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Marmorgruppe aus Sparta

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Academic year: 2022

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(1)

MITTHEILUNGEN

DES

INSTITUTES

IN ATHEN.

Z E H N T E R J A H H G A K G .

M i t v i e r z e h n T a f e l n , v i e r B e l l a g e n T u n d v i e l e n A b b i l d u n g e n ! • » T e x t .

A T H E N ,

IN C O M M I S S I O N BEI K A R L W I L B E R G .

1 8 8 5

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Originalveröffentlichung in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Institutes, Athenische Abteilung 10, 1885, S. 177-199

Marmorgruppe aus Sparta.

(Taf. V L )

D i e stark verstümmelte Marmorgruppe, welche nach G i l - lieronschen Zeichnungen (1/5 der natürlichen Grösse) hier auf Tafel VI mitgeteilt ist,wurde bei dem Dorfe Magula a u s - gegraben und befindet sich jetzt in dem P r o v i n c i a l m u s e u m zu Sparta. Höhe 0 , 4 8m, Breite 0,28m. Das Material ist der Io- cale, blaugraue M a r m o r , wie es scheint, derselbe der sparta- nischen Reliefs. Vermutungsweise ist dies seltsame Stück in dem Dressel-Milehhöferschen Catalog der antiken K u n s t w e r k e aus Sparta und U m g e b u n g (Mittheilungen II S.297) als G r u p p e einer kindernährenden Frau bezeichnet und an die Spitze der archaischen Sculpluren gestellt worden.Sicherlich macht diese Gruppe, w e l c h e nach d e m Gegenstand der Darstellung ganz vereinzelt dasteht, unter allen dort vorhandenen D e n k m ä l e r n archaischer K u n s t ü b u n g - v o n den Reliefs abgesehen — nach der T e c h n i k den am meisten altertümlichen E i n d r u c k .

W i r erkennen eine völlig nackte Frau, an welche sich zu beiden Seiten j e eine in kleineren Verhältnissen gearbeitete männliche F i g u r eng anschmiegt. Betrachten w i r zuerst die Mitlelfigur der G r u p p e . Nicht erhalten sind der K o p f und Hals, die A r m e und Unterschenkel von den Knieen a b ; die linke Schulter ist völlig, die linke Brust bis a u f einen kleinen Rest weggobrochen. W i e abgezirkelt heben sich die flachen Halbkugeln der Brüste, a u f welchen die Brustwarzen nicht angegeben sind, von dem verhällnissmässig breiten Brustkas- ten a b : in der Gegend der W e i c h e n ist der R u m p f enger ein- geschnürt und erweitert sich wieder etwas weiter unten zur Bildung des Beckens. Der Leib ist ganz glatt u n d flach, zeigt

MITTH. D. AUCH. INST. X. 4 0

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478 MARMORGRUPPE AUS SPARTA

keinerlei Detail von Knochen oder M u s k e l b i l d u n g : nach u n - ten, wo die besonders drall und üppig hervortretenden Ober- schenkel ansetzen, läuft derselbe dreieckig zu. Das pudendum muliebre ist deutlich a n g e g e b e n : nicht so der Nabel. Etwas oberhalb der Kniee trennen sich die fest aneinandergepressten Oberschenkel w i e d e r : zwischen beiden Knieen ist der Stein stehen geblieben. D a s rechte Bein ist kurz über dem K n i e weg- g e b r o c h e n : das l i n k e gerade bis auf das K n i e erhalten, des- sen spitze F o r m m a n noch zur Genüge erkennen k a n n . A u s letzterem Umstände ist schon in dem Cataloge richtig ge- schlossen w o r d e n , dass dasselbe rückwärts gebeugt gewesen sein m u s s . Der R u m p f (vergl. die Seitenansicht) bildet mit den Oberschenkeln einen stumpfen W i n k e l : auffallend ist die un- verhältnissmässig grosse Tiefe des Brustkastens (0,15m), des Leibes und der Schenkel, w e l c h e sich daraus erklärt, dass der Künstler sich den f ü r die B i l d u n g der Seitenfiguren nötigen R a u m sichern wollte. Die E i n s c h n ü r u n g des Frauenleibes über dem Becken in der Gegend der Hüften springt bei der Seitenansicht infolge des stark hervorspringenden oberen Rü- ckens und des ebenso auffallend hervortretenden Gesässes be- sonders in die A u g e n . Die Rückseite ist roh b e h a n d e l t : das Gesäss o h n e jeglichen Spalt, das Rückgrat nur flüchtig durch eine Vertiefung angedeutet, die Oberschenkel unterhalb des Gesässes durch eine w e n i g tiefe R i n n e von einander getrennt.

W e n d e n w i r uns n u n m e h r zu der Betrachtung der beiden m ä n n l i c h e n Seitenfiguren, zuerst zu der den Proportionen nach grösseren F i g u r rechts v o m Beschauer, von der nur der linke A r m , ein Stück Leib mit dem Geschlechtsteil und dem Ansatz der Beine, und der Contur des oberen R ü c k e n s auf der (nicht gezeichneten) linken Seite der bereits beschriebe- nen Hauptligur der G r u p p e erhalten ist. Dieser Contur des sonst völlig zerstörten Oberkörpers des J ü n g l i n g s 1, welcher sich deutlich auf der linken Seite des Frauenkörpers abhebl und besonders klar die Umrisslinien des oberen R ü c k e n s er-

< Der B e w e i s für die Richtigkeit dieser B e n e n n u n g erfolgt weiter unten.

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NtABMOBGBUPPfi AÜS SPABTA l19

kennen lässt, beweist zur E v i d e n z , dass derselbe m i t dem Oberkörper etwas nach vorwärts b z w . seitwärts links geneigt und m i t seiner Brust eng an die linke Seite der Frau a n g e - schmiegt w a r . Die linke, geöffnete H a n d legt er auf den Un- terleib derselben: der Ellbogen ist an ihrer Hüfte leicht g e - k r ü m m t , der Z u s a m m e n h a n g des Überarms mit dem R u m p f des J ü n g l i n g s an der Achselhöhle am Original so klar ersicht- lich, dass keinerlei Zweifel über die Zugehörigkeit des A r m e s a u f k o m m e n k a n n . Daraus folgt, dass der Geschlechtsteil ent- weder fälschlich an die linke Hüfte zu sitzen k a m oder der Körper des J ü n g l i n g s unnatürlich verrenkt dargestellt w a r . Man erwartet, dass derselbe den R u m p f der Frau mit beiden Händen und A r m e n von der Seite u m f i n g , dass also sein rech- ter A r m auf dem R ü c k e n der Mittelfigur zu liegen k a m : da sich aber dort keinerlei Ansatzspur findet und die ganze G r u p p e für die Vorderansicht fraglos berechnet war, so mag derselbe einfach an seiner rechten Seite herabhängend gebildet g e w e - sen sein. Der Künstler beabsichtigte der Gleichförmigkeit hal- ber auch diese F i g u r analog den beiden andern Figuren der Gruppe en face darzustellen, trotzdem dass durch die Lage des Körpers eine andere Stellung geboten war. Fr verrenkte desshalb den Oberkörper der J ü n g l i n g s f i g u r so, dass der G e - schlechtsteil en face zu stehen k a m , woraus man sicherlich schliessen d a r f , dass auch der K o p f en face dargestellt und nicht etwa m i t dem Angesicht in die Schulter der Frau v e r - graben war. Dem Gebrauch der archaischen K u n s t entspricht dies durchaus.

Etwas m e h r erhalten ist von der m ä n n l i c h e n F i g u r l i n k s vom Beschauer. Dieselbe w a r , wie man schon aus der V e r - gleichung des rechten A r m s mit dem linken quer über d e m Leib der Mittelfigur liegenden A r m des vorherbesprochenen Jünglings ersehen k a n n , in u m ein w e n i g kleineren V e r h ä l t - nissen gearbeitet: während sein Scheitel n u r bis zur Mitte der rechten Brust der Frau heranreicht, muss der K o p f des a n - dern die linke Brust derselben noch etwas überragt h a b e n . Von seinem linken B e i n , welches m i t leicht g e k r ü m m t e m

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1(80' MABMOBGRlIPPK AUS SPAM'A

K n i e vorgesetzt w a r , ist der obere Teil u n d der ganze Contur bis z u m Knöchel am Schenkel der Frau deutlich e r k e n n b a r : das rechte Standbein ist oberhalb des Knies weggebrochen.

