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Archiv "Jeder dritte ist ein Chinese" (29.04.1976)

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Die Information:

Bericht und Meinung DER KOMMENTAR

Jeder dritte ist ein Chinese

Fehlerhafte Zusammenfassung der Psychiatrie-Enquete

Es steht zu befürchten, daß der

„Bericht über die Lage der Psych- iatrie in der Bundesrepublik Deutschland", kurz „Psychiatrie- Enquete" geannt, mehr Unheil an- richtet, als er nützt. Dies liegt nicht am Bericht selbst, sondern an der Tatsache, daß ihm eine Zusam- menfassung beigegeben wurde, welche nun offenbar das einzige ist, was die Politiker (die ja Schlüs- se aus der Enquete ziehen sollen) dann auch tatsächlich gelesen ha- ben. Diese Zusammenfassung aber ist überaus schlampig gemacht, enthält Fehler und Fehlbehauptun- gen, die im Bericht selbst gar nicht vorkommen.

Hier ein Beispiel: Über den Bedarf an psychiatrischer Behandlung — immerhin eine der Kernfragen des ganzen Berichts — heißt es in Zif- fer A.2.2. der Zusammenfassung:

„Etwa 70°/o der Bevölkerung su- chen innerhalb eines Jahres den praktischen Arzt bzw. den Arzt für Allgemeinmedizin auf. Von diesen weisen etwa 10 bis 20 Prozent psy- chische Krisen, Krankheiten oder vorwiegend psychisch bedingte körperliche Beschwerden auf. Dies sind 4 Millionen bis 8 Millionen.

Als dringend psychiatrisch bzw.

psychotherapeutisch behandlungs- bedürftig erwiesen sich innerhalb eines Jahres dabei 1,8 bis 2 Pro- zent der Bevölkerung, also rund eine Million Personen.

Den niedergelassenen Nervenarzt oder Psychotherapeuten konsultie- ren wegen psychischer Krankhei- ten innerhalb eines Jahres ein Pro- zent der Einwohner — also rund 600 000 Personen (s. A.2). Von psychiatrischen Krankenhäusern und Abteilungen aufgenommen werden innerhalb eines Jahres 0,25 bis 0,40 Prozent der Bevölkerung, also rund 200 000 Personen."

Nichts davon — wahrlich: nichts davon — steht jedoch in Abschnitt A.2. der eigentlichen Enquete, der in der Zusammenfassung als Refe- renz zitiert wird.

Satz 1 — 70 Prozent der Bevölke- rung gehen angeblich zum Haus- arzt: Im Bericht ist lediglich eine englische Untersuchung zitiert, wo- nach 95 Prozent der Bevölkerung beim praktischen Arzt registriert sind, von denen wiederum 60 Pro- zent ihn auch im Laufe eines Jah- res aufsuchen: macht 57 Prozent der Bevölkerung. Wieso in der Zu- sammenfassung hierzu 13 Prozent addiert sind, bleibt unerfindlich.

Nächster Satz: Die „10 bis 20 Pro- zent" kommen zwar vor, aber ganz woanders, wo nämlich die Rechen- methode für Vergleiche zwischen einer deutschen und einer engli- schen Statistik erklärt wird. Tat- sächlich ist im Bericht die Zahl 14 Prozent genannt — der in England ermittelte Anteil nämlich der Pa- tienten beim Hausarzt mit „irgend- einer psychischen Erkrankung oder Störung" — das macht also rund 8 Prozent der Bevölkerung aus. Also: Nicht „4 bis 8 Millionen", sondern 4,8 Millionen Behand- lungsbedürftige hat die Kommis- sion ermittelt.

Eine einzige richtige Zahl

Und so weiter: 1,8 bis 2 Prozent der Bevölkerung haben sich nicht

„dabei", also beim Besuch des Hausarztes, als dringend behand- lungsbedürftig erwiesen — diese Prozentzahl umfaßt vielmehr dieje- nigen, die nach verschiedenen Un- tersuchungen in verschiedenen Ländern jährlich „irgendeinen psychiatrischen Dienst in Anspruch nehmen", also Fachärzte oder psychiatrische Kliniken aufsuchen

— eine ganz andere Gruppe also.

