestellung und die Mitbetreu- ung bei der mehrjährigen Dauertherapie.

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größte Gruppe wird durch die aku- ten lymphoblastischen Leukämien (ALL) gebildet (etwa 80 Prozent). Die T-Zeii-ALL, bei der an den Blasten Oberflächenmarker wie bei T-Lym- phozyten nachgewiesen werden können, ist häufig mit einem Thy- mustumor (Abbildung 2) und einer positiven Sau re-Phosphatase-Reak- tion der Leukämiezellen verbunden. Ihre Prognose ist etwas weniger gut als die der "Nuii"-Zeii-ALL. Die schlechteste Prognose in dieser Gruppe weist die seltene B-Zeii-ALL auf, an deren Zellen Oberflächen- Immunglobuline wie bei B-Lympho- zyten nachweisbar sind. Auch diese Form ist häufig kombiniert mit Lym- phomen (zum Beispiel im Gastroin- testinaltrakt). Überhaupt besteht zwischen den Zellen der ALL und denjenigen der Non-Hodgkin-Lym- phome mit hoher Malignität (Lym- phosarkome) kein grundsätzlicher Unterschied. ln einem Fall handelt

es sich um einen mehr oderweniger lokalisierten soliden Tumor, im an- deren um einen generalisierten Pro- zeß mit Dissemination im Knochen- mark. Jeder der beiden Zustände kann einzeln bestehen oder sich aus dem anderen entwickeln.

Die Gruppe der akuten myeloischen Leukämien (AML) gliedert sich je nach der Herkunft der malignen Zel- len in verschiedene Formen auf. Am häufigsten ist die akute granulozytä- re Leukämie, bei der man wieder je nach dem Differenzierungsgrad mehr myeloblastische und mehr promyelozytäre Formen unterschei- det. Daneben können die Monozyten oder (sehr selten) das erythrozytäre System beteiligt sein. Obwohl zu- nehmend längere Remissionen (ge- legentlich bis zu mehreren Jahren) erreicht werden können, ist die Pro- gnose aller nichtlymphoblastischen Leukämien letzten Endes schlecht.

Tabelle 1: Einteilung der bei Kindern vorkommenden Leukämien und ihre ungefähre Häufigkeit

~ Akute lymphoblastische Leukämie (ALL)

"Nuii"-Zeii-ALL (ca. 60%) T-Zeii-ALL (ca. 18%) B-Zeii-ALL (ca. 2%)

~ Akute myeloische Leukämie (AML) Akute granulozytäre Leukämie Akute myelomonozytäre Leukämie Erythroleukämie

~ Chronische myeloische Leukämie (CML) Adulte Form

Juvenile Form

ca. 80%

ca. 15%

ca. 5%

Tabelle 2: Häufigste Symptome der kindlichen akuten Leukämie bei Diagnosestellung

Anamnese Blässe

Mattigkeit, Leistungsabfall Fieber

Infekte

Haut- und Schleimhautblutungen Glieder- und Knochenschmerzen Zunahme des Bauchumfanges Lymphknotenschwellung

Befund

Anämie (normochrom) BSG-Beschleu n ig ung Fieber

Granulozytopenie Thrombozytopenie Gangstörung Hepatomegal ie Splenomegal ie Lymphadenopathie

Symptomatik und Diagnose

Wegen der verbesserten Prognose ist heute der Zeitpunkt der Diagno- sestellung bei den akuten Leuk- ämien nicht mehr ganz gleichgültig.