Kückgrat und der Spalt im Gesäss sind sorgfältig angegeben, ebenso der Geschlechtsteil. So sehr auch der dicke K o p f und die Unterarme bestossen s i n d , so erkennt m a n doch deutlich die grossen A u g e n , die s t u m p f e , dreieckige Nase u n d d i e c h a - racteristische B e h a n d l u n g des Hars, das bis auf die Schultern h e r a b - , a m Halse k e i l f ö r m i g vorwallt und wie r i n g s h e r u m abgeschnitten erscheint. Heber dem O h r springt eine einzelne Harpartie nach dem A u g e zu v o r1. Die B e h a n d l u n g des H a - res b e s t i m m t uns die richtige B e n e n n u n g der beiden Seiten- figuren bezüglich des Lebensalters. Es sind natürlich keine K i n d e r , aber auch keine K n a b e n , welche nach Lycurgs V o r - schrift tv x.p6> xexapjAevoi bis z u m Eintritt ins Jünglingsalter einhergingen. Es sind die J ü n g l i n g e im Ephebenalter, die sich

)CO[/.öVTES, im vollen, offenen H a r s c h m u c k , bis zum Eintritt ins Mannesalter t r u g e n2, wie die j u g e n d l i c h e von Loeschcke Z e u s - A m p h i a r a o s genannte m ä n n l i c h e F i g u r der spartani- schen Basis, welche auch schon talog zur Vergleichung herangezogen ist. — Deutlich sind ferner zwei Finger zu er- k e n n e n , w e l c h e der J ü n g l i n g an die Lippen legt oder in den M u n d steckt: ebenso ist sicher der rechle A r m g e k r ü m m t und führt eben einen oder zwei Finger an oder in den M u n d . Es ist aber bei der R o h h e i t der A r b e i t und der schlechten E r - h a l t u n g gerade dieser Partie k a u m zu b e s t i m m e n , ob n u r die rechte, oder ob beide Hände z u m Munde geführt s i n d , ob der J ü n g l i n g die Finger n u r auf die Lippen legt oder ob er sie in den Mund steckt: schliesslich könnte man in dieser F i g u r selbst einen die Doppelflöte blasenden J ü n g l i n g erkennen wollen.

Indessen hat bei genauerer Betrachtung des Originals die An- sicht, welche teilweise auch im Catalog vertreten ist, n ä m l i c h

1 G a n z a n a l o g auf der spartanischen Stele am K o p f des j u g e n d l i c h e n

" A n i p h i a r a o s " .

-' Plutarch. Lycurg. 16. 22.

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MARMORGRUPPE AUS SPARTA t g l

<Ja88 der J ü n g l i n g j e einen Finger —dass es gerade der D a u - men sei, dafür sprichl nichts— je einer H a n d an oder in den AInml führt, am meisten W a h r s c h e i n l i c h k e i t . Denn zwischen seinem rechten Unterarm und der Hüfte der Mittelfigur scheint eben eine E r h ö h u n g auf den Rest des abgeslossenen linken Unterarms des J ü n g l i n g s hinzuweisen, welcher gleichfalls z u m M u n d geführt war. W i e die Figuren eines Hochreliefs sind die beiden Seitenfiguren auf den Seitenflächen der M i t - telfigur herausgearbeitet: nur das rechte Bein des zuletzt be- sprochenen J ü n g l i n g s muss vom K n i e ab frei gearbeitet gewe- sen sein, da sieh an dem wohlerhaltenen rechten Schenkel der Frau keinerlei Ansatzspnr zeigt. A e h n l i c h verhielt es sich w o h l auch mit dem rechten Bein des grösseren der be+den, welches nach der Längsrichtung des Centurs seines Rückens zu schliessen gleichfalls frei gearbeitet gewesen sein muss.

Alles k o m m t darauf an zu bestimmen in welcher W e i s e m a n sich die Hauptfigur der Darstellung ergänzt denken muss. A u c h die beiden Zeichnungen genügen darüber z u m Schluss zu k o m m e n , wenngleich erst die Betrachtung des Ori- ginals oder eines Abgusses über die richtige Auffassung d i e - ser m e r k w ü r d i g e n G r u p p e \ ö l l i g überzeugen kann. W i r h a - ben auszugehen von der a m besten erhaltenen der drei Figu- ren, der zuletzt besprochenen männlichen Seitenfigur links vom Beschauer. E s unterliegt keinerlei Zweifel dass dieselbe stehend gebildet w a r , vielleicht ein klein w e n i g nach vorn geneigt. D a r a u s ergiebt sich, dass an dem unteren E n d e der Mittelfigur gerade noch soviel fehlen muss, um die Unter- schenkel und Füsse des J ü n g l i n g s richtig proportional ergän- zen zu k ö n n e n , also nicht so sehr viel bis zur B a s i s : denn etwa a n z u n e h m e n , dass die mit der Hauptfigur aus einem Stück gearbeiteten Seitenfiguren erhöht auf gesonderten Basen gestanden hätten, wäre offenbar verfehlt. Bringen w i r den Körper des J ü n g l i n g s in die richtige senkrechte Lage, so steht auch der R u m p f der Frau senkrecht, wie w i r es nicht anders erwarten d ü r f e n : dieselbe kann aber dann weder gesessen noch gestanden h a b e n . Gestanden selbstverständlich n i c h t :

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182 MARMORGRUPPE AUS SPARTA

der R u m p f bildet j a mit den Oberschenkeln einen stumpfen W i n k e l u n d w i e das l i n k e , spitze Knie andeutet, waren die Unterschenkel nach rückwärts g e k r ü m m t , die Seitenfiguren schwebten überdiess in der Luft. Sitzen ist aber ebenso u n - m ö g l i c h . Denn abgesehen d a v o n , dass man Stuhl u n d Frau zusammengearbeitet erwartete und an d e m glatt bearbeiteten Gesäss keinerlei Ansatz erhalten ist, dass die Seitenfiguren-auf erhöhten Bathren gestanden haben müssten, kann die Mittel- figur desshalb nie eine sitzende Stellung eingenommen haben, w e i l , w e n n m a n dieselbe in der Tat auf das Gesäss setzt, sie selbst m i t dem J ü n g l i n g unnatürlich h i n t e n ü b e r l i e g t : bringt m a n sie dagegen in eine gerade Lage und denkt sich die F i - g u r — d a sie in der Tat infolge der Bearbeitung des Gesässes so nicht sitzen k a n n — e t w a hintenangelehnt und von en face gesehen sitzend gedacht, so bleibt abgesehen erstens von der gänzlichen Unzulässigkeit einer solchen A n n a h m e und z w e i - tens d a v o n , dass der W i n k e l , den R u m p f und Oberschenkel b i l d e n , z u m Sitzen viel zu s t u m p f ist, i m m e r noch die Schwie- rigkeit mit den rückwärts g e k r ü m m t e n Unterschenkeln und den Seitenfiguren, welche w i e d e r u m nicht hätten, w o r a u f sie stünden.

Offenbar führten E r w ä g u n g e n ähnlichen Inhalts die V e r - fasser des Catalogs zu dem Resultat, dass die Frau sich in kauernder Stellung befunden haben m u s s , ohne diese Stel- l u n g näher zu beschreiben. Indessen stossen w i r auch bei der A n n a h m e einer kauernden Stellung jedweder Art a u f diesel- ben Schwierigkeiten, w i e bei der A n n a h m e der sitzenden oder stehenden Lage, S c h w i e r i g k e i t e n , welche sich, w e n n nicht alles täuscht, nur d a n n völlig lösen, w e n n man die Mittelfi- gur als a u f derselben Basis k n i e e n d auffasst, auf der die beiden Seitenfiguren stehen; in der Art ist die G r u p p e in dem Holzschnitt hier im T e x t w e n n auch w e n i g stilvoll ergänzt w o r d e n . Es erweist diese E r g ä n z u n g sicherlich die R i c h t i g - keit der Auffassung besser als jede A r g u m e n t a t i o n .

