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Archiv "Ärztekammer Westfalen-Lippe: Versorgung Obdachloser - Ärzte auf der Straße" (13.03.1998)

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as Projekt der Ärztekammer Westfalen-Lippe umfaßt in den Städten Münster, Dort- mund, Bochum und Bielefeld die me- dizinische Erstversorgung wohnungs- loser Menschen. Die Grün-

de, die zum Projekt „Aufsu- chende Gesundheitsfürsorge“

führten, sind vielfältig: nicht unerheblich ist eine gewisse Hemmschwelle vieler Ob- dachloser, in ungewaschenem Zustand einen Arzt aufzusu- chen. Dazu kommt eine eher resignative Selbstwahrneh- mung, die gesundheitsbewuß- tes Verhalten verhindert.

Häufig sind es auch organisa- torische Dinge, die von den Betroffenen nicht bewältigt werden können. Dabei haben mehr als 90 Prozent aller Obdachlosen Ansprüche ge- genüber Kostenträgern. Ent-

weder sind sie selbst oder durch die Sozialämter krankenversichert, oder sie haben Anspruch auf Krankenhilfe nach § 37 Bundessozialhilfegesetz.

Weg zurück in etablierte Strukturen

Schuldzuweisungen, die die man- gelhafte medizinische Versorgung Ob- dachloser bei den Betroffenen selbst ansiedeln oder in unserem Gesund- heitssystem systemische Mängel fest- machen, sind fehl am Platz. Auf der ei- nen Seite besteht bei den Obdachlo- sen sicherlich ein gewisses Unvermö- gen, sich den bestehenden Gegeben- heiten anzupassen; daneben sind aber auch eindeutig Lücken im medizini-

schen Versorgungssystem zu konsta- tieren, das sich ungenügend auf diesen Personenkreis einstellt. Unser Ge- sundheitssystem baut auf Eigeninitia- tive zur Sicherstellung einer kontinu-

ierlichen Behandlung. Hierzu sind vie- le dieser Menschen nicht mehr fähig.

Ziel des Projektes der Ärztekam- mer Westfalen-Lippe ist eine unbüro- kratische medizinische Akutversor- gung an den Orten, an denen sich die Obdachlosen aufhalten. Langfristig soll über die Erstversorgung hinaus die Einbindung der Obdachlosen in die etablierten Strukturen des Ge- sundheitssystems erreicht werden. In keinem Fall soll ein zusätzliches, min- der leistungsfähiges Versorgungssy- stem – im Sinne einer Zwei-Klassen- Medizin – geschaffen werden.

Am Beginn der Arbeit, die ge- meinsam von Ärzten und Sozialarbei- tern, in einigen Städten auch mit Pfle- gepersonal, durchgeführt wird, stand der Aufbau eines Vertrauensverhält-

nisses. Da der Behandlungsraum in den meisten Fällen in der Nähe von Obdachlosentreffs eingerichtet wur- de, war die Kontaktaufnahme gesi- chert, doch viele Obdachlose reagier- ten zunächst sehr mißtrauisch auf das Hilfsangebot.

Oleg Jaschek, Projektarzt aus Münster, berichtet: „Auf Hinweis ei- nes Bürgers habe ich im letzten Jahr Herrn L. in einer Scheune in einem Vorort von Münster aufgesucht. Er lebte dort seit 30 Jahren, war jedoch aufgrund von fortgeschrittenem Al- ter, chronischer Alkoholabhängigkeit und verschiedener somatischer Er- krankungen nicht mehr in der Lage, selbständig zu wohnen. Nach häufi- gem Aufsuchen, Mitnahme in das Haus der Wohnungslosenhilfe zur Be- handlung und Körperpflege sowie dem Einschalten des Sozial- psychiatrischen Dienstes des Gesundheitsamtes war Herr L. dazu zu bewegen, einen Wohnplatz im Haus der Woh- nungslosenhilfe anzunehmen.