Dem Hausarzt fällt eine wichtige Rolle bei der - häufig schwierigen - Früherkennung zu. Tabelle 2 enthält eine Zusammenstellung der wichtig- sten anamnestisch angegebenen Symptome und der objektivierbaren Befunde. Unter den meist nur weni- ge Wochen, gelegentlich zwei bis drei Monate zurückreichenden Be- schwerden ist die Blässe am häufig- sten. Ihr entspricht bei den Befun- den eine unterschiedlich starke, häufiger sehr ausgeprägte normo- chrome Anämie. Obwohl für einen Eisenmangel kein Anhalt besteht, werden viele Patienten vor der Ein- weisung ohne weitere diagnostische Maßnahmen zunächst einmal mit Ei- senpräparaten behandelt, wodurch wichtige Zeit bis zum Behandlungs- beginn verschenkt wird (jede An- ämie sollte zunächst ursächlich ge- klärt werden).

An unspezifischen Allgemeinsym- ptomen werden außer der Blässe häufig Abgeschlagenheit, nachlas- sende Leistungsfähigkeit und Fieber genannt. Zu Fehldiagnosen können Glieder- und Knochenschmerzen Anlaß geben, die vor allem in den Beinen auftreten und mit Gangstö- rungen einhergehen: lnfolge der Kombination mit Fieber und der bei Leukämie stets deutlich beschleu- nigten Blutsenkungsgeschwindig- keit liegt der Verdacht auf Osteo- myelitis, rheumatisches Fieber oder rheumatoide Arthritis nahe, und manche Patienten sind bei der Dia- gnosestellung auch entsprechend vorbehandelt, zum Beispiel mit Kor- tikosteroiden. Dominieren dagegen Leber-, Milz- und Lymphknoten- schwellungen (Abbildung 1), wird die Diagnose meist rasch gestellt.

Auch andere Organe können infolge leukämischer Infiltration vergrößert sein, zum Beispiel Speichel- und Tränendrüsen, Hoden, Thymus (Ab- bildung 2), Nieren. Gelegentlich las- sen sich bereits zur Zeit der Diagno- sestellung Leukämiezellen im Li-

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Jahre und einen Mo- nat alter Junge mit akuter lymphobla- stischer Leukämie zur Zeit der Diagno- sestellung: Hepa- tosplenomegalie, mäßige Vergröße- rung der zervikalen Lymphknoten, Hb:

70,0 g/I (7,0 g/

100 ml), Thrombo:

10 x 10 9/I (10 000/

mm 3), Leuko: 390 x 10 9 /1(390 000/mm 3), im Blutausstrich 0,90 (90 Prozent) Blasten. Anfangs- therapie nach dem West-Berliner Pro- tokoll (4, 5), ein- schließlich Schädel- bestrahlung. Im Ok- tober 1977 wurde die zytostatische Dauerbehandlung nach zweieinhalb Jahren abgesetzt.

Anhaltende kom- plette Remission quor cerebrospinalis nachweisen

(Meningosis leucaemica).

Bei etwa der Hälfte der Patienten bestehen thrombozytopenische Hautblutungen (Abbildung 3), gele- gentlich treten auch Schleimhaut- blutungen (vor allem Nasenbluten) auf. Das Blutbild zeigt außer der Thrombozytopenie und der bereits erwähnten Anämie eine Verminde- rung der Granulozyten im Differenti- alblutbild bei Vermehrung der mo- nonukleären Zellen, bei denen es sich zu einem unterschiedlich gro- ßen Anteil um Leukämiezellen han- delt. Die Gesamtleukozytenzahl kann normal, erniedrigt oder erhöht sein. In etwa einem Drittel der Fälle von ALL liegt sie über 25 x 10 9/I (25 000/mm 3 ), in einem Zehntel über 100 x 10 9/I (100 000/mm 3 ). Die Be- deutung der Höhe der peripheren Leukozytenzahl sowie einiger ande- rer Symptome für die Abschätzung der Prognose bei ALL unter einem modernen Behandlungsregime geht aus Tabelle 3 hervor.