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MARMORGRUPPE AUS SPARTA 183

D i e Auffassung der Mittelfigur als kniende Frau hilft w e i - ter zur A u s d e u t u n g der G r u p p e und erklärt zugleich gut die Art ihrer E r h a l t u n g b e z w . ihrer Zerstörung. Mit der Basis aus einem Stück gearbeitet h i n g die Hauptfigur m i t derselben n u r an der schiefen Bruchfläche an den Knieen (vgl. die Seiten- ansicht) z u s a m m e n : ebenso dienten die beiden teilweise frei gearbeiteten rechten Beine der Seitenfiguren, welche getrennt auf der Basis aufstanden, mit als Stütze für die schwere Last des Frauenkörpers. Die beiden A r m e der Frau müssen e n t - weder wagrecht nach vornen oder senkrecht nach aufwärts gestreckt gewesen sein : wenigstens ist weder an ihrer w o h l - erhaltenen rechten Seite noch an dem J ü n g l i n g daselbst die Ansatzspur eines A r m e s vorhanden. K o p f und A r m e der Frau sowie die freigearbeiteten Teile der Seitenfiguren waren zuerst der Zerstörung ausgesetzt: da ferner an der Stelle, w o die Mittelfigur der G r u p p e mit der Basis z u s a m m e n h i n g , der Stein eine verhältnissmässig nur geringe Dicke hat,so musste ebenda in den Kniekehlen der Frauenkörper mittelbar von der zuge- hörigen Basis, unmittelbar von den Unterschenkeln bei g e - walttätigen Einflüssen von aussen wegbrechen.

W a s stellt dies m e r k w ü r d i g e B i l d w e r k d a r ? Mit der V e r - m u t u n g es sei ein kindernährendes W e i b werden w i r uns

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184 MARMORGRUPPE AUS SPARTA

doch nicht zufrieden geben. Gehen w i r aus von der H a u p t f i - gur der G r u p p e , der nackten, knieenden Frau. In den D a r - stellungen der aegyptischen und indischen K u n s t w e r k e ist die knieende Stellung besonders bei Frauen sehr häufig. Sie ist indessen mit dem Sitzen völlig gleichbedeutend: das Knieen ist nur eine andere Art des Sitzens. A u c h Schutzflehende se- hen w i r — e b e n s o auf griechischen K u n s t w e r k e n — in dieser Stellung das E r b a r m e n einer Gottheit oder eines Mächtigen anflehen. Von etwas derartigem kann bei unserer Darstellung nicht die Rede sein. Mit der nackten F r a u , welche hinknieet u n d die A r m e ausstreckt, geht irgend etwas vor, wobei die beiden m ä n n l i c h e n Figuren zur Seite helfend eingreifen, am unmittelbarsten und werktätigsten offenbar die F i g u r rechts v o m Beschauer, welche ihr den linken A r m auf den Unter- leib legt. A b e r w i r wissen auch von Götterbildern in knieen- der Stellung. In Aegina genossen hohe Verehrung die Schnitz bilder der D a m i a und Auxesia, aus dem heiligen Holze des attischen O e l b a u m s gefertigt. Die Tempellegende berichtete, beide Idole seien z u s a m m e n auf die K n i e e gefallen, als die Athener dieselben vor Allers gewaltsam w e g n e h m e n wollten, und seien seitdem in dieser Stellung verharrt ( H e r o d . V 82 ff)- Sie waren ursprünglich von den Aegineten aus E p i d a u r o s ent- führt. A u c h in Troezen wurden die Göttinnen verehrt.Ihr Cult w a r aus Kreta dort eingeführt und es w u r d e ihnen ein Fest AtOoßoAia genannt dort gefeiert, woraus sich die Sage ent- wickelt hatte, es seien kretische Mädchen gewesen welche vor

Alters bei Gelegenheit eines Ständekampfes in der Stadt ge- steinigt worden waren (Paus. II 32, 2). In Aegina und E p i - dauros ehrte man die Göttinnen durch von Männern geführte W e i b e r c h ö r e , welche nur die einheimischen W e i b e r , nicht die Männer in Spottliedern s c h m ä h t e n : auch sonst waren die Cultgebräuche den eleusinischen ähnlich (Herod. a. a. 0 . Paus.

II 3 0 , 5). W a r u m beide Göttinnen knieend dargestellt waren, darüber giebt weder Herodot, der die Geschichte von ihrem w u n d e r b a r e n Kniefall w o h l erzählt, aber nicht g l a u b t , noch Pauaanias irgendwelche A u s k u n f t . W o h l giebt aber letzterer

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MARMORGRUPPE AUS SPARTA

m

durch eine Nachricht über das Cultbild der Eileithyia in T e - gea den Schlüssel zum Versländniss der aeginetiscben K n i e - bilder. " A u c h von der E i l e i l h y i a " berichtet er \ III 4 8 , 5 , " h a - ben die Tegeaten auf dem Markte einen T e m p e l mit G ö t t e r - bild. Sie nennen sie aber Auyr) ev yivxaw, weil Auge als sie von Nauplios weggeführt wurde, dort wo jetzt das Heiligtum der Eileithyia ist, auf die Kniee liel und so den Knaben g e - b a r " . W i e w i r aus der F o r m der aeginetiscben Schnitzbilder auf ihre ursprüngliche Bedeutung schliessen müssen, so müs- sen wir bei der Eileithyiastatue von Tegea aus ihrer B e d e u - tung und B e n e n n u n g auf ihre F o r m schliessen. Es k a n n keine Frage sein, dass die Tegeaten ihr Eileithyiabild nur desshalb

" A u g e a u f d e f l K n i e e n " benannten, weil ihre Geburtsgöttin wirklich ursprünglich den Namen Auge führte und w i r k l i c h auf den Knieen liegend in ihrer Cultstatue dargestellt w a r , u n d ebenso klar ist, dass die Epidaurier Aeginelen und Troezenier jene chthonischen Göttinnen sich ursprünglich als gebärende Erdmütter in ihren Kniebildern vorstellten. W e l c k e r (Kl. Sehr.

III S. 187 und andere nach ihm) geht zu weil indem er a n - n i m m t , dass D a m i a und Auxesia w i r k l i c h ursprünglich der E n t b i n d u n g der Frauen vorstanden: aus der Ueberlieferung erhellt n u r , dass es Göttinnen der Fruchtbarkeil und des Ge- deihens der Erdfrüchte waren, welche eben die S y m b o l i k ur- alter K u n s t ü b u n g als Gebärerinnen auf den Knieen darstellte.

Die knieende Stellung w a r die Stellung der kreissenden Frauen. Dieselbe war für den A k t der E n t b i n d u n g so charac- teristisch, dass man wie jene E i l e i t h y i a - A u g e von Tegea s o - gar m ä n n l i c h e Gottheiten, welche den gebärenden Frauen in der Stunde der Niederkunft beistanden, in knieender Stellung darstellte. N or der Cella der Minerva auf dem Capitol befan- den sich drei m ä n n l i c h e Kniefiguren, E n t b i n d u n g s g ö l t e r , wie Paulus S. 17ö berichtet, welche den Kreissenden in ihren Wehen beistanden. Sie Iiiessen di nixi d. h . zurückübersetzt in die Sprache ihrer eigentlichen Heimat @eoi tv y ö v a w 1,

1 So wird das Sterabild sv j<Jv«siv oder E a g o q a s i s bei Martian Capelle

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{86 MARMORGRUPPE AUS SPARTA

A u s Griechenland sollten sie, nach einigen von M'. Acilius nach der Besiegung des Antiochos, nach andern nach dem Fall von Corinth nach Rom gebracht worden sein (Festus S.