In den Zeiten, als er in der Scheune lebte, ist Herr L.

meines Wissens nicht ärztlich versorgt worden. Nachdem er ins Haus der Wohnungslosen- hilfe gezogen war, wurde er von mir zum Facharzt für Urologie vermittelt. Seit kur- zem wird Herr L. aufgrund mehrerer Krampfanfälle in ei- nem Krankenhaus stationär behandelt. Wegen zunehmen- der Pflegebedürftigkeit ist zur Zeit eine Vermittlung ins Altenpfle- geheim geplant.“ Viele Obdachlose fühlen sich nicht krank, obwohl es of- fensichtlich ist, daß gerade das Leben auf der Straße zu vielfältigen gesund- heitlichen Störungen führt.

Vertrauen schaffen

Krankheiten können unter den ge- gebenen Lebensumständen nicht aus- heilen, die meisten Obdachlosen leiden unter chronischen Erkrankungen. Das Spektrum reicht von Herz-Kreislauf- Erkrankungen und Erkrankungen der Atemwege bis hin zu Hautkrankheiten und Erkrankungen des Stütz- und Be- wegungsapparats. Immer wieder wer- den die Ärzte mit unversorgten Wun- A-591 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 11, 13. März 1998 (35)

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Ärztekammer Westfalen-Lippe

Versorgung Obdachloser – Ärzte auf der Straße

Viele Obdachlose haben außer bei Akuteinweisungen in ein Krankenhaus keinerlei Kontakt zu Ärzten. Die Ärztekammer Westfalen-Lippe hat ein zunächst auf zwei Jahre angelegtes Modellprojekt „Aufsuchende Gesundheitsfürsorge“ initiiert.

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Das „Leben auf der Straße“ führt zu vielfältigen gesundheitlichen Störungen, die unter den gegebenen Umständen kaum ausheilen können. Fotos: Hofmann

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den konfrontiert – bei vielen Obdach- losen verlaufen die Krankheiten durch die mangelnde Hygiene schwerer als gewöhnlich.

Mittlerweile ist an allen Standor- ten ein gutes Vertrauensverhältnis zu den Obdachlosen aufgebaut worden.

Zwischen 80 und 300 Behand- lungskontakte pro Monat zei- gen, daß von seiten der Ob- dachlosen ein deutlicher Be- darf an medizinischer Betreu- ung besteht. Neben den regel- mäßig angebotenen Sprech- stunden in den Räumen der verschiedenen Träger machen die Ärzte Rundgänge an den sozialen Brennpunkten und versuchen, das Projekt durch Verteilen von Visitenkarten in der Szene bekannt zu machen.

Die ärztlichen Projektmit- arbeiter verstehen sich als Rat- geber in gesundheitlichen Fra- gen über den Rahmen der Schulmedizin hinaus. Sie lei-

sten eine medizinisch-anwaltschaftli- che Begleitung bei der Rückführung ins Gesundheitssystem. Die Projekt- teams bieten auch weiterführende Be- ratung und Informationen an.

Die Arbeit des Projektes kann nach Abschluß der zweijährigen Mo- dellphase als durchweg positiv be- zeichnet werden. Der Erfolg wird nicht zuletzt daran sichtbar, daß Men- schen erreicht werden, die über Jahre hinweg keinerlei Kontakt zum medi- zinischen Versorgungssystem hatten.

In Bielefeld zum Beispiel haben sich die Patientenkontakte vom Beginn des Projektes im März 1996 bis zum Dezember 1996 von monatlich 65 auf 137 mehr als verdoppelt.

Das Projekt wird wissenschaft- lich begleitet, um nach Abschluß der Projektphase Aussagen über den tatsächlichen Behandlungsbedarf tref- fen zu können. Das Dokumenta- tionssystem unterscheidet unter ande- rem zwischen Präsentiersymptom, al-

so dem Anliegen, das der Obdachlose beim Arztkontakt vorträgt, und dem Krankheitsstatus, der sich nach ärztli- cher Untersuchung ergibt.