Zur Sicherung der Diagnose ist vor Behandlungsbeginn die Knochen- markspunktion unerläßlich. In den

Abbildung 2: Thymustumor (Lymphom) bei einem sechs Jahre und fünf Monate alten Jungen mit T-Zell-ALL. Zehn Tage nach Beginn der zytostatischen Therapie war die Mediastinalverbreiterung vollkommen zurückgebildet

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 13 vom 30. März 1978 759

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Tabelle 3: Bedeutung einiger Symptome bei ALL zum Zeitpunkt der Diagnosestellung für die Abschätzung der Prognose (das heißt des Rezidivrisikos) unter einer intensiven Chemotherapie in Kombina- tion mit präventiver Behandlung des ZNS

Rezidivrisiko

hoch mittel niedrig

Leuko > 100 x 10 9/1 Leuko 25-100 x 10 9/1 Leuko < 25 x 10 9 /1 Alter < 1 Jahr Alter 1-2 Jahre Alter 2-10 Jahre

u. > 10 Jahre Blasten im Liquor Thymustumor

Erhebliche Organ- vergrößerungen

B-Zell-Typ T-Zell-Typ „Null"-Zell-Typ Sau re-Phosphatase-

Reaktion positiv

Abbildung 3' Thrombopenische Hautblutungen (Pe- techien und Häma- tome) bei akuter Leukämie Markausstrichen überwiegt meist zu

über 80 Prozent die monomorphe Leukämiezellpopulation, während nur noch geringe Reste der norma- len Hämatopoese zu erkennen sind.

In jedem Einzelfall sollten möglichst

viele der heute für die Klassifizie- rung wichtigen zytochemischen und immunologischen Untersuchungen durchgeführt werden, damit mög- lichst bald weitere Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen

bestimmten Therapieverfahren und der Prognose der einzelnen Leukä- mie-Untertypen gesammelt werden können. Hierzu ist es aber erforder- lich, daß die Patienten in Behand- lungszentren eingewiesen werden, ohne mit Kortikoiden oder Zytostati- ka vorbehandelt zu sein. — Zur Fest- legung der Ausbreitung der Leukä- mie werden zusätzlich klinische Un- tersuchungen benötigt, wie Rönt- genaufnahme der Thoraxorgane, Ausscheidungsurogramm, Skelett- aufnahmen, Lumbalpunktion u. a.

Verlauf

Unbehandelt führen akute Leuk- ämien in wenigen Wochen zum To- de, meist durch Blutungen, Anämie oder Infektionen. Durch Kortikoste- roide und zahlreiche Zytostatika können komplette Remissionen er- reicht werden, in die bei Einsatz ge- eigneter Medikamentenkombinatio- nen annähernd alle Patienten mit ALL und etwa zwei Drittel derjenigen mit AML gelangen. Aber selbst wenn ein Leukämiebefall klinisch nicht mehr erkennbar ist, befinden sich zunächst noch Leukämiezellen un- terhalb der Nachweisbarkeitsgrenze im Organismus, von denen früher oder später ein Rezidiv ausgehen kann. Die Rezidive manifestieren sich entweder im Knochenmark („hämatologisches" Rezidiv) oder als lokalisierter Organbefall (ZNS, Hoden). Mit Zunahme der Remis- sionsdauer wurde besonders häufig (bei bis zu 60 Prozent der Patienten) das Auftreten einer Meningosis leu- caemica beobachtet.

Therapie der ALL

In systematischen Therapiestudien- reihen konnte gezeigt werden, daß sich die Langzeitprognose der aku- ten lymphoblastischen Leukämie vor allem durch folgende Maßnah- men entscheidend verbessern ließ (1, 4, 6):

Eine aggressive Kombinations- chemotherapie in der Initialphase.

Im Hinblick auf die langfristigen Re- sultate hat es sich als bedeutsam erwiesen, daß anfangs mehr Medi-

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kamente eingesetzt werden, als nur zur Induktion einer klinischen Re- mission erforderlich sind. Nach Re- missionseintritt ist die Einschaltung einer zweiten Intensivphase („Kon- solidierungsphase") mit Zytostatika, die zuvor noch nicht Verwendung fanden, üblich.