174). A m bekanntesten aber war die Niederkunft der knieen- den Leto auf Delos, wie sie der hymn. Horn, in Apoll. Del.

116 ff. beschreibt:

£UT' exi Av)>ou l6aiv£ (JioyoffTÖy.o; E&eiOuia, 8Y) T6T£ TT]V TOXO; elXe, [Jievotvriffev 8e T£X£<r6ai.

ijiipi &£ ipotvixi ßxXf •Krijtt, yoiiva 8 ' epetaev AeiufiSvi [AaXaxcji' [Aei&TXje §e y a i ' Ü7re'vep9ev.

ex 8 ' löopev TCpö <p6w;8e.

D a s s es bei m a n c h e n N a t u r v ö l k e r n B r a u c h w a r u n d jetzt noch Brauch ist in k n i e e n d e r S t e l l u n g zu g e b ä r e n , hat W e l c k e r a.

a. 0 . S . 1 9 0 an d e m Beispiel der K a m t s c h a d a l i n n e n und A b e s s i n i e r i n n e n a u s R e i s e b e r i c h t e n e r w i e s e n : es verdient a u c h mitgeteilt zu w e r d e n , d a s s der G y m n a s i a r c h o s in Sparta versicherte, dass heute n o c h in L a k o n i e n die F r a u e n auf dem L a n d e in dieser S t e l l u n g e n t b u n d e n w e r d e n

Nach der A n a l o g i e der H a u p t f i g u r unsrer G r u p p e mit den besprochenen N a c h r i c h t e n ist dieselbe g e w i s s als kreissende Frau a u f z u f a s s e n : d i e deutlichere A n g a b e des s c h w a n g e r e n Leibes w i r d bei der V o r d e r a n s i c h t n i e m a n d v e r m i s s e n oder bei der Seitenansicht in der a u f f a l l e n d e n Tiefe des ganzen F r a u e n k ö r p e r s e r k e n n e n w o l l e n . A n d e r s w i e d i e zahlreichen k n i e e n d e n F r a u e n a u f a e g y p l i s c h e n D e n k m ä l e r n , w e l c h e mit d e m Gesäss a u f den U n t e r s c h e n k e l n fest a u f s i t z e n , kniet u n -

V I I I S. 838. 840. 842 K o p p mit nixus übersetzt Die nixi w e r d e n auch er- wähnt bei N o n i u s S. 57 u.enixae. Ü b e r die Stelle ü v i d . melam. 1X294 wei- ter unten.

1 Mehr bei v o n Siebold Gesch. d Ucburtshülfe l S. 30. Ploss Uber die L a g e und Stellung der Frau während der Geburt bei verschiedenen V ö l - kern Leipz.1872. G . E n g e l m a n n Die Geburt bei den U r v ö l k e r n W i e n 1884- Letztere Schriften sind mir augenblicklich nicht zur H a n d ,

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MARMOHGBUPPK AUS SPABTA <87

sere spartanische W ö c h n e r i n analog der Statue von Mykonos (Monum. dell' instit. I 44 W e l c k e r K l . Schr.lll S.188). welche weder Leto w i e W e l k e r wollte, noch E i l e i t h y i a , sondern am wahrscheinlichsten einfach eine zur E n t b i n d u n g n i e d e r k n i e - ende Frau d a r s t e l l t w e i t s t e i l e r u n d gerader. Von b i l d l i - chen Darstellungen einer Entbindungsscene sind im folgenden einige zusammengestellt: ein einziges M o n u m e n t , eine ä g y p - tische Darstellung aus der Zeit der letzten Ptolemäer a u f der Ostwand der Cella zu E r m e n t {Description d'tgypte A. vol. I pl. 96 Lepsius D e n k m ä l e r aus Aegypten und Aethiopien A b -

theil. IV B. I X Blatt 60) k o m m t für unsere G r u p p e näher in Betracht. Die W ö c h n e r i n liegt auf den K n i e e n , ebenso wie die vor ihr knieende E n l b i n d u n g s g ö t t i n , welche das N e u g e - borene aus dem Schos der Mutter zieht. Hinter ihr steht eine zweite weibliche F i g u r , welche mit der rechten H a n d die Brust der eben E n t b u n d e n e n berührt, m i t der linken die auf- wärts gestreckte linke Hand derselben fest n m f a s s t ; der rechte Arm der Gebärerin ist gleichfalls nach aufwärts erhoben und fasst die rechte Schulter der hinter ihr stehenden W e h m u t -

ter. Die übrigen Figuren der Darstellung k o m m e n nicht wei- ter in Betracht.

Andre Darstellungen gleichen Inhalts zeigen uns den A k t der E n t b i n d u n g , wie er sich in späterer Zeit nach den A n - ordnungen der H e b a m m e n k i i n s t und der medicinischen W i s - senschaft zu vollziehen pflegte: so das Kalksteinrelief aus Golgoi der S a m m l u n g Cesnola (Doell, die S a m m l u n g Cesnola Memoires de l'acad. de St. Petersbourg 1873 VII. Serie Tafel VI

1 Cesnola Collection of Cypriote antiquities I Tafel L X V l ) , das Gemälde der T i t u s t h e r m e n (Vestigia delle terme di Tito e loro interne pitture no. 17), das Relief Mus. Pio Clem. I V , 3 7 , das Elfenbeinrelief der Palagischen S a m m l u n g in der Archaeol.

Zeitung 1846 Taf. X X X V I I I u. a. Sie illustrieren gut die Vor- schriften des Soranus TuepL yuvauetuv und des nach dem W e r k des Soranus zusammengestellten H e b a m m e n k a t e c h i s m u s des

' A n d e r s Milchhöfer Mitthejlungen 1879 S . 66,

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1*8 MAHMOnfiRUPPE AUS SPARTA

Miiwcio (Sorani gynaeciorum uetus tramtatio herausgeg. v. Rose S. 21 ff. S. 236 ff). D i e äusserst rohe Terrakotte aus Dali oder Larnaka bei Henzey Terres cuites du Louvre T f . 9 S. 7 1

wird erklärt durch Hie A n o r d n u n g de« Soranus S. 2 3 9 Rose:

jt.r, -sxpövTo; XE TOü (/.attoTixoCi Si«ppo'j xai i~i ampoic yuv«.f/.o: x.a8e-

£of/.i'v/); 6 *'!»TO; XvvaTai yevEiröat Tft\\x.7.i<.i^M XT>. S. 22 Sf uero sella obstetricalis non est, in forlis mulieris femora sedere debet

ttt illic pariat. Die knieende Stellung bei der Niederkunft w i r d n u r bei besonderen Fällen empfohlen (S-357 Rose). So- ranus eifert gegen alle superstiliösen Gebräuche bei der Geburl:

so gegen die Vorschrift einiger, welche a n o r d n e n , die H e - b a m m e müsse knieend ihre Hantierungen verrichten (S. 239 Rose), ebenso gegen die A n o r d n u n g die Kleider. Binden und Hare der W ö c h n e r i n zu lösen uns einein andern als rein praclischen G r u n d e (S. 240), beides für uns wichtige Finger- zeige aller S y m b o l i k . Die gelösten Hare der oben erwähnten knieenden Statue von M y k o n o s waren gleichermassen wie das gelöste G e w a n d (Oppian. Cynec. I 496) für die D e u t u n g auf eine kreissende zu verwerten : schliesslich sei noch auf die Analogie dieser Kniefigur mit den u m den neugeborenen Pria- pos auf der Ära von Aquileia (Arehaeol. Epigr. M i t t e i l u n g e n aus Oesterreich 1 Taf. V) beschäftigten knieenden Frauen und den Helferinnen a u f den beiden Gemälden der Titusthermen (Vestigia delle terme di Tito no. 17 und J 6 ) , welche gleichfalls das G e w a n d halb gelöst, die eine Brust nackt zeigen, kurz hingewiesen.