Das setzt sich zusammen aus dem Besuch beim niedergelassenen Nervenarzt — mit einem Prozent der Bevölkerung ist dies ein einzi- ges Mal eine im Bericht dokumen- tierte, 1973 von Degkwitz et al. ermit- telte Zahl — und 0,35 Prozent der

Bevölkerung an Krankenhausauf- nahmen, ermittelt von der Sachver- ständigenkommission selbst. Zu- sammen sind das zwar erst 1,35 Prozent, die höhere Angabe (1,8 bis 2 Prozent) entsteht durch die Anwendung anderer Maßstäbe in vornehmlich britischen Untersu- chungen, bei denen Erst- und Wie- derholungsbehandlungen addiert wurden. Wo nun aber die in der Zusammenfassung zitierten „0,25 bis 0,40 Prozent" herkommen, ist schlechthin unerfindlich.

Wie aus

16 Prozent

„jeder dritte" wird . .

14 Prozent plus (hochgerechnet) 2 Prozent — das sind 16 Prozent.

Manche Leute sagen gern: Jeder sechste Bürger. Geradezu kriminell aber ist es, was die Zusammenfas- sung der Psychiatrie-Enquete nun daraus macht. Im Abschnitt A.2.1.

der Zusammenfassung heißt es:

„... Etwa jeder dritte Bundesbür- ger hat bereits einmal in seinem Leben irgendeine psychische Krankheit durchgemacht und leidet noch daran. In der Bundesrepublik Deutschland sind oder waren dem- nach rd. 20 Millionen Menschen andauernd, wiederholt oder wenig- stens einmal während ihres Lebens in irgendeiner Form unmittelbar betroffen (s. A.2.)."

Trotz des Klammerzusatzes mit dem Verweis auf die Enquete: Das steht in Kapitel A.2. der Enquete an keiner — wir wiederholen: an keiner — Stelle! Und selbst der dort zitierte Berechnungsversuch aus Lundby, bei dem man ein „Le- benszeitrisiko" für psychiatrische Erkrankungen zu ermitteln ver- sucht hat, enthält nichts, aber auch gar nichts dergleichen.

Man werfe uns nicht vor, daß wir hier mißmutig an der Psychiatrie- Enquete herummäkelten. Die Sa- che ist für ein bloßes Mäkeln viel zu brisant. Auch hierfür ein Bei- spiel:

Nordrhein-Westfalens Sozial- und Gesundheitsminister Prof. Farth-

1214 Heft 18 vom 29. April 1976

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

Die Information:

Bericht und Meinung AUS ZEITUNGEN

mann hat dem Landtagsausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales seine Pläne und Folgerungen vor- getragen, die er nach der Lektüre der Psychiatrie-Enquete entwickelt hat oder entwickeln will. Was er aber gelesen hat, ist tatsächlich nur die Zusammenfassung, wie der offizielle Ausschußbericht im Land- tags-Pressedienst beweist. Da heißt es: „Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Profes- sor Dr. Friedhelm Farthmann (SPD), ... erklärte, daß in der Bun- desrepublik rund 20 Millionen Men- schen andauernd, wiederholt oder wenigstens einmal während ihres Lebens in irgendeiner Form psy- chisch krank waren oder sind. Vier bis acht Millionen unter ihnen su- chen innerhalb eines Jahres wegen psychischer Beschwerden einen Arzt auf, von denen sich rund eine Million als dringend psychiatrisch oder psychotherapeutisch behand- lungsbedürftig erweisen." Und der Ausschußvorsitzende Konrad Grundmann (CDU), ein Amtsvor- gänger des Gesundheits- und So- zialministers, begann seine Rede mit dem einleitenden Halbsatz:

„Wenn etwa jeder dritte Bundes- bürger bereits einmal in seinem Leben irgendeine psychische Krankheit durchgemacht hat oder noch daran leidet ..."

Wenn Politik auf solchen Prämis- sen beruht, dann kann man sich über die Kostenexplosion nicht mehr wundern ...