Eine gesonderte Behandlung des Zentralnervensystems nach Errei- chen der Remission zur Verhinde- rung eines späteren Meningosisrezi- divs. Hierfür hat sich die Kobalt-60- Bestrahlung des Hirnschädels mit 18-24 Gy (1800-2400 rd) in Kombi- nation mit mehreren intrathekalen Methotrexatgaben sehr bewährt.

Durch dieses von Pinkel und Mitar- beitern entwickelte Vorgehen konn- te die Häufigkeit des Meningosisre- zidivs auf ein Zehntel des früheren Vorkommens gesenkt werden.

Eine Dauertherapie mit mehreren Zytostatika über zwei bis drei Jahre, entweder zyklisch-alternierend oder in kontinuierlicher Kombination.

Medikamente

Für die vierwöchige Induktionsthe- rapie sind vor allem folgende Zy- tostatika geeignet: Prednison (oder andere Kortikosteroide) p. o., Vincri- stin i. v., Daunorubicin i. v., L-Aspa- raginase i. v. In der anschließenden ein- bis mehrwöchigen Konsolidie- rungsphase werden vielfach einge- setzt: Cyclophosphamid i. v., 6-Mer- captopurin p. o., Cytosin-Arabinosid i. v., Methotrexat i. v. Bei mehrwö- chiger Dauer dieser Phase läßt sich die „prophylaktische" Therapie des ZNS (siehe oben) synchron durch- führen. Für die Dauertherapie wird in der Bundesrepublik und der Deut- schen Demokratischen Republik die kontinuierliche Kombination von 6- Mercaptopurin p. o. (täglich) mit Amethopterin p. o. und Cyclo- phosphamid p. o. (beide zusammen 1 x wöchentlich) über 2 1/2 Jahre be- vorzugt, wobei sich allerdings inzwi- schen das Cyclophosphamid nach der Memphis-Studie VIII (6) als über- flüssig erwiesen hat. In vierteljährli- chen Abständen werden 3 „Rein- duktionen" zu 2 Wochen mit Predni- son p. o. und Vincristin i. v. einge- schaltet, deren Bedeutung aller- dings noch nicht ganz klar ist.

Ergebnisse

Einige Beispiele aus der großen Zahl von Therapiestudienreihen mögen den enormen Fortschritt verdeutli- chen, der in den letzten Jahren er- zielt werden konnte. 35 Kinderklini- ken der Bundesrepublik, die in der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Leukämieforschung und -behand- lung im Kindesalter e. V. zusammen- geschlossen sind, haben in der Zeit von 1971 bis 1974 ihre Patienten mit ALL nach einem einheitlichen Sche- ma behandelt, das sich an die Studie VII des St. Jude-Hospitals in Mem- phis anlehnte. Die Induktionsthera-

pie bestand aus Prednison und Vin- cristin, bei Patienten mit hohem Re- zidivrisiko wurden zwei Gaben von Daunorubicin und L-Asparaginase hinzugefügt. Eine Konsolidierungs- phase wurde nicht eingeschaltet.

ZNS-Therapie und Dauerbehand- lung erfolgten nach den obenge- nannten Prinzipien.

Die Sechs-Jahres-„Heilungsrate", das heißt der Anteil der Kinder in kontinuierlicher erster Remission wird sehr wahrscheinlich bei 28 bis 30 Prozent der 530 behandelten Pa:.

tienten liegen, die Sechs-Jahres- Überlebensrate beträgt 38 Prozent (2).