Die Richtigkeit der Auffassung unsrer G r u p p e als Darstel- lung einer E n t b i n d u n g wird bestätigt durch die Betrachtung der männlichen F i g u r rechts vom Beschauer. Mit einer die W i c h t i g k e i t dieser Gebärde in hohem Maasse veranschauli- chenden Deutlichkeit legt dieselbe die geöffnete l i n k e Hand auf den Unterleih der knieenden F r a u , d i c h t über dem deut- lich ausgeprägten pudendum muliebre derselben. Der bekannte Vers öirovi TI; xkyti xEiÖi *ai rr,v yiif tyH dient etwas m o d i f i -

4 A u c h abgebildet bei P e r r o t - C h i p i e z Histoire de l'art dans Vantiquüt

m

s. 554.

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MARMORGRUPPß AUS SPARTA 1 W

eiert z u r E r k l ä r u n g a u c h dieses G e s t u s1. D e r Kreisseftden sieht ein m ä n n l i c h e r G e b u r t s d a e m o n , jenen dt nixi vergleich- bar, zur Seite u n d sucht ihr die W e h e n zu erleichtern. Sora- nus 2 3 8 R o s e ordnet ä h n l i c h a n : TOü? 8E TCöVOU; T ö ;/.ev irpütov Tri 8 i i 9ep(i.öv Tfiiv yeipüv xpo<ja<pY) irpKuvetv; u n d S. 241 : X'P*' 8E TöV öyxov EX iriiayicov is-zipe-nSes earuTai xpö; T O U; xä-rw TOICOU«

wpau; epee^sTwcav, w a s M u s c i o S. 24 interpretiert: /t lateribus uero ministrae sine quasmlione manibus a | i e r l i s in deorsum uterum deducant. Da die Lage des rechten A r m s nicht m e h r mit Sicherheit zu ermitteln ist, so w i r d man sich mit dieser E r k l ä r u n g bescheiden m ü s s e n : fände sich a m R ü c k e n der Millelfigur ein Ansatz des zerstörten rechten A r m e s , so w ü r d e die besprochene Seitenfigur der G r u p p e die Frau in derselben W e i s e fest halten und stützen, w i e die E i l e i t h y i a - T h a l n a den kreissenden Zeus auf d e m etruskischen Spiegel bei G e r h a r d E l r u s k . Spiegel 1 Taf. 6 6 und der G e m m e Archaeol. Zeit.

1849 T a f . VI 1.

1 M a n v e r g l e i c h e d i e T e r r a k o t t e aus d e m L o u v r e bei P e r r o t - C h i p i e z H toire de Varl III 8 . 201: La main droite sappuie sur le venire, dont la sab

anormale semble indiquer un Hat de grosseste, u n d die L a g e des rechten A r der G e b u r t s h e l f e r i n auf der o b e n c i t i e r t e n H e u z e y s c h e n T e r r a k o t t e .

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190 MARMORGRUPPE AÜ8 SPARTA

D i e B e r ü h r u n g des Leibes der Frau von Seiten der Gottheit b e w i r k t die E n t b i n d u n g1. A l s A p h r o d i t e , Ehefrau des A d o - nis g e w o r d e n , ihre von Dionysos vor der Verehelichung e m - pfangene Leibesfrucht in L a m p s a k o s vernichten w i l l , bewirkt die darüber e r g r i m m t e Ehegöitin Hera ihre Niederkunft d a - d u r c h , dass dieselbe ii.EfAayEuy.evri TY] XetP' e9'»l<{'aT0 yaGTpö;

aÜT7i{ xai EXOITIGEV aü-r/)v TE/.JEV - a i S a ov IlpiTiwov övo|x.a<j6yivat, au^Yi(ji.ov xai ajjtopipov XTX. 2. A e h n l i c h e Gebärden w i e die b e - sprochene k a n n m a n in jedem geburtshilflichen Atlas sehen.

Schwieriger ist die E r k l ä r u n g der zweiten m ä n n l i c h e n F i - g u r links v o m Beschauer, w r l c b e mit beiden Händen je einen Finger an die Lippen legt oder in den M u n d steckt und den oberflächlichen Beschauer zuerst an Harpokrales erinnert. Es ist b e k a n n t , dass die zahlreichen Darstellungen des H a r p o - krales a u s der r ö m i s c h - a l e x a n d r i n i s c h e n Epoche nur rein äusserlich in der F o r m mit dein ägyptischen " H o r u s als K i n d "3 z u s a m m e n h ä n g e n . Nach der allgemeinen A n s c h a u u n g des Altertums dienten diese und ä h n l i c h e F i g u r e n , welche bald w e i b l i c h , bald m ä n n l i c h , bald als K i n d , bald erwachsen, bald einzeln, bald in G r u p p e n , mit dem Finger oder der Hand an oder auf dem M u n d gebildet sind und keineswegs den Harpokratestypus genau n a c h b i l d e n , zur A b w e h r bösen Z a u - bers jeder Art ( 0 . J a h n Berichte d. sächs. Ges. d . W i s s e n s c h .

1855 S.47 Lelronne Revue archeol. III T f . 51 Gerhard Etrusk.

Spiegel I T f . 12). Inwieweit aber alle diese A n m i e t e , welche ursprünglich nur die B e s t i m m u n g hatten den bösartigen Ein- fluss a b z u w e h r e n , den man j e d e m unzeitigen W o r t und omi- nösen Geräusch zuschrieb, w i r k l i c h von dem aegyptischen Harpokrates a b h ä n g i g sind, i n w i e w e i t dessen Eintreten in die

' O v i d . metam. X 510. Constitit ad ramos müis Lucina dolenies Admovü- que manus et uerba puerpera dixit.

2 So das Etyjnul. Magn. S. 2, 13, e t w a s v e r s c h i e d e n d a v o n , aber sicher aus d e r s e l b e n Q u e l l e Sckol. Apullun. Hliod. I 932. D i e E r z ä h l u n g i m E. M.

bietet a n m e h r e r e n S t e l l e n die richtigere L e s u n g u n d zeigt a l l e i n logischen Z u s a m m e n h a n g i n der D a r s t e l l u n g .

3 B u n s e n , A e g y p t e n s S t e l l u n g in der W e l t g e s c h i c h t e I S. 505.

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MARMORGRUPPE AUS SPARTA 191

K u n s t und Superstition der beiden antiken Völker durch ähn- liche Gestalten des heimischen Gölterglaubens und Aberglau- bens schon vorbereitet w a r , ist noch keineswegs feststehend.

W e n i g s t e n s nicht für die griechische W e l t . Dein R ö m e r w a r der Gestus des Harpokates nichts Neues. E i n e Göttin der in- digitamenta, die stadtschirmende Angerona w a r dargestellt ore obligato obsignatoque nach P l i n . MI 6 5 : nach Macrob. III 9, 4 digito ad os admoto Silentium denuntiat. Aehnliche G o t t - heiten müssen die Tacüa und Muta gewesen s e i n : durch Op- fer an die erstere fesselt m a n " feindselige Zungen und u n - freundliche B l i c k e " nach O v i d . fast. II 570 ff.

Dass ein rein äusserlicher Z u s a m m e n h a n g der besproche- nen F i g u r mit den aegyplischen Harpokratesbildern bestehe, ist bei der Eigenarligkeit der Darstellung keinesfalls anzuneh- men : es ist aber die Frage offen zu lassen, ob nicht auch in der griechischen W e l t die abergläubische A n s c h a u u n g , w e l - che man späterhin auf die Harpokratesbilder übertrug, durch bildliche Darstellungen bereits früher einen Ausdruck gefun- den hatte. Der Gestus des Knaben muss auf alle Fälle h o c h - bedeutsam sein, ob er n u n die Finger nur an die Lippen legt oder in den M u n d steckt: auf keinen Fall ist dies eine rein genrehafte Darstellung W ä h r e n d offenbar der J ü n g l i n g rechts unmittelbar werktätig in den A k t der E n t b i n d u n g e i n - greift, fördert sein Z w i l l i n g s b r u d e r auf der andern Seite die schmerzvolle Arbeit durch einen heilkräftigen Zauber, im A l - tertum bei Göltern und Menschen nicht geringer angeschla- gen als rein äusserliche Hilfleislungen bei der Geburt. D u r c h einen zauberhaft wirkenden Gestus hält die Geburtsgöttin Hera selbst die E n t b i n d u n g der schwer kreissenden A l k m e n e auf bei O v i d . metam. I X 2 9 5 ff. •

dextroque a poplite laeuom pressa genu digitis inter se pectine iunctis sustinuit Nixus 2. Tacüa quoque carmina uocc diwit.