Finanzierung sichern

Mit Hilfe der dann zur Verfügung stehenden Daten wird es besser mög- lich sein, auf politischer Ebene auf die Dringlichkeit einer dauerhaften, auch über die Projektphase hinaus geregel- ten Finanzierung hinzuweisen.

Um die Arbeit der in Nordrhein- Westfalen bestehenden Initiativen zur medizinischen Versorgung Obdachlo- ser besser koordinieren zu können,

wurde ein Arbeitskreis „Medizinische Versorgung Obdachloser in NRW“ ins Leben gerufen, der sich in seinen bisherigen Sitzungen schwerpunkt- mäßig mit der Frage der Finanzie- rung beschäftigt hat. Zur Zeit setzen sich die Finanzierungsbausteine der meisten Projekte zusammen aus ehrenamtlicher Mitarbeit, ABM-Stellen, Spenden, Etat des Sozialamtes, Mittel der Projektträger sowie der Kom- munen. Allen Projekten ge- mein ist eine jeweils kurzfristi- ge Sicherung der Finanzie- rung und die Sorge um eine erfolgreiche Fortführung der Arbeit.

Bei der Suche nach ei- ner dauerhaften Finanzierung muß ein pragmatischer Weg beschritten werden, um für diesen Aspekt der medizini- schen Versorgung regelhafte Strukturen zu schaffen. Noch verharren Krankenkassen und Sozialämter allerdings in wohlwollen- der Untätigkeit. Ohne Finanzmittel aus dem Regelsystem kann es jedoch nicht weitergehen. Die Ärztekammer West- falen-Lippe sieht dabei insbesondere die Landespolitik in der Pflicht. Am sinnvollsten wäre diese Aufgabe beim Öffentlichen Gesundheitsdienst ange- siedelt. Auf keinen Fall darf die medizi- nische Versorgung von obdachlosen Menschen zu einer rein finanziellen Frage werden.

Anschrift des Verfassers Dr. med. Ingo Flenker

Ärztekammer Westfalen-Lippe Gartenstraße 210-214

48147 Münster

A-592 (36) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 11, 13. März 1998

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Regelmäßig bieten die Ärzte des Projekts Sprechstunden für Obdachlose in speziell eingerichteten Behandlungsräumen an.

Das Modellprojekt „Aufsuchende Gesundheitsfür- sorge“ der Ärztekammer Westfalen-Lippe war zunächst auf zwei Jahre befristet und wurde in Bielefeld, Bochum, Dortmund und Münster in unterschiedlichen Kooperati- onsformen eingerichtet. Die verschiedenen Träger haben die Arbeitsverträge mit den Projektmitarbeitern ge- schlossen und stellen Räumlichkeiten zur Verfügung. Pro Projektstelle wurden im Wege der Arbeitsbeschaffungs- maßnahmen drei Stellen – zwei ärztliche und eine Sozial- arbeiterstelle – eingerichtet. Die Kosten trägt die Ar- beitsverwaltung. Die Grundausstattung der Behand- lungszimmer erfolgt teilweise aus Beständen der örtli- chen Träger und teilweise aus Geld- und Sachspenden.

Die medizinische Ausstattung setzt sich aus Untersu- chungsinstrumenten, Verbrauchsmaterialien und Medi- kamenten zusammen; sie wird ebenfalls durch Spenden bereitgestellt. Nach Ablauf der Modellphase wird das Projekt in Münster und Bielefeld zunächst mit einer Mischfinanzierung fortgeführt. In Bochum wurde ein Verein gegründet, mit dem Ziel, die Finanzierung über die Projektphase hinaus zu gewährleisten – die Gründung eines Vereins in Dortmund steht unmittelbar bevor.

Das Projekt ist weiterhin auf Spenden angewiesen:

Spendenkonto „Aufsuchende Gesundheitsfürsorge“, Deutsche Apotheker- und Ärztebank, Münster, BLZ 400 606 14, Kto-Nr. 090 2325772. N

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