Abbildung 4: Sechs Jahre und zehn Monate alte eineiige Zwillinge, von denen der linke im Alter von einem Jahr und vier Monaten an akuter lymphoblasti- scher Leukämie erkrankt war. Behandlung nach den Therapievorschlägen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Leukämieforschung und -behandlung im Kindesalter e. V. (3) einschließlich Schädelbestrahlung. Anhaltende komplette Remission fünfeinhalb Jahre nach Diagnosestellung und zwei Jahre nach Therapieende. Der körperliche und mentale Entwicklungsstand beider Brüder ist gleich

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 13 vom 30. März 1978 761

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In der Kinderklinik der Freien Uni- versität Berlin wurde von Riehm schon 1970 ein Behandlungsplan mit einer wesentlich intensiveren Initialtherapie eingeführt, die zu noch besseren Ergebnissen geführt hat. In der ersten Phase werden vier Zytostatika, in der zweiten zusätzlich zur ZNS-Behandlung drei weitere Mittel gegeben. Die Sechs-Jahre-

„Heilungsrate” bei den 73 behandel- ten Patienten der Studie beträgt 52 Prozent, die Sechs-Jahre-Überle- bensrate 66 Prozent (4). Eine bisher dreijährige Kontrolle dieses Thera- pieschemas an der Universitätskin- derklinik Münster (5) konnte die Ber- liner Resultate bestätigen. Mit dem Ziel einer zusätzlichen Verbesse- rung der Behandlungsergebnisse wurde 1976 in den Universitätskin- derkliniken Berlin, Frankfurt und Münster eine kooperative ALL-The- rapiestudie begonnen, die als Stan- dardtherapie für alle Patienten das West-Berliner Protokoll vorsieht, je- doch bei den Patienten mit erhöh- tem Rezidivrisiko im ersten halben Jahr der Dauertherapie eine weitere sechswöchige Intensivphase mit insgesamt acht Zytostatika einschal- tet. Innerhalb der ersten 12 Monate wurden 62 Patienten in die Studie aufgenommen.

Therapie der AML

Die Behandlung der akuten myeloi- schen Leukämie im Kindesalter un- terscheidet sich nicht wesentlich von derjenigen beim Erwachsenen.

Unter den Chemotherapeutika sind Cytosin-Arabinosid, 6-Mercaptopu- rin und 6-Thioguanin sowie Dauno- rubicin und Adriamycin am wir- kungsvollsten. Daneben werden aber auch Cyclophosphamid und Vincristin eingesetzt. Anders als in der Erwachsenenonkologie wird bei Kindern auch von der präventiven ZNS-Behandlung Gebrauch ge- macht. Wegen des relativ seltenen Vorkommens der akuten myeloi- schen Leukämie im Kindesalter las- sen sich verbindliche Angaben über Behandlungsergebnisse nur schwer machen. In fast allen Zentren wer- den jedoch unter immer intensiverer Therapie einzelne über Jahre anhal- tende Remissionen beobachtet.

Nebenwirkungen der Therapie Die Nebenwirkungen und Komplika- tionen der intensiven zytostatischen Therapie sind beträchtlich und wei- sen ein breites Spektrum auf. Ein gewisses Behandlungsrisiko ist un- vermeidbar, muß jedoch in einem vernünftigen Verhältnis zum Lang- zeitergebnis stehen. Neben toxisch- degenerativen Organschäden (Zen- tralnervensystem, Gastrointestinal- trakt, Herz, Leber) werden vor allem Infektionen mit verschiedenen Erre- gern (2) beobachtet. In den ersten Wochen der Behandlung sind die Patienten besonders durch septi- sche Infektionen mit gramnegativen Keimen, toxische Enterokolitiden, Pilzinfektionen und Haut- und Weichteilabszesse gefährdet. Wäh- rend des weiteren Verlaufes handelt es sich mehr um Pneumonien ver- schiedenster Art (u. a. durch Pneu- mocystis carinii und Zytomegalievi- ren) und um Infektionen mit Viren der Herpesgruppe (Herpes simplex, Varizellen, Zoster).