' Catalog S . 2 9 7 : " f ü h r t beide D a u m e n z u m M u n d e , u m daran zu saugen".

ä Über diese S c h r e i b u n g weiter uuten.

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192 MABMOHGRÜPPE AUS SPARTA

U m g e k e h r t fördern die E i l e i t h y i e n , welche a u f V a s e n b i l - dern bei Darstellungen der Athenageburt den kreissenden Zeus umstehen, m e h r magisch durch die Gesten ihrer h o c h - erhobenen H ä n d e als durch sinnlich werktätiges Eingreifen den A k t der G e b u r t :1 erst spätere Darstellungen, wie die etruskischen und praenestinischen Spiegelzeichnungen m a - chen sie zu w i r k l i c h anfassenden, hantierenden H e b a m m e n . Die SympalhiemitLel u n d symbolischen H a n d l u n g e n , d e n e n das Altertum eine B e s c h l e u n i g u n g und Erleichterung der Geburt zuschrieb, einzeln a u f z u z ä h l e n , ist unnötig: es genüge zu ver- weisen a u f P l i n . X X V I I I 33. 42. 09 Boetliger K l . Sehr. I S.

80 W e l c k e r K l . Sehr. III S. 191. 193 und die A n m e r k u n g Diltheys Archaeol. E p i g r . Mittheil, aus Oesterr. II S. 50. Die mehrfach citierte medicinisch - geburtshülfliche Litteratur macht d u r c h ihre Aufgeklärtheit in Bezug auf Superstition jeder A r t einen äusserst wohltätigen E i n d r u c k .

O b nun die besprochene m ä n n l i c h e F i g u r rechts von der Frau w i r k l i c h die Finger a u f die Lippen legt u m während der E n t b i n d u n g jedes unzeitige oder gar bezaubernde W o r t von aussen verstummen oder unschädlich zu m a c h e n , oder ob der Geslus sich a u f die F ö r d e r u n g der G e b u r t bezieht und eine lösende oder heilbringende Bedeutung hatte, bleibe d a - hingestellt. Heilbringender Gesten mit den F i n g e r n , nicht al- lein mit dem digitus salutaris, unserm " D a u m e n einschla- g e n " (pollicem premere P l i n . X X V I I I 25) vergleichbar, mag es j a im A l t e r t u m viele gegeben haben und für die letztere A u f f a s s u n g spricht die A n a l o g i e m i t der Geschichte von der E n t b i n d u n g der A l k m e n e . Nach der A n a l o g i e der andern m ä n n l i c h e n F i g u r rechts vorn Beschauer erwartet m a n ü b e r - diess auch, viel m e h r , dass auch a u f der andern Seite die schmerzvolle E n t b i n d u n g selbst tatkräftig gefördert, als dass von aussen her k o m m e n d e s Unheil von der Kreissenden a b - gewendet werde. Z w a r liesse sich auch für die erslere A u f - fassung einiges vorbringen: das Schweigen spielt in d e m Aber-

1 W e l c k e r K l . Sehr. III S. 191. 192. Elite ceramogr. I S. 185.

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lfARMORGRUPPE AUS SPARTA 193

glauben der A l t e n , in der Medicin ( P l i n . X X V I I I 62), in der spartanischen Äy^yin und der dorischen P h i l o s o p h i e eine grosse R o l l e : II0M.0I!; y*P ivOpwuoi« ipäppaxov xax&v Styri:

doch sind die G r ü n d e , welche für die letztere sprechen, e n t - schieden stichhaltiger1.

W i r haben also eine zur E n t b i n d u n g niederknieende Frau vor u n s , welcher zwei hilfreiche D ä m o n e n — d e n n für göttli- che Helfer haben w i r die beiden Seitenfiguren gewiss zu h a l - t e n — i n der schweren Stunde zur Seite stehen. Ist n u n diese knieende, nackte F r a u , ä h n l i c h der E i l e i t h y i a der Tegeaten und den griechischen di nixi a u f dem Capitol, selbst eine E i l e i t h y i a , vielleicht das a u f uns g e k o m m e n e Cultbild aus einem der beiden T e m p e l der Göttin, welche Pausanias III 14, 6. 17, 1 e r w ä h n t ? S c h w e r l i c h . Es spricht dagegen die D a r - stellung als G r u p p e und m a n ginge ferner in der A n n a h m e religiöser S y m b o l i k viel zu weit, w e n n man sich die Geburts- göttin selbst von zwei andern Geburtsgöttern entbunden in der W e i s e dargestellt denken wollte. Es ist weit wahrschein- licher dass unsere G r u p p e ein W e i h g e s c h e n k ist, für eine glückliche E n t b i n d u n g den beiden hilfreichen, j u g e n d l i c h e n Göttern dargebracht, w e l c h e w i r an der Mittelfigur tätig se- hen. E s ist dies d u r c h a u s die Sitte des A l t e r t u m s , dass der W e i h e n d e sein eignes A b b i l d der Gottheit in derselben Stel- lung und Lage d a r b r i n g t , in der er deren Hilfe und Beistand erfahren h a t : der W a g e n l e n k e r auf dem W a g e n , der Krieger in R ü s t u n g , der Flötenspieler die Flöte blasend, das Mutter gewordene W e i b in der Stellung des G e b ä r e n s . W e i h g e s c h e n - ke für eine glücklich überstandene E n t b i n d u n g darzubringen war im Altertum ganz g e w ö h n l i c h 2: der T e m p e l der E i l e i - thyia zu H e r m i o n e w a r voll derselben (Paus. II 3 5 , 8) u n d in

1 Sollte in dem besprochenen J ü n g l i n g links dennoch ein Flötenspieler zu erkennen sein, so Hesse sich auch dafür eine A n a l o g i e vorbringen: vgl.

die oben citierte A b h a n d l u n g Diltheys a. a. O .

2 A u s Sparta sind die Aufschriften zweier W e i h g e s c h e n k e a n E i l e i t h y i a , welche dort unter d e m N a m e n A t p > verehrt w o r d e n zu sein scheint, erhal- ten : R o e b l WA 52 Mittheilungen 1877 S. 435. 440.

MITTH. D. ABfiH. INST. X. 1 3

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194 MARMORGRUPPE AUS SPARTA

d e m Cesnolaschen Relief, der Heuzeyschen Terrakotte und der Kniestatue von M y k o n o s sind uns analoge Heispiele e r - halten. Von dem Cult zweier Entbindungsgötter in Sparta haben w i r keine besondere K u n d e1 • Möglicherweise dass eben unsere M a r m o r g r u p p e von einem derartigen Cult uns K u n d e giebt. A b e r nicht u n w a h r s c h e i n l i c h ist es, dass dieselben identisch sind mit d e m spartanischen G ö t l e r z w i l l i n g s p a r , dem ü b e r h a u p t die grosse Masse der dort noch vorhandenen W e i h - geschenke gegolten h a t , den T y n d a r e o s s ö h n e n , den Rettern in Not und Gefahr. S o w o h l in Sparta wie in A r g o s war ihr T e m p e l n a h e bei dem H e i l i g t u m der E i l e i t h y i a , welche ä h n - lich der A u g e - E i l e i t h y i a von Tegea in Argos n u r eine andere G e s t a l l u n g der M o n d g ö t t i n Helena war ( W e l c k e r K l . Sehr.