Die Sache hat noch einen grotes- ken Schluß. Die Ausschußsitzung war nämlich öffentlich, und die größte nordrhein-westfälische Zei- tung berichtete mit folgendem Satz darüber: „Der Minister bezeichnete es als ‚erschütternd', daß zur Zeit [Hervorhebung durch die Redaktion]

jeder dritte Bundesbürger im Bun- desgebiet an irgendeiner psychi- schen Störung leidet."

Das aber ist so ähnlich wie die Ge- schichte von den dreien, die sich treffen: Der erste ist (statistisch na- türlich!) ein Chinese, der zweite hat Karies, und der dritte bedarf psychiatrischer Behandlung ... bt

Austritte

in Schleswig-Holstein

„Der Austritt mehrerer Ärzte aus der SPD ist nach Auffassung des CDU-Landesvorstandsmitglieds, Sozialminister Karl Eduard Claus- sen, Ausdruck der wachsenden Besorgnis innerhalb der Ärzte- schaft über die gesundheitspoliti- schen Vorstellungen der SPD'. In Kiel meinte Claussen, wenn auch nach den Worten der Mediziner ,die Polemik von Kuhlwein und Genosssen' und dessen ,demago- gisches Verhalten' den letzten An- stoß zu dem Parteiaustritt gegeben hätten, so dürfe nicht übersehen werden, daß Kuhlwein lediglich als

SYLTER RUNDSCHAU

Repräsentant einer ärztefeindli- chen Einstellung speziell der schleswig-holsteinischen SPD an- zusehen sei. Diese ärztefeindliche Haltung sei auch wiederum durch die Äußerungen der Jungsoziali- sten deutlich geworden, die ver- langt hätten, die Niederlassungs- freiheit der Ärzte aufzuheben und das gesamte Gesundheitswesen zu verstaatlichen." zk

Gegenaktionen

„... Häufiger vom Gegendarstel- lungsrecht Gebrauch machen, es im Falle des Unterlaufens wieder- holen, jeden Verleumder verklagen lassen, Gegenvorstellungen bei den in Frage kommenden lnten-

Mein'feber Maur

danten der Rundfunkanstalten bzw.

Herausgebern oder Chefredakteu- ren der Presseorgane uhd Be- schwerden beim Deutschen Pres- serat erheben — das wären z. Z.

die Mittel der Wahl, um der Hetze wenigstens einigermaßen Einhalt gebieten zu können. Noch wichti- ger wäre eine kontinuierliche

Auf-

klärung im Warte- oder Sprechzim- mer. Wenn dort die vielen nach Millionen zählenden Patienten in ein paar Sätzen erfahren würden, was gewisse politische Kreise ih- rem Doktor angetan haben ... so dürfte eine solche Gegenaktion un- geahnte politische Rückwirkungen haben." W. Gödde

Sofort auf den Tisch ..

Das stand am 29. März 1976 im

„Spiegel":

„Im Streit schieden ... Bundesge- sundheitsministerin Katharina Focke und Forschungsminister Hans Matt- höfer. Die beiden Sozialdemokra- ten hatten sich ursprünglich auf ein gemeinsames Zehn-Jahres-Kon- zept ,Forschung und Technologie im Dienst der Gesundheit' einigen wollen. Doch mit Rücksicht auf die empfindsame Ärzteschaft lehnte Matthöfer Formulierungen und Pro- jektvorschläge aus dem Hause Focke ab, die den Argwohn der deutschen Medizinmänner erregen könnten. So sollen nach den Wün- schen des einstigen Kabinetts-Lin- ken Untersuchungen über die ,Überweisungs- und Verschrei- bungspraxis' sowie die ,Einkom- mens- und Gewinnerwartung' der Ärzte, über alternative Finanzie- rungsmodelle für das Gesundheits- wesen und über den ‚Einfluß' der Krankenversicherungsträger aus dem Programm gestrichen wer- den ..."

Und das kam am 30. März 1976 über den Fernschreiber:

„die pressekonferenz der bundes- minister dr. katharina focke und hans matthoefer zum programm ,forschung und technologie im dienst der gesundheit', zu der wir am mittwoch, 31. maerz 1976 — 12.00 uhr ins hotel•tulpenfeld eingeladen hatten, muss leider abgesagt wer- den.

renate lotze

bundesminister für jugend, familie und gesundheit"

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 18 vom 29. April 1976 1215

Referenzen

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