In der Anfangsphase sind spezielle supportive Maßnahmen (konse- quente Haut- und Schleimhautpfle- ge, nichtresorbierbare Antibiotika zur Reduzierung der Keimzahl im Darm, Antimykotika, Gammaglobuli- ne usw.) erforderlich, später reichen engmaschige ambulante Überwa- chungen und eine frühzeitige kon- sequente Behandlung im Erkran- kungsfall aus. Die zytostatische Dauertherapie soll .so eingestellt werden, daß die Kinder ihren norma- len Aktivitäten nachgehen und die Schule besuchen können. Im allge- meinen erholen sie sich innerhalb weniger Wochen von der nicht uner- heblichen Beeinträchtigung durch die Initialtherapie. Die Schädelbe- strahlung führt zu einer passageren Alopezie und in einem Teil der Fälle vier bis sechs Wochen nach Ab- schluß zu einer als Apathiesyndrom bezeichneten kurzfristigen Beein- trächtigung des Allgemeinbefindens mit erhöhtem Schlafbedürfnis. Die körperliche und mentale Entwick- lung der Kinder mit Langzeitremis- sionen (wir selbst übersehen bereits bis zu neun Jahre anhaltende Re- missionen) ist mit einigen wenigen

Ausnahmen ungestört (Abbildung 4). Bisher können allerdings noch keine Aussagen über etwaige Spät- folgen (zum Beispiel Fertilitätsstö- rungen, genetische Defekte, Zweit- tumoren) gemacht werden. Zweifel- los stellen Patienten, die durch Che- motherapie und Strahlenbehand- lung im Kindesalter von einer mali- gnen Erkrankung geheilt worden sind, eine neuartige Risikogruppe dar, die zeitlebens regelmäßig ärzt- lich überwacht werden muß.

Da die Langzeitergebnisse entschei- dend von der Intensität der initialen Chemotherapie abhängen, anderer- seits die Komplikationen mit der Zahl und der Dosis der eingesetzten Wirkstoffe zunehmen, ist eine Zen- tralisierung der Anfangsbehandlung in onkologisch-hämatologischen Spezialabteilungen mit entspre- chender personeller und techni- scher Ausstattung nicht mehr zu umgehen. Bei der weniger proble- matischen und ambulant durchzu- führenden Dauertherapie jedoch kann die Betreuung durch den nie- dergelassenen Arzt in enger Koope- ration mit dem Zentrum erfolgen.

Literatur

(1) Aur, R. J. A., Simone, J., Hustu, H. 0., Wal- ters, T., Borella, L., Pratt, D.: Central ner- vous system therapy and combination chemotherapy of childhood lymphocytic leukemia, Blood 37 (1971) 272 - (2) Hughes, W. T., Feldmann, S., Cox, F.: Infections dis- eases in children with cancer, Pediat. Clin. N.

Amer. 21 (1974) 583 - (3) Lampert, F.: Kombi- nations-Chemotherapie und Hirnschädelbe- strahlung bei 530 Kindern mit akuter lympho- blastischer Leukämie, Kooperative Therapie- studie der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Leukämie-Forschung und -Behandlung im Kindesalter e. V., Dtsch. med. Wschr. 102 (1977) 97 - (4) Riehm, H., Gadner, H., Weite, K.:

Die West-Berliner Studie zur Behandlung der akuten lymphoblastischen Leukämie des Kin- des - Erfahrungsbericht nach 6 Jahren, Klin.

Pädiat. 189 (1977) 89 - (5) Schellong, G., Breu, H., Gröbe, H., und Voss, W.: Intensivierung der Anfangstherapie nach dem West-Berliner Pro- tokoll bei akuter lymphoblastischer Leukämie, Klin. Pädiat. 190 (1978) 65 - (6) Simone, J. V., Aur, R. J. A., Hustu, H. 0., Versosa, M., Pinkel, D.: Combined modality therapy of acute lym- phocytic leukemia, Cancer (Philad.) 35 (1975) 25

Professor Dr. med.

Günther Schellong Universitätskinderklinik Robert-Koch-Straße 31 4400 Münster

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