III S. 186 Paus. II 2 2 , 7 III 14, 6). Für Sparta sind die Dios- curen n i r g e n d s k l a r als Götter des weiblichen Geschlechts be- z e i c h n e t : vielleicht dass die Nachricht des Varro bei Gellius X I 6, w o n a c h in R o m ursprünglich nur die Frauen bei den Castores s c h w u r e n , a u f einen verwandten Brauch in ihrer Ur- h e i m a t sehliessen lässt, aus der ihr Cult über Siidilalien auch nach R o m verpflanzt worden ist. Dass der J ü n g l i n g rechts v o m Beschauer in seinen Proportionen etwas grösser und stärker gebildet ist, entspricht dem Brauch der alten Kunst (Paus. V 19, 1). D a s besprochene B i l d w e r k ist für die Kennt-

1 W a s die hei Hesych. u. d. W.'AXxtSm- 8EO( TIVSJ jeapi AaxESmixoviot« und u. ApiwSrive?- 9=oi jeapi Aax£äai|j.ov!ois xitiaifisvot erwähnten für hilfreiche Götter (vgl/AXxwv) waren, i s l d u n k e l : es waren wohl gleichfalls Zwillingsgötter.den Tyndariden ähnlich, mit denen sie Gerhard Gr M y t h . I S . 1 2 4 vergleicht. W ä r e übrigens bei O v i d . metam. I X 294 Lucinam Nixosque pares clamore uocabam {Boettiger a. a. O . S. 8 ! : " R i e f . . . die L u c i n a mit Schrein und die Z w i l - lingsmächte des K r e i s s e n s " ) die L e s u n g richtig hergestellt und richtig er- klärt, so hätten wir eine analoge Erscheinung. D i e Handschr. weisen aber mehr auf nixusque w a s wohl richtig ist. Mit den drei di nixi des Festus könnten diese nixi pares nur verwandt, keinesfalls identisch sein. Nixus sind die wSive?, die EiXe'Bu'.at (EiXeiBu;«?. . . sVoxs 8s xisiüSiva; Hesych.), wel- che an der oben angeführten Ovidstelle Juno sustinet, w i e sie bei Homer J M 1 9 'AXxpivTn ive'jtotuoE xo'xov, <r/ßi 3' EiXstOute«. Ich habe darum an der obigen Stelle Nixus mit grossem Anfangsbuchstaben geschrieben, tares harrt noch der Verbesserung oder Erklärung.

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MARMORGRUPPfc AUS SPARTA 195

nis der ältesten localen Marmorsculptur Spartas, überhaupt lür die K e n n t n i s der ältesten griechischen Sculptur von u n - gemeiner W i c h t i g k e i t . E s stellt offenbar einen der ältesten Versuche einer grösseren, gruppenartigen C o m p o s i l i o n dar und ist schon desshalb von besonderem Interesse. Nach den vorhandenen F u n d e n zu urteilen w u r d e in dem Laconien des sechsten J a h r h u n d e r t s im Gegensatz zur Reliefbildnerei die statuarische M a r m o r t e c h n i k wenig g e ü b t1: für die Cultbilder und Einzelstaluen w a r das a l t h e r k ö m m l i c h e Material H o l z oder die ßronce, welche bei der hohen Blüte des Erzgusses — um die Mitte des J a h r h u n d e r t s w i r k t Theodoros von Samos in Sparta —besonders dort E i n g a n g gefunden haben muss.

Dagegen wird die h a n d w e r k s m ä s s i g e A u s ü b u n g der M a r m o r - reliefsculptur, wie die erhaltenen Stücke zeigen, an der Hand eines ausgedehnten H e r o e n - u n d Gräbercultus früh ausgebil- det. V o n diesen Gesichtspunkten aus ist unsere G r u p p e zu beurteilen: die Mittelfigur ist lediglich ein in die M a r m o r - lechnik übersetztes X o a n o n , die Seitenfiguren sind reliefartig aus den zu dem Zweck u n v e r h ä l l n i s m ä s s i g breit gelassenen Seitenflächen der Mittelfigur herausgearbeitet. V o n der Seite als Relief betrachtet ist infolge dessen die m ä n n l i c h e F i g u r links bezüglich der Proportionen k a u m zu t a d e l n : von vorn gesehen ist dieselbe gänzlich f o r m l o s , der K o p f u n v e r h ä l l n i s - mässig d i c k , der Leib und die Hüften viel zu s c h m a l , das linke Bein überhaupt nur h a l b , das Ganze wie m i t der Mittelfigur verwachsen. Und doch war die ganze G r u p p e zweifellos für die Vorderansicht gearbeitet.

Betrachten w i r die Hauptfigur der G r u p p e . D i e T e c h n i k ist die für viele B i l d w e r k e der ältesten E p o c h e characteristische, welche den engen A n s c h l u s s der Steinsculptur an die H o l z - schnitzerei bekundet. So die h a l b k u g e l f ö r m i g e n Brüste, die drallen, ähnlich wie bei aegvptischen Frauenfiguren nach vorn vorquellenden Schenkel, der bretartig flache, an den Hüften

1 Milchböfer, M i t t e i l u n g e n 1877 S. 455 A n m . — D i e gleiche Tatsache in m Attica des sechsten J a h r h u n d e r t s : L o e s c h c k e Mittheilungen 1 8 7 9 S . 3 0 6 .

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1% MARMORGRUPPE AUS SPARTA

eingezogene Leib. Besonders interessant ist die F o r m der Brüste.Sie sehen a u s , w i e gedrechseile H o l z h a l b k u g e l n , w e l c h e a u f einem Bret aufsitzen, ä h n l i c h w i e a u f den bretartigen pri- mitiven Terrakottaidolen das Geschlecht d u r c h zwei aufge- setzte, flache Brüste angedeutet ist. G a n z anders beispielsweise die in den Archaeol. E p i g r . Mittheil, aus Oesterreich II Tafel V I I I publicierte nackte w e i b l i c h e Broncestatuette archaischen Stils, welche weit v o l l k o m m e n e r in der D u r c h b i l d u n g der F o r m e n eine g a n z verschiedene K u n s t r i c h t u n g offenbart.

Diese F o r m der Brüste ist offenbar hervorgegangen aus der T e c h n i k der lediglich a u f Enfaceansicht berechneten bretarti- gen Schnitzbilder aus H o l z .

D i e völlige N a c k t h e i t des Frauenkörpers, die barbarische D e u t l i c h k e i t , m i t der das Geschlecht angegeben ist, springt in die A u g e n , beides Erbteile der barbarischen K u n s l ü b u n g , welcher die griechische K u n s t ihre erste A n r e g u n g verdankt, u n d a u f einem B i l d w e r k aus Sparta, w o die E n l b l ö s s u n g der Frauen z u m Befremden der übrigen Hellenen und der Römer nichts U n s c h i c k l i c h e s hatte, weniger a u f f a l l e n d : insbesondere k o m m t ausserdem der gynaecologische Gegenstand der D a r - stellung dafür in Betracht. D i e Brustwarzen sind nicht ange- geben : ebenso fehlt i m Gegensalz zu den übrigen erhaltenen nackten Staluen der archaischen K u n s t die A n g a b e des N a - bels. Besonders f ü r letzteren T e i l w i r d w o h l die A n n a h m e von B e m a l u n g berechtigt sein. W i e bei allen archaischen Sta- tuen ladet das Gesäss weit aus und erscheint das Kreuz infol- gedessen tief eingezogen: es scheint diese stark hervortretende

indessen auch zur H e r v o r h e b u n g der W e i b l i c h k e i t zu dienen — m a n vergleiche a u f der Seitenansicht den Contur des R ü c k e n s der m ä n n l i c h e n F i g u r mit dem R ü c k e n der Frau.

