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Archiv "Behinderte in den neuen Bundesländern: „Schulunterricht macht Sinn“" (13.11.1998)

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uch in ihrer Freizeit unter- nimmt Katrin Baumann viel mit ihrer Wohngruppe. Klei- ne Reisen sind zum Beispiel keine Seltenheit mehr. So erzählt die Sozi- alpädagogin nicht ohne Stolz von der kürzlich unternommenen Berlin- fahrt. „Wir hatten unheimlich viel Spaß miteinander“, berichtet sie und freut sich, daß die Wende eine solche Arbeit mit Behinderten möglich ge- macht hat.

Die jungen Leute, die von der Sozialpädagogin betreut werden, sind geistig behindert und gleichzeitig psy- chisch krank. Häufig sind sie auti- stisch, aggressiv oder depressiv. Sie leben in Kleingruppen zu rund fünf Bewohnern im Anna-Luisen-Stift im thüringischen Bad Blankenburg.

Das Stift der Evangelischen Stiftung Christopherushof hat 60 Plätze in ihrem Wohnbereich. Es fördert Er- wachsene, Jugendliche und Kinder mit Schwerstmehrfachbehinderungen, mit leicht- bis mittelgradiger geistiger Behinderung und zusätzlichen schwe- ren Verhaltensauffälligkeiten. In der Heilpädagogischen Kindertagesstätte werden bereits Kleinstkinder, die von Pädiatern überwiesen wurden, inten- siv gefördert.

Solche Förder- und Eingliede- rungshilfen sind durchaus keine Selbstverständlichkeit. Zu DDR-Zei- ten waren die Jugendlichen, die jetzt ein relativ eigenständiges Leben führen, jedenfalls häufig in Landeskli- niken untergebracht. Eingliederungs- hilfen, Frühförderung und Schulun- terricht für geistig Behinderte habe es überhaupt nicht gegeben, sagte der Pädagogische Vorstand vom Christo- pherushof, Andreas Bachmann. Die Entpsychiatrisierung vieler Behinder- ter sei jedoch nur möglich mit Hilfe begleitender ärztlicher Therapie. Ei- ne Kooperation mit Kinder- und Ju- gendpsychiatern sei dabei selbstver- ständlich, so Katrin Baumann. Alle Jugendlichen seien nach dem Grund- satz „soviel wie nötig, so wenig wie möglich“ medikamentös eingestellt;

regelmäßig besuchten sie außerdem eine Psychotherapie.

Förderschule für geistig Behinderte

Doch trotz der zahlreichen Ein- gliederungshilfen und Fördermaß- nahmen sind auch Benachteiligungen zu beklagen. Dr. Thomas Broch, Pres- sesprecher des Deutschen Caritasver- bandes, wies vor Journalisten in Er- furt auf ein konkretes Problem hin:

„Nachdem das Bildungsgesetz und die damit verbundene Schulpflicht nach der Wende auch in den neuen Bundesländern in Kraft getreten war, hatten dort erstmals auch geistigbe-

hinderte und schwerstmehrfachbe- hinderte Menschen die Chance, be- schult zu werden und eine ihren Fähigkeiten entsprechende Förde- rung zu erfahren.“ Sie sollen jetzt je- doch aus Kostengründen aufgrund des Schulgesetzes und des Förder- schulgesetzes mit spätestens 22 Jah- ren die Schule verlassen.

Es gebe allerdings Jugendliche, die zum Zeitpunkt der Einschulung bereits 15 Jahre alt gewesen seien.

Diese heute 22jährigen sollen also nach nur sieben Jahren Schulunter- richt wieder ausgeschult werden – ein Mißstand, der von den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden scharf kritisiert wird. Alle Schüler mit geistiger Be- hinderung sollten, unabhängig davon, wann sie eingeschult wurden, zwölf Jahre lang unterrichtet werden, for- dern Caritas und Diakonie. „Zu DDR-Zeiten wurden die Betroffenen benachteiligt, das darf jetzt nicht ein zweitesmal geschehen.“

Die thüringische Gesundheitsmi- nisterin Irene Ellenberger (SPD) räumte ein, daß „ein Anrecht auf zwölf Jahre Schulunterricht für geistig Behinderte Sinn macht“. Das Kultus- ministerium arbeitet zur Zeit an einer Zwischenlösung (vorläufige Verlän- gerung um zwei Jahre nach Begutach- tung durch eine landesweit tätige Kommission). Eine endgültige Lö- sung stehe noch aus.

Ein weiteres Problem, auf das die Wohlfahrtsverbände hinwiesen, ist, daß in den Einrichtungen der Einglie- derungshilfe auch Menschen leben, die von ihrem Kostenträger nur „Hil- fe zur Pflege“ zugesprochen bekom- men, oftmals sogar nur „Hilfe zum Lebensunterhalt“. Auf diese Weise werde ihnen die heilpädagogische Kompetenz vorenthalten, die für die individuelle Förderung, Bildung und Integration erforderlich ist.

Und gerade dies ist sinnvoll, denn von einer Integration verspricht sich Irene Ellenberger auch eine bessere Akzeptanz von Behinderten in der Bevölkerung. Gisela Klinkhammer A-2893

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 46, 13. November 1998 (25)

Behinderte in den neuen Bundesländern

„Schulunterricht macht Sinn“

A

Nach der Wende hatten geistig Behinderte in den neuen Bundesländern erstmals die Möglichkeit, be- schult zu werden und eine ihren Fähigkeiten entspre- chende Förderung zu erhalten. Foto: SWR

Zu Zeiten der DDR wurden

geistig Behinderte in der

Regel weder beschult noch

gefördert. Eine optimale

Eingliederung ist dort immer

noch nicht gewährleistet.

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