W i r beobachten dieselbe E r s c h e i n u n g a u f dem technisch voll- endeten Relief aus der Maina Mittheilungen VIII Taf. X V I u n d an der oben citierlen archaischen w e i b l i c h e n Broncesta- tuette in W i e n . Eine E i n o r d n u n g der besprochenen Gruppe in die R e i h e der erhaltenen archaischen D e n k m ä l e r erscheint s c h w e r m ö g l i c h . W i r lesen a m Schluss der Beschreibung im

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HARMORGRUPPE AUS SPARTA 197

Catalog: " d a s ganze ist noch stillos und erinnert stark an p r i m i t i v e Idole aegyptisch-syrischer H e r k u n f t " . Darnach müssit! dasselbe ziemlich hoch hinaufdatiert werden. A l l e i n der U m s t a n d , dass w i r kein D e n k m a l derselben A r t erhalten haben, dasa uns überhaupt fast jedes Maass der Beurteilung und chronologischen F i x i e r u n g der spartanischen archaischen Sculpturen des sechsten J a h r h u n d e r t s bis jetzt fehlt, m a h n t zur Vorsicht. Ebenso w e n i g ist es berechtigt, Sculpturen aus anderen Landschaften zur Vergleichung h e r a n z u z i e h e n : w i r haben ein Erzeugniss rein localer K u n s l ü b u n g vor uns, und wie m a n bei der Chronologie und Beurteilung eines K u n s t - werks rein localer T e c h n i k von den W e r k e n anderer L a n d - schaften und Schulen hinsichtlich der V o l l e n d u n g der A r b e i t völlig absehen muss, k a n n die Grabstele des K i t y l o s und D e r - mys hinreichend lehren. Von dem W i r k e n auswärtiger Mar- morbildhauer in Sparta ist nichts überliefert: v o r d e m Fehler aus der Nachricht des P l i n i u s X X X V I 9, welcher berichtet, Dipoinos und S k y l l i s hätten zuerst von allen in der M a r m o r - sculptur R u h m erlangt, etwa zu schliessen, dass deren in La- conien gebürtige Schüler oder sie selbst die Marmorsculptur dort begründet, davor bewahren uns Kleins Untersuchungen in den Archaeol. E p i g r a p h . Mittheil, aus Oesterr. V S . 93 ff.

Zur Vergleichung können eben n u r die spartanischen G r a b - reliefs in beschränktem Maasse herangezogen w e r d e n und diese Vergleichung k a n n uns davor bewahren die besprochene Gruppe allzu hoch h i n a u f z u d a t i e r e n G r e i f e n w i r aus unserer Gruppe die Teile heraus, welche einen Vergleich hinsichtlich der T e c h n i k mit den Reliefs e r l a u b e n : den quer über den I^eib der Mittelfigur gelegten A r m der F i g u r rechts v o m B e - schauer. W i r sind überrascht, bei der sonstigen ungefügen Rohheit der A r b e i t hier anatomisch durchgebildete F o r m e n ,

1 E s ist zudem zu beachten, dass ganz ähnlich w i e in dem A t t i c a des sechsten Jahrhunderts, ebenso in L a c o n i e n bei dem Ü b e r w i e g e n d e r R e l i e f - ildnerei vor der statuarischen M a r m o r t e c h n i k die letztere auch d e m g e - bmass anders hinsichtlich der technischen V o l l e n d u n g zu beurteilen ist (Loesehcke Mittheilungen 1879 S. 305 ff.).

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198 MARMORGRUPPE AUS SPARTA

weiche schwellende Linien u n d eine richtige N a t u r b e o b a c h - t u n g zu finden: ganz anders die B e h a n d l u n g der Gliedmassen a u f den Reliefs Mittheilungen 1877 T a f . X X X X I I X X V b oder auf d e m Relief von C h r y s a p h a Mittheilungen 1882 Tai". VII m i t ihren unbeholfenen, eckigen, geradlinig scharfen Contu- ren. Der A r m ist so sorgfältig u n d sicher gearbeitet wie die Gliedmassen a u f d e m Relief des vollendeten archaischen Stils Mittheilungen 1877 Taf. X X I V . A m interessantesten ist die F i g u r l i n k s v o m Beschauer, welche w i e schon oben bemerkt, von vornen gesehen in ihren Verhältnissen d u r c h a u s u n h a r - monisch u n d vertrakt erscheint: von der Seite gleichsam als Relief betrachtet hält dieselbe den Vergleich mit dem A m - phiaraos der spartanischen Stele w o h l a u s : sie erscheint viel- m e h r in den P r o o o r t i o n e n noch v o l l k o m m e n e r , die Linien sind weicher u n d m e h r unter einander vermittelt. Die Arbeit der ganzen G r u p p e w a r eine äusserst sorgfällige, wie die gut erhaltenen Stellen beweisen. Sie setzt eine bedeutende B e - h e r r s c h u n g des Materials voraus, wie m a n schon aus den frei gearbeiteten T e i l e n , ganz besonders den vorwärts oder auf- wärts gestreckten A r m e n der Mittelfigur schliessen k a n n und w i e dies schon d u r c h den k ü h n e n Versuch eine G r u p p e zu componieren bedingt w i r d . I n n e r h a l b der Sonderentwicklung der laconischen M a r m o r s c u l p t u r setzt dieselbe gegenüber den u n s aus andern Landschaften erhaltenen sogenannten daeda- lischen nackten m ä n n l i c h e n Statuen m i t den steif anliegenden A r m e n einen bedeutenden Fortschritt in der K u n s t der Stein- arbeit voraus.

W i r dürfen nach diesen E r w ä g u n g e n die Zeil der Gruppe nicht zu hoch hinaufdatieren. Dieselbe bezeichnet einen Ver- such localer K u n s t ü b u n g eine freie mehrfigurige Composition i n M a r m o r darzustellen, m i t den Mitteln welche die gleich- zeitige Relieftechnik an die Hand g a b . Der Versuch isl recht p l u m p und ungefüge ausgefallen: aber es w ä r e verfehlt dess- h a l b auf höheres Alter zu schliessen.

F ü r eine festere Datierung der älteren Reliefs fehlt uns noch jeder A n h a l t p u n k t . Zwei derselben, Mittheilungen 187/

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MARMORGRUPPE AUS SPARTA 199

Taf. X X V b 1883 Taf. X V I I I 2 tragen Inschriften, aus deren Character w i r mit Sicherheit schliessen k ö n n e n , dass sie älter sind wie das fünfte J a h r h u n d e r t : wie weit w i r aber die R e - liefs im sechsten J a h r h u n d e r t hinaufrücken müssen, ist völlig u n b e s t i m m b a r . Nach der B e h a n d l u n g der Glieder zu schlies- sen, ist unsere G r u p p e weit j ü n g e r als das erstgenannte T h i o - klesrelief: am nächsten k o m m t dieselbe dem jüngeren W e i h - geschenk des Pleistiadas, welches indessen in der B e h a n d - lung der Conturen eine noch geringere Fertigkeit zeigt, w i e die Seitenfiguren unserer G r u p p e . Milchhöfer Mittheilungen

1877 S. 4 5 5 setzt das Thioklesrelief in den Ausgang des sech- sten J a h r h u n d e r t s . Vielleicht noch zu j u n g . Denn es scheint u n w a h r s c h e i n l i c h , dass sich in so kurzer Zeit das lacedaemo- nische A l p h a b e t in der W e i s e völlig zu den Formen u m g e - wandelt hätte, welche uns auf d e m datierbaren Plataeischen W e i h g e s c h e n k erscheint: zwischen beiden Monumenten steht noch das Dioscurenrelief des Pleistiadas. W i r rücken besser das Thioklesrelief mindestens in die Mitte des sechsten J a h r - hunderts, w e n n nicht noch höher, h i n a u f : um eine gute Zeit darnach ist unsere G r u p p e , etwas älter als diese das W e i h - geschenk des Pleistiadas anzusetzen. Mehr als diese a n n ä - hernde Z e i t b e s t i m m u n g zu geben erscheint vorerst u n m ö g l i c h .

F R I E D R I C H M A R X .

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